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Vierzehntes Kapitel

Die zurückgebliebene Menge fing an sich zu verlaufen, sich rechts und links in diese und jene Gasse zu verteilen. Der ging nach Hause, um seine Geschäfte zu besorgen, der entfernte sich mit dem Gelüste, sich nach so mancher im Gedränge zugebrachten Stunde ein wenig im Freien herumzutreiben; der suchte Bekannte auf, um ein bißchen über die großen Begebenheiten des Tages zu plaudern. In gleicher Weise leerte sich die Straße gegen das andere Ende hin, wo das Volk nur in so geringer Anzahl zurückblieb, daß das Fähnchen Spanier, ohne Widerstand anzutreffen, vorrücken und bis dicht an das Haus des Proviantverwalters gelangen konnte. Daran hatte sich sozusagen die Hefe des Aufstandes festgesetzt; eine Handvoll Gesindel, das, über einen so flauen und so unzureichenden Ausgang so vieler Zurüstungen mißvergnügt, murrte, fluchte, beratschlagte und sich aufmunterte zuzusehen, ob nicht noch irgend etwas unternommen werden könnte; und wie versuchsweise rüttelten und stießen sie wiederholt an der armen Tür herum, die neuerdings bestmöglichst verrammelt und gestützt worden war. Bei der Ankunft des Fähnleins brachen sie insgesamt mit einmütiger Entschließung und ohne sich zu beraten auf, schlugen die entgegengesetzte Richtung ein und überließen den Soldaten das Feld, die es einnahmen und sich darauf zur Obhut des Hauses und der Straße lagerten.

Über die Straßen und Plätze der Nachbarschaft aber waren Volksgruppen verstreut: wo nur zwei bis drei stillstanden, blieben drei, vier, zwanzig andere stehen; einige gingen davon, andere traten hinzu: es war wie jenes Gewölk, das zuweilen nach einem Gewitter über den dunkelblauen Himmel verstreut bleibt und hinzieht, so daß man sagt wenn man hinaufschaut: das Wetter hat sich noch nicht recht wieder aufgeklärt.

Hier fand eine mannigfache, verworrene und wechselnde Versammlung statt: einer sprach mit Nachdruck von den besonderen Vorfällen, denen er zugesehen; ein anderer erzählte, was er selber ausgerichtet hatte; einer freute sich, daß die Sache gut abgelaufen sei und rühmte Ferrer und sagte dem Proviantverwalter eine ernsthafte Ahndung voraus; ein anderer verspottete ihn und versicherte, es würde ihm kein Leid geschehen, und eine Krähe hacke der anderen die Augen nicht aus; aber ein anderer brummte grimmiger, die Sachen wären nicht gegangen wie sie hätten gehen sollen, man habe ein falsches Spiel gespielt, und es sei eine Torheit gewesen, soviel Lärm zu machen, um sich hintennach auf solche Art zum besten haben zu lassen.

Inzwischen war die Sonne untergegangen, alle Dinge nahmen nach und nach eine und dieselbe Färbung an, und von dem Tagewerk ermüdet und gelangweilt, in der Dunkelheit zu schwatzen, kehrten viele nach Hause zurück.

Unser junger Mann, der der Kutsche auf ihrem Wege weitergeholfen hatte, so lange Hilfe vonnöten gewesen und dann auch wie im Triumphe hinter ihr drein durch die Reihen der Soldaten geschritten war, freute sich, als er sie außer Gefahr frei und rasch dahinrollen sah; er legte eine Strecke Weges mit der Menge zurück und trennte sich bei der ersten Mündung einer Gasse von ihr, um auch seinerseits ein wenig freier aufzuatmen.

Nachdem er sich ein paar Schritte entfernt hatte, fühlte er, mitten in der Aufregung so vieler Vorstellungen, so vieler Leidenschaften, so vieler frischer und verworrener Erinnerungen, ein großes Bedürfnis nach Speise und Ruhe und begann bald nach der einen, bald nach der anderen Seite aufzuschauen, ob er nicht irgendein Wirtshausschild gewahre; denn um noch nach dem Kapuzinerkloster zu gehen, war es zu spät.

So mit emporgerichtetem Kopfe einherwandernd, stieß er auf eine Gruppe Volks, bei der er stehen blieb und vernahm, daß darin von Vermutungen, Plänen und Vorschlägen für morgen die Rede war. Nachdem er einen Augenblick zugehört, konnte er nicht umhin, ebenfalls sein Wörtchen dazuzugeben, weil es ihn bedünkte, als dürfe, wer so viel verrichtet habe, ohne Anmaßung getrost mit abstimmen. Und da er sich infolgedessen, was er an diesem Tage gesehen, in den Kopf gesetzt hatte, daß, um fortan irgend etwas zu bewerkstelligen, es hinreiche, diejenigen dafür zu gewinnen, die auf den Straßen herumliefen, so rief er in dem Tone, wie man eine Rede beginnt: »Meine Herren! Darf auch ich meine schlichte Meinung äußern? Mein einfältiges Dafürhalten ist dieses: nicht allein mit dem Brote werden Ungerechtigkeiten begangen: und da man nun heute deutlich gesehen hat, daß man erlangt, was billig ist, wenn man es nur so einzurichten weiß, daß man verstanden wird, so muß man es von jetzt an auf diese Weise angreifen, so lange nicht all den anderen Schelmereien abgeholfen wird, bis daß es in der Welt ein klein wenig christlicher hergeht. Ist es nicht wahr, meine Herren, daß es eine Hand voll Tyrannen gibt, die recht eigentlich das Gegenteil der zehn Gebote tun und hinter ruhigen Leuten her sind, die sich ihrer nicht versehen, um ihnen alles Böse zuzufügen und doch hinterdrein immer recht behalten? Ja, wenn sie einmal eine noch ärgere Schurkerei als gewöhnlich begangen haben, den Kopf wohl gar desto höher tragen, so daß es scheint, als hätten sie ein wer weiß wie großes Recht dazu. Auch in Mailand wird ihrer sicherlich ein gut Teil sein.«

»Nur allzu viele,« sagte eine Stimme.

»Ich sage es ja,« versetzte Renzo. »Unsereins weiß auch was davon zu erzählen. Und dann spricht die Sache für sich selbst. Setzen wir nur den Fall, daß einer von denen, die ich meine, mit dem einen Fuße draußen, mit dem anderen in Mailand stehe; nun, wenn er ein Teufel dorten ist, so mag er wohl auch nachgerade hier kein Engel sein, denke ich. Darum lassen Sie einmal hören, meine Herren, ob Sie wohl schon jemals einen von diesen mit dem Gesicht hinterm Eisengitter gesehen haben. Ja, was noch schlimmer ist, und das kann ich für ganz gewiß ausgeben, ist, daß die Verordnungen, gedruckt, da sind, um sie zu bestrafen, und keineswegs Verordnungen, die nicht Hand, nicht Fuß haben, ganz vortreffliche, an denen wir nichts auszusetzen finden würden, darin sind die Schurkereien deutlich aufgeführt, recht wie sie vorkommen, und bei einer jeden ihre tüchtige Strafe. Und es heißt: es sei, wer es sei, niedrig und gering, und was weiß ich. Na, da geht einmal zu den Doktoren, Schriftgelehrten und Pharisäern hin, und sagt ihnen, sie möchten euch Gerechtigkeit verschaffen, so wie es die Verordnungen verhießen: sie werden euch Gehör geben wie der Papst den Spitzbuben, daß gleich ein rechtschaffener Mensch darüber aus der Haut fahren möchte. Man nimmt also deutlich wahr, daß der König und die da gebieten, die Schurken gezüchtigt haben wollen, aber sie machen sich eben nichts draus, weil ein Bündnis besteht. Das muß man also auflösen; man muß morgen zu Ferrer gehen, denn der ist ein Ehrenmann, ein hilfreicher Herr, und heute hat man sehen können, wie froh er war, unter den armen Leuten zu sein, und was für Mühe er sich gab, alles zu verstehen, was man ihm sagte, und wie gnädig er antwortete. Man muß zu Ferrer gehen, und ihm sagen, wie die Sachen stehen, und ich für meinen Teil kann ihm gar Wunderdinge erzählen, denn ich habe mit diesen meinen Augen eine Verordnung gesehen, mit so vielen Wappen, und die war von dreien von denen gemacht, die das Heft in Händen haben, ein jeder hatte seinen ganzen Namen gedruckt darunter stehen, und einer der Namen hieß Ferrer, das habe ich mit meinen Augen gesehen: nun, und die Verordnung besagte denn gerade die rechten Dinge für mich, und da sagte ich einem Doktor, drum eben möge er mir mein Recht angedeihen lassen, wie es der Wille der drei Herren sei, unter denen Ferrer auch mit war; aber der nämliche Herr Doktor, der mir die Verordnung selbst gewiesen hatte, was das schönste ist, ja, ja, der meinte, ich spräche ungereimtes Zeug. Ich weiß gewiß, daß, wenn der liebe, ehrwürdige alte Herr von den schönen Sächelchen etwas hört, denn er kann nicht alles wissen, besonders was draußen geschieht, so wird er nicht wollen, daß es in der Welt ferner so zugehe, und eine ordentliche Abhilfe dafür ausfinden. Und dann muß ihnen doch, wenn sie die Verordnung einmal machen, selber daran gelegen sein, daß man ihnen gehorcht; es ist ja eine Schmach für ihren Namen und eine Grabschrift darauf, wenn man sie für gar nichts ansieht. Und wenn die Gewalttätigen nicht klein beigeben wollen und Umstände machen, so sind wir da, um Hilfe zu leisten, wie es heute geschehen ist. Ich meine nicht etwa, daß er in der Kutsche herumfahren sollte, um alle die gewalttätigen und tyrannischen Schurken einzustecken: ach, ach! dazu reicht nicht die Arche Noah hin. Er muß aber denen anbefehlen, die es angeht, und nicht nur in Mailand, sondern allenthalben, daß sie danach tun, wie die Verordnungen besagen, und muß allen einen tüchtigen Prozeß machen, die solche Gottlosigkeiten begangen haben; und wo es heißt Gefängnis: Gefängnis, und wo Galeere: Galeere; und muß den Gerichtsvögten sagen, daß sie gut tun; wo nicht, sie fortjagen und bessere einsetzen: und dann, wie ich sage, werden wir schon auch bei der Hand sein und Hilfe leisten. Und den Doktoren muß vorgeschrieben werden, daß sie den Armen Gehör geben und nach Recht und Billigkeit sprechen. Ist es nicht so, meine Herren?«

Renzo hatte so herzhaft gesprochen, daß vom ersten Anfange an ein großer Teil der Gegenwärtigen alle anderen Besprechungen ruhen gelassen hatte und zu ihm getreten war, um ihm zuzuhören, ja bis zu einem gewissen Grade waren alle seine Zuhörer geworden. Ein verworrenes Beifallsgeschrei von: »Brav, gewiß, er hat recht, nur allzu wahr!« erfolgte auf seine Anrede. Es mangelte zwar auch nicht an Kritikern. »Ei ja,« sagte einer, »hört nur auf die vom Gebirge: die sind alle Advokaten,« und ging hinweg. »Jetzt,« brummte ein anderer, »will jeder Lumpenhund seinen Senf dazu geben, und darüber, daß sie immer mehr Fleisch zum Feuer setzen, wird man kein wohlfeiles Brot kriegen; wozu haben wir uns denn eigentlich mausig gemacht?« Renzo hörte aber nur die Lobsprüche, einer faßte ihn bei der einen Hand, ein anderer bei der anderen. »Auf Wiedersehen morgen.« – »Wo?« – »Auf dem Domplatze.« – »Schon recht.« – »Ganz gut.« – »Und irgendwas muß geschehen.« – »Und irgendwas muß geschehen.«

»Wollte mir wohl einer der wackeren Herren ein Wirtshaus zeigen, wo ich einen Bissen zu essen bekomme und eine billige Schlafstelle finde?« sagte Renzo.

»Darin kann ich Euch dienen, mein Guter,« sagte einer, der der Predigt ein aufmerksames Gehör geliehen und noch kein Wort gesagt hatte. »Ich weiß gerade ein Wirtshaus, das für Euch paßt, und werde Euch dem Wirte anempfehlen, der mein Freund und ein braver Mann ist.«

»Hier nahebei?« fragte Renzo.

»Unfern,« versetzte jener.

Die Versammlung ging auseinander. Und nachdem Renzo viele unbekannte Händedrücke empfangen hatte, machte er sich mit dem Unbekannten auf den Weg, dem er für seine Höflichkeit Dank sagte.

»Nicht doch, nicht doch,« sagte er, »eine Hand wäscht die andere, und alle beide das Gesicht. Muß man nicht seinem Nächsten behilflich sein?« Und unterwegs tat er Renzo im Laufe des Gesprächs bald die, bald jene Frage. »Nicht daß ich etwa neugierig wäre, Eure Geschichten zu erfahren, aber Ihr scheint mir so müde zu sein; von welchem Dorfe kommt Ihr denn her?«

»Ich komme,« erwiderte Renzo, »da von Lecco her.«

»Von Lecco? Aus Lecco seid Ihr?«

»Aus Lecco ... das heißt aus der Gegend.«

»Armer Mann! nach dem, was ich von Euren Reden verstanden habe, haben sie Euch übel mitgespielt.«

»Ach! mein lieber, braver Herr, ich habe ein wenig an mich halten müssen, um meine Sache nicht so öffentlich preiszugeben; aber ... genug, man wird es eines Tages erfahren; und dann ... Aber, hier sehe ich ein Wirtshausschild, und meiner Treu, ich habe nicht Lust, noch weiter zu gehen.«

»Nein, nein, kommt, wohin ich Euch gesagt habe, es ist nur eine kleine Strecke noch,« sagte der Führer; »hier würdet Ihr nicht gut aufgehoben sein.«

»Ei ja doch,« entgegnete der Jüngling; »ich bin eben nicht so ein verwöhntes und verzärteltes Bürschchen; wenn ich einen Bissen zu essen und einen Strohsack habe, so ist es mir genug, es liegt mir nur daran, daß ich eines wie das andere bald bekomme. Gott befohlen!« Und so schritt er durch eine schlechte Tür, über der das Zeichen des Vollmondes hing, hinein.

»Gut, ich werde Euch hierher bringen, da Ihr es denn so wollt,« sagte der Unbekannte, und folgte ihm.

»Ihr braucht Euch nicht weiter zu bemühen,« antwortete Renzo. »Doch tut mir den Gefallen und trinkt ein Glas mit mir,« fügte er hinzu.

»Ich mache von Eurer Güte Gebrauch,« versetzte jener, und schritt als Ortskundiger über einen kleinen Hof vor Renzo hin, näherte sich einer Glastür, klinkte auf, öffnete sie und trat mit seinem Gefährten in die Küche.

Sie ward von zwei Lampen erhellt, die an zwei an den Querbalken der Decke angebrachten Stangen hingen. Viele emsig beschäftigte Leute hatten es sich hüben und drüben an einem schlechten Tische, der fast die ganze eine Seite des Raumes einnahm, auf Bänken bequem gemacht: hier Tellertücher und Gerichte aufgelegt und aufgetragen, dort Karten, gemischt und ausgespielt, Würfel, ausgeworfen und aufgerafft, Flaschen und Gläser allenthalben. Auf dem ungedeckten Tische sah man auch Berlinghen, Realen und Parpagliolen rollen, die, wenn sie hätten reden können, wahrscheinlich gesagt haben würden: Wir waren heute morgen noch im Kasten eines Bäckers oder in den Taschen irgendeines Zuschauers des Aufruhrs, der vor lauter Achtsamkeit auf den Lauf der öffentlichen Angelegenheiten ganz vergaß, seine Privatangelegenheiten in acht zu nehmen. Das Gelärme war arg. Ein Aufwärter rannte eiligst und schleunigst hin und her, bediente den Eßtisch und Spieltisch zu gleicher Zeit; der Wirt saß auf einer kleinen Bank, unter dem Vordache des Feuerherdes, dem Anschein nach mit gewissen Figuren beschäftigt, die er mit der Feuerzange in die Asche zeichnete oder wieder auswischte, aber in der Tat auf alles aufmerksam, was um ihn her vorging.

Er stand auf, als er aufklinken hörte und ging den Ankömmlingen entgegen. Sobald er des Führers ansichtig wurde, sagte er bei sich: – »Verwünscht! mußt du mir denn immer auf den Hals kommen, wenn es mir am ungelegensten ist?« – Und nachdem er auch einen flüchtigen Blick auf Renzo geworfen: »Dich kenne ich nicht, aber wenn du mit einem solchen Jäger kommst, mußt du entweder Hund oder Hase sein: hast du nur erst zwei Worte gesagt, so will ich dich schon kennen.« – Aber von diesem stummen Selbstgespräche läßt sich nicht das mindeste auf dem Angesicht des Wirtes erraten, das unbeweglich wie ein Bild verbleibt, ein leuchtendes Vollmondsgesicht mit einem starken rötlichen Bärtchen und zwei kleinen, hellen forschenden Augen.

»Was steht den Herren zu Befehl?« sagte er.

»Vor allem eine gute Flasche reinen Wein,« sagte Renzo, »und hernach einen Bissen zu essen.« Mit diesen Worten ließ er sich auf einer Bank am Ende des Tisches nieder und stieß ein schallendes »Ah!« aus, als ob er sagen wolle: so eine Bank tut wohl, wenn man so lange auf den Beinen gewesen ist und sich so abgearbeitet hat. Aber sogleich kam ihm die Bank und der Tisch in den Sinn, wo er zuletzt mit Lucia und Agnes gesessen hatte, und er seufzte auf. Darauf schüttelte er ein wenig mit dem Kopfe, um den Gedanken zu verscheuchen, und sah den Wirt mit dem Weine kommen. Der Begleiter hatte sich Renzo gegenüber gesetzt. Dieser schenkte ihm sogleich ein und sagte: »Um die Lippen anzufeuchten,« worauf er auch das andere Glas füllte und es auf einen Zug hinunterstürzte.

»Was könnt Ihr mir zu essen geben?« sagte er alsdann zum Wirt.

»Ein gut Stück Schmorfleisch?« sprach dieser.

»Ganz recht, Herr, ein gut Stück Schmorfleisch.«

»Sollt gleich bedient sein,« sagte der Wirt zu Renzo; und zu dem Aufwärter: »Tragt für den Gast Sorge.« Und damit ging er dem Herde zu. »Aber ...« hob er wieder an, indem er sich von neuem zu Renzo kehrte: »Brot, das habe ich am heutige» Tage nicht.«

»An Brot,« sagte Renzo mit lauter Stimme lachend, »hat die Vorsehung gedacht.« Zugleich zog er das dritte und letzte jener Brote hervor, die er unter dem Kreuze des heiligen Dionys aufgehoben hatte, hielt es hoch empor und rief: »Das ist das Brot der Vorsehung!«

Bei dem Ausruf drehten sich viele herum, und so wie sie dieses ausgestreckte Siegeszeichen erblickten, rief einer: »Es lebe das wohlfeile Brot!«

»Wohlfeil?« sagte Renzo; » Gratis et amore.«

»Desto besser, desto besser.«

»Aber,« fügte er gleich hinzu, »ich möchte nicht, daß die Herren Arges dächten. Ich habe es nicht etwa stibitzt, wie man zu sagen pflegt, ich habe es auf der Erde gefunden, und wenn ich auch seinen Herr« dazu finden könnte, so wäre ich erbötig, es ihm zu bezahlen.«

»Brav! brav!« riefen die Gesellen, noch überlauter lachend, und es kam keinem von ihnen in den Sinn, daß ganz im Ernste diese Worte eine Tatsache und wirkliche Absicht aussprächen.

»Sie denken, ich habe sie zum besten; aber dem ist wahr, hastig so,« sagte Renzo zu seinem Führer; und indem er das Brot darauf in der Hand hin- und herdrehte, fügte er hinzu: »Seht, wie sie es zugerichtet haben, man hält es für einen Kuchen; aber man scherte sich nicht um den Nächsten. Wenn welche dabei waren, die ein wenig schwächliche Knochen haben, die werden schlecht weggekommen sein.«

Und alsbald riß er einen Bissen nach dem anderen von dem Brote ab und verzehrte ihrer drei bis vier, denen er ein zweites Glas Wein nachschickte; dann setzte er hinzu: »Für sich allein will das Brot nicht hinunterrutschen. Die Kehle ist mir noch niemals so trocken gewesen. Das war ein Gebrülle!«

»Macht ein gutes Bett für den braven Burschen zurecht,« sagte der Führer, »denn er gedenkt hier zu schlafen.«

»Ihr wollt hier schlafen?« fragte der Wirt Renzo, zu dem Tische tretend.

»Ganz gewiß,« antwortete dieser. »Das Bett braucht nicht eben sonderlich zu sein, wenn nur die Laken frischgewaschen sind, denn ich bin zwar ein armer Junge, aber an Reinlichkeit gewöhnt.

»Oh, was das anlangt!« sagte der Wirt, ging zu dem Schenktisch in einer Ecke der Küche und kehrte zurück, in der einen Hand ein Tintenfaß und ein Blatt weiß Papier und in der anderen eine Feder haltend.

»Was soll das heißen?« rief Renzo aus, indem er von dem Schmorfleisch, das der Aufwärter vor ihn hingestellt hatte, einen Bissen verschlang und dazu mit Verwunderung lächelte. »Ist das da ein frischgewaschenes Laken?«

Ohne zu antworten, legte der Wirt das Blatt auf den Tisch, stellte das Tintenfaß daneben, bückte sich sodann, legte den linken Arm auf den Tisch und sagte zu ihm, die Feder emporhaltend und das Gesicht zu Renzo erhoben: »Tut mir den Gefallen und sagt mir Euren Namen, Zunamen und Heimat.«

»Was für Zeug?« sagte Renzo, »was hat das mit dem Bette zu schaffen?«

»Ich tue meine Schuldigkeit,« sagte der Wirt, und sah dem Führer ins Gesicht. »Wir sind gehalten, alle, die wir beherbergen, anzuzeigen und von ihnen Bericht zu erstatten: Namen und Zunamen, und woher er gebürtig, was ihn hierher führt, ob er Waffen trägt, ... wie lange er in dieser Stadt verweilen wird ... So lautet die Verordnung wörtlich.«

Bevor er antwortete, leerte Renzo noch ein Glas, es war das dritte; und von jetzt an, fürchte ich, werden wir sie nicht mehr zählen können. Dann sprach er: »Ah, ha! kommt Ihr mir mit der Verordnung! Ich bilde mir aber ein, daß ich ein Rechtsgelehrter bin, und weiß Knall und Fall, was man auf die Verordnungen gibt.«

»Es ist mein Ernst,« sagte der Wirt, Renzos stummen Gefährten unverwandt ansehend, und, wieder zu dem Schenktische gehend, holte er von dort einen großen Bogen Papier, nämlich ein Exemplar eben der Verordnung, und schlug ihn vor Renzos Augen auseinander.

»Ah, sieh da!« rief dieser, indem er mit der einen Hand das wieder vollgeschenkte Glas erhob und es sogleich von neuem ausleerte; die andere aber sodann mit ausgestrecktem Zeigefinger nach der entfalteten Verordnung vorbewegte: »Was das nicht für ein schöner Meßbuchbogen ist! Ich freue mich unendlich darüber. Ich kenne das Wappen; ich weiß, was das Arianergesicht mit der Schlinge um den Hals besagen will.« – Über den Verordnungen brachte man damals das Wappen des Statthalters an, und das des Don Gonzalo Fernandez de Cordova zeigte einen am Halse geketteten Mohrenkönig. – »Das Gesicht will da sagen: Befehle wer kann, und gehorche wer will. Wenn das Gesicht einmal den Herrn Don ... Genug, ich weiß schon, auf die Galeere geschickt haben wird, wie es auf einem anderen Bogen Meßbuchpapier gleich dem da sagt; wenn es erst dafür gesorgt haben wird, daß ein ehrlicher Junge ein ehrliches Mädchen, das ihn nehmen will, heiraten kann, dann werde ich ihm meinen Namen sagen, dem Gesichte, und werde ihm auch obendrein noch einen Kuß geben. Ich kann ja meine guten Gründe haben, ihn nicht zu sagen, meinen Namen. Das wäre schön! Wenn nun so ein großer Schurke, dem eine Handvoll kleiner Schurken zu Gebote stände, denn wenn er allein wäre ...« und hier ergänzte er die Rede mit einer Gebärde, ... »wenn nun so ein großer Schurke gern wüßte, wo ich bin, um mir einen garstigen Streich zu spielen, so frage ich, ob das Gesicht sich rühren würde, mir beizustehen. Ich soll meine Geschichten ausplaudern! Das ist auch was Neues. Ich bin nach Mailand gekommen, um zu beichten, wegen einer gewissen Angelegenheit, aber ich will, sozusagen, einem Pater Kapuziner beichten und nicht einem Gastwirte.« Der Wirt schwieg still und sah immerfort den Führer an, der nicht muckste.

Renzo, es tut uns weh, es zu sagen, stürzte abermals ein Glas hinunter und fuhr fort: »Ich werde dir einen Grund anführen, mein lieber Wirt, der dir einleuchten wird. Wenn die Verordnungen nichts gelten, die zum Nutzen und Frommen guter Christen da sind, so müssen noch weniger die was gelten, die zu ihrem Schaden da sind. Darum packe du nur alle die Siebensachen wieder ein und reiche dafür noch eine Flasche her, denn der da ist der Hals gebrochen.«

Bei diesen Worten klopfte er ein wenig mit den Knöcheln der Hand daran und fuhr fort: »Horch, wie das hohl klingt!«

Renzos Äußerungen hatten auch diesmal die Aufmerksamkeit der Anwesenden erregt; und als er ausgeredet hatte, erscholl ein Gemurmel allgemeiner Zustimmung.

»Was soll ich tun?« sagte der Wirt, und sah den Unbekannten an, der für ihn keiner war.

»Fort, fort,« riefen viele von den Genossen; »der Landmann hat recht; es sind Bedrückungen, Betrügereien, Plackereien; ein neues Gesetz von heute an, ein neues Gesetz.«

Mitten unter dem Geschrei warf der Unbekannte wegen dieser allzu unverhohlenen Aufforderung dem Wirte einen Blick des Vorwurfs zu und sagte: »Laßt ihn nur ein wenig auf seine Weise gewähren; macht kein Aussehen.«

»Ich habe meine Pflicht getan,« sagte der Wirt laut, und bei sich: – »nun habe ich mir den Rücken frei gemacht.« – Er nahm das Papier, das Tintenfaß, die Verordnung und die leere Flasche, um sie dem Aufwärter zuzustellen.

»Bring von demselben,« sagte Renzo; »denn ich finde, daß er was Rechtes ist, und wir wollen ihn zur Ruhe schicken wie den anderen, ohne ihn nach Namen und Zunamen zu fragen, und was er tun will, und ob er eine Weile in dieser Stadt bleiben wird.«

»Von demselben,« sagte der Wirt zum Aufwarten, indem er ihm die Flasche reichte; und kehrte zu seinem Sitze unter dem Vordache des Herdes zurück. – »Wieder ein Hase!« – dachte er hier, immer in der Asche herumkritzelnd; »und in was für Hände bist du geraten! Du Esel von einem Kerl! Wenn du ersaufen willst, so ersaufe; aber der Vollmondswirt mag um deiner Narrheiten willen nicht zu Schaden kommen.«

Renzo dankte dem Führer und allen anderen, die seine Partei ergriffen hatten. »Wackere Freunde!« sagte er; »jetzt erkenne ich recht, wie Biedermänner einander die Hand reichen und forthelfen.« Dann streckte er die Rechte über den Tisch hinaus, setzte sich von neuem in Positur eines Redners und rief: »Ist es nicht eine ganz absonderliche Sache, daß alle, die regieren, allenthalben Papier, Feder und Tintenfaß einführen wollen? Immer die Feder bei der Hand! Was das nicht für eine Lust an dem Federfuchsen ist!«

»Ei, Ihr Ehrenmann von draußen! Wollt Ihr wissen, woher das kommt?« sagte lachend einer von den Spielern, der gewann.

»Laßt einmal hören,« erwiderte Renzo.

»Das kommt daher,« sagte jener, »weil die Herren die Gänse wegessen und hernach gerade so viele Federn zusammenkriegen, daß sie schon irgendwas damit anfangen müssen.«

Alle hoben an zu lachen, außer der Geselle, der verlor.

»Ei, sieh da,« sagte Renzo, »der ist ja ein Poet. Habt ihr denn hier auch Poeten; die kommen doch allenthalben auf. Ich habe auch solch eine Ader; und mitunter ... aber es muß mir gut gehen ... gebe ich rare Einfälle zum besten.«

Um diese Ungereimtheit des armen Renzo zu verstehen, muß man wissen, daß bei dem Volke in Mailand, und noch mehr der Umgegend, ein Poet nicht eben, wie bei allen Ehrenmännern einen geweihten Genius, einen Bewohner des Pindus, einen Zögling der Musen bedeutet; es meint vielmehr einen wunderlichen, etwas verdrehten Kauz, der in Reden und Tun eher witzig und neu als verständig ist. So vermessen handhabt der gemeine Mann, der Pfuscher die Worte, und legt ihnen Bedeutungen unter, die mit ihrem rechtsgültigen Sinne sich so wenig vertragen und davon so weit abweichen. Denn ich frage einen Menschen, was hat doch der Poet mit einem wunderlichen Kauz gemein?

»Ich will euch aber besser sagen, woher es kommt,« fügte Renzo hinzu: »Es kommt daher, weil sie die Feder in der Hand haben; und also fliegen die Worte, die sie sagen weg und verwehen; auf die Worte aber, die ein armer Junge sagt, passen sie auf und die stechen sie, was hast du was kannst du, gleich mit eben der Feder in der Luft auf, und nageln sie aufs Papier fest, um sich ihrer gelegentlich mit der Zeit zu bedienen. Sie haben auch noch eine andere Tücke, wenn sie nämlich einem armen Jungen ein böses Spiel machen wollen, der sich auf die Buchstaben nicht versieht, aber so ein wenig ... versteht ihr wohl ... hat,« – und um sich verständlich zu machen, pochte er einigemal, und als ob er hineinstoßen wollte, mit der Spitze des Zeigefingers an seine Stirn – »und sich versehen, daß er von dem bösen Spiele was zu merken anfängt, flugs mengen sie so ein paar Worte Latein mit in die Rede, damit er den Faden verliert, daß er aus der Fassung kommt und sich verblüffen läßt. Nun wohl! es wird aber einmal Zeit, daß man von so was wieder abläßt. Heute ist man ja doch auf gut Italienisch mit allem zustandegekommen, und zwar ohne Feder, Papier und Tintenfaß, und morgen, wenn sich die Leute werden zusammennehmen können, wird es noch besser damit vonstatten gehen, ohne daß man irgendwem ein Haar zu krümmen braucht; alles nur nach Recht und Billigkeit.«

Mittlerweile hatten einige der Gesellen wieder angefangen zu spielen, andere zu essen, viele zu schreien; einige gingen fort; andere Leute kamen dazu; der Wirt wartete dem einen wie dem anderen auf; was da alles weiter nichts mit unserer Geschichte zu schaffen hat.

Auch der unbekannte Führer wartete mit Ungeduld darauf, daß es Zeit würde fortzugehen; er hatte an diesem Orte eben nichts zu suchen, wie es schien; indessen wollte er sich doch nicht eher entfernen, als bis er anderweit noch ein wenig mit Renzo insbesondere geplaudert hätte. Er wendete sich ihm zu, spann das Gespräch übers Brot wieder an, und rückte, nach etlichen Redensarten, die seit einiger Zeit gang und gäbe waren, mit einem gewissen Vorschlage heraus.

»Ei,« sagte er, »wenn ich was zu befehlen hätte, ich wollte wohl die Art und Weise ausfindig machen, wie die Sachen gut einzurichten wären.«

»Wie wolltet Ihr denn das anfangen?« fragte Renzo, blickte ihn mit einem Paar kleinen mehr als billig funkelnden Augen an und verzog den Mund, wie um besser hinzuhören.

»Wie ich das anfangen wollte?« sprach jener. »Ich wollte machen, daß Brot für alle da wäre, für die Armen so gut wie für die Reichen.«

»Ah! so wär es recht,« sagte Renzo.

»Merkt auf, wie ich es machte. Erst eine rechtschaffene Taxe, mit der jedermann zufrieden sein könnte. Und dann, das Brot nach so viel Mündern verteilt, als da sind; denn es gibt schamlose Nimmersatts, die lieber alles für sich allein hätten und wohlfeil einkaufen; und hernach haben die armen Leute kein Brot. Darum das Brot verteilt. Und wie fängt man das an? Seht Ihr; da gibt man jeder Familie ihren richtigen Schein, je nach der Anzahl der Münder, um damit zum Bäcker zu gehen und das Brot zu nehmen. Mir, zum Beispiel, müßten sie einen Schein ausstellen, wie folgt: Ambrogio Fusella, seines Handwerks ein Schwertfeger, mit Frau und vier Kindern, alle in dem Alter, daß sie Brot essen – merkt wohl auf –: erhält soundso viel Brot; und bezahlt soundso viel Soldi. Aber nur nach Recht und Billigkeit immer nach Maßgabe der Münder. Euch, um einmal den Fall anzunehmen, müßten sie einen Schein ausstellen, für ... Euer Name?«

»Lorenzo Tramaglino,« sagte der Jüngling, der, von dem Plane ganz eingenommen, sich nicht träumen ließ, daß alles auf Papier, Feder und Tintenfaß berechnet war, und daß vor allen Dingen, um damit zustandezukommen, die Namen der Personen ermittelt werden mußten.

»Ganz gut,« sagte der Unbekannte. »Aber habt Ihr Frau und Kinder?«

»Ich sollte wohl ... Kinder nicht ... das wäre zu bald ... aber die Frau ... wenn es in der Welt zuginge, wie es zugehen sollte ...«

»Ah, Ihr seid ledig! Nun, so habt nur Geduld; aber ein kleineres Mundteil ...«

»Ist nicht mehr wie billig; aber wenn ich nun bald, wie ich hoffe ... Und mit Gottes Hilfe ... Genug; wenn ich nun auch eine Frau nehme?«

»Nun, dann tauscht man den Schein aus und erhöht das Teil. Wie ich Euch gesagt habe; immer nach Maßgabe der Münder,« sagte der Unbekannte, indem er von der Bank aufstand.

»So wäre es recht,« rief Renzo, und fuhr schreiend und mit der Faust aus den Tisch schlagend, fort: »Und warum machen sie nun kein Gesetz auf die Manier?«

»Was wollt Ihr, daß ich Euch sage? Unterdessen wünsche ich Euch eine gute Nacht, und gehe meines Weges; denn ich denke, Frau und Kinder werden schon eine Weile auf mich warten.«

»Noch ein Tröpfchen, noch ein Tröpfchen,« rief Renzo, und schenkte des anderen Glas hastig wieder voll, indem er sich zugleich erhob, und ihn an dem einen Schoß der Jacke festhielt und gewaltsam zog, um ihn von neuem zum Sitzen zu bringen. »Noch einen Schluck; tut mir nicht den Tort an.«

Aber der Freund machte sich mit einem Ruck los, ließ sich von Renzo mit einer Flut von Bitten und Vorwürfen überschütten, sagte nochmals: »Gute Nacht!« und ging. Renzo erwiderte den Abschiedsgruß und fiel dann auf die Bank zurück. Er starrte unverwandt das Glas an, das er gefüllt hatte; und da er den Aufwärter am Tische vorübergehen sah, so hielt er ihn mit einem Winke der Hand auf, als ob er ihm irgend etwas aufzutragen habe; zeigte auf das Glas und sagte mit langsamer und feierlicher Aussprache, indem er die Worte auf ganz besondere Weise betonte: »Siehe da, ich hatte es für den Ehrenmann eingeschenkt; seht zu; bis an den Rand voll, recht wie ein Freund; aber er hat nicht gewollt; manchmal haben die Leute kuriose Ideen. Ich kann weiter nichts tun; ich habe mein Herz ausgeschüttet. Wohlan denn, da es einmal geschehen ist, so muß man es nicht umkommen lassen.« Dies gesagt, nahm er es und leerte es auf einen Zug.

»Hab's verstanden,« sagte der Aufwärter und ging hinweg. –

»Ach! habt Ihr's auch verstanden,« begann Renzo wieder; »also ist es wahr. Wenn die Gründe gut sind ...!«

Hier braucht es nicht weniger, als all der Liebe, die wir zur Wahrheit hegen, um uns zu bewegen, getreulich in einer Erzählung fortzufahren, die einer solchen Hauptperson, man könnte fast sagen, dem Helden unserer Geschichte so wenig Ehre macht. Aus diesem nämlichen Grunde der Unparteilichkeit müssen wir jedoch auch zu wissen tun, daß dies das erstemal war, daß Renzo so etwas geschah und gerade, weil er so gar nicht an solche Ausschweifungen gewöhnt war, schlug die erste für ihn so übel aus. Die paar Gläser, die er gleich anfangs gegen seine Gewohnheit hintereinander hinuntergestürzt hatte, teils um den brennenden Durst zu stillen, den er im Halse empfand, teils aus einer gewissen Aufregung des Gemüts, die ihn nichts mit Maß vornehmen ließ, stiegen ihm sofort zu Kopfe; ein etwas geübter Trinker würde kaum was von ihnen gemerkt haben. Worüber denn unser Anonymus eine Betrachtung anstellt, die wir anführen, sie mag eben für so viel gelten, als sie gelten kann. Mäßige und ehrbare Sitten, sagt er, gewähren auch den Vorteil, daß, je mehr sie in einem Menschen eingewurzelt sind und um sich gegriffen haben, desto leichter er auch auf der Stelle Schaden, oder Ungemach, oder wenigstens Beschwerden davon inne wird, sobald er in irgend etwas gegen sie verstößt; so daß er dann eine Weile daran zu denken hat, und ein Vergehen ihm also auch zur Lehre gereicht.

Dem sei indessen, wie ihm wolle, nachdem einmal jene ersten Dünste Renzo zu Kopfe gestiegen waren, verwirrten sich seine Worte und in dem Augenblicke, wo wir ihn verlassen haben, stand es bereits böse mit ihm. Er fühlte ein großes Verlangen, zu sprechen; an Zuhörern, oder wenigstens an Menschen, die er dafür nehmen konnte, fehlte es nicht; und eine Zeitlang waren auch noch die Worte gutwillig herausgekommen und hatten sich in eine gewisse Ordnung zusammenfassen lassen. Aber nach und nach fiel es ihm gewaltig schwer, seine Redesätze zu beschließen. Der Gedanke, der sich keck und lebendig seinem Geiste dargestellt hatte, verdunkelte sich plötzlich vor ihm und verging ihm; und das Wort, das doch eine Weile hatte auf sich warten lassen, war dann am Ende nicht das schickliche. In diesem Zwiespalte nahm er, zufolge der falschen Naturtriebe, die die Menschen in so vielen Dingen zugrunde richten, seine Zuflucht zu der verwünschten Flasche. Aber was wohl die Flasche ihm in solcher Lage für Hilfe gewähren konnte, das mag ein jeder sagen, der ein wenig bei Verstande ist.

Wir hinterbringen nur einige der vielen überflüssigen Worte, die ihm an diesem unglückseligen Abende entfuhren; die weit zahlreicheren anderen, die wir verschweigen, würden sich gar zu übel ausnehmen; denn sie haben nicht allein keinen Sinn, sondern stellen sich nicht einmal an, einen zu haben, was in einem gedruckten Buche eben eine notwendige Bedingung ist.

»He, Wirt, Wirt!« hob er an, und folgte ihm mit dem Auge rings um den Tisch, oder unter den Feuerherd; faßte ihn manchmal ins Auge, wo er nicht war; und sprach immer mitten in den verwirrten Lärm der Gäste hinein. »Wirt, der du bist! Ich kann ihn nicht verwinden, den Streich mit dem Namen, Zunamen und Gewerbe. Das einem Kerl wie mir! ... Du hast dich nicht gut aufgeführt. Was das nur für ein Vergnügen, was für ein Nutzen, was für ein Spaß weiter ... einen armen Jungen zu Papier zu bringen? Rede ich recht, ihr Herren? Die Wirte sollten es mit den rechtschaffenen Kerlen halten ... Höre, höre, Wirt; ich will dir einen Vergleich machen ... aus dem Grunde ... Sie lachen, he? Ich bin ein wenig voll ... aber die Gründe sind gut. Sage einmal an: wer erhält dir denn deine Wirtschaft. Die armen Kerle; habe ich nicht recht? Schau doch ein wenig auf, ob die Herren mit den Verordnungen ein einziges Mal zu dir kommen, um sich den Mund auszuspülen.«

»Lauter Wassertrinker,« sagte ein Nachbar Renzos.

»Sie wollen für sich bleiben,« fügte ein anderer hinzu, »um recht sauber lügen zu können.«

»Ach!« rief Renzo; »jetzt war es wieder der Poet, der was gesagt hat. Also seht ihr doch auch meine Gründe ein. Nun so antworte mir, Wirt; ist wohl auch nur etwa Ferrer, der der Beste von allen, je hierher gekommen, um einmal anzustoßen und einen roten Heller zu verzehren? Und der schurkische Hund von Don ...? Ich schweige still, denn ich bin noch bei meinem vollen Verstände. Ferrer und der Pater Crrr... das weiß ich, sind ein paar Ehrenmänner; aber es gibt nicht viele Ehrenmänner. Die Alten sind ärger als die Jungen, und die Jungen ... schlimmer noch als die Alten. Dennoch bin ich froh, daß nicht gemordet worden ist: I bewahre; das sind Grausamkeiten, die man dem Henker überlassen muß. Brot; oh, das ja. Ich habe einmal derbe Stöße weggekriegt; aber ... ich habe auch welche ausgeteilt. Platz! Gute Zeit! Lebe hoch! ... Und hernach, auch Ferrer ... so ein Wörtchen auf Latein ... siés baraos trapolorum ... Verwünschtes Laster! hoch! Gerechtigkeit! Brot! ja, das sind die rechten Worte! ... Da wollten wir Kameraden gerade ... als das verdammte Ton, Ton, Ton und wieder Ton, Ton, Ton losgeht. Er entkäme mir nicht wieder, siehst du wohl, wenn ich ihn jetzt hier hätte, den Herrn Pfarrer ... ich weiß, wen ich meine!«

Bei diesen Worten senkte er den Kopf und blieb eine Weile wie in eine Einbildung versunken; dann stieß er einen herzbrechenden Seufzer aus und richtete ein Gesicht mit einem Paar so tränender Augen, voll einer so widrigen, plumpen Betrübnis in die Höhe, daß es nicht gut für ihn gewesen wäre, wenn der Gegenstand derselben ihn einen Augenblick so hätte sehen können.

Aber jene Kerle, die schon angefangen hatten, sich über die leidenschaftliche und verwirrte Beredsamkeit Renzos lustig zu machen, hielten sich nun desto mehr noch über seine zerknirschte Miene auf; die nächsten sagten zu den anderen: »Seht her«; und alle wendeten sich ihm zu, so daß er die Zielscheibe des Gespötts der ganzen Rotte ward. Nicht etwa, daß sie darum alle völlig bei Verstande, oder doch bei dem sogenannten Verstande gewesen wären, der ihnen zu Gebote stand; die Wahrheit zu gestehen, hatte ihn nur keiner so wie der arme Renzo eingebüßt; und der war nun gar noch ein Landmann obendrein.

Sie begannen bald der eine, bald der andere, sich mit albernen, ungeschliffenen Fragen, mit spöttischen Höflichkeitsbezeigungen an ihm zu reiben. Er machte bald Miene, darüber böse zu werden, bald nahm er die Sache von der lächerlichen Seite, bald sprach er von ganz was anderem, ohne sich an all das Geschrei zu kehren: bald antwortete, bald fragte er, immer außer dem Zusammenhange und zur Unzeit.

Gleicherweise war ihm in dieser Faselei eine gewisse instinktartige Achtsamkeit verblieben, die Namen von Personen nicht zu nennen, so daß denn auch derjenige hier nicht ausgesprochen wurde, der seinem Gedächtnisse am festesten eingeprägt sein mußte; es würde uns doch gar zu leid gewesen sein, wenn der Name, für den wir desgleichen ein wenig Zuneigung und Achtung empfinden, in die garstigen Mäuler gekommen wäre, den ruchlosen Zungen zur Kurzweil gedient hätte.


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