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Achtes Kapitel

»Carneades! Wer war dieser?« erwog Don Abbondio bei sich, in seinem hohen Stuhle, in einem Zimmer des oberen Stockes sitzend, mit einem kleinen Büchelchen vor sich aufgeschlagen, als Perpetua eintrat und ihm die Nachricht brachte. – »Carneades! Mich dünkt, den Namen schon gehört oder gelesen zu haben; er mußte ein Studierter, ein großer Gelehrter der alten Zeit sein, es ist so einer von den Namen; aber wer Teufel war dieser?« – So weit entfernt war der arme Mann, vorherzusehen, was für ein Unwetter sich über seinem Haupte zusammenzog!

Man muß wissen, daß Don Abbondio gern täglich ein paar Zeilen las, und zwar lieh ihm ein benachbarter Pfarrer, der eine Art von Büchersammlung besaß, ein Buch nach dem anderen, welches ihm zuerst in die Hände kam. Dasjenige, worüber Don Abbondio, der von dem Fieber des Schreckens wieder genas, ja, was das Fieber anlangte, gesünder war, als er sich wollte merken lassen, in diesem Augenblick nachsann, war eine Lobrede zu Ehren des heiligen Carlo, vor zwei Jahren im Dome zu Mailand mit vielem Nachdrucke gehalten und mit vieler Bewunderung angehört. Der Heilige ward darin der Gelehrsamkeit wegen mit Archimedes verglichen; und bis hierher fand Don Abbondio kein Hindernis, da Archimedes so Großes vollbracht, so viel von sich reden gemacht hat, daß es eben keiner sehr ausgebreiteten Belesenheit bedarf, um etwas davon zu wissen. Nach Archimedes zog der Redner aber auch Carneades in Vergleich, und hierbei war der Leser steckengeblieben. Indes kündigte Perpetua Tonios Besuch an.

»Zu der Stunde?« sagte auch Abbondio selbst, wie es natürlich war.

»Was wollen Sie? Sie haben keine Lebensart, aber wenn Sie ihn nicht flugs festhalten ...«

»Wenn ich ihn jetzt nicht festhalte, wer weiß, wann ich ihn wieder fassen kann. Laßt ihn kommen ... Eh, eh! seid Ihr denn aber auch ganz gewiß, daß es Tonio ist?«

»Den Teufel auch!« versetzte Perpetua und ging hinunter, machte die Tür auf und sagte: »Wo seid Ihr?« Tonio kam zum Vorschein; und zugleich zeigte sich auch Agnes und grüßte Perpetua bei Namen.

»Guten Abend, Agnes,« sprach Perpetua, »woher kommt Ihr um die Zeit?«

»Ich komme von ...« und sie nannte ein benachbartes Dörfchen. »Und wenn Ihr wüßtet ...« fuhr sie fort: »ich habe mich just Eurethalben so lange verweilt.«

»I, weshalb denn?« fragte Perpetua; und, zu den beiden Brüdern gewendet, sagte sie: »Geht hinein, ich komme gleich nach.«

»Weshalb?« erwiderte Agnes. »I, so ein Weibsbild, das von nichts weiß und doch von was reden will ... könnt Ihr's glauben, bestand darauf, zu sagen, Ihr hättet Beppo Suolavecchia und auch Anselmo Lunghigna darum nicht geheiratet, weil sie Euch nicht gewollt. Ich behauptete, Ihr hättet sie fortgeschickt, den einen wie den anderen ...«

»Ganz gewiß. Ei, die Lügnerin! die Erzlügnerin! Wer ist sie denn?«

»Fragt mich das nicht, ich richte nicht gern Unheil an.«

»Ihr werdet es mir schon sagen, Ihr müßt es mir sagen: oh, über die Lügnerin!«

»Laßt es nur gut sein ... Ihr könnt aber nicht glauben, wie ärgerlich es mir war, daß ich die ganze Geschichte nicht aus dem Grunde kannte, um sie zu beschämen.«

»Es war eine recht ausgemachte Lüge,« sagte Perpetua, »die allerunverschämteste! Was Beppo angeht, so weiß jedermann, und hat es mit Augen sehen können ... He, Tonio! lehnt nur die Tür an und geht immer hinauf, ich komme.«

Tonio bejahte von innen, und Perpetua fuhr in ihrer leidenschaftlichen Erzählung fort.

Don Abbondios Tür gegenüber, zwischen zwei armseligen kleinen Häuschen ging ein schmaler Weg hinein, der nur die Tiefe derselben entlang geradeaus lief und sich dann in die Felder wendete. Diesen schlug Agnes ein, gleich als ob sie, um freier zu reden, ein wenig beiseite treten wollte; und Perpetua hinterdrein.

Als sie um die Ecke gebogen waren und da, wo sie sich befanden, nicht mehr sehen konnten, was vor Don Abbondios Wohnung vorging, hustete Agnes laut. Dies war das Zeichen: Renzo vernahm es, machte Lucia mit einem Drucke des Armes Mut, und beide bogen dann auf den Fußspitzen auch um ihre Ecke, schlichen leise, leise dicht an der Mauer hin, erreichten die Tür, öffneten sie behutsam; und eins und zwei, heimlich und geduckt standen sie in dem Flur; hier warteten ihrer die beiden Brüder. Renzo drückte ganz sachte die Klinke hinter den Haken nieder: und nun alle viere die Treppe hinauf, nicht so viel Geräusch als zweie machend. Auf der Höhe der Treppe angelangt, traten die beiden Brüder an die Stubentür, die seitwärts von der Treppe war; die Verlobten drückten sich an die Wand.

» Deo gratias«, sagte Tonio mit vernehmlicher Stimme.

»Tonio, he? herein,« antwortete die Stimme von innen.

Der Gerufene machte die Tür kaum so weit auf als nötig war, daß er und der Bruder, einer auf einmal hindurchkommen konnte. Der Streifen Licht, der plötzlich durch diese Öffnung drang und quer über den dunkeln Fußboden des Treppenabsatzes hinfloß, verursachte, daß Lucia erzitterte, als ob sie entdeckt wären. Sobald die Brüder eingetreten waren, machte Tonio den Eingang hinter sich zu: die Verlobten blieben regungslos im Dunkeln zurück, spitzten die Ohren und hielten den Atem an sich; das stärkste Geräusch war das Klopfen des armen Herzens Luciens.

Don Abbondio saß, wie wir gesagt haben, in einem alten Armstuhle, in einen langen weiten Rock gehüllt, über den Kopf eine alte, wie eine Tiara geformte Mütze gezogen, die ihm das Gesicht einrahmte, beim schwachen Schimmer einer kleinen Lampe. Zwei dicke Büschel Haare, die ihm unter der Mütze hervorschienen, ein Paar dichte Augenbrauen, ein dichter Schnurrbart, ein dichter Zwickelbart längs des Kinns, alles zusammen grau und über das braune, runzlige Gesicht verstreut, konnten mit beschneitem Buschwerk verglichen werden, das beim Schimmer des Mondes an einem Felsensturze aufragt.

»Ah, ah!« war sein Gruß, indem er sich die Brille abnahm und sie in das kleine Büchelchen legte.

»Der Herr Pfarrer wird sagen, daß ich spät gekommen bin,« sagte Tonio und verbeugte sich, wie, nur ungeschickter, auch Gervaso tat.

»Freilich ist es spät, spät auf alle Weise. Ihr wißt doch, daß ich krank bin?«

»Oh, das tut mir leid!«

»Ihr werdet davon gehört haben, ich bin krank und weiß nicht, wann ich mich werde sehen lassen können ... Aber was habt Ihr denn den ... den jungen Burschen da mitgeschleppt?«

»Nur so zur Gesellschaft, Herr Pfarrer.«

»Schon gut; nun laßt sehen.«

»Da sind fünfundzwanzig neue Berlinghen, wo der heilige Ambrogio zu Pferde darauf sitzt,« sagte Tonio, und holte ein Päckchen aus der Tasche.

»Laßt sehen,« erwiderte Don Abbondio und nahm das Päckchen, setzte die Brille wieder auf, öffnete es, langte die Geldstücke heraus, drehte sie um, zählte sie, fand sie untadelig.

»Nun, Herr Pfarrer, geben Sie mir die Halskette meiner Thekla.«

»Das ist billig,« versetzte Don Abbondio, und ging zu einem Schranke, nahm einen Schlüssel und sah sich ringsum, wie um die Zuschauer fernzuhalten. Dann machte er eine Seite der Tür auf, füllte die Öffnung mit seiner Person aus, steckte den Kopf hinein um zu sehen, und einen Arm um das Pfand herauszulangen und brachte es, worauf er den Schrank zuschloß, die Papierhülse aufwickelte, sagte: »Ist es recht so?« und sie wieder zusammenlegte und Tonio übergab.

»Jetzt,« sprach dieser, »geben Sie mir gefälligst etwas Schwarz auf Weiß.«

»Auch das noch!« sagte Don Abbondio, »sie wissen doch alles. Ih! was die Welt mißtrauisch geworden ist! Traut Ihr mir denn nicht?«

»Wie, Herr Pfarrer! ob ich Ihnen traue? Sie tun mir unrecht. Aber, da mein Name in Ihrem garstigen Buche auf der Schuldseite steht ... nun so, Sie haben ja schon die Ungelegenheit gehabt, ihn einmal zu schreiben, drum ... es ist Lebens und Sterbens wegen ...«

»Gut, gut,« fiel Don Abbondio ein, zog, brummend, einen Tischkasten auf, nahm Papier, Feder und Tintenfaß heraus, fing an zu schreiben und wiederholte dabei mit lauter Stimme die Worte, wie sie ihm aus der Feder flössen. Währenddessen stellte sich Tonio und auf seinen Wink Gervaso, gerade vor den Tisch, so daß sie dem Schreibenden die Aussicht nach der Tür vertraten und huben beide an, wie aus Langerweile mit den Füßen auf dem Boden zu scharren, sowohl um denen draußen ein Zeichen zu geben, hereinzutreten, wie um zu gleicher Zeit das Geräusch ihrer Fußtritte zu übertäuben. Don Abbondio. in sein Geschreibe vertieft, dachte an nichts anderes. Bei dem Geräusch der vier Füße faßte Renzo Luciens einen Arm an, drückte ihn, um ihr Mut einzuflößen und machte sich auf, indem er sie, die über und über zitterte und von selbst ihm nicht würde haben folgen können, hinter sich drein zog. Sie traten ganz leise auf den Fußspitzen ein, hielten den Atem an, und stellten sich hinter die beiden Brüder. Indem war Don Abbondio mit Schreiben fertig geworden, überlas es aufmerksam, ohne die Augen vom Blatte zu erheben, faltete es und sagte: »Werdet Ihr nun beruhigt sein?« Zugleich nahm er mit einer Hand die Brille von der Nase, reichte Tonio mit der anderen das Blatt hin und richtete das Gesicht empor. Tonio streckte die Rechte aus, es zu nehmen, trat nach der einen Seite, sowie Gervaso auf seinen Wink nach der andern: und siehe da! wie wenn eine Bühne sich öffnet, standen zwischen ihnen Renzo und Lucia. Don Abbondio sah darein, erblickte sie, erschrak, staunte, geriet in Wut, bedachte sich, faßte einen Entschluß: alles dies in der Zeit, die Renzo dazu brauchte, die Worte zu sagen: »Herr Pfarrer, in Gegenwart dieser Zeugen, diese ist meine Frau.« Seine Lippen waren aber noch nicht wieder zur Ruhe gekommen, als Don Abbondio schon die mit der Linken gefaßte Quittung fallen lassend, nachdem er die Lampe aufgenommen, mit der Rechten den Teppich, der den Tisch bedeckte, gepackt und wütend an sich gerissen hatte. Buch, Papier, Tintenfaß und Streusandbüchse zu Boden werfend, sprang er zwischen Stuhl und Tisch auf und stürmte auf Lucia los. Die Arme hatte mit ihrer so sanften, bebenden Stimme kaum hervorbringen können: »und dieser ...« als Don Abbondio ihr gröblicherweise auch den Teppich über Kopf und Angesicht geworfen hatte, um sie abzuhalten, die Formel ganz auszusprechen. Und stracks, indem er desgleichen die Lampe fallen ließ, die er in der anderen Hand hielt, half er sich auch mit dieser, ihr das Tuch um das Antlitz zu wickeln, so daß er sie fast erstickte; derweil er aus vollem Halse wie ein verwundeter Stier schrie: »Perpetua! Perpetua! Verrat, Hilfe!« Der am Boden ersterbende Lampendocht warf ein mattes, flackerndes Licht auf Lucia, die, völlig außer Fassung, nicht einmal versuchte, sich loszumachen und eine in Ton modellierte Bildsäule scheinen konnte, um die der Künstler ein nasses Tuch geschlagen hat. Sobald alles Licht erloschen war, ließ Don Abbondio die Arme los und tappte nach der Tür umher, die in eine Stube nach innen führte, er fand sie, fuhr hinein, verschloß sich drinnen und schrie in einem fort: »Perpetua! Verrat! Hilfe! Zum Hause hinaus! zum Hause hinaus!«

In der Nebenstube war alles in Verwirrung: Renzo, der den Pfarrer zu erwischen suchte und mit den Händen vor sich hinruderte, als ob er Blindekuh spielte, war zur Tür gelangt und pochte an, indem er rief: »Machen Sie auf, machen Sie auf, schreien Sie nicht so.« Lucia rief Renzo mit schwacher Stimme und sagte flehend: »Laßt uns gehen, laßt uns gehen, um Gottes willen!« Tonio, auf allen vieren, fegte mit den Händen den Fußboden, um seine Quittung zu ertappe«. Gervaso, von Furcht besessen, schrie und sprang umher, indem er die Tür nach der Treppe suchte, um sich in Sicherheit zu bringen.

Wir können nicht unterlassen, mitten in diesem Aufruhr uns einen Augenblick zu verweilen, um eine Betrachtung anzustellen. Renzo, der bei Nachtzeit in dem Hause eines anderen lärmte, der sich verstohlen hineingeschlichen hatte und den Hausherrn selbst in einer Stube belagert hielt, hat ganz den Anschein eines Unterdrückers; und dennoch war am Ende er der Unterdrückte. Don Abbondio, überfallen, in die Flucht gejagt, erschreckt, derweil er ruhig seinem Berufe ablag, schien das Opfer; und dennoch war es in der Tat er, der unrecht tat. So geht es denn nun eben oft in der Welt ... ich will sagen, so ging es in dem siebzehnten Jahrhundert zu.

Da der Belagerte sah, daß der Feind keine Anstalt machte, abzuziehen, so öffnete er ein Fenster, das nach der Kirche zu ging und begann zu schreien: »Hilfe! Hilfe!« Es war der hellste Mondschein, den es geben konnte; der Schatten der Kirche und weiterhin der Schatten des langen und spitzen Glockenturms lag dunkel, unbeweglich und scharf umrisse» auf der leuchtenden Grasfläche des Kirchhofes; alle Gegenstände konnten fast wie am Tage unterschieden werden. Aber so weit der Blick reichte, ließ sich keine Spur eines lebendigen Menschen entdecken. An der Seitenwand der Kirche jedoch, und zwar gerade auf der Seite nach dem Pfarrhause zu, befand sich eine kleine Wohnung oder eigentlich ein Loch, worin der Kirchner schlief. Dieser war von dem übermäßigen Geschrei aufgeweckt worden, fuhr im Bette empor, stieg eilig heraus, öffnete ein kleines mit Papier beklebtes Fensterchen, steckte den Kopf hindurch und sagte: »Was gibt es denn?«

»Lauft, Ambrogio! Hilfe! Leute im Hause,« rief ihm Don Abbondio zu. »Ich komme gleich,« erwiderte jener; zog den Kopf zurück, schloß sein Papierfenster wieder zu und erfand, wiewohl noch halb im Traume und mehr als halb außer sich vor Schrecken, stehenden Fußes ein Auskunftsmittel, um mehr Hilfe zu schaffen, als von ihm verlangt worden war, ohne sich irgendselbst auf den Tumult einzulassen, er mochte sein, wes Art er wollte. Er rafft die Beinkleider auf, die er auf dem Bette liegen hat, schiebt sie sich geschwind unter den Arm wie einen Staatshut und läuft im Sprunge eine kleine hölzerne Treppe hinab zum Glockenturm, wo er das Seil der größten der beiden kleinen Glocken, die da waren, erfaßt und sie anschlagen läßt.

Ton, ton, ton, ton, die Landleute fahren auf und setzen sich im Bette, die auf dem Heuboden ausgestreckten jungen Burschen horchen und springen auf die Füße. »Was ist's? Was gibt's? Die Sturmglocke! Feuer? Diebe? Räuber?« Viele Weiber raten ihren Männern und flehen sie an, sich nicht aufzumachen und die anderen laufen zu lassen; einige stehen auf und gehen ans Fenster; die Feigen tun, als gäben sie den Bitten nach und verkriechen sich unter die Decken, die Neugierigeren und Beherzteren gehen hinunter und nehmen große Gabeln und Schießgewehre, um zu dem Aufruhr zu laufen; andere bleiben stehen.

Aber noch ehe diese fertig, ehe sie sogar noch recht munter, war der Lärm anderen Personen zu Ohren gedrungen, die nicht weit davon, und zwar angekleidet, auf den Beinen waren und wachten; einerseits die Bravi, anderseits Agnes und Perpetua.

Wir wollen zuerst in der Kürze sagen, was jene von dem Augenblick an taten, wo wir sie teils in dem öden Gemäuer, teils in dem Wirtshause verlassen haben. Die drei, sobald sie alle Türen geschlossen und die Straße menschenleer sahen, zogen ab, indem sie sich anstellten, weit hinwegzugehen, und machten in aller Stille eine Runde um das Dorf, um sich zu überzeugen, daß jedermann sich zur Ruhe begeben habe; und in der Tat begegneten sie keiner lebenden Seele und hörten nicht das leiseste Geräusch. Sie schlichen auch, und zwar noch leiser, an unserem armen Häuschen, dem stillsten von allen, vorbei, da niemand mehr darinnen war. Und dann gingen sie geradeswegs nach dem Gemäuer und statteten dem Herrn Grauen ihren Bericht ab. Der setzte sich flugs einen großen Filz auf den Kopf, warf sich einen mit gewissen Muscheln besetzten Pilgermantel von Wachstuch um die Schultern, nahm einen Pilgerstab zur Hand, sagte: »Wohlan denn, wie brave Kerls: still und achtsam aufs Wort,« ging voran, die anderen hinterdrein, und gelangte mit ihnen in, kurzem, auf einem Wege, der dem entgegengesetzt war, den unser Häuflein eingeschlagen hatte, als es auch seinerseits zu seinem Unternehmen auszog, zu dem Häuschen. Der Graue hielt den Trupp einige Schritte davon an, ging allein weiter, um zu kundschaften, und ließ, nachdem er außen alles öde und ruhig gesehen, zwei von den Schelmen vortreten, denen er den Befehl gab, ganz sackte über die Mauer zu steigen, die den kleinen Hof umschloß, und sobald sie sich darin hinuntergelassen, sich in einem Winkel hinter einem dichten Feigenbaum zu verstecken, den er am Morgen wahrgenommen hatte. Dies geschehen, klopfte er leise an, in der Absicht, sich für einen verirrten Pilger auszugeben, der bis zum Morgen um ein Obdach anspreche. Niemand antwortet; er klopft noch einmal, ein wenig stärker; nicht ein Laut. Nunmehr geht er und ruft einen dritten Schnapphahn und läßt ihn, wie die beiden anderen, in den Hof klettern, mit dem Geheiß, behutsam von innen den Riegel loszumachen, um den Eingang und Rückzug frei zu haben. Alles wird mit großer Vorsicht und dem besten Erfolg ausgeführt. Er entfernt sich, um die anderen zu holen, nimmt sie mit sich hinein, gebietet ihnen, sich neben den Ersten zu verkriechen, macht den Ausgang geräuschlos wieder zu, stellt von innen zwei Schildwachen vor und schreitet gerade auf die Tür des Erdgeschosses los. Er pocht auch hier au; wartet: er konnte lange warten. Er zieht leise, leise auch an dieser Tür die Nägel aus: niemand von innen spricht: Wer ist da? niemand läßt sich vernehmen: es kann nicht besser gehen. Vorwärts also. »St!« er ruft die beim Feigenbaume, tritt mit ihnen in die untere Stube ein, wo er am Morgen gottloserweise jenes Stück Brot erbettelt hatte. Er langt Zunder, Feuerstein, Feuerstahl und Schwefelfäden hervor, zündet eine kleine Laterne an und tritt in die andere, Hintere Stube, um sich zu vergewissern, daß niemand darin sei: es ist niemand da. Er kehrt zurück, geht nach dem Ausgang der Treppe, späht umher, horcht: Einsamkeit und Stille. Er läßt zwei andere Schildwachen in unterem Stock, ordnet an, daß der Grunzefein, ein Bravo aus der Gegend von Bergamo, ihn begleite, der allein drohen, beschwichtigen, befehlen, kurz den Sprecher abgeben sollte, damit seine Sprache Agnes' glauben mache, der Anschlag gehe von jener Seite aus. Diesen also zur Seite und die anderen hinter sich, steigt der Graue langsam hinauf, indem er in seinem Herzen jede Stufe, die knarrte, und jeden Fußtritt der Schufte verwünscht, der lärmte. Endlich ist er oben. Da liegt der Hase im Pfeffer. Er drückt ein wenig an die Tür, die zu der ersten Stube führt, sie gibt nach, es entsteht eine Öffnung, er hält das Auge daran? es ist finster: er spitzt das Ohr, um zu hören, ob irgend jemand schnarcht, atmet oder sich rührt; nichts. Also vorwärts: er hält sich die Laterne vors Gesicht, um zu sehen, ohne gesehen zu werden, sperrt die Tür weit auf, sieht ein Bett; darauf zu: das Bett ist gemacht und unversehrt und die Decke noch ordentlich über das Kopfkissen hingebreitet. Er zuckt die Achseln, wendet sich den Gefährten zu, bedeutet sie, daß er in der anderen Stube nachsehen will und daß sie ihm in der Stille folgen sollen; geht hinein, macht es ebenso und findet ebendasselbe. »Was Teufel, ist das?« sagt er nun vernehmlich, »hat irgendein verräterischer Hund den Spion gemacht?« Sie schicken sich alle an, mit weniger Vorsicht umherzuspähen, jeden Winkel zu durchtasten, kehren im Hause das Unterste zu oberst.

Derweil diese in der Beschäftigung begriffen sind, hören die beiden, die an der Straßentür Wache halten, durch dieselbe, wie draußen vorn Dorfe her kleine Schritte sich nähern und immer vernehmlicher werden: sie meinen, der Jemand, wer es auch immer sei, werde gleich vorübergehen; sie verhalten sich still und sind nichtsdestoweniger auf ihrer Hut Doch siehe da! die Schritte halten gerade vor der Tür an. Es war Menico, der, vom Pater Cristoforo abgeschickt, in Eile kam, die beiden Frauen zu benachrichtigen, daß sie um des Himmels willen sogleich aus dem Hause aufbrächen und sich in das Kloster flüchteten, weil ... das Weil ist uns bewußt. Er erfaßt die Klinke, um zu pochen, und fühlt, wie sie ihm lose und entnagelt in der Hand wackelt. »Was ist das?« denkt er und drückt erschrocken gegen die Tür; diese öffnet sich, er setzt in großer Besorgnis einen Fuß hinein, und auf einmal fühlt er sich bei beiden Armen gepackt und vernimmt rechts und links zwei leise Stimmen, die in drohendem Tone sagen: »Still, schweig oder du bist des Todes!« Er im Gegenteil schreit auf; einer der beiden, die ihn gepackt haben, gibt ihm eine derbe Maulschelle, der andere legt Hand an eine gewaltige Plämpe, um ihn zu ängstigen. Das Bübchen zittert wie ein Blatt und das Schreien ist ihm vergangen; aber urplötzlich und mit ganz anderem Schalle ertönt statt dessen der erste jener Glockenschläge und hinterdrein ein Sturm von unaufhörlichem Geläute. »Wer's macht, ist in Verdacht,« sagt das Mailänder Sprichwort; dem einen wie dem anderen Hundsfott war es, als höre er in den Glockenschlägen seinen Namen, Zu- und Beinamen; sie lassen Menicos Arme fahren, ziehen die ihrigen in größter Hast zurück, reißen Hand und Mund weit auf, glotzen einander an und rennen nach dem Hause, wo der Haupttrupp war. Menico hinaus und auf und davon, nach dem Glockentürme zu, wo doch irgend jemand sein mußte. Auf das übrige Gesindel, daß das Haus von oben bis unten durchstöberte, machten die fürchterlichen Schläge den nämlichen Eindruck: sie laufen verwirrt und fassungslos durcheinander, stoßen sich wechselseitig; ein jeder sucht auf dem kürzesten Wege sich nach der Tür zu drängen. Es waren zwar lauter erprobte Leute, daran gewöhnt, die Stirn zu bieten, aber gegen eine ungewisse Gefahr, die sich ihnen auch sogar nicht ein wenig aus der Ferne angekündigt hatte, ehe sie ihnen über den Hals gekommen war, konnten sie nicht standhalten. Es bedurfte aller Überlegenheit des Grauen, sie insoweit zusammenzuhalten, daß ihr Rückzug keine Flucht würde. Wie der Hund, der eine Herde Säue hütet, bald hier, bald dahin denen nachläuft, die sich vereinzeln, eines mit den Zähnen bei einem Ohre packt und es zu dem Trupp zerrt, ein anderes mit der Schnauze antreibt, wieder ein anderes, das in dem Moment abseits läuft, anbellt, also faßt der Pilger einen von diesen, der schon die Schwelle berührte, beim Schöpfe und wirst ihn hinter sich, jagt einen und den anderen, die nicht mehr weit davon waren, mit dem Pilgerstabe zurück, ruft die übrigen, die sich herumtreiben, ohne zu wissen wohin, so lange, bis er sie alle wieder mitten in dem Höfchen zusammenbringt. »Halt! halt! Pistolen zur Hand, Messer bereit, einer neben dem anderen, und alsdann aufgebrochen: so geht es. Wer, wollt ihr, soll Kerlen wie uns was anhaben, wenn wir zusammenhalten? Aber wenn wir uns einer nach dem anderen einfangen lassen, werden sogar die Bauern mit uns fertig. Schämt euch! Mir nach! und alle beisammen geblieben.« Nach dieser kurzen Anrede stellte er sich an die Spitze und schritt zuerst hinaus. Das Haus, wie wir gesagt haben, lag am Ende des Dorfes; der Graue schlug die Richtung nach außen ein und alle folgten ihm in guter Ordnung.

Wir lassen sie ihres Weges ziehen und tun einen Schritt zurück, um wieder zu Agnes und Perpetua zu kommen, die wir hinter einer gewissen Ecke gelassen haben. Agnes hatte sich bestrebt, die andere, soweit es möglich wäre, von Don Abbondios Wohnung zu entfernen, und bis zu einem gewissen Punkte war die Sache ganz gut gegangen. Aber mit einemmal war die Magd der offengebliebenen Tür eingedenk geworden und hatte umkehren wollen. Dawider war nichts einzuwenden. Um nicht Verdacht zu erregen, hatte Agnes mit ihr umkehren und zurückgehen müssen; so oft sie jedoch gesehen, daß dieselbe über die Erzählung von den gewissen, zu Wasser gewordenen Heiraten recht in Eifer geriet, hatte sie sie aufzuhalten gesucht. Sie tat, als schenke sie ihr eine große Aufmerksamkeit, und von Zeit zu Zeit, um zu zeigen, daß sie zuhöre, oder um das Geschwätz wieder in Gang zu bringen, sagte sie: »Ganz gewiß; nun verstehe ich; vortrefflich; das ist klar; und dann? und er? und Ihr?« Aber unterdessen führte sie ein anderes Gespräch mit sich selbst. – »Ob sie nun wohl wieder heraus sein mögen? oder ob sie noch drinnen sind? Was für Dummköpfe sind wir doch alle drei gewesen, nicht irgendein Zeichen zu verabreden, um mich wissen zu lassen, daß es gut abgelaufen sei? Das ist ein starkes Stück! Aber es ist einmal geschehen; jetzt ist es das beste, ich halte sie so lange auf als ich kann; im schlimmsten Falle geht ein wenig Zeit verloren.«

Beide weitergehend, waren sie wieder bis in die Nähe von Don Abbondios Wohnung zurückgekommen, die sie jedoch wegen der Ecke nicht sahen, dann hatte sich Perpetua bei einem Hauptpunkte ihrer Erzählung, ohne Widerstand zu leisten, oder vielmehr ohne sich dessen zu versehen, zum Stillstehen verleiten lassen, als man plötzlich von oben her durch die leere regungslose Luft, durch das weite Schweigen der Nacht jenen ersten gewaltigen Ruf Don Abbondios: »Hilfe! Hilfe!« widerhallend hörte.

»Barmherzigkeit! was ist geschehen?« schrie Perpetua, und wollte laufen.

»Was ist? was ist?« sprach Agnes, und hielt sie am Rocke fest.

»Barmherzigkeit! habt Ihr nicht gehört?« erwiderte jene, indem sie sich losmachte.

»Was ist? was ist?« wiederholte Agnes, und ergriff sie beim Arme.

»Teufel von einem Weibe!« rief Perpetua aus, und stieß sie zurück, um sich in Freiheit zu setzen und zu laufen. Indem vernimmt man ferner, dünner, kürzer Menicos Schrei.

»Barmherzigkeit!« schreit nun auch Agnes; und im Galopp hinter der anderen her. Sie hatten sozusagen kaum die Fersen erhoben, als die Glocke einmal, zweimal, dreimal immerfort anschlug; es würden Sporen für sie geworden sein, wenn sie deren bedurft hätten. Perpetua langt um ein paar Schritte früher an; indem sie die Hand gegen die Tür führt und sie aufstoßen will, reißt man sie von innen auf, und siehe da! Auf der Schwelle Tonio, Gervaso, Renzo und Lucia, die, nachdem sie die Treppe gefunden, im Sprunge heruntergekommen waren, und wie sie dann die furchtbaren Glockenschläge hörten, liefen was sie konnten, um sich in Sicherheit zu bringen.

»Was gibt's? Was gibt's?« fragte die keuchende Perpetua die Brüder, die ihr mit einem derben Stoße antworteten und sich aus dem Staube machten. »Und ihr? Wie? Was macht ihr hier?« fragte sie darauf das andere Paar, als sie es erkannt hatte. Aber auch diese entwichen, ohne Rede zu stehen. Perpetua fragte nicht weiter, um dahin zu laufen, wo es am meisten not tat, stürzte über Hals und Kopf in den Hausflur und eilte mit Behutsamkeit nach der Treppe.

Die beiden Verlobten, die Brautleute geblieben waren, trafen mit Agnes zusammen, die in Angst und Bangen ankam. »Ach! seid ihr da!« sprach sie, die Worte mühsam herausbringend. »Wie ist's gegangen? Was soll die Glocke? Ist es mir recht, so habe ich hören ...«

»Nach Hause, nach Hause,« sagte Renzo, »ehe die Leute kommen.« Und sie machen sich auf den Weg. Aber Menico langt in vollem Laufe an, erkennt sie, tritt ihnen entgegen und sagt, noch über und über zitternd, mit halb erstickter Stimme: »Wo wollt ihr hin? Zurück, zurück! Dorthin, nach dem Kloster.«

»Bist du es, der ...?« hub Agnes an.

»Was ist's?« fragte Renzo. Lucia schwieg, ganz außer sich und zitterte.

»Zu Hause ist der Teufel los,« begann Menico wieder außer Atem. »Ich habe sie gesehen; sie haben mich ermorden wollen; Pater Cristoforo hat's gesagt, und Ihr auch, Renzo, er hat gesagt, Ihr sollt gleich kommen; und hernach habe ich sie gesehen; gottlob, daß ich euch alle hier finde; ich will es euch hernach sagen, wenn wir draußen sind.«

Renzo, der noch am meisten von allen gesammelt war, sah ein, daß man hier oder dahin rasch von bannen müsse, ehe die Leute zusammenliefen, und daß es das sicherste sei, zu tun, was Menico anriet, oder vielmehr mit der Gewalt des Entsetzens anbefahl. Unterwegs dann, außerhalb der Verwirrung und der Gefahr, konnte man sich von dem kleinen Knaben eine deutlichere Erklärung geben lassen. »Nur immer zu,« sagte er zu ihm. »Wir gehen mit,« sagte er zu den Frauen. Sie kehrten um, eilten nach der Kirche zu, schritten über den Kirchhof, wo glücklicherweise noch keine Menschenseele war, schlugen ein Gäßchen ein, das sich zwischen der Kirche und Don Abbondios Wohnung hinzog; durch die erste Zaunlücke, die sie fanden, hindurch, und fort durch die Felder.

Sie waren vielleicht noch keine fünfzig Schritt entfernt, als die Leute ansingen auf dem Kirchhofe zusammenzulaufen, wo ihrer mit jedem Augenblick mehr wurden. Einer starrte den anderen an; ein jeder hatte eine Frage zu tun, keiner eine Antwort zu geben. Die Zuerstgekommenen liefen nach der Kirchtür; sie war zu. Sie liefen von außen nach dem Glockenturme; und einer von ihnen, der den Mund an eine Fensteröffnung, eine Art von Scharte hielt, schrie ein: »Was Teufel ist denn los?« hinein.

Sobald Ambrogio eine bekannte Stimme hörte, ließ er das Seil los und antwortete, durch das Gesumme überzeugt, daß viel Volks zugelaufen sei: »Ich mache gleich auf.« Er zog schleunig das Kleidungsstück an, das er unter dem Arme gehalten hatte, kam von innen zu der Kirchtür und machte sie auf.

»Was soll all der Lärm heißen? – Was ist los? – Wo ist's? – Wer ist?«

»Wie, wer's ist?« sagte Ambrogio und hielt mit einer Hand die Tür und mit der anderen das nämliche Hosenpaar, welches er so schleunig angelegt hatte.

»Wie! das wißt ihr nicht? Es sind Leute im Hause beim Herrn Pfarrer. Auf, Kinder; Hilfe.« Sie wenden sich alle dem Hause zu, sehen hin, nähern sich in Menge, sehen wiederholt hinauf, horchen; alles still. Einige laufen nach der Tür, die auf die Straße führt; sie ist verschlossen und verwahrt; sie sehen empor; es steht nicht ein Fenster auf; es läßt sich kein Laut vernehmen.

»Wer ist denn drinnen? – Heda! he! – Herr Pfarrer! – Herr Pfarrer!«

Don Abbondio, der, sobald er sich der Flucht seiner Widersacher versehen, sich auch vom Fenster zurückgezogen und es wieder zugemacht hatte, zankte in diesem Augenblick leise mit Perpetua, daß sie ihn in der Bedrängnis allein gelassen habe, und mußte an das Fenster zurück, als er sich von der Menge laut rufen hörte, wo er dann beim Anblick des großen Beistandes bereute, ihn angerufen zu haben.

»Was ist geschehen? – Was haben sie Ihnen getan? – Wer sind sie? – Wo sind sie?« wurde ihm von fünfzig Stimmen auf einmal zugeschrien.

»Es ist keiner mehr da; ich danke euch; geht nur nach Hause.«

»Aber wer ist's denn gewesen? – Wo sind sie hingegangen? – Was ist vorgefallen?«

»Schlechtes Volk, Leute, die sich nachts herumtreiben; aber sie sind geflohen; geht heim; es ist vorbei; ein andermal, Kinder; ich danke euch für euren guten Willen.« Und dies gesagt, trat er zurück und machte das Fenster zu.

Nun fingen einige an zu murren, andere zu spotten, andere zu lästern, noch andere zuckten die Achseln und gingen fort; als ganz außer Atem einer ankam, der keines Wortes mächtig ist.

Dieser wohnte unseren Frauen fast gerade gegenüber und hatte, als er über den Lärm ans Fenster gekommen war, in dem Höfchen das Gewimmel der Bravi gesehen, während der Graue sich bemühte, sie zu ordnen. Sobald er wieder Atem schöpfen konnte, rief er: »Was tut ihr hier, Kinder? Hier ist der Teufel nicht los; er ist unten am Ende des Dorfes, im Hause der Agnes Mondella; es sind Bewaffnete darin, es scheint, sie wollen einen Pilger totschlagen; wer weiß, was für ein Teufel es ist!«

»Was? – Was? – Was?« und es hebt eine stürmische Beratung an. »Man muß hin. – Man muß zusehen. – Wie viele sind ihrer? – Wie viel sind wir? Wer sind sie? Der Schulze! Der Schulze!«

»Hier bin ich,« versetzt der Schulze inmitten des Haufens. »Hier bin ich; aber ihr müßt mir beistehen, ihr müßt mir gehorchen. Geschwind; wo ist der Kirchner! An die Glocke, an die Glocke. Rasch; einer läuft nach Lecco und holt Hilfe; kommt alle hierher ...«

Der läuft hinzu, jener entschlüpft von einem zum anderen und drückt sich; der Aufruhr war groß; da kommt ein anderer an, der sie hatte eilig abziehen sehen und ruft: »Lauft, Kinder; Spitzbuben oder Banditen, die mit einem Pilger entrinnen: sie sind schon zum Dorfe hinaus: nach! nach!«

Bei dieser Nachricht, ohne die Befehle ihres Anführers abzuwarten, eilen sie in Masse untereinander durch das Dorf hin; in dem Maße jedoch, wie der Heerhaufen vordringt, hemmen viele von dem Vortrabe den Schritt, lassen sich überholen und verkriechen sich in das Haupttreffen; die letzten dringen vor; der verworrene Schwarm erreicht endlich den bezeichneten Ort. Die Spuren des Einbruches waren frisch und deutlich; die Tür offen, die Riegel abgerissen; das Gesindel aber verschwunden. Man gelangt in den Hof, kommt zu der Tür des Erdgeschosses; auch die offen, gewaltsam erbrochen; man ruft: »Agnes! Lucia! Pilger! Wo ist der Pilger? Stefano wird von ihm geträumt haben, von dem Pilger. – Nein, nein, Carlandrea hat ihn auch gesehen. Ohe! Pilger! – Agnes! Lucia!« Niemand antwortet. »Sie haben sie fortgeschleppt! Sie haben sie fortgeschleppt!«

Es gab hierauf einige, die das Wort nahmen und vorschlugen, die Entführer zu verfolgen; es sei eine Niederträchtigkeit, und würde eine Schmach für das Dorf sein, wenn jedweder Schurke kommen und ungestraft die Frauen rauben dürfte wie der Hühnergeier die Küchlein von einer leeren Tenne. Abermalige noch stürmischere Beratung; einer jedoch, und man hat niemals recht gewußt, wer es gewesen, rief in die Versammlung hinein, Agnes und Lucia hätten sich in ein Haus gerettet. Das Gerücht lief schnell um, fand Glauben, es war nicht mehr die Rede davon, auf die Flüchtigen Jagd zu machen, und die Menge zerstreute sich, indem ein jeder nach Hause ging. Das war ein Gemurmel, ein Getöse, ein Anklopfen und Türenaufmachen, ein Erschimmern und Verschwinden von Lampen, ein Gefrage der Weiber von den Fenstern, ein Geantworte von der Straße aus. Sobald diese wieder menschenleer und still geworden, nahmen die Gespräche ihren Fortgang in den Häusern und erstarben in Gähnen, um dann morgen wieder anzuheben.

Tatsachen gab es jedoch nicht weiter, außer daß in der Frühe dieses Morgens, indem der Schulze eben auf seinem Acker stand, das Kinn in die Hände gestützt, und die Hände auf dem Griffe des halb in das Erdreich eingestochenen Grabscheites, einen Fuß auf dem Stiele desselben; indem er so dastand und bei sich über die Geheimnisse der vergangenen Nacht und über die verwickelte Rechnung dessen, was man von ihm erwartete und was ihm angemessen zu leisten war, nachgrübelte, zwei Männer von ziemlich verwogenem Aussehen auf sich zukommen sah, behaart wie zwei Frankenkönige von dem ersten Geschlechte, und im übrigen überaus jenen beiden ähnlich, die vor fünf Tagen Don Abbondio angeredet hatten, wo sie nicht gar etwa die nämlichen waren. Sie kündigten, noch weniger umständlich verfahrend, dem Schulzen an, daß er sich wohl hüten möge, dem Gerichtsvogte vom Vorgefallenen Bericht zu erstatten, die Wahrheit auszusagen, falls er darum befragt würde, zu schwatzen, oder das Geschwätz der Landleute zu nähren, so lieb ihm die Hoffnung sei, an einer Krankheit zu sterben. –

Unsere Flüchtlinge legten schweigend und eilig ein Stück Weges zurück und wendeten sich, bald der eine, bald der andere, um, indem sie zusahen, ob niemand sie verfolge, allesamt niedergeschlagen durch die Beschwerlichkeit der Flucht, durch die erduldete Angst und Unruhe, durch den Verdruß über den schlechten Erfolg, durch die undeutliche Furcht vor der neuen, dunkelen Gefahr. Und noch weit mehr bekümmerte sie das unaufhörliche Nachdröhnen jener Glockenschläge, die, je schwächer und dumpfer sie in der Entfernung wurden, desto mehr ein gewisses klägliches, Unheil verkündendes Etwas anzunehmen schienen. Das Anschlagen hörte endlich auf. Sie befanden sich nun auf einem öden Felde und hemmten den Schritt, da sie keinen Laut ringsumher vernahmen; und zwar war Agnes die erste, die, nachdem sie Atem geschöpft, das Stillschweigen brach und Renzo fragte, wie es abgelaufen sei, und von Menico wissen wollte, wer der Teufel zu Hause wäre. Renzo trug in der Kürze seine betrübende Geschichte vor, und dann wendeten sich alle drei an den Knaben, der den Bescheid des Paters ausführlicher hinterbrachte und erzählte, was er selbst gesehen und gewagt hatte, und was nur zu sehr den Bescheid bestätigte.

Die Zuhörer begriffen mehr als Menico zu sagen gewußt hätte; bei dieser Entdeckung wurden sie von einem neuen Schauder ergriffen, standen einen Augenblick mitten im Wege still, tauschten gegeneinander einen Blick des Schreckens aus, und alsbald mit einmütiger Regung legten alle drei die Hand, eines auf den Kopf, das andere auf die Schultern des Knaben, wie um ihn zu liebkosen, ihm stumm zu danken, daß er für sie ein Schutzengel geworden, ihm das Mitleid, das sie fühlten, zu bezeigen und gewissermaßen, um ihm die Angst, die er ausgestanden, und die Gefahr, die er zu ihrer Errettung eingegangen, abzubitten.

»Jetzt geh wieder nach Hause, damit die Deinigen sich nicht länger um dich zu ängstigen brauchen,« sagte Agnes zu ihm; und der zwei versprochenen Parpagliolen gedenkend, nahm sie vier und gab sie ihm, indem sie hinzufügte: »Nun wohl; bitte den Herrn, daß wir uns bald wiedersehen, und dann ...« Renzo gab ihm eine blanke Berlingha und bat ihn inständigst, von dem Auftrage des Paters ja nichts auszusagen; Lucia liebkoste ihn von neuem, grüßte ihn mit beklommener Stimme, und der Knabe grüßte alle weichherzig und kehrte um.

Diese schritten ganz gedankenvoll ihres Weges weiter, die Frauen voraus und Renzo wie zum Schutze hinten nach. Lucia hielt sich fest an den Arm der Mutter und wich sanft und mit Geschick der Hilfe aus, die der Jüngling an den beschwerlichen Stellen dieser unwegsamen Reise ihr anbot; sogar beschämt, schon so allein und so vertraut mit ihm gewesen zu sein als sie erwartet, in wenigen Augenblicken sein Weib zu werden. Jetzt, da der Traum in so schmerzlicher Weise verschwunden war, bereute sie, sich so weit vergessen zu haben, und bei so vielen Ursachen zu zittern, zitterte sie auch noch aus dem Gefühl der Scham, das nicht aus der traurigen Kenntnis des Unrechtes entsteht, aus der Schamhaftigkeit, die sich selbst nicht kennt, der Furcht des Kindes ähnlich, das im Finstern erbebt, ohne zu wissen wovor.

»Und das Haus?« sagte Agnes mit einem Male; aber wie wichtig auch die Sorge war, die ihr diesen Ausruf entriß, so antwortete ihr doch keiner, weil keiner ihr eine genügende Antwort geben konnte. Sie setzten schweigsam ihren Weg fort und erreichten endlich bald nachher einen kleinen freien Platz vor der Klosterkirche.

Renzo trat zu der Tür der Kirche und stieß leise daran. Die Tür ging wirklich auf, und der Mond, der durch die Öffnung schien, beleuchtete das bleiche Angesicht und den silbernen Bart des Paters Cristoforo, der in Erwartung daselbst stand. So wie er sah, daß niemand von ihnen fehlte, sagte er: »Gott sei gelobt!« und winkte ihnen, hereinzutreten. Neben ihm stand ein anderer Kapuziner, der Laienbruder Meßner, den er mit Bitten und Gründen überredet hatte, mit ihm aufzubleiben, die Tür unverschlossen zu lassen und hier zu wachen, um die armen Bedrohten aufzunehmen: und es bedurfte keines geringeren Ansehens als des Paters und seines heiligen Rufes, um den Laien zu einer unbequemen, gefährlichen und außerordentlichen Willfährigkeit zu bewegen.

Sobald sie eingetreten waren, verschloß Pater Cristoforo leise wieder die Tür. Doch nun konnte der Meßner nicht mehr an sich halten, zog den Pater beiseite und raunte ihm ins Ohr: »Aber Pater, Pater! bei Nacht ... in der Kirche ... mit Frauen ... zuzuschließen ... die Regel ... aber Pater!« indem er den Kopf schüttelte.

Derweil er nach und nach einzeln betont diese Worte aussprach, dachte Pater Cristoforo: »Sieh einer einmal! wenn es ein verfolgter Straßenräuber wäre, würde Bruder Fazio ihm nicht die mindeste Schwierigkeit machen, und eine arme Unschuldige, die den Klauen des Wolfes entflieht ... Omnia munda mundis,« sprach er dann, indem er sich plötzlich zum Bruder Fazio wendete und vergaß, daß dieser kein Latein verstand. Aber gerade ein solch Vergessen war geeignet, seine Wirkung zu tun. Wofern der Pater sich auf Gründe eingelassen hätte, würde es Bruder Fazio nicht an Gegengründen gemangelt haben und, weiß der Himmel! wann und wie die Sache zu Ende gebracht worden wäre. Aber da er jene ins Gewicht fallenden Worte geheimen Sinnes mit so entschlossenem Tone aussprechen hörte, kam es ihm vor, als müsse darin die Lösung aller seiner Zweifel enthalten sein. Er gab sich zufrieden und sagte: »Nun, denn, Sie wissen davon mehr als ich.«

»Verlaßt Euch darauf,« entgegnete Pater Cristoforo; und bei dem ungewissen Schimmer der Ampel, die vor dem Altar brannte, näherte er sich den Geretteten, die da in zweifelhafter Erwartung standen, und sagte zu ihnen: »Kinder, dankt es dem Herrn, daß er euch aus einer großen Gefahr errettet hat. In diesem Augenblick vielleicht ...« Und nun tat er ihnen ausführlich kund, was er ihnen durch den kleinen Boten nur hatte andeuten lassen; denn er ahnte nicht, daß sie mehr davon wußten als er, und setzte voraus, daß Menico sie ruhig zu Hause angetroffen habe, ehe noch das Raubgesindel daselbst angelangt sei. Keiner enttäuschte ihn, nicht einmal Lucia, wiewohl sie sich wegen einer solchen Verstellung gegen einen solchen Mann heimliche Gewissensbisse machte; es war aber nun eben die Nacht des Wirrwarrs und der Verstellung.

»Demnach,« fuhr er fort, »seht ihr wohl ein, Kinder, daß jetzt in diesem Dorfe keine Sicherheit für euch ist. Es ist das eure, ihr seid darin geboren, ihr habt niemand unrecht getan; aber Gott will es so; es ist eine Prüfung, Kinder; besteht sie mit Geduld, mit Zuversicht, ohne Groll und seid versichert, daß die Zeit kommt, in der ihr euch mit dem, was jetzt geschieht, zufrieden bezeigen werdet. Ich bin bedacht gewesen, euch für diese ersten Augenblicke eine Zuflucht auszufinden. Bald, so hoffe ich, sollt ihr ungefährdet in eure Wohnung zurückkehren können; in jedem Falle wird Gott zu euerm Besten für euch Sorge tragen; und ich werde mich gewiß befleißigen, der Gnade zu entsprechen, die er mir erzeigt, indem er mich zu seinem Werkzeuge auserwählt, euch, seinen armen, lieben Bedrängten, zu dienen. Ihr,« fuhr er fort und wendete sich zu den beiden Frauen, »mögt euch in *** aufhalten. Daselbst werdet ihr genugsam außer aller Gefahr und zugleich nicht allzufern von euerm Hause sein. Sucht dort unser Kloster auf, fragt nach dem Pater Guardian, gebt ihm diesen Brief; er wird euch ein anderer Bruder Cristoforo sein. Und du, mein Renzo, auch du mußt dich jetzt vor anderen sicherstellen. Trage diesen Brief zum Pater Bonaventura von Lodi in unser Kloster am Tore Orientale von Mailand. Er wird Vaterstelle an dir vertreten, dich anleiten, dir Arbeit verschaffen, bis du hier wieder ruhig leben kannst. Geht an das Ufer des Sees, nahe zu der Mündung des Bione, ein Gießbach unfern dem Kloster – ihr werdet dort einen Kahn anliegen sehen; sprecht: ›Barke!‹ Man wird euch fragen: für wen? antwortet: ›San Francesco.‹ Die Barke wird euch aufnehmen, euch ans andere Ufer übersetzen, wo ihr eine Barutsche findet, die euch geradeswegs bis nach *** bringt.«

Wer etwa fragen möchte, wie Bruder Cristoforo diese Gelegenheiten zu Wasser und zu Lande fortzukommen, so schnell zu seiner Verfügung gebracht, der bewiese dadurch, daß er von der Macht eines im Rufe der Heiligkeit stehenden Kapuziners keinen Begriff hatte.

Es war also nur noch an die Verwahrung der Häuser zu denken. Der Pater empfing die Schlüssel dazu und nahm es auf sich, sie denen, die Renzo und Agnes ihm angeben würden, zuzustellen. Die letztere stieß einen schweren Seufzer aus, wie sie den ihrigen hinreichte, denn sie bedachte, daß in diesem Augenblick das Haus offenstehe, daß der Teufel darin gewesen und daß, wer weiß wie wenig, wohl noch zu verwahren übrig sei!

»Bevor ihr geht,« sagte der Pater, »laßt uns insgesamt zu dem Herrn beten, daß er auf diesem Wege und immerdar mit euch sei und euch vor allem Kraft und Lust verleihe, zu wollen, was er gewollt hat.« Bei diesen Worten kniete er inmitten der Kirche nieder, und alle taten desgleichen. Nachdem sie in der Stille wenige Augenblicke gebetet hatten, sprach er mit leiser, aber deutlicher Stimme langsam diese Worte: »Wir bitten dich auch für den armen Menschen, der uns zu diesem Schritte gebracht hat. Wir würden deiner Barmherzigkeit unwürdig sein, wenn wir dich nicht von Herzen für ihn darum anflehten; er bedarf ihrer so sehr! Wir, in unserer Not, haben den Trost, daß wir auf dem Wege sind, den du uns angewiesen; wir können dir unsere Leiden weihen; und sie werden Gewinn. Aber er! er ist dein Feind. Oh, der Unglückselige! Er hadert mit dir! Habe Mitleid mit ihm, o Herr! rühre sein Herz, mache ihn zu deinem Freunde, laß ihn all des Guten teilhaftig werden, das wir nur für uns selbst wünschen können.«

Darauf erhob er sich hastig und sagte: »Fort, Kinder, wir haben keine Zeit zu verlieren; Gott behüte euch; sein Engel begleite euch, geht.« Und derweil sie in der Gemütsbewegung aufbrachen, die keine Worte findet und sich ohne diese kundgibt, fügte der Pater mit gerührter Stimme hinzu: »Mir sagt das Herz, wir werden uns bald wieder sehen.«

Gewiß, wer auf das Herz hört, dem hat es immer etwas von dem zu sagen, was geschehen wird. Aber was weiß es, das Herz? Kaum ein wenig von dem, was schon geschehen ist.

Ohne auf Antwort zu warten, zog sich Bruder Cristoforo mit raschen Schritten zurück; die Reisenden gingen hinaus und Bruder Fazio schloß die Tür zu, nachdem er gleichfalls mit bewegter Stimme ein Lebewohl gesagt hatte. Jene machten sich in aller Stille nach dem ihnen bezeichneten Ufer auf, sahen da den Nachen und stiegen hinein, indem sie das Losungswort gaben und eintauschten. Der Fährmann stemmte ein Ruder gegen das Ufer und stieß ab; dann erfaßte er auch das andere, ruderte mit beiden Armen, und fuhr über die Fläche dem jenseitigen Ufer zu.

Es wehte nicht ein Lüftchen; der See lag glatt und eben da, und würde regungslos geschienen haben, wenn nicht das Flimmern und leichte Wallen des Mondes gewesen wäre, der hoch vom Himmel herab sich darin spiegelte. Man hörte nur die stehende, schlaffe Flut, die an dem Kiessande des Ufers brandete, das fernere Rauschen des an den Brückenpfeilern sich brechenden Wassers, und das abgemessene Geräusch der beiden Ruder, die die dunkelblaue Oberfläche des Sees zerteilten, auf einmal triefend herauskamen und wieder eintauchten. Die von der Barke durchschnittene Flut vereinigte sich hinter ihr wieder und beschrieb einen gekräuselten vom Ufer ausgehenden Streifen.

Die schweigsamen Reisenden hatten das Gesicht zurückgewandt und blickten auf das Gebirge und die Gegend, die vom Monde erhellt und hin und wieder von großen Schatten bedeckt wurden. Sie unterschieden die Dörfer, die Häuser, die Hütten; Don Rodrigos festes Schloß mit seinem platten Turme, über die am Fuße des Vorgebirges zusammengehäuften elenden kleinen Häuser emporragend, gleich einem wilden Menschen, der über einer Schar hingestreckter Schläfer in der Finsternis wachend dasteht und ein Verbrechen sinnt. Lucia sah es und schauderte; sie glitt mit dem Auge quer über den Abhang bis zu ihrem Dörfchen hinunter, blickte scharf auf das äußerste Ende desselben, sah ihr Häuschen, sah die dichte Belaubung des Feigenbaumes, der über die Hofmauer emporragte, sah das Fenster ihrer Stube; und da sie am Boden der Barke saß, so legte sie auf den Bord derselben den Ellbogen, senkte die Stirn auf diesen, wie um zu schlafen und weinte heimlich.

Lebt wohl, ihr aus dem Wasser aufsteigenden himmelwärts strebenden Berge, ihre zackigen Gipfel, dem, der unter euch erwachsen, so bekannt und seiner Seele nicht minder eingeprägt, als es der Anblick der geliebtesten Angehörigen ist; ihr Gießbäche, deren lautes Geplauder er wie den Ton befreundeter Stimmen unterscheidet; weißlich schimmernde Landhäuser, am Abhange hin verstreut, wie Herden weidender Schafe; lebt wohl! Wie betrübt ist der Gang dessen, der unter euch geboren, von euch scheidet. Selbst in jenes Vorstellung, der von der Hoffnung angezogen, anderweit sein Glück zu machen, sich freiwillig von euch trennt, verdüstern sich in diesem Augenblick seine Träume von Reichtum; er erstaunt, daß er sich hat entschließen können, und würde auf der Stelle umkehren, wenn er nicht gedächte, eines Tages im Überflüsse wiederzukommen. Dringt er weiter in der Ebene vor, so zieht sich sein Auge müde und verdrossen von dem weiten Einerlei ab; die Luft kommt ihm drückend und unbelebt vor; schwermütig und unachtsam tritt er in die geräuschvollen Städte ein, die an Häuser gedrängten Häuser, die in Straßen ausgehenden Straßen wollen ihm den Atem benehmen, und vor den Bauwerken, die der Fremde bewundert, denkt er mit banger Sehnsucht an das kleine Gefilde seines Dorfes, an das niedere Häuschen, auf das er schon seit langer Zeit seine Augen geworfen hat, und das er kaufen wird, wenn er reich in seine Berge heimkehrt.

Wen aber darüber hinaus niemals auch nur das leiseste Verlangen getrieben, wer alle seine Pläne für die Zukunft in ihnen zusammengestellt hatte und durch eine verderbliche Gewalt weit hinweg von ihnen geschleudert worden ist; wer, zu gleicher Zeit den teuersten Gewohnheilen entrissen und in seinem liebsten Hoffen gehemmt, diese Berge verläßt, um fremde aufzusuchen, die er niemals kennenzulernen Verlangen trug, und mit der Einbildungskraft nicht bis zu einem vorbestimmten Augenblick der Rückkehr forteilen kann! Lebe wohl, Vaterhaus, wo, in stillverborgenen Gedanken sitzend, der Schall der mit einem geheimnisvollen Bangen erwarteten Fußtritte sich von dem Geräusche anderer unterscheiden lernte. Lebe wohl, du noch fremdes Haus, du im Vorbeigehen so oft verstohlen, flüchtig und nicht ohne Erröten angeblicktes Haus, in dem das Herz sich gefiel, sich ein stilles, immerwährendes Glück der Ehe vorzustellen. Lebe wohl, Kirche, wo die Seele sich so vielmal aufhellte, indem sie im Gesange den Herrn pries, wo ein Gebrauch verheißen, vorbereitet war, wo das heimliche Seufzen des Herzens feierlich gesegnet und die Liebe geboten, für heilig erklärt werden sollte: lebe wohl! Er, der euch mit solcher Lieblichkeit umgab, ist überall und trübt die Freude seiner Kinder nicht anders, als um ihnen eine gewissere und höhere zu bereiten.

Solcher Art, wo nicht genau die nämlichen, waren Luciens Gedanken, und wenig davon verschieden die Gedanken der anderen beiden Reisenden, derweil die Barke sich mit ihnen dem rechten Ufer der Adda näherte.


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