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Achtzehntes Kapitel

Der frühere Reichskanzler, Generaldirektor Dr. Karl August Schattich, war in einem Zustand von Auflösung. Mit seinem Glück wankten auch seine sittlichen Begriffe. Nicht nur, daß auf einmal alles schiefging; sofort empfand er es wie die über ihn hereinbrechende Vergeltung für Taten, die er doch lange genug als Verdienst gebucht hatte.

Er verließ das Haus seines neuen Feindes List auf der Flucht vor sich selbst, vor seinem Mörder Emanuel – und sogar verfolgt von der Erscheinung seines alten Freundes Birk. Denn selbst Birk, dessen einfachste Pflicht es war, im heimatlichen Krankenhaus zu liegen, hatte es fertiggebracht, zu der lebensgefährlichen Hetze gegen seinen alten Freund grade recht zu kommen.

Schattich ging aus jenen wilden Vorgängen als ein gläubiger Mensch hervor. Im Grunde hatte er immer gewußt, daß mit ihm etwas nicht in Ordnung sei. So viel Glück auf Kosten anderer! Vorrechte hinter dem Rücken der Gesetze, Gewinne zum Schaden der Gesellschaft – und dies jahrzehntelang ununterbrochen, als müßte es so sein. Seine Existenz war allerdings zugelassen und versorgt innerhalb eines anerkannten Systems; List gehörte hinein, Schattich gehörte hinein, aber nicht etwa Birk. Nur mußte man sich auch halten, das war die Bedingung – sich aus eigener Kraft in einem fort unentbehrlich machen und unangreifbar bleiben. Einmal aus dem System verdrängt und vom Verdienen ausgeschaltet, war ein Mann wie Schattich schlimmer daran als sogar sein alter Freund Birk, der sowieso nie gezählt hatte.

Er fuhr nicht in sein eigenes Haus, wo er so bequem hätte ausschlafen können. Er nahm ein Zimmer in einem Hotel zweiten Ranges und schrieb sich unter falschen Namen ein, wie erst kürzlich ein betrügerischer Rechtsanwalt, der hier den Augenblick erwartet hatte, Hand an sich zu legen. Karl August Schattich entfaltete noch immer einige Tätigkeit. Er rief einen Geschäftsfreund an, so spät es schon war – einen Herrn derselben Gesellschaftskreise und ausgesprochenen Klassengenossen, der bisher in jeder Hinsicht bereit gewesen war, Dr. Schattich zum Reichsbankpräsidenten zu wählen. Siehe da, das hatte sich geändert: so schnell handelte Egon von List. Ihm wurde rundheraus gesagt, er sei nicht mehr erwünscht. Wenigstens gab es in seiner Welt keine Umständlichkeiten, und die Rede war direkt. Sofort hielt der unglückliche Spieler sich versichert, er werde überall dasselbe hören.

Nun hatte der Posten des Reichsbankpräsidenten für Schattich die Versorgung bedeutet, er war das Ende der Existenzangst des Reichen, die endgültige Befreiung von dem überlebensgroßen Dämon der Chance. Einmal ein Ruhekissen – das dann auch wieder keins gewesen wäre; aber der Spekulant Schattich sah es noch dafür an. Daher wirkte der Abbruch dieser Angelegenheit auf ihn verheerend. »Reichsbankpräsident wird ein Würdigerer«, hatte List ihm verheißen. Richtig; würdig war jener, der es fertigbrachte. Hier blieb einer auf halbem Wege liegen. Daher erkannte auch Schattich selbst sich als unwürdig.

Seine Laufbahn in Politik und Verwaltung konnte für beendet gelten. Im Geschäftlichen hatte er nicht nur die für ihn doch geradezu gedachte Erfindung seines alten Freundes Birk in katastrophaler Weise aus der Hand verloren. Das war nicht das schlimmste; aber seine Absicht ging vorher auch dahin, den Konzern zu schädigen. Wie? Das war gerechtfertigt, wenn es gelang. Statt dessen war es mißglückt, infolgedessen erhoben sich jetzt zweifellos Stimmen. Schattich kannte die Welt, die hauptsächlich für seinesgleichen dagewesen war und deren Härte vor allem die anderen gefühlt hatten. Er wußte, wie es kam, wenn auf seine eigene Schulter die schwere Hand fiel. Seinen mißlungenen Streich meldete die Kontrollabteilung!

Dank den unausweislichen Mächten, die nach so vielen anderen jetzt ihn persönlich in Arbeit zu nehmen drohten, veränderte Doktor Schattich sich in sittlicher Hinsicht und wurde gläubig. Er erkannte, daß der Mensch nicht geschaffen ist, den Menschen aufzufressen wie zum Beispiel er seinen alten Freund Birk. Früher oder später treten Rückschläge ein, ein Stärkerer verschlingt dich selbst, du stehst vor den Resten deines Lebensbestandes, so blöde wie ein Kind, das nicht einmal den Anfang begreift. Wer hätte es jemals vorausgesehen, du machst neben der Enttäuschung, die deine Begleiterin auch im Glück war, eine ganz neue Bekanntschaft: die Reue.

Würde Dr. Schattich im Besitz eines Revolvers so gehandelt haben wie einer der letzten Bewohner dieses zweitrangigen Hotelzimmers? Nein. Im gegenwärtigen Augenblick blieb ihm genug sittlicher Halt; es sollte übrigens weiter mit ihm kommen … Hier und jetzt beschloß er, in Sachen der Erfindung sich ganz und gar umzustellen und fortan anständig, ja, christlich zu handeln. Er empfand die aufrichtige Neigung, seinem alten Freunde Birk den vollen Wert der Erfindung einzugestehen und ihren Ertrag redlich, ja sogar einfältig mit ihm zu teilen. Karl August dachte es sich derart, daß er sich ins Ausland zu seinem Bankkonto begab und, für den Konzern nicht ohne weiteres erreichbar, das Geschäft aufzog. So wurde aus der großen Sache, wenn er sie nur bekam, der Umschwung, auch der innere, seines irdischen Wandels. Dafür wäre Karl August seinem Freund Birk – ach, was denn, seinem Freund: seinem Mörder Emanuel wäre er vor die Füße gefallen!

Am Vormittag des Dienstags gab er das Zimmer auf, die eine kritische Nacht hatte ihm reichlich genügt – und nahm eine Taxe nach Tempelhof, um den regelmäßigen Flugdienst zu benutzen. Er hatte noch Zeit gefunden, sich von einem Detektivinstitut einen Mann zur Bewachung mitgeben zu lassen. Um korrekt und nahezu christlich vorgehen zu können, müssen wir leben. Karl August sah nicht ein, wozu er seine persönliche Sicherheit noch weiterhin sollte gefährden lassen.

Gleich bei der Ankunft an seinem Wohnsitz fand sein Begleiter Gelegenheit, sich als tüchtig zu erweisen. Er packte einen Menschen, der an den Generaldirektor heranzudrängen versuchte. Dann mußte er ihn aber wohl loslassen, denn der Mann erwies sich als Expreßbote des Chefbüros. Karl August las, daß er von seinem Dienst enthoben sei, und glaubte es nicht, obwohl er es erwartet hatte. Teils, weil er es erwartet hatte, teils, weil er es nicht glaubte, bewahrte er eine feste Haltung. Sein Wagen brachte ihn nach Hause. Als er ausstieg, fühlte er sich erleichtert und schickte seinen Leibwächter zum Essen in das Hotel hinüber. Hätte er es nie getan!

Im Flur, noch bevor er den Aufzug erreicht hatte, sprang eine Gestalt, die ein Messer schwang, vor ihm in die Luft. Der schöne Frühlingstag hatte Karl August geblendet, er sah hier nichts, hinter der Treppe lag Dunkelheit, darin sprang die Gestalt, schwang das Messer und schrie hohl: »Jetzt wirst du gekillt, Schattich!«

»Betragen Sie sich doch ordnungsgemäß!« verlangte Karl August. »Wer sind Sie, und was wollen Sie?«

»Kommt nicht in Frage. Gekillt wirst du, Schattich, auf dir lauere ich seit Sonntag abend.«

Er sprang hin und her, erlaubte seinem Opfer weder vor- noch zurückzugehen, stach bei jedem Versuch des anderen, ihm auszuweichen, darauf los und schien vor allem bedacht, diesen Zustand recht lange aufrechtzuerhalten.

»Mensch, ich lasse dich einsperren«, keifte Schattich, er bekam in der Erregung eine Tenorstimme.

»Ha! Wie meine Mutter, in Buch. Was denn! Das kannst du, Schattich! Die Leute ausbeuten, abbauen, verrückt machen, einsperren – sie dem Suff in die Arme treiben und enterben! Wo ist mein Erbteil! Ich bin kein Roter, mir ist noch das Erbe meiner Väter heilig! Mal her damit! Papa Schattich!«

Diesmal stach er nicht mehr in die Luft, sondern durch den Ärmel Karl Augusts, der aufschrie, wie leicht konnte es eine Schramme geben. Dabei hatte er das Gefühl, daß hinter ihm sich mehrere Personen ansammelten, nur hüteten sie sich, ihm beizustehen. Sein Chauffeur, ein Feigling, mußte dabeisein. Er rief den Namen, Fränkel. Umdrehen konnte er sich nicht, wegen des Messers. Eine Stimme antwortete: »Hier Landsegen.«

Eine mehr weibliche Stimme sagte: »Wir sind es nur, Herr Generaldirektor.«

Seine Portiers! Er befahl ihnen kurz, heranzukommen und seinen Gegner von beiden Seiten zu umklammern.

»Ich hole doch lieber 'nen Schupo«, äußerte die Frau.

»Im Deutschen Haus sitzt mein Detektiv!«

Schneider Landsegen ergriff das Wort.

»Herr Generaldirektor, wir müssen uns früher oder später doch aussprechen.«

»Sie meckern hinten, und vor mir tanzt ein Verrückter!«

»Er ist mir zugelaufen. Ich habe ihn gezähmt, so gut es ging, und habe Sie vor ihm geschützt. Er wollte Ihnen immer schon was erzählen wegen seiner Mutter, die jetzt in Buch sitzt, und als sie Ihre Braut war, kam Mulle.«

»Was heißt hier: kam Mulle?«

»Das ist Ihr Sohn, Herr Generaldirektor. Ihr Erbe, wie er sich nennt in seiner dämlichen Art. Er hat nun mal die Leidenschaft fürs Erben.«

»Sie wohl auch, Landsegen?«

»Ich muß sehen, wo ich hinkomme. Ausgeschlossen, daß ich die Verantwortung noch länger allein trage. Ich sage alles den Zeitungen, Herr Generaldirektor.«

»Dann werden Sie sehen, wohin Sie kommen. Auch hinter Schloß und Riegel, Sie gewöhnlicher Erpresser.«

»Das laß ich mir nicht sagen!«

Karl August hörte hinter sich den schweren Schritt nahen, der Irre dagegen vor seinen Füßen sprang und stach nicht nur – aus seinem flachen, völlig durchnäßten Gesicht, das der Verfolgte jetzt hinlänglich unterschied, sandte er ein regelmäßiges Fauchen und Zischen, wie mechanisch betrieben. Karl August ergriff den einzigen Ausweg. Bevor der rückwärts anmarschierende Feind zu dem frontal vorgehenden stoßen konnte, durchstieß der Bedrängte die vor ihm liegenden Stellungen. Mulle flog zur Seite, Karl August schoß kugelförmig durch eine hintere Tür in den Monbijou-Park. Mulle und Landsegen betrachtete erstaunt die schon wieder geschlossene Holzfüllung. In der Eile schien es ihnen, als wäre sie niemals geöffnet worden und ihr Opfer wäre trotzdem mitten hindurch entkommen. Gleich darauf setzten beide ihm nach.

Sie sahen ihn laufen und verständigten sich über die Arbeitsteilung. Der behendere Mulle eilte voraus zu einem entfernteren Baum und empfing dort das Wild mit dem Messer. Machte es voll Schrecken kehrt, dann wartete an einem der vorderen Stämme der behäbigere Landsegen.

»Bleiben Sie man bei mich!« lockte er. »Herr Generaldirektor, wir beide werden noch mit dem dummen Jungen fertig!«

Aber Karl August traute ihm nicht, er sprang tiefer in den Park, um nur wieder Mulle zu begegnen – wendete sich und stieß nochmals auf Landsegen. Sooft Mulle ihn kommen sah, schüttelte er die Faust, die nicht das Messer hielt, gegen das dritte Stockwerk des Hauses. Aus einem der Fenster sah Nora Schattich zu.

Es waren furchtbare Gefühle für Nora. Sie konnte sich von dem Anblick nicht trennen, obwohl er sie ekelte und empörte. Sie weidete sich; aber ihr Vergnügen strengte sie in schädlichster Weise an, nicht viel anders als eine Operation ohne Narkose, die sie an ihrem eigenen Leibe, immer unheimlich zwischen Schmerz und Lust, mit angesehen hätte. In solche Lage kam eine Dame wohl zeit ihres Lebens höchstens einmal, bemerkte Nora.

Dabei übersah sie auch dies nicht. Der Vorgang entsprach eigentlich mehr dem, was sie erträumt hatte, als der äußeren Wahrscheinlichkeit. Warum machten jene beiden Leute noch immer kein Ende mit Schattich? Sie spielten mit ihm gehetztes Wild und grausamer Jäger, ohne es aber bis zum Äußersten kommen zu lassen, was auch den Absichten der Dame wenig entsprochen hätte. Der von ihr angestiftete junge Mensch hatte es mit ihr selbst, es war Montag morgen um zwei oder drei, leider allzu genau genommen. Hätte er doch auch das nur halbwegs angedeutet, wie jetzt bei ihrem Mann, wo es nach Spielerei aussah und der Zuschauerin alle Gefühle erlaubte, ohne daß im Ernst etwas geschah! Gefühle und die Hauptsache.

Von seiner langjährigen Gefährtin beobachtet, schwang Karl August sich um Baumstämme, flog von einem seiner Verfolger zum andern und entkam ihnen noch jedesmal, wobei er manchmal einen merkwürdig hellen Schrei ausstieß, man dachte an eine Knabenstimme. Karl August erschien bei all dem unschuldig, wie in Kinderzeiten. Sichtlich hatte er eine längst verlorene Seele zurück. Wo blieb die seither erworbene höhnische Überlegenheit des Erfolges, wo die Majestät der Macht? Noch vor kurzem hatte seine Zuschauerin ihn schrecklich wie das Leben selbst gesehen. Wie harmlos war jetzt Karl August! Das freute Nora. Es erlaubte ihr auch Mitempfinden, und wie lange nicht oder wie noch nie, konnte sie sich ihm ein wenig verbunden glauben. O schön, sie hatte nicht nur böse Gefühle! Er, den sie im besten Falle Schattich, sonst meistens den Reichskanzler, den Schieber und ihren ärgsten Feind genannt hatte, jetzt um die Bäume hüpfend, hieß er zum erstenmal Karl August.

So sah es sich von oben an. Für Karl August hingegen nahte leider der Augenblick, da sein Herz sich ihm versagte. Mit den Kräften schwinden auch die Feinde, das arme Opfer ließ sich, um Mulle und Landsegen unbesorgt, auf eine Gartenbank fallen, es lag lang hingestreckt … Da aber wuchsen vor Glück bis in die Höhe des dritten Stockwerkes Mörder Mulle und seine Siegesfratze. Er wurde so ausdrucksvoll, daß Nora sein nasses Gesicht nahe, ja, es gleich vor ihrem Fenster zu sehen meinte – während er sich doch tief unten abarbeitete.

»Du hast mich nie geliebt! Warte man, kommst auch dran!«

Dies rief er ihr im Anlauf noch zu, das Messer aber schwang er schon über Karl August. Es wurde ernst diesmal, Mulle stieß sein Schlachtgeschrei aus: »Wanze!«

Hier aber fiel ihm jemand in den Arm und drosselte die mörderische Hand ab, sie mußte das Messer loslassen.

Nora droben schloß das Fenster und trat ab; – was alles sie bewegte! Ihr Wunschtraum brach jählings zusammen, das tat weh. Dennoch Erlösung: Karl August war gerettet. Seine Mörderin wäre sonst sie selbst geworden. Der von ihr Gedungene hatte auch sie bedroht, das entlastete sie teilweise – wenn er auch außerstand gesetzt war, ihre Schuld an ihr zu rächen; aber das war vorzuziehen.

Emanuel, kein anderer, entwaffnete Mörder Mulle. Dieser selbst betitelte sich so.

»Ich bin Mörder Mulle«, stellte er sich stolz den Leuten vor, die endlich eintrafen. Solange hatte der Park infolge der wiederbeginnenden Arbeitszeit der Bevölkerung verödet dagelegen. Sollte ein Kindermädchen sich an seinen Rändern umherbewegt haben, sicher hatte sie längst das Weite gesucht. Jetzt kamen mit den Pflegerinnen die Fleischergesellen, Chauffeure, ja, schon einige Damen und Herren. Für den Schupomann nahte der Augenblick, zu erscheinen, langsam, aber sicher. Inzwischen triumphierte Mulle.

»Das ist mein Opfer« – damit zeigte er auf den daliegenden Schattich, den er für tot hielt, obwohl er nie zugestoßen hatte. »Gleich kommt die Olle dran, ich bin der nachweislich jüngste Doppelmörder«, behauptete er vorweg, »ich schlage den Rekord. Sind Herren von der Presse da?«

»Wieso machen Sie das ganze Theater?«

»Und mein Erbe ist gar nichts? Ich bin sein Sohn, er hat meine Mutter enteignet und mich enterbt, das ist ein Dolchstoß in den Rücken der bestehenden Gesellschaftsordnung. Mal ran, wer mir was will!« rief er und riß sich los.

Er mußte vom gesamten Publikum erst wieder eingekreist werden. Auch der Schattichsche Leibwächter beteiligte sich, er ließ endlich von Schneider Landsegen los, mit dem er während der letzten Ereignisse gerungen hatte. Beide waren dicke Männer und befanden sich jetzt im entsprechenden Zustand.

»Was wollen Sie denn, Sie Rindvieh!« schalt Landsegen. »Ich bin doch sein Portier. Wenn er mir nicht gehabt hätte! Meine Frau hat Sie aus 'm Deutschen Haus geholt. Sie, das soll man niemand rumsprechen, daß Sie präpeln, wenn Ihr Kunde 'n Mörder auf die Hacken hat.«

»Dafür bezahlt er Sie vielleicht?« fragte Frau Landsegen. Der Leibwächter mußte dem Ehepaar recht geben. Alle drei schlossen sich der Jagd auf Mulle an.

Kaum wußte Schattich sich allein, schnellte er von der Bank. Seine Behendigkeit nach so viel Schrecken entsprang nicht mehr der Todesangst – Scheu vor der Welt war es, was ihn zur Flucht zwang. Verwirrung der Gefühle war es. Er sah sich aber dem jungen Rapp gegenüber.

»Herr Generaldirektor, hier ist die Bombe«, sagte Emanuel.

»Welche Bombe, Mensch?«

Schattich konnte sich so schnell auf keins seiner einst eingeleiteten Geschäfte besinnen.

»Wo Sie so mächtig hinterher waren. Na? Die ganz große Sache. Jetzt ist sie greifbar. Ich habe es mir überlegt. Die Erfindung gehört dem Konzern. Ich liefere sie Ihnen aus.«

Wieviel besser war hier Schattich als Emanuel – der in Wahrheit gar nichts auslieferte oder aufgab, denn er hatte nichts, trotz dem bombenförmigen Gefäß, das er dem Armen vorgaukelte; denn inzwischen war Emanuel bei Birk gewesen und kannte die Wahrheit … Ihn lenkte höchstens Neckerei, der Schmerz über die verlorene, erst durch einige unerhörte Worte seines Schwiegervaters ganz zerstörte Chance, ihn lenkten Hohn und Rachegelüst. Wohl hatte er seinen Feind vor dem Mörder errettet; dafür übergab er ihm jetzt eine Bombe, die keinen Reichtum, kein Glück mehr enthielt.

Karl August sah sie an und meinte, den Tod könne sie immer noch bringen – was gleichfalls ein Irrtum war. Die Bombe konnte ihn das geliebte Leben weder gewinnen noch verlieren lassen, sie war in Wirklichkeit ohne Kraft und Gewalt. Karl August nahm sie entgegen – nicht um des Gewinnes wegen, oder doch nur, soweit Strafe ein Gewinn ist.

»Ich danke Ihnen«, sagte Karl August. »Ich will davon den besten Gebrauch machen … Ich habe von den Menschen immer das Beste gehalten«, sagte er so unvermittelt wie ehrlich. Emanuel konnte sich nichts dabei denken, aber Karl August war nachgrade erfahren genug, um zu merken, daß die Welt richtiger und der Menschennatur entsprechender würde, wenn sie besser würde. Es wäre unendlich leichter gewesen, keine Inflation zu treiben, die Familien und Klassen nicht zugrunde zu richten und besonders seinem alten Freund Birk nicht nachzustellen. Solche, aus den Gesetzen herausfallenden Sitten konnten zeitweilig Erfolg haben, dann aber rächten sie sich bitter. Das Letzte, was sein alter Freund ihm noch abzutreten hatte, war diese Bombe; mit ihr aber empfing Karl August aus der Hand, die das größte Recht, zu strafen, hatte, auch schon seine Buße.

»Ich weiß, was mir zu tun bleibt«, schloß er gehalten, wenn auch keineswegs ohne Kraft, und ging – nicht in sein Haus, sondern durch die öffentliche Pforte des Parkes auf die Straße.

Emanuel blickte ihm nach und dachte ungerührt: ›Den holt der Deubel.‹

Die gütigeren Kräfte, die in Karl August wohnten, wie Reue und Läuterung, der Junge begriff sie noch nicht.


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