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Sechzehntes Kapitel

»Lauf, lauf, Ehrenmann; hier ist ein Kloster, da ist eine Kirche; dahin, dorthin,« ruft man Renzo von jeder Seite zu. Was das Laufen anlangt, so denke man einmal, ob er des Zuredens dazu noch bedurfte. Von dem ersten Augenblick an, da eine Hoffnung in ihm aufgeblitzt war, diesen Klauen zu entkommen, hatte er angefangen, darüber nachzudenken und beschlossen, wenn es ihm gelänge, ohne Aufenthalt so lange zu laufen, bis er nicht nur aus der Stadt, sondern aus dem Herzogtum hinaus wäre.

– »Denn,« hatte er gedacht, »meinen Namen haben sie in ihren Scharteken, wie, Teufel! sie auch dazu gelangt; und mit dem Namen und Zunamen können sie mich einstecken lassen, wenn sie wollen.« –

Und was eine Freistätte anlangt, so würde er sich nur in der äußersten Not dahin geflüchtet haben.

– »Denn,« hatte er ferner gedacht, »sobald der Vogel im Walde sein kann, wird er nicht lieber im Käfig sein wollen.« Er hatte sich also zu Ziel und Zuflucht jenes Dorf im Gebiete von Bergamo auserkoren, wo eben, wenn man sich erinnert, sein Vetter Bortolo wohnhaft war, der ihn wiederholt hatte angehen lassen, sich dort anzusiedeln. Aber es kam eben nur darauf an, den Weg zu finden.

In einer unbekannten Gegend einer man kann sagen ihm völlig unbekannten Stadt sich selbst überlassen, wußte Renzo nicht einmal, zu welchem Tore er hinaus müsse, um nach Bergamo zu gelangen; und wenn er das auch gewußt hätte, wußte er doch wieder den Weg zum Tore nicht.

Er stand einen Augenblick in Zweifel, ob er von seinen Befreiern Erkundigungen einziehen sollte; aber da ihm in der kurzen Zeit, die er dazu gehabt hatte, über seine Unfälle nachzusinnen, seltsame Gedanken über den so verbindlichen Schwertfeger, den Vater von vier Kindern, durch den Kopf gegangen waren, so wollte er seine Absichten mit Bedacht nicht einer so großen Menge eröffnen, unter der wohl ein anderer desselben Schlages sich befinden konnte, und beschloß alsbald, sich eilig von hier zu entfernen; der Weg lasse sich ja dann anderswo erfragen, wo niemand wisse, wer er sei oder warum er frage. Er sagte zu seinen Befreiern: »Habt Dank, Kinder, habt Dank; Gott segne euch,« drang durch die Öffnung, die mau ihm flugs machte, durch, gab Fersengeld und auf und davon, durch ein enges Gäßchen, eine Straße hinab, rannte er eine Strecke, ohne zu wissen wohin.

Als es ihm vorkam, er sei nun weit genug entfernt, lief er minder schnell, um keinen Verdacht zu erregen, und begann sich nach jemand umzusehen, an den er seine Frage richten könne, nach einem Gesicht, das Vertrauen einflöße. Aber auch hierbei hatte es seine Bedenklichkeiten. Die Nachfrage an sich war verdächtig; die Zeit drängte, die von der kleinen Hemmung kaum befreiten Häscher waren der Spur ihres Flüchtlings ohne Zweifel nachgefolgt; das Gerücht von dieser Flucht konnte bis dahin gedrungen sein; und in solcher Bedrängnis mußte Renzo vielleicht zehn physiognomische Gutachten fällen, ehe er das Gesicht fand, das er für ein taugliches halten durfte. Der Dicke da, der gerade auf der Schwelle seines Ladens mit ausgespreizten Beinen stand, die Hände auf dem Rücken, den Bauch vorgereckt, das Kinn in die Höhe geworfen, von dem eine große Wamme herniederhing, und der seine schwappelnde Masse abwechselnd bald auf den Fußspitzen müßig emporhob, bald wieder auf die Absätze niederfallen ließ, hatte so sehr das Aussehen eines neugierigen Schwätzers, daß er anstatt Antworten zu geben, eher ihn ins Verhör genommen haben würde. Jener andere, der mit stieren Augen und herabhängender Lippe daher kam, schien kaum seinen eigenen Weg zu wissen, geschweige denn einen anderen schnell und gut zurechtweisen zu können. Der stämmige Bursche dort, der, die Wahrheit zu sagen, das Aussehen hatte, munter genug zu sein, verriet hingegen doch, daß er noch boshafter sei, und würde wahrscheinlich seine törichte Freude daran gehabt haben, einen armen Landmann eher nach der entgegen, gesetzten Richtung als nach der zu schicken, wohin er wollte. So wahr ist es, daß dem schon bedrängten Menschen fast alles nur zu neuer Drangsal gereicht!

Nachdem er sich zuletzt einen ersehen hatte, der in Eile war, meinte er, daß dieser, der wahrscheinlich ein dringendes Geschäft auf sich hatte, ihm rasch und ohne Umschweife antworten werde, um sich seiner zu entledigen; und da er ihn gar auch mit sich selbst sprechen hörte, so hielt er dafür, er müsse ein aufrichtiger Mensch sein. Er trat auf ihn zu und sagte zu ihm: »Mit Gunst, mein Herr, wohinaus muß man sich wenden, wenn man nach Bergamo will?«

»Nach Bergamo? zum Tor Orientale hinaus.«

»Ich dank' Euch, Herr, und wie kommt man zum Tor Orientale?«

»Da schlagt Ihr dort die Straße links ein, die Euch nach dem Domplatze führen wird; von dannen ...«

»Schon gut, Herr, das übrige weiß ich. Gott lohn' es Euch.« Und damit enteilte er gerade nach der Gegend hin, die ihm angegeben worden war.

Der Wegweiser sah ihm einen Augenblick nach, und sagte bei sich, indem er diese Art zu gehen in Gedanken mit der Frage zusammenreimte: »Entweder hat der einem eins versetzt oder einer will ihm eins versetzen.«

Renzo erreicht den Domplatz; schreitet darüber hin, kommt an einem Haufen Asche und verglommener Kohlen vorbei und erkennt die Überbleibsel des Freudenfeuers, dem er am letztvergangenen Tage mit beigewohnt hatte; er geht an den Stufen des Domes hin, fleht den halbgeschleiften, von Soldaten bewachten Krückenofen wieder und streicht vorüber; weiter, weiter, durch die Straße bin, durch die er zuvor mit der Menge gekommen war, gelangt er zu dem Kapuzinerkloster; er wirst einen flüchtigen Blick auf den Platz und auf die Kirchtür und sagt seufzend zu sich: – »Er hatte mir doch einen guten Rat gegeben, der Mönch von gestern, daß ich in die Kirche gehen und warten und ein wenig andächtig sein sollte.« –

Hier stand er einen Augenblick still und faßte das Tor, durch das er hinaus mußte, scharf ins Auge, und da er so aus der Ferne sah, daß viele Leute dabei Wache hielten und seine Einbildungskraft ein wenig aufgeregt war – er war zu bedauern; es war Grund genug dazu für ihn da – so empfand er einen gewissen Widerwillen, auf den Ausgang loszugehen.

Er hatte eine Freistätte so bei der Hand, und würde mit dem Briefe darin überdies wohl empfohlen gewesen sein; er war stark versucht, hineinzugehen. Aber alsbald schöpfte er wieder Mut, dachte: – »Vogel im Walde, so lange es geht. Wer kennt mich? Die Häscher können sich doch füglich nicht in Stücken zerrissen haben, um mir an allen Toren aufzulauern.« –

Er blickte hinter sich, um sich zu vergewissern, daß sie nicht etwa von daher kämen; er sah weder sie noch sonst jemand, der auf ihn zu achten geschienen hätte. Er bricht wieder auf, hemmt den Schritt der verwünschten Beine, die nur immerzu laufen wollten, derweil es sich doch jetzt schickte, bloß zu gehen; und eilig mit Weile, halblaut pfeifend, kommt er am Tore an.

Ein ganzer Schwarm von Zöllnern versperrte daselbst den Durchgang und hatte zur Verstärkung auch noch ein Fähnlein spanischer Mikelets; sie hatten aber alle ihre Wachsamkeit nach außen gerichtet, um keinen von denen hereinzulassen, die bei der Nachricht von einem Aufstande, wie Raben auf eine Walstatt, hinzueilen, so daß Renzo, so recht gimpelhaft, mit niedergeschlagenen Augen und einem Gange, halb wie ein Wandersmann, halb wie ein Lustwandler, die Torschwelle überschritt, ohne daß ihm einer ein Wort sagte; wenn auch sein Herz innerlich hoch klopfte. Da er einen Fußsteig rechts bemerkte, so schlug er diesen ein, um die Hauptstraße zu vermeiden, und ging eine gute Strecke, ehe er sich auch nur einmal umsah.

Er geht immer weiter, trifft auf Meiereien, trifft auf Dörfer, geht darauf los, ohne nach dem Namen zu fragen; er ist gewiß, sich von Mailand zu entfernen, hofft, sich Bergamo zu nähern, so viel genügt ihm für jetzt.

Von Zeit zu Zeit wandte er sich zurück und beschaute und rieb seine noch halberstarrten Handknöchel, die ringsherum mit einem rötlichen Streifen, der Spur der Schnur, gezeichnet waren. Seine Gedanken waren, wie ein jeder sich vorstellen mag, ein Gemisch von Reue, Betrübnis, Unruhe, Groll und Zärtlichkeit; ein mühsames Bestreben, das am vergangenen Abend Gesagte und Getane zu ermitteln, den geheimen Teil seiner schmerzensvollen Geschichte und vor allem aufzuklären, wie sie hatten seinen Namen herausbringen können. Sein Argwohn traf natürlicherweise den Schwertfeger, dem er ihn, wie er sich wohl erinnerte, frei heraus gesagt hatte. Und indem er die Art und Weise, wie jener ihm denselben aus dem Munde geholt, und sein ganzes Betragen und alle die Äußerungen sich zurückrief, die immer dahin zielten, daß er etwas wissen wollte, so wurde sein Argwohn beinahe Gewißheit. Wenn er sich dann nur nicht auch dunkel erinnert hätte, nach dem Abgange des Schwertfegers fortgezirpt zu haben; mit wem freilich? Errate das, wer will! Das Gedächtnis, so oft es auch darum erforscht wurde, wußte es nicht zu sagen; es wußte nichts anderes zu sagen, als daß es zu der Zeit nicht zu Hause gewesen sei. Der Ärmste verlor sich in Sorgen; er war wie jemand, der viele leere Blätter unterschrieben und sie einem anvertraut hat, den er für gut und tüchtig hielt; und der nun, wenn er nachmals findet, daß jener ein Schwindler war, den Stand seiner Angelegenheiten so gern erkennen möchte; aber was erkennen? Es ist ein Chaos. Eine andere drückende Sorge war die, wie er sich irgendeinen Plan für die Zukunft bilden könnte, der weder windig noch trübselig wäre.

Aber die drückendste von allen wurde bald diejenige, den Weg zu finden. Nachdem er, man kann sagen aufs Geratewohl, ein Stück gegangen war, fühlte er die Notwendigkeit, Erkundigungen einzuziehen. Er hegte wohl eine gewisse Abneigung, das Wort Bergamo auszusprechen, als ob, ich weiß nicht, was da Verdächtiges, Schamloses darin enthalten wäre; indessen konnte er nicht umhin, es zu tun. Er nahm sich vor, wie er es in Mailand angefangen hatte, den ersten, der des Weges käme, und dessen Gesicht ihm anstände, um Auskunft zu ersuchen, und tat also.

»Ihr seid von der Straße abgekommen,« erwiderte ihm dieser; und nachdem er ein wenig nachgedacht hatte, beschrieb er ihm, teils mit Worten, teils mit Gebärden, den Weg, den er zu nehmen habe, um wieder auf die Landstraße zu gelangen. Renzo dankte ihm für die Belehrung, gab sich den Anschein, alles zu befolgen, und schlug in der Tat die Richtung ein, mit der Absicht, sich der verwünschten Landstraße wohl zu nähern, sie nicht aus dem Gesicht zu verlieren, so viel es möglich wäre ihr entlang zu gehen; aber ohne einen Fuß darauf zu setzen. Der Vorsatz war leichter zu fassen als auszuführen. Das Ergebnis war, daß, indem er so bald rechts, bald links hin ging, wie Fischgräten, ein wenig den Anweisungen folgte, die er unterwegs empfing, ein wenig sie nach seiner Einsicht verbesserte und sie seiner Absicht anpaßte; ein wenig sich von den Wegen leiten ließ, die er verfolgte, unser Flüchtling vielleicht zwölf Miglien gegangen war, ohne mehr als sechs von Mailand entfernt zu sein; und was Bergamo anlangte, so war es schon genug, daß er sich nicht davon entfernt hatte.

Er fing an zu begreifen, daß er auf diese Weise nicht vorwärts käme, und dachte daran, irgendeinen anderen Ausweg zu ermitteln. Was ihm gefiel, war, sich den Namen irgendeiner an der Grenze gelegenen Ortschaft zu verschaffen, nach der er auf Nebenwegen hin wandern könnte; und indem er sich nach dieser erkundigte, Auskunft zu erlangen, ohne unterwegs die Nachfrage nach Bergamo auszustreuen, die ihm so stark nach Flucht, Vertreibung und peinlicher Klage zu riechen schien.

Indem er darüber nachgrübelte, wie er alle diese Angaben fischen könne, ohne sich verdächtig zu machen, sah er aus einem baufälligen, einsamen Häuschen, vor einem Dorfe, einen grünen Kranz heraushängen. Er fühlte schon seit einer Weile das zunehmende Bedürfnis, seine Kräfte zu stärken; er dachte, daß hier der Ort sein werde, ihm beide Dienste auf einmal zu leisten; er trat ein. Es war niemand darin als eine Alte mit dem Rocken neben sich und der Spindel in der Hand. Er forderte einen Bissen zu essen; man bot ihm ein wenig Stracchino und guten Wein an; er ließ sich die Speise gefallen, lehnte aber den Wein ab – er war ihm um des Streiches willen, den er ihm am vergangenen Abend gespielt hatte, zum Ekel geworden – und ließ sich nieder, indem er das Weib bat, sich zu sputen.

Diese hatte im Nu aufgetischt; und fing nun auf der Stelle an, ihren Wandersmann mit Fragen, sowohl darüber, wer er sei, als über die großen Ereignisse in Mailand zu bestürmen, von denen der Ruf schon bis dorthin gedrungen war.

Renzo wußte nicht allein Ausflüchte zu machen und sich mit vieler Geschicklichkeit vor den Erkundigungen zu schützen, sondern zog auch Vorteil aus der Verlegenheit und ließ die Neugier der Alten, die ihn fragte, wohin er unterwegs sei, seinem Verlangen dienen.

»Ich muß nach vielen Orten gehen,« entgegnete er, »und wenn ich einen Augenblick Zeit übrig behalte, möchte ich wohl auch über das große Dorf da, auf der Straße nach Bergamo, dicht an der Grenze, aber noch im Mailändischen, gehen ... Wie heißt es doch? – Irgend so eins wird es doch geben,« – dachte er inzwischen bei sich.

»Gorgonzola wollt Ihr sagen,« versetzte die Alte.

»Gorgonzola!« wiederholte Renzo, gleichsam um sich das Wort besser ins Gedächtnis zu prägen. »Ist es sehr weit von hier?« fuhr er fort.

»Ich weiß nicht recht; es können zehn, es können auch wohl zwölf Miglien sein. Wäre eins von meinen Kindern zugegen, das würde es Euch sagen können.«

»Und meint Ihr wohl, daß man auf den bequemen Fußsteigen hinkommen kann, ohne die Landstraße einzuschlagen? Denn da hat man einen Staub, einen Staub! Es regnet nun schon so viele Tage hier nicht!«

»Ich sollte glauben, ja; fragt nur in dem ersten Dorfe nach, durch das Ihr kommt, wenn Ihr Euch rechts haltet.« Und sie nannte es ihm.

»Schon gut,« sagte Renzo, stand auf, nahm ein Stück Brot zur Hand, das er von dem dürftigen Imbiß übrig behalten, ein Brot, sehr verschieden von dem, daß er tags vorher am Fuße des Kreuzes des heiligen Dionys gefunden hatte, bezahlte die Zeche, ging hinaus und schlug den Weg rechts ein. Und um nicht weitläufiger als nötig zu werden, so wanderte er denn, den Namen Gorgonzola im Munde, von Dorf zu Dorf so lange weiter, bis er etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang daselbst anlangte.

Schon unterwegs hatte er bei sich beschlossen, hier einen zweiten Halt zu machen, um eine etwas nahrhaftere Mahlzeit einzunehmen. Der Körper hätte sich wohl auch ein wenig Bettruhe gefallen lassen; aber ehe Renzo ihn hierin befriedigt hätte, würde er ihn lieber entseelt haben auf den Weg hinfallen lassen. Sein Vorsatz war, sich in dem Wirtshause nach der Entfernung der Adda zu erkundigen, mit guter Art Nachricht von irgendeinem dorthin führenden Richtwege einzuziehen und alsbald nach der Labung in dieser Richtung wieder aufzubrechen. Geboren und aufgewachsen, sozusagen, an der zweiten Quelle dieses Flusses, hatte er vielmals sagen hören, daß, auf einem gewissen Punkte und eine gewisse Strecke weit, derselbe die Grenze zwischen dem mailändischen und venetianischen Staate ausmache; von dem Punkte und von der Strecke hatte er keine genaue Vorstellung; für jetzt kam es aber hauptsächlich nur darauf an, an das jenseitige Ufer zu gelangen. Setzte er das nicht an diesem Tage durch, so war er entschlossen, so lange fortzuwandern, als Nacht und Atem es ihm gönnen würden, und die bevorstehende Morgenröte sodann auf einem Felde, im ersten besten Loche, wo es Gott gefallen möchte, abzuwarten; vorausgesetzt, daß es nur in keinem Wirtshause wäre.

Er hatte erst ein paar Schritte in Gorgonzola getan, so gewahrte er ein Schild; er trat hinein und bestellte sich bei dem Wirt, der ihm entgegenkam, zu essen und ein halbes Maß Wein; die Länge der Zeit und so viele Miglien mehr hatten in ihm jenen übermäßigen, fanatischen Haß aufgehoben.

»Ich bitte Euch aber, schnell zu machen,« fügte er hinzu, »denn ich muß gleich wieder meines Weges gehen.«

Und zwar fügte er dies nicht nur hinzu, weil es die Wahrheit war, sondern auch aus Furcht, daß, wenn der Wirt sich einbilde, er werde hier herbergen wollen, er ihm auf den Leib rücken und ihm Namen und Zunamen, Herkunft und Gewerbe abverlangen möchte. Gott behüte und bewahre!

Der Wirt erwiderte Renzo, er solle bedient werden, und dieser setzte sich an das Ende des Tisches, neben die Tür, auf den Platz der Blöden.

Es waren in der Stube einige Müßiggänger des Dorfes zugegen, die, nachdem sie die großen Neuigkeiten aus Mailand vom vorigen Tage erwogen, erörtert und ausgelegt hatten, zu erfahren hofften, wie es heute dort weiter hergegangen sei; und dies zwar um so mehr, als jene ersten Nachrichten weit geeigneter waren, die Neugier zu reizen als zu befriedigen; ein weder unterdrückter noch siegreicher Aufstand, durch die Nacht viel mehr aufgeschoben als aufgehoben; eine unvollständige Sache, das Ende eines Aktes viel mehr als eines Dramas. Einer von ihnen trennte sich von der Gruppe, machte sich an den Ankömmling und fragte ihn, ob er aus Mailand komme.

»Ich?« sagte Renzo betroffen, um Zeit zur Antwort zu gewinnen.

»Ihr, wenn es erlaubt ist zu fragen.«

Renzo schüttelte den Kopf, kniff die Lippen ein und sagte, indem er einen unverständlichen Laut daraus hervorgehen ließ: »Mailand nach dem, was ich höre ... sowie es in der Umgegend davon heißt ... soll gerade kein Ort sein, wohin man jetzt gehen möchte, wenn es nicht die höchste Not wäre.«

»Also dauert auch heute noch der Lärm fort?« fragte der Neugierige zudringlicher.

»Um das zu wissen, müßte man dort sein,« sagte Renzo.

»Ihr kommt also nicht von Mailand?«

»Ich komme von Liscate,« versetzte kurz und gut der Jüngling, der inzwischen über seine Antwort nachgedacht hatte. Im strengen Sinne des Wortes kam er allerdings dorther, denn er war durchgegangen, und den Namen hatte er unterwegs irgendwo von einem Wandersmanne gehört, der ihm das Dorf als das erste namhaft gemacht, durch das er gehen müsse, um nach Gorgonzola zu kommen.

»Ah!« sagte der Freund; als ob er sagen wollte: Du tätest besser daran, du kämst von Mailand, aber nur Geduld. »Und in Liscate,« fügte er hinzu, »wußte man nichts von Mailand?«

»Es könnte recht wohl sein, daß jemand dort was davon gewußt,« antwortete der Gebirgsmann; »aber ich habe nichts davon gehört.« Und diese Worte äußerte er auf die ganz absonderliche Art und Weise, die besagen zu wollen scheint: Ich bin fertig. Der Neugierige kehrte zu seiner Gesellschaft zurück, und einen Augenblick später kam der Wirt herein, um aufzutragen.

»Wie weit ist's von hier bis zur Adda?« sagte Renzo halblaut zu ihm, als ob er vom Schlafe übermannt würde, mit unachtsamer Miene, wie wir sie ihn schon haben machen sehen.

»Bis zur Adda, um hinüber zu gehen?« sprach der Wirt.

»Das heißt ... ja ... bis zur Adda.«

»Wollt Ihr über die Brücke von Cassano oder die Fähre von Canonica?«

»Wo es ist ... Ich frage nur so aus Neugier.«

»Ei, ich frage so, weil das die Orte sind, wo ehrbare Leute, Leute, die von sich Rechenschaft geben können, hinüberkommen.«

»Ganz recht; und wie weit ist's bis dahin?«

»Ihr könnt rechnen, daß es bis zu dem einen wie bis zum anderen Orte, ein wenig ab und zu, sechs Miglien sein werden.«

»Sechs Miglien! Das wußte ich nicht,« sagte Renzo. »Ja,« hob er dann mit noch offenbarerer, zur Schau gestellter, fast bis zur Ziererei gesteigerter Nachlässigkeit wieder an: »Ja, und wenn nun einer den kürzesten Weg einschlagen müßte, kann er da auch wohl an anderen Orten übersetzen?«

»Es gibt deren ganz gewiß,« versetzte der Wirt, und sah ihm mit einem Paar Augen voll boshafter Neugier steif und fest ins Gesicht.

Das reichte hin, um dem Jüngling die anderen Fragen, die er in Bereitschaft hatte, auf der Zunge zu ertöten.

Er zog die Schüssel an sich und sagte, indem er den Schoppen anblickte, den der Wirt gleichfalls auf den Tisch gestellt hatte: »Ist der Wein rein?«

»Wie Gold,« sprach der Wirt. »Ihr könnt jedermann im Dorfe und in der Gegend, der es versteht, danach fragen und werdet's ja auch wohl schmecken.« Und bei diesen Worten wandte er sich zu den Anwesenden. »Die verdammten Wirte!« rief Renzo innerlich; »je mehr ich kennen lerne, desto schlimmer finde ich sie.«

Dennoch ging er daran, mit großer Begierde zu essen und spitzte zugleich, ohne es sich merken zu lassen, das Ohr, in der Absicht, sich zu orientieren und zu erhorchen, wie man hier über die große Begebenheit dächte, an der er keinen geringen Anteil gehabt hatte, sowie um zu erfahren, ob unter den Schwätzern nicht etwa ein Ehrenmann sei, dem ein armer Junge insoweit vertrauen könne, ihn um Auskunft anzusprechen, unbesorgt, in die Enge getrieben und genötigt zu werden, seine Geschichten zu beichten.

»Aber,« sagte einer, »diesmal nimmt es allerdings den Anschein, als ob die Mailänder hätten wollen Ernst daraus machen. Na, morgen spätestens wird man doch was wissen.«

»Es reut mich, daß ich heute morgen nicht nach Mailand gegangen bin,« sagte ein anderer.

»Wenn du morgen gehst, gehe ich mit,« sprach ein dritter; dann noch einer und noch einer.

»Was ich wissen möchte,« hob der erste wieder an. »ist, ob die Herren von Mailand wohl auch an die armen Leute draußen denken, oder ihnen bloß zu ihrem Besten den Daumen aufs Auge drücken werden. Wißt ihr, wie sie sind, he? Die übermütigen Stadtleute, alles nur für sich; als ob die Landleute keine Christenmenschen wären.«

»Mauls genug haben wir auch, zum essen so gut wie um unsere Meinung zu sagen,« sagte ein anderer mit einer Stimme, die desto bescheidener klang, je verwegener der Vorschlag war; »und wenn die Sache einmal im Gange ist ...« Aber er hielt es nicht für geraten, den Satz zu vollenden.

»Verstecktes Getreide gibt es nicht bloß in Mailand,« brach ein anderer mit einer finsteren und tückischen Miene los, als der nahende Hufschlag eines Pferdes vernehmbar wird, alle an die Tür laufen und, nachdem sie den Ankommenden erkannt haben, ihm alle entgegengehen.

Es war ein Kaufmann aus Mailand, der sich alljährlich mehreremal in Geschäften nach Bergamo begab und die Nacht in dieser Herberge zuzubringen pflegte; und da sich fast immer die nämliche Gesellschaft daselbst befand, so war er mit einem jeden bekannt geworden.

Sie drängen sich um ihn; einer hält den Zügel, ein anderer den Steigbügel. »Willkommen!«

»Gott grüß euch!«

»Habt Ihr eine glückliche Reise gehabt?«

»Eine ganz glückliche; nun, und wie geht es euch denn?«

»Gut, gut. Was Neues in Mailand?«

»Da sind doch gleich die Neuigkeitskrämer bei der Hand,« sagte der Kaufmann im Absteigen und ließ das Pferd in den Händen eines Aufwärters. »Am Ende aber,« fuhr er fort, indem er mit den übrigen durch die kleine Tür eintrat, »wißt ihr jetzt schon mehr davon als ich.«

»Nein, im Ernste, wir wissen nichts,« sagte mehr als einer, die Hände auf die Brust gelegt.

»Ist es möglich?« sprach der Kaufmann. »Nun, so sollt ihr schöne ... oder schlimme Geschichten hören. Heda, Wirt, mein gewöhnliches Bett ist doch leer? Gut: ein Glas Wein und mein altes Essen; nur geschwind, denn ich will mich zeitig niederlegen und morgen mit dem frühesten wieder fort, damit ich zu Mittag in Bergamo bin. Und ihr,« fuhr er fort, und ließ sich an dem Ende des Tisches, dem gegenüber, wo Renzo schweigend und achtsam saß, nieder: »und ihr wißt von allen den gestrigen Teufeleien noch gar nichts?«

»Von gestern haben wir reden hören.«

»Nun seht ihr,« nahm der Kaufmann wieder das Wort, »da wißt ihr ja, was es Neues gibt. Ich sollte auch wohl meinen, daß, wenn ihr hier immerfort auf der Lauer steht und alles aushorcht, was vorüberkommt ...«

»Aber heute, wie ist es heute hergegangen?«

»Ja, heute. Ihr wißt von heute nichts?«

»Ganz und gar nichts: es ist kein Mensch durchgekommen.«

»Nun, da laßt mich mal erst mir die Lippen anfeuchten, und dann will ich euch die heutigen Geschichten erzählen. Ihr sollt hören.«

Er füllte das Glas, nahm es mit der Rechten auf, drehte dann mit den beiden ersten Fingern der anderen Hand den Schnurrbart, strich darauf mit der flachen Hand den Kinnbart zurecht, trank und hub von neuem an: »Heute, meine lieben Freunde, fehlte wenig und es wäre wieder so ein toller Tag geworden wie gestern, wo nicht ein noch schlimmerer. Und es ist mir kaum, als ob es wahr sein könnte, daß ich euch hier davon vorschwatze; denn ich hatte schon jeden Gedanken an das Reisen aufgegeben, um dazubleiben und meinen kleinen Laden zu bewachen.«

»Was war denn los?« sagte einer der Zuhörer.

»Was los war? Ihr werdet hören.«

Und indem er die Speise zerlegte, die ihm aufgetischt worden war, und sodann davon aß, setzte er seine Erzählung fort.

Die Gesellschaft stand rechts und links vom Tische und hörte ihm mit offenem Munde zu; Renzo an seinem Platze paßte vielleicht noch besser auf als jeder andere, ohne es sich merken zu lassen, indem er seine letzten Bissen langsam hinunterkaute.

»Die Schurken also, die gestern den greulichen Lärm gemacht hatten, fanden sich diesen Morgen an den verabredeten Orten ein – denn sie waren miteinander einverstanden, es war alles zuvor ausgemacht worden –; sie rotteten sich zusammen und fingen dieselben schönen Streiche wieder an straßauf, straßab zu ziehen und zu schreien, um Volks zusammenzubringen. Ihr müßt wissen, daß es damit ist wie wenn man, mit Respekt zu sagen, das Haus auskehrt; der Kehrichthaufen schwillt je größer an, je weiter er gewälzt wird. Sobald sie meinten, Volks genug zu sein, brachen sie nach dem Hause des Herrn Proviantverwalters auf, als ob der Grausamkeiten, die sie gestern an ihm, an einem so würdigen Herrn, begangen haben, noch nicht vollauf gewesen wären. Ha, die Spitzbuben! Und was sie alles für Zeug gegen ihn vorbrachten. Lauter Erdichtungen. Ein so braver, pünktlicher Herr; ich kann das ja wohl sagen, der ich ihm ganz zugetan bin und ihm das Tuch zu den Livreen seiner Leute liefere. Sie machten sich also nach dem Hause auf den Weg; man mußte das Gesindel sehen, was für Gesichter: stellt euch vor, sie zogen an meinem Laden vorüber ... Gesichter ... die Juden auf der Via crucis sind nichts dagegen! Und was ihnen alles aus dem Halse fuhr! Man hätte sich die Ohren zustopfen mögen, wenn es nicht ratsamer gewesen wäre, sich nicht bemerklich zu machen. Sie zogen also in der guten Absicht einher, zu plündern, aber ...« und hier hob er die linke Hand empor, spreizte die Finger auseinander und hielt sich die Spitze des Daumens an die Nasenspitze.

»Aber?« sagten fast alle Zuhörer.

»Aber,« fuhr der Kaufmann fort, »sie fanden die Gasse mit Balken und Karren verrammelt und hinter der Barrikade eine lange Reihe Mikelets aufgestellt mit gespannten Kugelbüchsen, die Kolben an die Schnauzbärte angelegt. Sobald sie diese Anstalt wahrnahmen ... Na, was hättet ihr da wohl getan?«

»Wir wären umgekehrt.«

»Versteht sich, und das taten sie eben auch. Aber seht einmal, ob nicht der Teufel in ihnen stecken mußte. Der führt sie da auf den Cordusio; sie versehen sich des Backofens, den sie schon gestern hatten plündern wollen: und was nahm man in dem Bäckerladen vor? man teilte Brot an die Käufer aus, und es waren Edelleute dabei, die feinsten Edelleute, um darüber zu wachen, daß alles in guter Ordnung vonstatten ging; jene aber, – ich sage euch, sie wurden vom Teufel geritten, der es ihnen in die Ohren zischelte – jene stürmen hinein; was hast du, was kannst du, drüber her: in einem Nu Edelleute, Bäcker, Kunden, Brote, Ladentisch, Bänke, Backtröge, Kasten, Säcke, Mehlbeutel, Kleie, Mehl, Teig drunter und drüber.«

»Und die Mikelets?«

»Die Mikelets hatten das Haus des Proviantverwalters zu beschützen: niemand kann zweien Herren dienen. Es war die Sache eines Augenblicks, sage ich euch: gripsgraps; alles, was nur Genießbares da war, fort damit. Und hernach wird die schöne Geschichte von gestern wieder aufs Tapet gebracht, alles übrige auf den Platz zu schleppen und ein Freudenfeuer daraus zu machen. Und schon fingen sie an, die Henkersknechte, auszuräumen, als so ein Halunke, ratet einmal, was für einen sauberen Vorschlag tat.«

»Nun?«

»Nun! Alles zusammen in dem Laden drin auf einen Haufen zu werfen und Haufen und Haus zugleich mit anzustecken. Gesagt, getan.«

»Sie haben Feuer angelegt?«

»Halt! Ein Edelmann in der Nachbarschaft hatte eine Eingebung des Himmels. Er lief in die Stuben hinauf, suchte ein Kruzifix, fand es, hing es in einen Fensterbogen, nahm vom Kopfende eines Bettes zwei geweihte Kerzen, zündete sie an und stellte sie auf den steinernen Fensterfries, rechts und links vom Kruzifix.

Die Leute schauen empor. In Mailand, das muß man sagen, gibt es noch Gottesfurcht; sie kamen alle wieder zu sich. Die meisten, will ich sagen; es waren zwar Teufel darunter, die an das Paradies Feuer gelegt haben würden, um zu rauben; wie sie aber sahen, daß das Volk nicht ihres Sinnes war, so mußten sie davon abstehen und sich ruhig verhalten. Nun ratet einmal, wer dazu kam. Alle ehrwürdigen Herren des Domes, in Prozession, mit dem Kreuz in der Höhe, in Chorkleidung; und der ehrwürdige Herr Erzpriester fing an auf der einen Seite und der ehrwürdige Herr Pönitentiar auf einer anderen zu predigen, und hiernach noch andere hier und da: aber, ihr braven Leute; aber was wollt ihr tun; aber ist das das Beispiel, das ihr euern Kindern gebt? aber so geht doch nach Hause; aber ihr sollt ja wohlfeiles Brot haben; aber so geht doch und seht, daß die Taxe an den Straßenecken angeschlagen ist.«

»War es wahr?«

»Wie! ob es wahr war? Wollt ihr, daß die ehrwürdigen Domherren im großen Ornate aufziehen sollten, um Lügen vorzubringen?«

»Und die Leute, was machten sie?«

»Nach und nach verliefen sie sich; sie traten an die Ecken, und, wer lesen konnte, da stand die Taxe in der Tat. Was sagt ihr dazu: ein Soldobrot, acht Unzen schwer.«

»Das ist ein Glücksfall!«

»'s ist eine herrliche Sache, wenn sie nur Bestand hat. Wißt ihr, wieviel Mehl sie zwischen gestern und heute morgen vergeudet haben? Soviel, daß das Herzogtum zwei Monate lang davon hätte erhalten werden können.«

»Und für uns haußen haben sie gar kein gut Gesetz gemacht?«

»Was sie für Mailand getan haben, ist ganz auf Kosten der Stadt geschehen. Ich weiß nicht, was ich euch sagen soll: euch anderen wird es ergehen wie Gott will. Inzwischen hat doch der Lärm ein Ende: denn ich habe euch noch nicht alles gesagt, jetzt kommt das Gute.«

»Was ist denn noch weiter los?«

»Weiter nichts, als daß gestern abend oder heute früh, gleichviel, eine Menge Aufrührer festgenommen worden sind, und es hat auch gleich verlautet, daß vier davon aufgeknüpft werden sollen. Kaum fing das Gerücht an, sich in der Stadt zu verbreiten, so machte ein jeder, daß er auf dem kürzesten Wege nach Hause kam, um nicht Gefahr zu laufen, Nummer fünf zu werden. Mailand sah wie ein Mönchskloster aus, da ich es verließ.«

»Werden sie sie denn im Ernste aufknüpfen?«

»Ohne Zweifel, und zwar spornstreichs,« versetzte der Kaufmann.

»Und was wird das Volk tun?« fragte nochmals der, der die andere Frage gestellt hatte.

»Das Volk wird zusehen,« sprach der Kaufmann. »Sie hatten solche Lust, einen Christenmenschen in freier Luft umkommen zu sehen, daß sie, die Schurken! dem Herrn Proviantverwalter den Garaus machen wollten. An dessen Statt werden sie nun vier Schächer haben und sie in bester Form abtun sehen, von den Kapuzinern und der Brüderschaft des guten Todes begleitet: es sind Kerle, die es verdient haben. Es ist eine Vorsehung, seht ihr wohl; es war eine Notwendigkeit. Sie fingen schon an, sich daran zu gewöhnen, in die Läden zu brechen und sich zu bedienen, ohne den Beutel zu ziehen; ließen sie sie gewähren, so würde nach dem Brote die Reihe an den Wein gekommen sein und so von einem zum anderen ... Stellt euch einmal vor, ob die aus freien Stücken eine so bequeme Sitte würden haben wieder abkommen lassen. Und ich kann euch sagen, daß das für einen Ehrenmann, der einen offenen Laden hält, ein eben nicht erfreulicher Gedanke war.«

»Das ist gewiß,« sagte einer der Zuhörer. »Das ist gewiß,« wiederholten die anderen im Chore.

»Und,« fuhr der Kaufmann fort und wischte sich den Bart mit dem Tischtuche, »es war schon seit lange angezettelt: es war eine Verschwörung, wißt ihr?«

»Es war eine Verschwörung?«

»Es war eine Verschwörung. Lauter Kabalen, die die Navarreser, der Kardinal da von Frankreich gemacht haben, wißt ihr, der so einen halbtürkischen Namen hat und sich alle Tage was Neues ausdenkt, um der Krone Spanien einen Possen zu spielen. Aber vor allem sieht er es darauf ab, Mailand eins anzuhängen, denn er begreift wohl, der Schelm, daß hierin die Kraft des Königs beruht.«

»Ja, ja.«

»Wollt ihr den Beweis dafür sehen? Wer den größten Lärm gemacht hat, das waren Fremde: es trieben sich Fratzen umher, die man in Mailand noch nimmer gesehen hatte. Da vergaß ich auch noch, euch etwas zu erzählen, das mir für ganz gewiß gesagt worden ist. Die Gerechtigkeit hatte in einem Wirtshause einen erwischt ...«

Renzo, der nicht das mindeste von diesen Reden verlor, wurde, bei der Berührung dieser Saite, von Schauder ergriffen und fuhr zusammen, bevor er daran denken konnte, sich zu fassen. Jedoch versah sich dessen niemand, und der Sprecher hatte fortgefahren, ohne die Erzählung einen Augenblick zu unterbrechen: »Einen, von dem man noch nicht recht weiß, wo er hergekommen ist, wer ihn abgeschickt hat, noch was für eine Art Mensch er eigentlich war; aber ganz gewiß war er einer der Rädelsführer. Schon gestern, wo es am ärgsten herging, hatte er einen Teufelslärm gemacht; und hernach, nicht damit zufrieden, hatte er sich angeschickt zu predigen und so eine ganz hübsche Sache vorgeschlagen: sie sollten nur alle Herren abschlachten. Der Erzbösewicht! Wer sollte dann den armen Leuten zu leben geben, wenn sie die Herren totschlügen? Die Gerechtigkeit, die ihm aufgelauert hatte, legte Hand an ihn; sie fanden ein großes Bündel Briefe bei ihm und führten ihn ins Gefängnis; aber was? seine Spießgesellen, die bei dem Wirtshause Wache hielten, kamen in großer Anzahl und befreiten ihn, den Halunken.«

»Und was ist aus ihm geworden?«

»Man weiß es nicht; er wird entwischt sein oder sich in Mailand verkrochen haben: solch Gesindel hat nicht Dach und Fach und findet allenthalben ein Unterkommen und einen Schlupfwinkel; so lange nämlich der Teufel ihm helfen kann und will; sie plumpen dann hinein, wenn sie es sich am wenigsten versehen; denn wenn die Birne reif ist, muß sie fallen. Für jetzt weiß man nur soviel gewiß, daß die Briefe in den Händen der Gerechtigkeit verblieben sind, und daß darin der ganze Anschlag beschrieben steht, und es heißt, es würden viele Leute übel dabei wegkommen. Es geschieht ihnen schon recht, die halb Mailand in Verwirrung gebracht haben und noch was Schlimmeres anrichten wollten. Sie sagen, die Bäcker wären Spitzbuben: das weiß ich ebenso gut wie sie; aber man muß sie nur auf dem Wege Rechtens an den Galgen bringen. Es gibt verhehltes Getreide: wer weiß das nicht? Aber es ist die Sache derer, die das Heft in Händen haben, gute Kundschafter zu halten und es auszugraben und die Aufhäufer in Gesellschaft mit den Bäckern, baumeln zu lassen. Und wenn diejenigen, die herrschen, nichts tun, so ist es die Sache der Stadt, einzuschreiten, und wenn sie ihr aufs erstemal kein Gehör verleihen, wiederholt einzuschreiten; denn kraft Einschreitens dringt man durch; und nicht eine so niederträchtige Gewohnheit aufkommen zu lassen, daß sie mit Gewalt in die Läden und Gewölbe einbrechen, um zu plündern.«

Renzo waren die paar Bissen zu Gift geworden. Es deuchten ihm tausend Jahre, bis er zu dem Wirtshause, zu dem Dorfe hinaus und weit davon wäre, und mehr als zehnmal hatte er zu sich selbst gesagt: fort, fort. Aber die Besorgnis, Verdacht zu erregen, die nunmehr übermäßig angewachsen war und sich alle seine Gedanken unterworfen, hatte ihn ebenso oft auf der Bank angenagelt gehalten. In dieser Unschlüssigkeit dachte er, daß das Plappermaul doch einmal aufhören müsse von ihm zu reden und nahm sich vor, alsbald aufzubrechen, sowie er ein anderes Gespräch werde anknüpfen hören.

»Ja, eben deshalb,« sagte einer von den Umstehenden, »weil ich schon weiß, wie solche Geschichten ablaufen, und daß es für ehrliche Leute nicht gut ist, in Meutereien zu sein, habe ich der Neugier nicht nachgegeben und bin ruhig zu Hause geblieben.«

»Und ich, habe ich mich wohl gerührt?« sagte ein anderer.

»Oder ich?« fügte ein dritter hinzu. »Wenn ich mich zufälligerweise in Mailand befunden hätte, ich würde alles, was ich zu tun gehabt, stehen und liegen gelassen haben und auf der Stelle heimgelaufen sein. Ich habe Frau und Kinder; und dann, die Wahrheit zu reden, halte ich von dem Toben nichts.«

Indem ging der Wirt, der auch mit zugehört hatte, an das andere Ende des Tisches, um nachzusehen, was der Fremde mache. Renzo nahm den Augenblick wahr, winkte den Wirt zu sich; verlangte von ihm die Rechnung, berichtigte sie, ohne abzuziehen, wiewohl er nicht eben bei Gelde war und ging, ohne noch ein Wort zu sagen, in gerader Linie auf den Ausgang nach der Straße zu. Er überschritt die Schwelle, gab wohl acht, daß er nicht wieder dahin ginge, wo er hergekommen war und schlug, unter dem Geleite der Vorsehung, die entgegengesetzte Richtung ein.


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