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Drittes Kapitel

Der eintretende Mann betrachtete den Oberingenieur mit Entsetzen. Margo, die beiseite trat, wurde von ihm nicht beachtet.

»Jawohl«, äußerte er aus tiefer Anschauung, »so muß es kommen.«

Birk sagte: »Es ist noch mal gut gegangen – gerade wie bei Ihnen damals.«

»Das ist was anderes, ich war blau. Ich wäre das ganze Gerüst hinuntergefallen, wenn Sie mich nicht gehalten hätten, Herr Oberingenieur.«

»Seitdem, Laritz, kommen Sie immer nüchtern zur Arbeit. Was bringen Sie mir da mit?«

Denn der Mann wog in seinen kräftigen Händen ein Päckchen.

»Das hab ich gefunden«, erklärte er. »Es lag an der Stelle, wo Sie umfielen, Herr Oberingenieur. Ich denke mir, ob es nicht Ihres ist.«

»Siehst du, Margo? Das ist es. Wenn du dich nicht fürchtest, nimm es und gib es deinem Mann.«

Sie nahm das Päckchen, wog es wie vorher der Arbeiter und legte es unschlüssig weg.

»Sind Sie versichert?« fragte Laritz wieder voll Entsetzen. »Bezahlt die Direktion Ihre Krankheit? Wenn ich an meine Familie denke, im Fall daß mir was zustößt! Die Kinder arbeiten noch nicht.«

»Meine arbeiten schon«, sagte Birk, aber darauf hörte der Arbeiter nicht mehr.

Er war ein junger, gut gekleideter Mann mit rundem Gesicht, und eigentlich hatte er schnelle Bewegungen. Nur hier vor dem Bett des Verunglückten erstarrte er immer gleich wieder.

»Früher dachte ich an keine Unfälle – erst seit damals, als Sie mich grade noch retteten. Schlimm für einen Arbeiter, wenn man erst dran denkt.«

»Meine Frau dachte immer dran«, sagte Birk.

»Und meine?« Laritz fuhr auf, während er sich erinnerte.

Hier wurde geklopft. Gleichzeitig erschien ein Herr im Cut, rundlich, aber behende. In der Hand hielt er die Melone, und auf dem Kopf hatte er kein Haar. Der Ausdruck seines befehlsgewohnten Gesichts wurde beim Anblick des Arbeiters hart genug, daß der Mann den Platz am Bett eilends freigab.

»Alter Freund!« rief der Besucher. Plötzlich zeigte er mit hängender Lippe und schlaffem Hals eine Miene voll Herzlichkeit und Trauer. Die farblosen Augen wurden sogar dummlich. Er streckte dem Kranken beide Hände hin – sah aber dabei ausgezeichnet, daß der Arbeiter sich seitwärts hinausschleichen wollte.

»Bleiben Sie nur!« befahl er, sofort wieder gestrafft.

»Darf ich dir Herrn Laritz vorstellen«, warf Birk ein.

»Herr Laritz, Sie kennen natürlich Herrn Generaldirektor Schattich.«

Dieser für Birk so einfache Vorgang brachte beide aus der Fassung. Der Arbeiter versuchte eine Verbeugung, führte sie aber nicht aus. Der frühere Reichskanzler ließ die Augen umherirren. Dabei entdeckte er eine weibliche Gestalt. Sie saß halb verdeckt vom Vorhang des Fensters. Sie stand auf, da der Herr auf sie zukam, und war nun größer als er. »Entzückend!« bemerkte er eben deshalb. »Deine Tochter ist wieder hübscher geworden, alter Freund.«

Hierauf erging er sich in lauten Klagen über das Unglück seines alten Freundes.

»Ich sitze im Büro, mir kann das nicht passieren, es ist eine Schande«, äußerte er schließlich, gedrängt durch seine eigenen Worte, die sich steigern mußten, um wirksam zu bleiben. So kam es, daß er zu seiner Überraschung auch den Arbeiter mit hineinzog.

»Wenn ihr mal abstürzt oder zwischen was kommt, habt ihr die Sozialversicherungen. Die habt ihr von mir.« Im gehobenen Ton: »Die hat Reichskanzler Schattich gemacht. Vertieft und ausgebaut haben wir sie mal sicher.«

Seine Miene forderte eine Antwort, Laritz gab sie, weil er mußte.

»Es ist nur nicht viel damit los, wenn es Ernst wird. Von den Witwen red ich nicht erst.«

»Meine Witwe bekommt gar nichts!« erklärte der Generaldirektor sofort. »Keinen Pfennig!«

Dies brachte den Mann zum Schweigen. Schattich nutzte seinen Vorteil.

»Ja sehen Sie, mein Lieber, für irgend etwas langt es eben nicht mehr. Meine Frau trägt ausschließlich seidene Strümpfe – Ihre natürlich auch. Das büßen sie dann als Witwen.«

Er hatte dabei ein Gesicht wie jeder gute Mitbürger, dem die bitteren Tatsachen einfallen. Was Laritz immer hätte einwenden wollen, er stutzte und war ergriffen.

Schattich bekam auf einmal sein Cäsarengesicht.

»Mit Rücksicht auf Ihre künftige Witwe sollten Sie auch nicht in KPD-Versammlungen sprechen, Herr Laritz«, sagte er – nichts weiter, aber es war die Enthüllung. Der Arbeiter bekam in diesem Augenblick die Gewißheit, daß der allumfassende Generaldirektor ihn kannte, verfolgte und hier die ganze Zeit mit ihm nur gespielt hatte.

»Grüßen Sie Ihre Frau«, sagte der Generaldirektor und gab ihm die Hand. Laritz schielte nach Birk, ob er recht daran tue, die Hand zu nehmen. Als er sie aber nahm, war er sichtlich geehrt trotz allem. Daher ging er auch frei und schnell ab. Er und Birk winkten einander nur zu.

»Du bist volkstümlich«, bemerkte Schattich, als sie allein waren.

»Dich besuchen die Arbeiter.«

»Dieser kommt auch zu dir, wenn du todkrank bist. Oder, sollte er sich dann noch zurückhalten, kommt er etwas später.«

Schattich verzog den Mund.

»Zartfühlend waren deine Scherze nie, alter Freund.«

Birk sagte aufrichtig: »Meine Gesinnung ist besser. Ich glaube tatsächlich, daß der Mann dich volkstümlicher findet als mich.«

»Menschenbehandlung! Sie brauchen immer eine Enthüllung. Plötzlich muß ihnen klarwerden, daß ich stärker bin als sie. Dafür dient mir meine Personalkenntnis. Unter meinen wenigen positiven Eigenschaften ist die Personalkenntnis«, sagte er mit einem Blick von erstaunlicher Demut. Denn Schattich hielt es für notwendig, den »alten Freund«, der zu viel von ihm wußte, von Zeit zu Zeit zu entwaffnen.

»Zur Zeit der Inflation war ich ein Industriebeamter, aber findig. Ich informierte damals die höchsten Provinzialbeamten über jeden einzelnen der Gegner, die unsere Reichsregierung und die Industrie stören wollten bei der Erhaltung der Sachwerte. Ich erzähle es nur dir, weil du mich schon kennst. Als ich dann selbst Reichskanzler wurde, wußte ich, wie es gemacht wird.«

»Warum weiß ich das nicht?« fragte Birk, immer wieder überrascht von der Überlegenheit der andern.

Schattich erklärte es ihm gönnerhaft. »Du bist nun mal kein Edison.«

»Wirklich?« sagte Birk. »Das müßt ihr erst am eigenen Leibe spüren?« fragte er rätselhaft. Seine Augen schienen im Hintergrunde des Zimmers etwas zu suchen. Gleichzeitig verließ seine Tochter ihren Platz beim Fenster und stellte sich vor einen Tisch, so daß sie ihn verdeckte. Schattich näherte sich ihr.

»Und Sie, Fräulein?«

Da erkannte er sie.

»Nun aber, Sie sind die Verheiratete! Ich hatte Sie die ganze Zeit nicht richtig sehen können. Das freut mich mal wirklich.«

Er redete, nahm ihre Hand und wollte Margo vom Tische wegziehn. Er erreichte nur, daß sie ihm im Kreise folgte und den Tisch von einer anderen Seite verdeckte. Schattich tat, als kümmerte es ihn gar nicht. Er redete bald zu Birk, bald zu seiner Tochter.

»Als junger Mensch war ich depressiv«, sagte er auf gut Glück. »Ich litt am Leben. Einmal fiel ich daher durch das Examen, erinnerst du dich, alter Freund? Die Jahre, gnädige Frau, und natürlich auch die Erfolge stellen uns fest auf unseren Platz.«

Jetzt bemühte er sich, Margo dort festzuhalten, wo sie stand, und um sie herumzuspähen. Sie vereitelte auch dies, und Schattich, der nichts zu merken schien, sprach weiter.

»Sieh mal meinen Verein zur Rationalisierung Deutschlands, alter Freund! Der trägt mich todsicher noch mal an die Spitze der Reichsregierung. Dafür ist er doch da!« erklärte er mit verblüffender Offenheit und hoffte endlich an den Tisch zu gelangen. Aber Margo war nicht zu verblüffen, weil sie die Reden des älteren Herrn überhaupt nicht beachtete.

»Gnädige Frau«, sagte der ältere Herr mit Schärfe. »Ich habe noch immer alles erreicht, was ich wollte.«

Damit tat er einen ihr unerwarteten Griff und hielt das Päckchen in der Hand.

»Ein Ei?« fragte er und wog es. »Ein Schokoladenei? Aber gefüllt, weil es schwer ist. Womit denn gefüllt?«

»Das ist ein Spielzeug für mein Kind« – sie sprach schnell und atemlos, sie flehte. Daher gab Schattich das Päckchen nicht ohne weiteres zurück. Er warf es ein Stückchen in die Luft und fing es statt ihrer, die zu entsetzt war, um zuzugreifen.

Ihr blasser Schrecken war ihm unverständlich, er wandte sein Gesicht, das dumm wurde, Birk zu. Dort begegnete er kalter Erwartung; der »alte Freund« hatte etwas Fremdes, Unheilvolles bekommen, wie er einem auf die Hände sah. Schaudernd erkannte der frühere Reichskanzler, daß in den Menschen, die man am wenigsten fürchtet, immer noch Gefahren liegen. Daher achtete er nicht mehr auf das Päckchen. Margo konnte es ihm fortnehmen und verschwinden lassen.

»Du hast es gut, alter Freund«, versetzte Schattich, unbekannt, warum.

Er mußte es erklären.

»So viele Feinde wie ich kannst du unmöglich haben. Wer alles auf meinen Sturz wartet!« sagte er vertraulich. »Bis zu dem Pfarrer von Sankt Stefan, dem ich es gelegt habe, mich schon um sechs Uhr mit seinem Glockengeläut aufzuwecken! Dauernd muß man Erfolge haben, um nur zu bleiben, wo man ist. Dem Konzern Geschäfte bringen, sonst wirst du abgebaut wie eine vertraglos angestellte Hilfskraft. Von jeder Erfindung, die Geld verspricht, soll man gleich Wind bekommen. Das wird verlangt.« Pause. »Aber deine Sorgen sind es nicht« – mit schnellem Seitenblick.

Er nahm seinen Hut.

»Du mußt einzig bloß zusehen, daß du schnell gesund wirst. So möcht ich auch mal daliegen.«

»Das ist noch leichter, wenn man Geld hat«, versetzte Birk.

Schattich schüttelte ungläubig den Kopf.

»Du willst doch nicht behaupten, daß du grade auf deinem Krankenlager an das Geld denkst? Du Glücklicher hast dein Leben lang nicht daran gedacht.«

»Mir fällt das Geld ein, das ich an dich verloren habe«, Birk ließ sich nicht beirren. Sicher war es das Fieber. Schattich zog denn auch die Brauen hoch.

»An mich? Du solltest dich schonen, alter Freund. Freue dich lieber, daß du bei dieser unsicheren Zeit kein Geld hast. Wir haben es alle nur auf Widerruf und leben in ewiger Angst. Die Begehrlichkeit der Massen! Moskau! Die Wirtschaftskrise!«

Gram und Verbitterung zeichneten den Mann. Sichtbar wurde, daß der Generaldirektor, genau wie seine fristlos kündbaren Untergebenen, Angst hatte zu verhungern. Auch er unterlag dem Zeitgeist.

Glücklicherweise ging es vorbei. Bei seinen Angestellten hielt es auch nicht an. Alle hatten die Flüchtigkeit gemeinsam. Dies dachte sich Birk in seinen Kissen, indes Schattich schon abging.

»Du mußt ausruhen«, sagte Margo. »Papa, jetzt lasse ich dich allein.«

»Nimm deinem Mann das Päckchen mit!«

»Hat es nicht Zeit, bis du gesund bist? Er wird Dummheiten machen mit deiner Erfindung.«

»Das kann er nicht. Niemand wird herausfinden, was es ist. Mein Geheimnis liegt schriftlich bei einem Notar, und er gibt es euch nur, wenn ich selbst es nicht mehr holen kann.«

»Emanuel wird alles – aber auch alles tun, um darauf Geld zu bekommen«, sagte sie ohne Besinnen. »Papa! Er liebt Inge.«

Sie hatte ein weißes, verzweifeltes Gesicht. Ihr armes Gesicht war ganz klein geworden. Der Vater nickte.

»Gib es ihm! Mein Kind, es wird dir helfen.«

Dies begriff sie nicht; aber aus Gewohnheit glaubte sie ihrem Vater. Sie steckte das Päckchen in ihren Mantel, dann küßte sie Birk, der schon die Augen geschlossen hatte. Er öffnete sie wieder und sagte: »Verliere den Mut nicht, wenn es erst einmal schlimmer kommt!«

Sie ging durch das Haus, dabei fiel ihr zum Glück ihre aufgeworfene Nase ein. Immer, wenn ihre Schwester Inge im Vorteil war, hielt Margo sich ihr eigenes dreistes Profil vor. Mit einem Gesicht, das nach Belieben frech sein konnte, war untätige Schwermut ein Widersinn. Margo, die sonst vielleicht dahin geneigt hätte, fand auch diesmal neue Kraft in sich dank ihrer Nase.

Sie dachte: ›Hallo. Wenn er mit der Erfindung Geld macht, werden wir schon sehen, für wen. Bringt sie ihm aber Unglück, dann bin ich auch da.‹

Als sie aus der Haustür trat, wer stand noch immer davor und wartete?

»Gnädige Frau«, begann Schattich sogleich, »das einzige, was mich stört, ist, daß Sie ein Kind haben. Sonst würde ich vorschlagen: Sie verlegen Ihre Tätigkeit aus den Büros der Direktion in meine Wohnung.«

»Als Ihre Sekretärin?«

»Ja. Aber Sie werden immer fortwollen, weil das Kind zu Hause schreit.«

»Ich habe gar keins«, erklärte sie mit der größten Natürlichkeit. »Ich schwindelte Sie an, weil Sie mir etwas wegnehmen wollten.«

»Großartig!« rief er.

»Was ist daran großartig? Sie halten mich doch selbst für gerissen genug, um Ihre Sekretärin zu sein.«

Schattich lachte – anders, als er im Zimmer ihres Vaters gelacht hatte.

»Jetzt denken Sie, ich stelle Sie an, damit ich Sie leichter verführen kann. So denkt ihr Mädels euch immer den Chef.«

Er sagte es in einer Art, die alles nur bestätigte.

Margo erwiderte: »Jedenfalls würde ich mir verbitten, daß Sie mich übersehen.«

»Aha! Oho! Und na also!«

»Meine Sache ist es, daß Sie kein Glück haben.«

»Jetzt kenn ich Sie«, sagte er und streckte nach ihr den Zeigefinger aus.

Sie hatte einfach beschlossen, nicht dauernd nur eifersüchtig und hingebend zu sein. Neben aller Angst um ihren Emanuel dachte sie sich einen Spaß zu gönnen, und wer weiß, wofür er gut war.

»Sie sind ä Luder«, schloß Schattich. »Meine Wenigkeit is sowieso ä Luder. Es freut mich nur, daß sie ooch eins sind.«

Dann stieg er in seinen herrlichen Lanciawagen.


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