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Fünftes Kapitel

Pater Cristoforo blieb auf der Schwelle stehen und hatte kaum die Frauen ins Auge gefaßt, so mußte er gewahren, daß seine Vorgefühle nicht trügerisch gewesen waren. Mit dem fragenden Tone also, der einer traurigen Antwort entgegensieht, sprach er, den Bart mit einem leichten Zurückwerfen des Kopfes erhebend: »Nun?« Lucia antwortete mit einem Tränengusse. Die Mutter hub an, sich zu entschuldigen, daß sie gewagt habe ... aber er schritt vor, setzte sich auf einen dreibeinigen Schemel nieder, schnitt alle Entschuldigungen ab und sagte zu Lucien: »Beruhigt Euch, armes Mädchen; und Ihr,« fuhr er zu Agnes fort, »erzählt mir, was es gibt.«

Während die gute Frau ihren traurigen Bericht bestens abstattete, wechselte der Bruder unablässig die Farbe und schlug bald die Augen zum Himmel auf, bald stampfte er mit den Füßen. Als die Geschichte zu Ende war, bedeckte er das Gesicht mit beiden Händen und rief aus: »O heiliger Gott! wie weit ...« Aber ohne auszureden, wandte er sich von neuem zu den Frauen und sagte: »Ihr armen Leute! Gott hat euch heimgesucht. Arme Lucia!«

»Sie werden uns nicht verlassen, Pater?« sprach Lucia schluchzend.

»Euch verlassen!« versetzte er. »Großer Gott! mit welchem Angesicht könnte ich denn etwas für mich von ihm erbitten, wenn ich euch verlassen hätte? Euch, in diesem Zustande! Euch, die er mir anvertraut! Verliert den Mut nicht; er wird euch beistehen. Er sieht alles; er kann sich auch eines nichtigen Menschen, wie ich bin, bedienen, um einen zu vernichten, der ... Laßt sehen, laßt uns überlegen, was zu tun ist.«

Indem er so sprach, stützte er den linken Ellbogen auf das Knie, neigte die Stirn in die flache Hand und strich mit der rechten Bart und Kinn, wie um alle Seelenkräfte fest beisammen zu halten. Aber das angestrengteste Nachdenken diente nur dazu, ihn bestimmter erkennen zu lassen, wie dringend und verwickelt der Fall und wie spärlich, wie unsicher und gefahrvoll die Hilfsmittel. – Sollte er Don Abbondio Scham einflößen und ihn fühlen lassen, wie sehr er gegen seine Pflicht fehle? Scham und Pflicht sind für ihn nichts, wenn er Furcht hat. Ihm Furcht einjagen? Was habe ich für Mittel, ihm welche einzuflößen, wirksamer als die, die er vor einem Büchsenschusse hat? Den Kardinal Erzbischof von allem unterrichten und sein Ansehen ansprechen? Das will Zeit; und währenddessen? und hernach? Wenn auch die unglückliche Unschuldige schon Frau wäre, würde das den Menschen zügeln? ... Wer weiß, wie weit er es treiben kann? Und ihm widerstehen? Wie? Ach! wenn ich, dachte der arme Mönch, wenn ich meine hiesigen, meine Mailänder Klosterbrüder dafür gewinnen könnte! Aber es ist keine geringe Sache, ich würde im Stiche gelassen werden. Er gilt für den Freund des Klosters, er gibt sich für einen Anhänger der Kapuziner aus; haben seine Mordgesellen nicht mehr als einmal in unserem Kloster Zuflucht gefunden? Ich würde ganz allein mit ihm zu tun haben, ich würde mich nur in den Ruf eines störrischen, unruhigen Kopfes, eines Händelmachers bringen und, was noch mehr ist, durch ein unzeitiges Unternehmen vielleicht selbst die Lage des armen Kindes verschlimmern. – Nachdem er das Für und Wider dieses und jenes Planes abgewogen, hielt er es für das beste, Don Rodrigo selbst die Stirn zu bieten, zu versuchen, ihn durch Bitten, durch die Schrecken jenes oder auch dieses Lebens womöglich von seinem schändlichen Vorsatze abzubringen. Schlimmstenfalls ließ sich auf diesem Wege wenigstens bestimmter erkennen, wie hartnäckig er in seinem unzüchtigen Vorsatze beharrte, ließ sich ein wenig mehr von seinen Absichten ergründen und danach ein Beschluß fassen.

Derweil der Bruder also im Nachsinnen begriffen, war Renzo, der aus all den Gründen, die jedermann erraten mag, dem Hause nicht fern bleiben konnte, an der Tür erschienen; aber da er den Pater so vertieft sah und die Frauen ihm zuwinkten, ihn nicht zu stören, so verhielt er sich schweigsam an der Schwelle. Indem der Mönch das Antlitz erhob, den Frauen seine Meinung zu eröffnen, ward er seiner gewahr und grüßte ihn auf eine Art, die eine von Mitleid gesteigerte gewohnte Zuneigung ausdrückte.

»Haben sie Ihnen gesagt, Pater ...?« fragte ihn Renzo mit bewegter Stimme.

»Nur zu viel; und deswegen bin ich hier.«

»Was sagen Sie zu dem Schurken?«

»Was willst du, daß ich von ihm sage? Er ist fern? Wem könnten meine Worte etwas helfen? Dir, mein Renzo, sage ich, daß du auf Gott vertraust und daß Gott dich nicht verlassen wird.«

»Gesegnet seien Ihre Worte!« rief der Jüngling. »Sie sind keiner von denen, die armen Leuten immer unrecht geben. Aber der Herr Pfarrer und Herr Doktor ...«

»Suche nicht hervor, was zu nichts weiter dienen kann, als dich zwecklos aufzubringen. Ich bin ein armer Mönch; aber ich wiederhole dir, was ich diesen Frauen gesagt habe; wie schwach ich auch immer bin, werde ich euch doch nicht verlassen.«

»Oh, Sie sind nicht wie die weltlichen Freunde! Die Nichtsnutzigen! Wer den Beteuerungen geglaubt hätte, die sie mir in guten Zeiten machten; ja, ja! Sie waren bereit, ihr Blut für mich hinzugeben; sie würden mich gegen den Teufel verfochten haben. Wenn ich einen Feind gehabt hätte? Ich brauchte es mir nur irgend merken zu lassen; und er würde nicht viel Brot mehr gegessen haben. Und jetzt, wenn Sie sähen, wie sie sich davon machen ...« Sowie der Redende in diesem Moment die Augen zu dem Angesicht seines Zuhörers ausschlug, sah er, daß dasselbe sich durchaus umwölkt hatte, und erkannte er nun wohl, etwas Dummes gesagt zu haben. Er wollte es wieder gutmachen und verwirrte und verwickelte sich immer ärger darein: »Ich wollte sagen ... ich meine nicht etwa ... das heißt ... ich wollte nämlich sagen ...«

»Was wolltest du sagen? Und wie? Du hattest also angefangen, mein Werk zu zerstören, bevor es noch unternommen war! Wohl dir, daß du beizeiten enttäuscht worden bist. Was! du tatest dich nach Freunden um ... nach solchen Freunden! ... die dir, auch wenn sie es gewollt, nicht würden haben helfen können, und warst bedacht, den einzigen zu verlieren, der es kann und will! Weißt du nicht, daß Gott der Freund der Bedrängten ist, die auf ihn vertrauen? Weißt du nicht, daß der Schwache nichts dabei gewinnt, die Klauen zu zeigen? Und wenn dennoch ...« Damit erfaßte er kräftig Renzos Arm; sein Aussehen, ohne daß es an Würde verlor, drückte eine ungewöhnliche Zerknirschung aus, seine Augen senkten sich zu Boden, seine Stimme wurde schwer und gleichsam unterirdisch: »Wenn es dennoch wäre, so ist dies ein entsetzlicher Gewinn! Renzo! willst du mir vertrauen? Was sage ich mir, mir armseligem Menschlein, mir nichtigem Klosterbruder? Willst du Gott vertrauen?«

»Ach ja!« erwiderte Renzo. »Er ist der wahrhafte Herr.«

»Nun wohl; so versprich, niemand zu beleidigen, niemand zu reizen, dich von mir leiten zu lassen.«

»Ich verspreche es.«

Lucia atmete tief auf, als würde eine schwere Last von ihr genommen, und Agnes sagte: »Brav, mein Sohn.«

»Hört, Kinder,« hub Bruder Cristoforo wieder an, »ich werde heute zu dem Menschen gehen, mit ihm reden. Wenn Gott ihm das Herz rührt und meinen Worten Kraft verleiht, gut, wo nicht, so wird er uns irgendeine andere Hilfe finden lassen. Bleibt ihr indessen ruhig zu Hause, vermeidet alles Geschwätz, laßt euch nicht blicken. Heute abend oder spätestens morgen früh seht ihr mich wieder ...«

Dies gesagt, machte er allen Danksagungen und Segnungen ein Ende und ging. Er schlug den Weg nach dem Kloster ein, kam eben recht, um auf das Chor zu gehen und Psalmen mitzusingen, aß sein Mittagbrot und brach alsbald nach der Höhle des wilden Tieres auf, das er sich vorgesetzt zu zähmen.

Don Rodrigos Schloß ragte einsam wie eine Bergfeste auf der Spitze eines der Vorgebirge empor, zu denen sich hier und da jenes Ufer erhebt. Dieser Angabe fügt der Anonymus hinzu, – er hätte besser getan, den Namen geradezu hinzuschreiben – daß der Ort höher als die Heimat der Verlobten lag, von der er etwa drei Miglien, sowie vom Kloster vier entfernt war. Am Fuße des Vorgebirges, auf der Seite, die nach dem See hinausspringt, lag ein Häufchen kleiner ärmlicher Häuser, die Don Rodrigo zugehörige Landleute bewohnten und hier war gewissermaßen die Hauptstadt seines kleinen Reiches. Man brauchte nur hindurch zu gehen, um über Beschaffenheit und Sitte des Ortes aufgeklärt zu werden. Warf man einen Blick in die Erdgeschosse, wo gerade ein Eingang offen stand, so sah man Schießgewehre, Hacken, Rechen, Strohhüte, kleine Netze und Pulvertäschchen durcheinander an die Wände gehängt. Die Leute, denen man dort begegnete, waren vierschrötige, unfreundliche Burschen mit einem starken, auf dem Kopfe zurückgedrehten, in ein Netz zusammengefaßten Schopfe; zahnlose Greise, anscheinend immer noch bereit, auf die leiseste Anreizung die Zähne zu fletschen; Frauen mit männlichen Gesichtszügen und nervigen Armen, wie gemacht, bei erster Gelegenheit der Zunge zu Hilfe zu kommen; sogar in dem Äußeren und in den Gebärden der Kinder, die auf der Straße spielten, gab sich ein gewisses verwegenes und herausforderndes Wesen kund.

Bruder Cristoforo schritt durch das Dorf, stieg einen schmalen, gewundenen Fußpfad hinauf und gelangte auf einen kleinen freien Platz vor dem festen Schlosse. Das Tor war geschlossen, zum Zeichen, daß der Herr bei Tafel sei und nicht gestört werden wollte. Die wenigen kleinen Fenster nach der Straße zu, deren vor Alter auseinandergegangene Flügel zerfielen, waren jedoch durch starke Eisengitter geschützt, und die des Erdgeschosses so hoch angebracht, daß kaum einer, der auf eines anderen Schultern gestiegen, würde haben hineinschauen können.

Es herrschte ein tiefes Stillschweigen hier, und ein Wanderer hätte glauben mögen, vor einer verlassenen Wohnung zu sein, wenn nicht vier Geschöpfe, zwei lebende und zwei tote, ebenmäßig außen angebracht, ein Wahrzeichen von Bewohnern gewesen wären. Zwei große Geier mit ausgespreizten Flügeln und niederhängenden Köpfen, der eine entfiedert und von der Zeit halb aufgezehrt, der andere noch unverletzt und befiedert, waren jedweder an einem Flügel des Haupttors festgenagelt; und zwei Bravi, ein jeder auf einer der zur Rechten und Linken stehenden Bänke lang ausgestreckt, hielten Wache und erwarteten, abgerufen zu werden, um die Überbleibsel von der Tafel des Gebieters zu sich zu nehmen.

Der Pater blieb wie einer, der sich anschickt zu warten, stehen; aber einer der Bravi erhob sich und sagte zu ihm: »Pater, Pater, kommen Sie nur heran; hier läßt man keine Kapuziner warten; wir sind Freunde des Klosters, und ich bin in gewissen Augenblicken darin gewesen, wo es draußen nicht geheuer für mich war, und wo es mir schlimm ergangen sein würde, wenn sie mir das Tor verschlossen gehalten hätten.« Bei diesen Worten schlug er mit dem Klopfer zweimal an. Den Schall beantwortete von innen sofort Heulen und Winseln großer und kleiner Hunde, und wenige Augenblicke nachher kam brummend ein alter Diener hervor. Sobald dieser indessen den Pater wahrgenommen, machte er ihm eine tiefe Verbeugung, beschwichtigte die Tiere mit Händen und Stimme, führte den Gast in einen Hof und schloß die Tür wieder zu. Nachdem er ihn dann in einen Saal geleitet und ihn mit einer gewissen verwunderten und ehrfurchtsvollen Miene angesehen, sagte er: »Sind Sie nicht ... Pater Cristoforo von Pescarenico?«

»Ganz recht.«

»Sie hier?«

»Wie Ihr seht, mein Guter.«

»Es wird um Gutes zu tun sein. Gutes,« fuhr er zwischen den Zähnen murmelnd fort, und setzte sich dabei wieder in Bewegung, »kann man allerwärts tun.«

Sie gelangten durch zwei bis drei dunkle Gemächer an die Tür des Speisesaales. Hier gab es ein gewaltiges Getöse mit Gabeln, Messern, Gläsern, zinnernen Schüsseln und vor allem von mißtönenden Stimmen, die sich wechselweise zu überschreien strebten. Der Mönch wollte sich zurückziehen und war am Eingange eben mit dem Diener im Streite begriffen, um zu erlangen, daß man ihn in irgendeinem Winkel des Hauses ließe, bis das Mittagsmahl zu Ende sei, als die Tür aufging.

Ein gewisser Graf Attilio, der derselben gegenüber saß, – er war ein Vetter des Hausherrn, und wir haben schon von ihm Meldung getan, ohne ihn zu nennen – sah einen geschorenen Kopf und eine Mönchskutte und gewahrte die bescheidene Absicht des guten Bruders. »He, he!« schrie er, »entwischen Sie uns nicht, ehrwürdiger Pater; nur heran, nur heran.«

Don Rodrigo, ohne gerade den Zweck dieses Besuches zu erraten, hätte ihn doch, aus einem gewissen dunklen Vorgefühl, gern entbehrt. Da aber der unbedachte Attilio die laute Einladung hatte ergehen lassen, so schickte es sich nicht für ihn, sie zu verleugnen, und er sprach: »Kommen Sie, Pater, kommen Sie.« Dieser trat heran, verneigte sich vor dem Herrn und erwiderte mit beiden Händen die Begrüßungen der Tischgenossen.

Es beliebt im allgemeinen, ich sage nicht allen, sich den Biedermann dem Bösewicht gegenüber mit erhobener Stirn, sicherem Blicke, freier Brust, gelöster Zunge vorzustellen. In der Tat aber bedarf es vieler Umstände, die höchst selten zusammentreffen, um ihn diese Haltung annehmen zu lassen. Darum verwundere man sich nicht, wenn Bruder Cristoforo, mit dem guten Zeugnisse seines Gewissens, mit dem unerschütterlichen Gefühl der Gerechtigkeit der Sache, die er zu vertreten kam, bei einer aus Abscheu und Mitleid für Don Rodrigo gemischten Empfindung, mit einer gewissen Blödigkeit und Unterwürfigkeit vor ebendemselben Don Rodrigo stand, der hier in seinem Hause, in seiner Herrschaft, umgeben von Freunden, von Huldigungen und von den Zeichen seiner Macht mit einer Miene thronte, die schon genügte, eine Bitte, geschweige denn einen Rat oder gar einen Verweis oder Vorwurf im Munde ersterben zu lassen. Rechts von ihm saß jener Graf Attilio, sein Vetter und, wenn es gesagt werden muß, der Gefährte seiner Ausschweifungen und Schandtaten, der von Mailand gekommen war, um einige Tage auf dem Lande bei ihm zuzubringen. Links und an einer anderen Seite des Tisches, in großer Ehrfurcht, die jedoch durch eine gewisse Art von Sicherheit und Anmaßung gemäßigt wurde, der Herr Gerichtsvogt, eben der, dem es in der Theorie zugestanden haben würde, Renzo Tramaglino Gerechtigkeit zu verschaffen und Don Rodrigo eine jener gewissen Strafen aufzuerlegen. Dem Gerichtsvogte gegenüber, mit dem Ausdruck der reinsten, innigsten Verehrung saß unser Doktor Notverhelfer, im schwarzen Mantel und mit besonders geröteter Nase. Den beiden Vettern gegenüber zwei unbekannte Gäste, von denen unsere Geschichte nur besagt, daß sie sonst nichts taten als essen, den Kopf neigen, lächeln und alles billigen, was ein Tischgenoß sagte.

»Einen Stuhl für den Pater,« sagte Don Rodrigo.

Ein Diener brachte einen und Pater Cristoforo setzte sich darauf, indem er sich bei dem Gebieter entschuldigte, zur ungelegenen Stunde gekommen zu sein. »Ich wünschte in einer Sache von Wichtigkeit unter vier Augen mit Ihnen zu sprechen,« raunte er überdies mit noch schüchternerer Stimme Don Rodrigo ins Ohr.

»Schön, schön, wir sprechen uns dann,« versetzte dieser, »inzwischen aber schafft einen Trunk für den Pater herbei.«

Der Pater wollte es ablehnen; Don Rodrigo erhob jedoch mitten in dem wieder losgebrochenen Aufruhr seine Stimme und rief: »Nein, meiner Treu! das werden Sie mir nicht zuleide tun; es soll nimmermehr geschehen, daß ein Kapuziner dieses Haus verläßt, ohne meinen Wein gekostet, oder ein unverschämter Gläubiger, ohne das Holz meiner Waldungen versucht zu haben.«

Diese Worte erregten ein allgemeines Gelächter und unterbrachen einen Augenblick die Streitfrage, die von den Tischgästen sehr hitzig erörtert wurde. Ein Diener brachte auf einem Becken eine Flasche Wein und ein langes Kelchglas und bot es dem Pater dar, und da dieser einer so dringenden Aufforderung des Mannes, dessen Geneigtheit er so sehr nötig hatte, nicht widerstehen wollte, so unterließ er nicht, sich einzuschenken, und begann langsam den Wein zu schlürfen.

»Tassos Ansehen unterstützt Ihre Behauptung nicht, mein verehrter Herr Gerichtsvogt, sondern steht Ihnen vielmehr entgegen,« hub Graf Attilio wieder an zu brüllen, »denn dieser gelehrte, dieser große Mann, der alle Gesetze der Ritterschaft an den Fingern herzuzählen wußte, hat es so eingerichtet, daß der Bote Argantes, ehe er die Herausforderung an die christlichen Ritter ergehen läßt, den frommen Bouillon um Erlaubnis bittet ...«

»Das tut er aber,« entgegnete der Gerichtsvogt, nicht weniger brüllend; »das tut er nur so obenein, das ist eine bloße Zugabe, eine poetische Ausschmückung, weil der Abgesandte seiner Natur, dem Völkerrechte nach, jure gentium unverletzlich ist; und ohne daß man es so weit herholt; sagt ja schon das Sprichwort: der Diener kann nicht für den Herrn. Die Sprichwörter aber, mein Herr Graf, sind die Weisheit des menschlichen Geschlechts. Und da nun der Abgesandte nichts in seinem eigenen Namen gesagt, sondern die Herausforderung bloß schriftlich überreicht hatte ...«

»Aber wann werden Sie denn einsehen, daß der Abgesandte ein vermessener Esel war, unbekannt mit den ersten ...«

»Mit gütiger Erlaubnis der Herrschaften,« fiel Don Rodrigo ein, der dem Streit gern die Spitze nehmen wollte, »wollen wir es dem Pater Cristoforo vortragen und auf seinen Spruch ankommen lassen.«

»Gut, vortrefflich,« sprach der Graf Attilio, dem es eine lustige Sache dünkte, eine ritterliche Frage von einem Kapuziner gelöst zu sehen, während der Gerichtsvogt, der sich dieselbe eifriger zu Herzen nahm, nur zur Not zu beschwichtigen war, indem er leichthin ein Gesicht zog, das sagen zu wollen schien: Kindereien!

»Aber so viel ich verstanden zu haben glaube,« sagte der Pater, »sind es keine Dinge, wovon ich Kenntnis haben kann.«

»Die gewöhnlichen bescheidenen Ausreden der Herren Patres,« sagte Don Rodrigo: »aber Sie entschlüpfen mir nicht. Ei ja doch, wir wissen recht wohl, daß Sie nicht mit der Kapuze auf dem Kopfe zur Welt gekommen sind, und daß die Welt Sie gekannt hat. Nun, nun ... hören Sie die Frage an ...«

»Der Fall ist der,« rief Graf Attilio darein.

»Laßt mich reden, Vetter, ich bin neutral,« nahm Don Rodrigo wieder das Wort. »Die Geschickte ist so: Ein spanischer Edelmann schickt einem mailändischen eine Herausforderung zu, der Überbringer findet den Herausgeforderten nicht zu Hause und händigt das Kartell einem Bruder des Edelmannes ein, der die Herausforderung liest und als Antwort dem Überbringer ein paar Stockschläge zuerteilt. Es fragt sich ...«

»Gut zuerteilt, wohl angebracht,« rief der Graf Attilio. »Es war eine wahre Eingebung ...«

»Des Teufels!« fügte der Gerichtsvogt hinzu. »Einen Abgesandten zu schlagen, eine geheiligte Person! Sie selbst, Pater, sagen Sie, ob das eine ritterliche Handlung war.«

»Ja, Herr, eine ritterliche,« rief der Graf, »und lassen Sie mich ihm sagen, der ich mich darauf verstehen muß, was sich für einen Ritter schickt. Ah! wenn es Faustschläge gewesen wären, würde es eine andere Sache sein; der Stock aber besudelt niemand die Hand. Was ich nicht begreifen kann, ist, weshalb Sie sich so sehr um die Schultern eines Lumpen bekümmern?«

»Wer hat Ihnen denn schon ein Wort von den Schultern gesagt, mein Herr Graf? Sie lassen mich Albernheiten sagen, die mir niemals eingefallen sind. Ich habe von der Würde und nicht von Schultern gesprochen, ich. Ich spreche vornehmlich von den Gesetzen der Ritterschaft. Sagen Sie mir gefälligst ein wenig, ob die Fetialen, durch welche die alten Römer den anderen Völkern ihre Herausforderungen zustellten, um Erlaubnis baten, ihres Auftrags sich zu entledigen; und nennen Sie mir einmal einen Schriftsteller, bei dem erwähnt würde, daß ein Fetial je geprügelt worden sei.«

»Was haben die Beamten der alten Römer mit uns zu schaffen? Leute, die so in den Tag hineinlebten und in diesen Stücken gar sehr zurück waren? Nach den Gesetzen der heutigen Ritterschaft vielmehr, die die wahre ist, sage und behaupte ich, daß ein Bote, der sich vermißt, einem Edelmanne eine Herausforderung einzuhändigen, ohne ihn deshalb um Verlaub gebeten zu haben, ein frecher Bursche sei, der verletzt werden kann und muß, und gar nicht genugsam durchzuprügeln ist.«

»Erklären Sie mir ein wenig diesen Vernunftschluß.«

»Nichts, nichts, nichts.«

»Aber so hören Sie, hören Sie, hören Sie! Einen Unbewaffneten schlagen, ist eine verräterische Handlung: Atquider Bote de quo war ohne Waffen, ergo ...«

»Gemach, gemach, Herr Gerichtsvogt.«

»Wie, gemach?«

»Gemach, sage ich, was erzählen Sie mir da? Eine verräterische Handlung ist, einen von hinten mit dem Schwerte zu verwunden, oder ihm eine Kugel in den Rücken zu jagen, und auch hierbei kann es gewisse Fälle geben ... aber bleiben wir bei der Sache. Ich gebe zu, dies könne im allgemeinen eine verräterische Handlung genannt werden; aber einem Landstreicher vier Stockschläge aufzuzählen! Es wäre schön, wenn man ihm sagen müßte: Sieh dich vor, ich prügle dich, so wie man wohl zu einem Ehrenmanne sagt: Hand ans Schwert. Und Sie, mein verehrter Herr Doktor, der Sie mir mit Ihrem Schmunzeln zu verstehen geben, daß Sie meiner Meinung sind, warum stimmen Sie denn statt dessen nicht mit Ihrem guten Mundwerke meinen Gründen bei und helfen mir, diesen Herrn zur Vernunft zu bringen?«

»Ich,« ... versetzte der Doktor verlegen; »ich freue mich dieses gelehrten Streits, und weiß es dem günstigen Zufalle Dank, zu einem so artigen Wortgefechte der Scharfsinnigkeit Gelegenheit gegeben zu haben. Übrigens steht es mir nicht zu, ein Urteil zu fällen: Ihre Gnaden haben bereits einen Richter eingesetzt ... der Pater hier ...«

»Das ist auch wahr,« sprach Don Rodrigo; »aber wie wollt ihr, daß der Richter spreche, wenn die Streitführenden nicht stillschweigen mögen?«

»Ich verstumme«, sagte der Graf Attilio. Der Gerichtsvogt deutete gleichfalls an, daß er schweigen werde.

»Ah, endlich! Es ist nun an Ihnen, Pater«, sagte Don Rodrigo mit halb spöttischem Ernste.

»Ich habe mich schon damit entschuldigt, daß ich mich nicht darauf verstehe«, antwortete Bruder Cristoforo, indem er sein Glas einem Diener zurückgab.

»Magere Ausreden!« riefen die beiden Vettern; »wir verlangen den Ausspruch.«

»Wenn dem so ist,« erwiderte der Mönch, »so würde mein einfältiges Dafürhalten sein, daß es weder Herausforderungen, noch Zuträger noch Schläge geben sollte.«

Die Tischgenossen sahen einer den anderen verwundert an.

»Nun, das ist stark!« sagte Graf Attilio. »Verzeihen Sie mir, Pater, aber das ist stark. Man sieht, Sie kennen die Welt nicht.«

»Er?« sagte Don Rodrigo. »Aha, er kennt sie, Vetter, so gut wie Ihr; ist es nicht wahr, Pater? Sagen Sie, sagen Sie, haben Sie Ihre Schule nicht mit durchgemacht?«

Anstatt auf diese gnädige Aufforderung sich einzulassen, sagte der Pater heimlich ein Wörtchen zu sich selbst: »Die kommen an dich, aber gedenke, Mönch, daß du nicht für dich hier bist, und daß alles, was dich allein betrifft, hier nicht in Betracht kommt.«

»Mag sein,« sagte der Vetter, »aber der Pater ... wie nennt sich der Pater?«

»Pater Cristoforo«, versetzte mehr als einer.

»Aber, Pater Cristoforo, mein hochzuverehrender Herr, mit diesen Ihren Grundsätzen dürften Sie in der Welt das Unterste zu oberst kehren. Ohne Herausforderungen, ohne Schläge, ade, ritterliches Ehrgefühl! Straflosigkeit für alles Gesindel. Zum guten Glück ist die Annahme eine Unmöglichkeit.«

»Wohlan, Doktor!« brach Don Rodrigo los, der das Gespräch immer mehr von den beiden ersten Wortführern ablenken wollte, »wohlan, redet Ihr, Ihr seid der Mann danach, allen recht zu geben. Laßt ein wenig sehen, wie Ihr es anstellt, um hierin dem Pater Cristoforo recht zu geben.«

»In Wahrheit,« erwiderte der Doktor, die Gabel in der Luft geschwungen haltend, indem er sich an den Pater wendete, »in Wahrheit vermag ich nicht einzusehen, wie Pater Cristoforo, der zugleich der vollkommene Ordensgeistliche und Weltmann ist, nicht darauf Bedacht genommen hat, daß sein auf der Kanzel guter, vortrefflicher und vollgewichtiger Ausspruch, mit schuldiger Achtung sei es gesagt, in einem ritterlichen Wortwechsel doch nichts taugt. Der Pater weiß aber besser als ich, daß jede Sache gut an ihrem Orte ist; und so glaube ich, daß er sich diesmal mit einem Scherze habe aus der Verlegenheit ziehen wollen, eine Entscheidung zu fällen.«

Was hätte man wohl Vernunftschlüssen entgegnen können, die aus einer so alten und immer neuen Weisheit abgeleitet wurden? Nichts; und also tat unser Klosterbruder.

Aber um dieses Gespräch abzubrechen, brachte Don Rodrigo ein neues auf. »Dabei fällt mir ein,« sagte er, »ich habe gehört, daß in Mailand von Vergleich die Rede ist.«

Es ist bekannt, daß in diesem Jahre um die Nachfolge im Herzogtum Mantua gestritten wurde, von dem beim Tode Vincenzo Gonzagas, der keine männlichen Leibeserben hinterlassen hatte, der Herzog von Revers, sein nächster Verwandter, Besitz genommen. Ludwig XIII. oder der Kardinal Richelieu wollte ihn als seinen Vielgetreuen und als eingebürgerten Franzosen darin erhalten; Philipp IV., oder der Graf von Olivares, gemeiniglich der Graf-Herzog genannt, wollte ihn allda aus denselben Gründen nicht, und hatte ihm den Krieg angesagt. In Ansehung nun, daß dieses Herzogtum Reichslehn war, bemühten sich beide Parteien, durch Ränke, Vorstellungen und Drohungen beim Kaiser Ferdinand II.; die erstere, daß er dem neuen Herzog die Belehnung bewillige, die andere, daß er sie ihm vorenthalte und selbst Beistand leiste, ihn aus dem Staate zu vertreiben.

»Ich bin nicht abgeneigt, zu glauben,« sagte Graf Attilio, »daß die Sachen sich ausgleichen können. Ich habe gewisse Anzeichen ...«

»Glauben Sie es nicht, Herr Graf, glauben Sie es nicht,« unterbrach ihn der Gerichtsvogt. »Ich kann in diesem Winkelchen dahier die Sache wissen; denn der spanische Herr Kastellan, der mir ein wenig wohlzuwollen geruht, und als der Sohn eines Werkzeuges des Grafen-Herzogs von allem unterrichtet ist ...«

»Ich sage Ihnen, daß ich täglich in den Fall komme, in Mailand mit hohen Personen zu sprechen, und weiß aus guter Quelle, daß der Papst, dem doch so sehr viel an dem Frieden liegen muß, Vorschläge getan hat ...«

»Das muß so sein, die Sache ist in Ordnung, Seine Heiligkeit tut seine Pflicht; ein Papst muß zwischen christlichen Fürsten immer Frieden stiften; aber der Graf-Herzog hat seine Politik, und ...«

»Und, und, und, wissen Sie, mein Herr, woran in diesem Augenblick der Kaiser denkt? Meinen Sie, es sei weiter nichts auf der Welt als Mantua? Es ist für viele Dinge zu sorgen, mein Herr. Wissen Sie, zum Beispiel, inwiefern der Kaiser sich zur Zeit auf seinen Fürsten Valdistano oder Vallistai, wie sie ihn nennen, verlassen kann, und ob ...«

»Sein eigentlicher Name in deutscher Sprache,« fiel der Gerichtsvogt wiederum ein, »ist Vagliensteino, wie ich ihn mehreremal von unserem spanischen Herrn Kastellan habe aussprechen hören. Aber seien Sie nur guten Mutes, denn ...«

»Wollen Sie mich belehren? ...« lehnte sich der Graf dagegen auf; aber Don Rodrigo gab ihm mit dem Knie zu verstehen, er möchte um seinetwillen aufhören, ihm zu widersprechen. Jener schwieg, und der Gerichtsvogt setzte, wie ein von einer Sandbank losgekommenes Schiff mit geschwellten Segeln den Lauf seiner Beredsamkeit fort. »Vagliensteino bekümmert mich wenig, denn der Graf-Herzog hat das Auge auf allem und überall, und wenn Vagliensteino Sprünge machen wollte, wird er ihn schon wieder wohl oder übel die rechten Wege weisen. Er hat das Auge überall, sage ich, und einen langen Arm, und wenn er sich eine Sache einmal in den Kopf gesetzt und sie beschlossen hat, sowie er eben, als der große Politiker, der er ist, beschlossen, daß der Herr Herzog von Revers in Mantua nicht aufkommen soll, so kommt auch der Herr Herzog von Revers dort nicht auf, und der Herr Kardinal von Riciliù wird sich eine vergebliche Mühe machen. Es ist mir nur zum Lachen, daß der liebe Herr Kardinal es mit einem Grafen-Herzog, mit einem Olivares aufnehmen will. Ich möchte in der Tat binnen jetzt und zweihundert Jahren wieder geboren werden, um zu hören, was die Nachkommen zu einer solchen Anmaßung sagen werden. Es gehört mehr dazu als Neid; es verlangt auch Kopf; und der Köpfe, sowie der Kopf eines Grafen-Herzogs, gibt es nicht einen auf der Welt. Der Graf-Herzog, meine Herren,« fuhr der Gerichtsvogt immer mit günstigem Winde und selbst ein wenig verwundert fort, daß er auf keine einzige Klippe mehr stieß; »der Graf-Herzog ist, mit schuldiger Ehrfurcht sei es gesagt, ein alter Fuchs, der da, wen es auch sei, um seine Spur prellen würde; und wenn er nach rechts Miene macht, so kann man sicher sein, daß er links hinhauen wird; woher es denn kommt, daß sich niemals jemand rühmen kann, seine Absichten zu kennen; ja sogar diejenigen, die sie zur Ausführung bringen müssen, selbst die schriftlichen Befehle abfassen, verstehen nichts davon. Ich kann mit einiger Sachkenntnis reden, in Anbetracht, daß jener brave Mann, der Herr Kastellan, sich herabläßt, sich mit einiger Vertraulichkeit mit mir zu unterhalten. Der Graf-Herzog vice versa weiß auf ein Haar, was an allen den anderen Höfen im Topfe kocht; und all die großen Politiker, unter denen es, wie nicht zu leugnen, Schlauköpfe zur Genüge gibt, haben sich kaum einen Plan ausgedacht, so hat ihn schon der Graf-Herzog mit eben seinem Kopfe, auf eben seinen verdeckten Wegen, durch eben seine überall angeknüpften Fäden weggekriegt. Der Kardinal von Riciliù, der arme Mann, tappt dort herum, spürt da etwas, schwitzt und müht sich ab; wozu? Wenn er es dahin gebracht, eine Mine auszuhöhlen, trifft er auf die schon fix und fertige Gegenmine des Grafen-Herzogs ...«

Der Himmel weiß, wann der Gerichtsvogt ans Land gestoßen sein würde; Don Rodrigo aber, auch von den schiefen Gesichtern des Vetters angetrieben, winkte einem Diener, eine gewisse Flasche zu bringen.

»Herr Gerichtsvogt,« sprach Don Rodrigo, »und meine Herren: auf das Wohl des Grafen-Herzogs! und dann sollen Sie mir sagen, ob der Wein eines so vornehmen Herrn würdig sei.« Der Vogt antwortete mit einer Verneigung, durch die sich ein Gefühl besonderer Dankbarkeit ausdrückte, denn alles, was man zu Ehren des Grafen-Herzogs tat oder sagte, eignete er sich teilweise zu, als ob es für ihn geschehen wäre.

»Tausend Jahre lebe Don Gasparo Guzman, Graf von Olivares, Herzog von San-Lucar, der hohe Günstling des Königs Don Philipp des Großen, unseres Herrn!«

»Er lebe tausend Jahre!« antworteten alle.

»Schenkt dem Pater ein«, sprach Don Rodrigo.

»Vergeben Sie mir,« erwiderte der Pater; »aber ich habe schon eine Unregelmäßigkeit begangen und könnte nicht ...«

»Wie!« sagte Don Rodrigo, »es betrifft eine Gesundheit für den Grafen-Herzog. Wollen Sie in Verdacht kommen, daß Sie es mit den Navarresern halten?«

So nannte man damals zum Schimpfe die Franzosen, nach den Fürsten von Navarra, die mit Heinrich IV. angefangen hatten, sie zu beherrschen.

Nach einer solchen Beschwörung mußte getrunken werden. Sämtliche Tischgenossen brachen in Ausrufungen und in laute Lobsprüche des Weines aus, außer der Doktor, der durch Aufwerfen des Kopfes, durch starres Blicken mit den Augen, durch Zusammenpressen der Lippen weit mehr ausdrückte als er mit Worten würde vermocht haben.

»Was sagt Ihr zu dem, he, Doktor?« fragte Don Rodrigo.

Nachdem er eine Nase aus dem Glase gezogen, die hochroter leuchtete als dieses, entgegnete der Doktor, jede Silbe nachdrücklich betonend: »Ich sage, tue kund und zu wissen, daß dies der Olivares der Weine ist; censui et in eam ivi sententiam, daß eine ähnliche Flüssigkeit nicht in allen zweiundzwanzig Reichen des Königs, unseres Herrn, den Gott behüte, zu finden ist. Ich erkläre und urteile, daß die Mittagstafel des gnädigen Herrn Don Rodrigo die Abendschmäuse Heliogabals übertrifft, und daß Mangel und Not für immerdar aus diesem Palaste verbannt und verwiesen ist, wo Pracht und Herrlichkeit thront und herrscht.«

»Wohl gesprochen, gut auseinandergesetzt!« riefen die Tischgenossen im Chore. Aber die Worte »Mangel und Not«, die er zufällig hingeworfen hatte, wendeten aller Sinn mit einem Male diesem traurigen Gegenstande zu, und es sprachen alle von der Teuerung. Hier waren sie in der Hauptsache wenigstens alle einverstanden; der Lärm jedoch war vielleicht noch größer, als wenn eine Meinungsverschiedenheit stattgefunden. Alle sprachen zu gleicher Zeit. »Es ist kein Mangel da,« sagte einer, »die Anhäufer sind's ...«

»Und die Bäcker,« meinte ein anderer, »die das Getreide verhehlen. An den Galgen mit ihnen!«

»Ganz recht, aufgeknüpft, ohne Barmherzigkeit.«

»Ein schöner Rechtsgang«, rief der Gerichtsvogt.

»Ei was, Rechtsgang!« rief der Graf Attilio noch lauter. »Summarische Gerechtigkeit. Man greife ihrer drei oder vier, oder fünf oder sechs, die in der öffentlichen Meinung als die Reichsten und Hundsföttischten bekannt sind, und hänge sie auf.«

»Beispiele! Beispiele! ohne Beispiele geht es nicht ab.«

»Knüpft sie auf! knüpft sie auf! und es wird von allen Seiten Getreide hervorquellen.«

Wer, durch einen Jahrmarkt wandernd, imstande gewesen ist, der Harmonie zu genießen, die eine Bande elender Fiedler hervorbringt, wenn nach dem einen oder anderen Musikstücke ein jeder sein Instrument stimmt und es so durchdringend quietschen läßt als es kann, um es mitten in dem Getöse der anderen deutlich zu vernehmen, der stelle sich vor, daß die Übereinstimmung dieser Reden, wenn man so sagen darf, eine ähnliche war. Es wurde derweil von jenem Weine immer wieder und wieder eingeschenkt, und das Lob desselben ward, wie billig, den Lehren einer wirtschaftlichen Rechtskunde beigemischt, so daß man am häufigsten und schallendsten die Worte vernahm: »Ambrosia,« und »an den Galgen.«

Don Rodrigo faßte inzwischen von Zeit zu Zeit den Mönch ins Auge; dieser sah ihn immer gleich standhaft an, ohne Zeichen von Ungeduld oder Eile zu geben, ohne etwa zu versuchen, durch eine Gebärde daran zu erinnern, daß er warte; aber mit einer Miene, die verriet, daß er nicht wieder fortgehen wolle, ohne gehört worden zu sein. Don Rodrigo hätte ihm gar gern die Wege gewiesen und sich der Unterredung überhoben; aber einen Kapuziner fortzuschicken, ohne ihm Gehör gegeben zu haben, war nicht den Regeln seiner Weltklugheit gemäß. Da also die Verdrießlichkeit nicht zu vermeiden war, beschloß er, ihr sofort entgegenzugehen und sich ihrer zu entledigen; er stand vom Tische auf und mit ihm die ganze weinrote Gesellschaft, ohne ihr Geschrei zu unterbrechen. Von seinen Gästen sich beurlaubend, trat er mit stolzer Haltung zu dem Bruder heran, der sich zugleich mit den anderen erhoben hatte, und sagte zu ihm: »Zu Ihrem Befehl, Pater;« und führte ihn mit sich in ein anderes Zimmer.


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