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Fünfzehntes Kapitel

Der Wagen Emanuels fuhr durch Berlin, da hatte das Zentrum schon sein Geschäftsgesicht, als wäre niemals Nacht gewesen. Jeder eilte aus einem Haus hervor, den Geist fest auf ein anderes gerichtet, wo für ihn etwas zu machen war. Niemand durchschaute den Sinn des schnellen Treibens sicherer als Ehmann; denn er ging davon aus, der Inhaber jenes Warenhauses wäre zuerst einmal sein Freund, dann bekäme er den Mann durch Beziehungen in die Hand und zuletzt wäre er selbst der Inhaber. So vereinfachte sich für Ehmann das scheinbare Durcheinander der Straße.

Hingegen hielt Emanuel unverrückt auf den Westen zu, wo sein eigenes Glück winkte. Dort herrschte noch immer die erste Morgenfrühe, zarte Sonne auf leeren Strecken, die Einsamkeit der steinern aufgereihten Bauten, der Himmel bis jetzt vertraut dazwischen hinfließend, bevor er abgesondert wird von dem Tag der Stadt. Sogar auf Bäume achtest du, sie überwölben luftig eine Straße, eine kurze Straße. Emanuel fuhr mit Bedauern vorbei. Er hätte gewünscht, grade darin läge das Haus. Er äußerte es.

»Schade, daß Herr von List nicht hier wohnt.«

Ehmann, der den Namen bisher geheimgehalten hatte, erschrak sichtlich.

»Woher weißt du!«

Was geschah aber? Er ließ Emanuel umkehren. Er hatte sich geirrt, das Ziel war wirklich hier. Emanuel pfiff leise und begrüßte das Vorzeichen.

Als sie den Garten betraten, lief ihnen eine Katze über den Weg. Emanuel hörte auf zu pfeifen. Er überredete sich aber, mit der Katze könne ebensogut Ehmann gemeint sein, falls Ehmann gegen ihn etwas vorhatte.

Die Villa wirkte von außen hell und eher zierlich; erst als ihnen geöffnet worden war, bemerkten sie ihre besondere Fassungskraft. Zu den Geschäftsräumen führte ein anderer Aufgang; hier standen die Besucher vor einer großartigen Halle, schon verschwanden ihre Mäntel mit dem Diener in der Garderobe, die einem kleinen Saal glich. Auch Ehmann war nicht mehr zu sehen. Emanuel machte inzwischen die Runde um die Halle – zu keinem anderen Zweck, als um nach Ausgängen zu suchen. Er dachte, ihm könnten nicht genug Ausgänge bekannt sein, falls er infolge besonderer Umstände plötzlich einen brauchte.

Er hatte sogleich Glück, denn durch die Tür, die der Diener ihm von selbst öffnete, betrat er einen ungeheuren Salon, der in seiner ganzen Breite an einen Wintergarten grenzte. Die Wand dort war zum Teil verhängt, aber sie bestand aus Glas, die andere Seite des Gewächshauses nicht weniger, und drüben glänzte die Luft über benachbarten Grundstücken. ›Betriebsunfälle ausgeschlossen, hier kann ich leicht verschwinden‹, stellte Emanuel fest und flitzte durch die breit geöffnete Glastür. Dabei entging ihm nicht, daß dies Glas allerdings sehr dick und mit Eisenteilen gesichert war. Aber schließlich konnte er nicht verlangen, daß Einbrechern der Weg freigegeben wurde. Den Ausgang ins Freie fand er hinter Pflanzen und verschlossen. Er zog den Schlüssel ab.

Hierauf kehrte er als harmloser Gast in den Salon zurück und bewunderte auf den seidenen Wandbezügen die Bilder, alte Meisterwerke, unschätzbar – wenigstens für Emanuel. Andere hatten sie auf den Dollar genau geschätzt. Die ganze Einrichtung war historisch, Emanuel hatte diesen Geschmack schon in der Halle bemerkt. Bei einem Mann wie Herrn von List hätte er Möbel aus vernickelten Röhren mit Gurten zum Sitzen erwartet. Das entsprach nach seiner Meinung eher der Einstellung eines solchen zeitgemäßen Kaufmanns. Aber es war seine geringste Sorge, und jedenfalls fand er den Verhandlungstisch lang genug. Der stellte natürlich ein altes Meisterwerk vor und stand auf acht Füßen, sonst hätte er sogar bei schwacher Belastung in der Mitte zusammenbrechen müssen, besonders, wenn man das Alter des Möbelstückes hinzunahm. Mindestens der Senat von Venedig hatte an ihm schon Vorträge getätigt – obwohl Emanuel, soweit er es überhaupt bedachte, jenen Senat in den Schillerschen »Fiesco« und diesen ganz unbestimmt in die Zeit vor dem Kriege verlegte. Dort verwechselte er ihn mit »König Niccolo«; der Film hatte ihm gefallen.

Plötzlich fiel ihm auf, daß der berühmte Tisch in seiner ganzen Ausdehnung den, der sich vorn aufhielt, vom Wintergarten und vom Rettungsweg trennte. Wer vorn stand, war aber Emanuel. Höchstwahrscheinlich nötigten sie ihn auch im Ernstfall, diesseits des Tisches zu bleiben. Sofort nahm er eine Probe vor, mit einem Anlauf sprang er über den Tisch, ohne ihn auch nur zu berühren. Während des Sprunges überlegte er, daß die große Glastür nach dem Gewächshaus später verschlossen sein konnte. Schnell versicherte er sich auch dieses Schlüssels.

Als er sich umdrehte, stand im Zimmer ein Mann mit verschnürtem Hausjackett, gewiß Herr von List.

»Bravo«, sagte der Mann.

Emanuel machte ein kühn verlegenes Gesicht, die beiden Schlüssel beschloß er nicht herauszugeben. Herr von List schien aber grade das Wichtigste nicht gesehen zu haben. Übrigens hatte er vom guten Leben immerhin schon eine unreine Haut, unklare Augen, hart wie je, aber nicht mehr ungetrübt, und trotz Training begann er zu verdicken. Da konnte der angehende Fünfziger eine noch so große Villa besitzen, ihm gegenüber fühlte der Junge sich bis jetzt doch im Vorteil.

»Emanuel Rapp«, erklärte er. »Ich werde hier zu einer Besprechung erwartet.«

»Ich habe davon gehört. Hatte die Sache total vergessen, war immerhin verblüfft, hier jemand Übungen machen zu sehen.«

»So bereite ich mich stets auf Verhandlungen vor.«

»Ich auch«, sagte Herr von List, militärisch knapp, wie er alles übrige sprach. Auch das Monokel klemmte er ein.

»Ihre Besprechung –« Leichte Pause, unmerkliches Achselzucken; klar, daß der große Geschäftsmann von der Sache dieses Jungen nichts hielt. »– kann erst in einiger Zeit stattfinden«, ergänzte Herr von List. »Soeben kam der Anruf, die Herren verspäten sich – ohne zulänglichen Grund übrigens. Sie selbst sind nicht verpflichtet zu warten. Ich persönlich warte nie«, entschied der große Geschäftsmann – mit einer Handbewegung nach der Tür.

Emanuel konnte in diesem Augenblick einfach hinausgehen, und unverhofft war alles erledigt. Er kam wirklich hinter dem Tisch hervor. Jetzt gab es mehrere Möglichkeiten. Erstens ein überlegener Gruß mit dem Kopf und Abgang. Andererseits lagen da noch die beiden Schlüssel in seiner Tasche. Übrigens war, wenn das Tor der Villa sich hinter ihm schloß, nichts gewonnen. Es war nicht einmal etwas geschehen noch bewiesen – besonders kein Mut … Emanuel ging nicht weiter.

Herr von List musterte ihn durch sein Glas. Sein Gesicht drückte Ironie aus, aber es war nicht Ironie; es bedeutete eher die Unfähigkeit des Herrn von List zum Wohlwollen, sonst hätte er es jetzt vielleicht verraten.

»Wie Sie wünschen«, äußerte er.

»Ich möchte keine Zeit verlieren und gleich dasein, wenn die Herren eintreffen.«

»Ich stelle Ihnen ein Zimmer zur Verfügung –«

Herr von List läutete.

»– wo Sie solange warten können. Sie werden sofort benachrichtigt«, sagte er noch, während Emanuel hinter dem Diener die Treppe hinaufstieg. Dann begab sich Herr von List in einen Winkel des großen Salons, er öffnete in der Tapete eine niedrige Tür; Emanuel hätte sie leicht entdecken können. Herr von List bückte sich und gelangte in ein zweites Zimmer, darin saß Schattich.

Der große Geschäftsmann stellte sich vor den Wirtschaftsführer hin und sagte: »Lieber Freund, ich verstehe Sie nicht. Nach Besichtigung halte ich das für einen dummen Jungen.«

»Was verlangen Sie mehr.«

»Dem hat sein Schwiegervater nie die große Erfindung anvertraut, oder der Mann ist selbst ein Dummkopf.«

»In seiner Art ist er das.«

»Oder er ist im Gegenteil gerissener als Sie.«

»Als Sie – vielleicht.«

»Wenn er richtig gebaut ist«, erklärte List, »dann will er heute nur erreichen, daß wir unsere Karten aufdecken. Nachher hat er Zeugen gegen uns und nimmt uns hoch. Dann fängt bei ihm das Geschäft erst an.«

»Ein gemeiner Erpresser, mein Freund Birk?« Schattich war empört, er sprang auf. »Und bei mir! Bei mir wird er auf Granat pissen. Auf Granit beißen, meine ich natürlich.«

»Regen Sie sich nicht auf, lieber Freund! Ich kann Ihnen immer nur meine Eindrücke übermitteln. Ich habe das bestimmte Gefühl, daß ein Geschäft wie dieses sich uns nicht empfiehlt.«

»Sie werden wohl moralisch, List?«

»Ich halte es für unerheblich, eventuell für unernst.«

»Als Sie mir Ihr Haus anboten, waren Sie anderer Meinung.«

»Vorhin sah ich mir auch Ihren Ehmann an.«

»Er tut vorzügliche Dienste. Ich werde ihn befördern.«

»Der befördert Sie – sonstwohin, sobald er kann. Lieber Schattich, Sie befremden mich durch Ihre Verbindungen mit Außenseitern.«

»Wenn sie aus angesehenen Ställen sind, kosten die Leute mehr.« Schattich meinte ihr gemeinsames Baugeschäft mit allen Zugeständnissen an eine freiere Lebensauffassung, die es nun einmal erforderte. Er wurde boshaft, weil List sein Vertrauen zu Birk und den Wert der Birkschen Erfindung nicht teilte.

»Nun gut«, sagte List. »Mögen Sie in Ihrer Menagerie auch ein gehetztes Wild wie diesen Bausch haben. Aber gleich einen Berufsboxer? Ich bin übrigens Amateur.« Er spannte vor Schattich, dem das ferner lag, seine Muskulatur an.

»Den Schauspieler haben Sie selbst beigesteuert«, wendete der frühere Reichskanzler ein.

»Ihnen zu Gefallen, Exzellenz. Ich sah, Sie waren in Stimmung für einen Bummel durch die Nachtlokale.«

»Wissen Sie, was ich finde, List? Sie verlieren das Gefühl dafür, wo Sie eigentlich stehen – und wo Sie schon gesessen haben.«

Wie gereizt mußte Schattich nachgrade sein durch den Ton des anderen! Dies »gesessen haben« entschied leider sein Schicksal. Da aber sein Freund sich nichts anmerken ließ, redete er unbeirrt weiter.

»Sie halten es mit der Zeit für ein höchst normales Geschäft, daß wir zusammen den Tiergarten bebauen; daß es glatt durchgeht; daß sie uns nicht einsperren, sondern im Gegenteil unser –«

»Geld nehmen, sprechen wir es ruhig aus. Aber das sind Männer in Stellungen, getragen von dem Vertrauen ihrer Wähler. Sollten wir mal ausrutschen, wissen wir wenigstens, wer uns hält. Ihr Boxer ist nicht stark genug für solche Unglücksfälle.«

Schattich blieb dabei, er sehe nicht den kleinsten Unterschied hinsichtlich Abenteuerlichkeit und Unwahrscheinlichkeit – zwischen der Bebauung des Tiergartens und dem, zugegeben, etwas rücksichtslosen Erwerb einer umstürzenden Erfindung.

»Bis auf weiteres«, entgegnete List, »halte ich sie für durchaus harmlos, soweit ein Sprengstoff harmlos sein kann.«

List kam schon wieder darauf zurück, daß der Name Birks ihm noch lange für nichts bürgte. Jetzt wurde aber sein Freund tiefernst, ja, verhängnisvoll anzusehen.

»Hören Sie, List, was ich Ihnen zu sagen habe, ist eine Sache auf Leben und Tod.«

»Alle Sachen sind mehr oder weniger auf Leben und Tod.«

»Die Wirtschaftslage wird nachgrade verzweifelt. Um meinen Verpflichtungen nachzukommen, bin ich erstmalig so weit gegangen, meine Auslandsguthaben anzugreifen.«

»Wissen Sie, daß dies in unserer ganzen Unterhaltung das erste ist, was ich unmoralisch finde?«

»Meine Frau droht mir, und tatsächlich kann sie mir gefährlich werden.«

»Genug, Sie sind mit allen Hunden gehetzt.«

»Das sage ich nicht, um Ihnen Vergnügen zu machen – sondern damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben.«

List dachte: ›Zum Glück mit einer halben Begabung.‹ Schattich rollte die Augen.

»Mit der großen Sache will ich mich liquid machen. Die große Sache ist die Erfindung meines Freundes Birk. Aus den Einnahmen meiner Gesellschaft zur Ausbeutung der Erfindung finanziere ich die Bebauung des Tiergartens. Dies stellt meinen Anteil dar. Begreifen Sie, List, daß ich entschlossen bin, das Geschäft zu machen mit jedem Risiko? Soll schon was durchsickern! Wer wagt sich an einen der hervorragendsten Vertreter der deutschen Öffentlichkeit. Mich müssen sie decken wie ein Mann. Ich biete den Ereignissen die eiserne Stirn. Unsere Zukunft ist verankert in der Konzentration aller gesunden bürgerlichen Kräfte …«

Schweißbedeckt brach er ab. List stellte fest: »Sie sind in Ihre Rede über die Rationalisierung Deutschlands hineingeraten. Sonst, lieber Freund, war alles richtig – nur eins nicht. Ich kann Sie nämlich ausschiffen und tue es glatt, sobald Sie Ihren Anteil nicht bar ausspucken.«

Hier fing Schattich zu schreien an.

»Das versuchen Sie mal! Wer hat gegen mich was in Händen? In dem ganzen Tiergartengeschäft erscheint nirgends mein Name, vergessen Sie das nicht. Ich bin die ungenannte Macht, die dahintersteht. Mich stellen Sie nicht bloß – aber ich Sie. Ich mache Sie unmöglich!« schrie Schattich.

List wiederholte im Gesprächston, mit leichtem Heben der Schultern: »Mich.« Aber das genügte, es entwaffnete seinen Freund; denn dies einzige Wort führte ihm vor Augen, daß ein Mann wie List schon längst entblößt dastand und daß nichts auf der Welt ihn noch unmöglich machen konnte, wenn er es bis jetzt nicht geworden war. Er wußte zu viel und hatte schon zu viel verdient. Dabei war er nichts – Egon von List, ein Kaufmann; ihn faßte man an nichts … Schattich schrie nicht weiter, er rollte nicht mehr die Augen. Er blinzelte stumm nach List, wie nach einem nackten Athleten im Schein der Jupiterlampen.

Der psychologische Augenblick war gekommen für den nackten Athleten, sich endlich klar auszudrücken.

»Treten Sie mir die Erfindung ab, dann haben Sie ausgesorgt!«

»Ihnen die Erfindung abtreten«, murmelte Schattich, während es ihm kalt über den Rücken lief. Er erkannte, daß er sich von seinem Freunde List hatte bis an den äußersten Rand drängen lassen, weiter ging es nicht, jetzt blieb nur noch der Sprung über den Abgrund … Mit verächtlichem Lächeln, dem Gesicht des anständigen Unterhändlers, der in seinem Gegner plötzlich den Verbrecher erkennt, sagte der unglückliche Schattich: »Eine Erfindung, die Sie für so zweifelhaft hielten – soll Sie bezahlt machen, falls ich die fälligen Beträge in das Tiergartengeschäft nicht rechtzeitig investiere?«

»Falsch. Ganz abwegig. Ihren Anteil erlegen Sie, oder ich schiffe Sie aus. Die Erfindung erwerbe ich dadurch, daß ich Ihnen endlich mal wieder zu einer positiven Tätigkeit verhelfe. Ich sagte Ihnen schon, an welcher Stelle ich Sie brauchen kann. Auch dies nur unter der Voraussetzung, daß Sie und Ihre Erfindung halten, was Sie versprechen. Einverstanden?« fragte Herr von List. »Natürlich einverstanden«, antwortete er selbst. »Denn sonst wird der noch ungenannte frühere Staatsmann nicht mehr lange im schützenden Dunkel bleiben, dafür sorge ich … Dann bestätigen wir einander das Wesentliche wohl gleich schriftlich.«

Schattich erhob feierlichen Einspruch, aber er fühlte zu gut: hier war der Stärkere, weil hier der Schamlosere war. Tatsächlich nahmen die Freunde nebeneinander am Schreibtisch Platz. Schattich schrieb, was List diktierte, nur unterbrach er ihn manchmal.

»Und von mir sagt man, daß ich über Leichen gehe!«

»Das tun Sie auch, lieber Freund. Aber Sie legen einen Kranz nieder. Das belastet Ihr Gemüt und hält Sie auf. Ich komme über die Seligen schneller weg … Zur Sache«, befahl List.

Die nächste Abschweifung Schattichs war eine Frage.

»Kann uns eigentlich nebenan keiner hören? Der junge Mensch geht sicher auf Informationen aus.«

»Dann hätten Sie vorhin nicht so furchtbar schreien sollen. Jetzt sind Sie ja wieder vernünftig. Nein, beruhigen Sie sich, man hört von draußen nicht. Nur wir werden heute abend von hier drinnen die ganze Verhandlung überwachen.«

»Warum warten wir bis zum Abend?« fragte Schattich, aber er konnte es sich selbst sagen. »Natürlich. Dann sind wir vor Überraschungen sicherer.«

»Wenn es zur Anwendung von Gewalt kommt.«

»List! Keine Dummheiten!«

»Schattich, beanspruchen Sie doch mal Ihren Kredit bis zur Höchstgrenze! Sollte wirklich jemand verschwinden – wo Sie mit drin sind, hat er keine Aussicht, daß noch wieder von ihm die Rede ist. Starker Mann, Sie! …«

»Das kann ich nicht den Subalternen überlassen. Ich kenne Führerverantwortlichkeit. Wie gebe ich von hier das Zeichen, daß sie draußen Reserven einzusetzen haben?«

»Ganz einfach. Von hier läßt sich im großen Salon die ganze Beleuchtung ausschalten … Haben Sie endlich unterschrieben?«

Schattich setzte seinen Namen hin, deutsche Steilschrift, Punkt. Herr von List klemmte das Monokel ein, um den Namenszug und seinen Verfertiger genau zu betrachten.

»Danke«, sagte Herr von List und schloß das Dokument in seinen Schreibtisch ein. »Die Erfindung bringt mir vierzig Millionen.«

Schattich starrte stumpf, aber ohne aufhören zu können, durch seine Hornbrille. Während er starrte, war dagegen der junge Emanuel die Umsicht selbst. Oh, er ließ sich nicht blindlings von dem Diener mit dem frech ausdruckslosen Gesicht nach oben verschleppen. Er besah sich die Treppe, die aber keine ungewöhnlichen Vorrichtungen zu enthalten schien. Schon von hier aus stellte er fest, daß um die beiden oberen Stockwerke Galerien liefen. Die Zimmer grenzten daran im Kreise. Nur drei Türen sahen auf die erste der Galerien hinaus, aber nach dem Umfang der Rundung mußten dahinter mehr Zimmer liegen. Es gab daher Zimmer ohne direkten Ausgang. Der wachsame Emanuel schloß sofort, in ein solches werde man ihn bringen, um ihn einzusperren.

Er glaubte sich am Ziel, aber der Diener erstieg wortlos die zweite Treppe. Ein weites Glasdach verbreitete ungedämpftes Licht; je höher er kam, um so heller wurde es; nur das Mißtrauen Emanuels verfinsterte ihn.

»Gehen Sie voran!« sagte er – und betrat hinter dem Diener ein überaus wohnliches Gemach. Alles zum Rauchen stand da, sowie auch Likör, dem Beobachter entging nichts.

»Der Herr macht Toilette nebenan«, erklärte sein Führer, bevor er sich zurückzog.

Emanuel dachte ›Idiot‹ und meinte sich selbst, denn eins der Fenster stand offen, und drunten, nicht sehr entfernt, bestätigte ihm die Straße mit Geräuschen und Gerüchen den liebenswerten Alltag, der weiterging. Übrigens hatte er noch nie über ein so schönes Zimmer verfügt. Er streckte sich in einem Sessel aus, zündete eine der guten Zigaretten an und trank ein Gläschen. ›Warum brachten sie mich nicht eine Treppe tiefer? Sind das die Damenzimmer? Hat er dort seinen Harem?‹ Hier durchfuhr ihn ein Name wie ein Stich, so daß er aufsprang. Inge! Sie war vielleicht hier versteckt irgendwo im Hause, wenn Schattich hier war! Sie hatte sich kaufen lassen und hatte versucht, durch den Einbruch seinem Feind zu dem Besitz der Erfindung zu verhelfen. Außerdem betrog sie ihn mit dem Schauspieler – natürlich nicht mit Brüstung, aber mit jenem Affen, der ihr selbstverständlich einen Aufstieg als Diva versprach.

»Für alles das kommt die Rache!« schwur der Verratene sich, stöhnend vor Schmerz. Er haßte Inge und seinen Schmerz. Er haßte auch die Müdigkeit, die ihn obendrein befallen wollte, und begab sich in seinen Waschraum. Manches war vorhanden, aber er wählte das Gründlichste, er stellte sich unter die Dusche. Als er grade beim Abtrocknen war, knackte nebenan etwas. Er stürzte darauf hin im Badetuch – nichts.

Er machte das Fenster zu, jetzt hörte er das Geräusch deutlicher, es war im nächsten Zimmer. Er rüttelte an der Tür, aber sie gab nicht nach. Er trat mit dem Fuß dagegen. Plötzlich entdeckte er, daß es einfach eine Schiebetür war. Sie ließ sich widerstandslos bewegen, er ging hindurch – der Raum lag leer. Gleich über mehrere Räume sah er, alle unbelebt. Er näherte sich jedem in seinem Bademantel mit genügender Umsicht, wenn auch entschlossen. Nichts. Einsamkeit und kein Ende. Da, er verzögert den Schritt, denn ein soeben noch weit offener Durchgang, der dritte, auf den er zugeht, schließt sich vor seinen Augen. Schiebt sich zusammen im Leeren, ohne daß eine Hand erscheint.

Der Tapfere versuchte dennoch einzudringen, umsonst, das Hindernis blieb diesmal bestehen. Er kehrte um, am nächsten lag ihm, durch sein eigenes Zimmer auf die Galerie hinauszueilen und die anderen Räume von außen zu öffnen. Hier durfte es vor ihm keine Geheimnisse geben, Sicherheit zuerst! Er erreicht den Ausgang seines Zimmers – und findet auch ihn verschlossen. Ohne Besinnen, seine Toga zusammengerafft, fortgestürmt nach der andern Seite. Jenseits des Badezimmers sind wieder Verbindungen, noch kann er von jenen Räumlichkeiten aus einen Weg ins Freie erreichen, solange sie dort nicht ebenso absperren … Auf halber Strecke bemerkte er indessen, daß er den Kopf verlor. Zweifel traten auf, ob wenigstens seine eigene Tür nicht doch zu handhaben gewesen wäre, hätten ihn nur die Nerven nicht verlassen. Die Beschämung, die er fühlte, bewog ihn, sich umzuwenden. Da stand Ehmann. Grade zog er die fragliche Tür hinter sich zu.

»Wie kommst du herein?«

»Du siehst es doch.«

»Hast du nicht bemerkt, daß die Tür schwer aufging?«

»Keine Spur.«

Ehmann war bleich, aber weniger spitz und zerfahren konnte grade sein Gesicht auch gar nicht aussehen nach der verbrachten Nacht. Er sagte: »Ich muß mit dir eine Besprechung haben.«

»Schon gut. Aber hier wird man eingeschlossen.«

»Eingeschlossen?«

War das nun echtes Erstaunen? Emanuel führte ihn nach links.

»Siehst du dort hinten die Schiebetür? Sie stand weit offen, und vor meinen Augen hat, ich konnte nicht sehen wer, sie zugemacht.«

»Solche Türen fallen manchmal von selbst zu.«

»Nicht bei mir. Ich habe sie auch nicht mehr aufbekommen.«

»Versuche es doch jetzt noch mal, wo ich dabei bin«, riet Ehmann. Es konnte heißen, daß der Versuch vorher nur darum mißlungen war, weil Emanuel Angst gehabt hatte. Er war nicht weit davon, selbst zu glauben – und glaubte es fast ganz, als Ehmann hinging und die Tür mit Leichtigkeit verschob.

»Was die Einbildung tut!«

»Ich habe Gott sei Dank keine«, erwiderte Emanuel trotzig. Vielleicht war dies richtig; jedenfalls verfiel er nicht auf den Gedanken, daß er hier keineswegs der einzige sein mußte, der Furcht hatte. Auch andere konnten am Ende noch im unklaren sein, was kommen sollte, konnten zögern und die Türen, hinter denen er saß, mal auf-, mal zumachen. Vor allem hätte er doch Ehmann kennen müssen. Aber seine Freundschaft machte ihn bequem. Das war anders bei Ehmann, den sie zum Seelenerforscher machte.

»Ich halte die Geschichte für mulmig«, war das erste Wort Ehmanns. »Das kannst du nicht verstehen, du bist verrückt nach deiner großen Sache.«

»Ich habe dich beteiligt.«

»Ich bin aus Freundschaft für dich hier. Du bist mir wichtiger als meine Beteiligung. Hör mal, Rapp, ich habe noch nichts zum Frühstück bekommen. Du auch nicht? Dann gehen wir am besten zusammen ins Restaurant.«

»Und kommen nicht wieder? Den Vorschlag hat mir komischerweise auch dieser Herr von List gemacht. Es wirkte schon mehr wie ein Versuch, mich loszuwerden. Mein Lieber, wenn ihr euch mit mir nicht in gewagte Dinge einlassen wollt – auf Wiedersehen, ich empfange die Engländer allein.«

»Die Engländer! Kannst du dir denn gar nicht vorstellen, daß sie dich –« Ehmann, der die Arme nach oben geworfen hatte, bezwang seine Erregung. »Daß sie dich vielleicht nur zum Sprechen bringen und dann anzeigen?«

»Ausgerechnet die Engländer, die mit mir verdienen können?«

»Sind es denn echte?« rief Ehmann. Sogleich wurde er wieder leise.

»Emanuel, lieber Freund, denk mal an gestern nachmittag um fünf, wie du wolltest, daß ich für die anderen den Engländer mache!«

»Und?«

»Statt dessen kann jemand den Engländer für dich machen, Bluff, verstehst du.«

»Nein. Du machst doch keinen Engländer.«

Ehmann griff mit seinen beiden Händen nach seiner Stirn; hierauf wendete er sich ab, denn noch mehr zu sagen hatte er sich nicht vorgenommen.

Emanuel war gewarnt genug; nicht einmal Gewinnsucht entschuldigte hier noch den, der nicht hörte. Entschuldigten ihn nicht eher die volle Fahrt, der Wind der Gefahr um den Nacken, die hundertsechzig Kilometer die Stunde, die Macht über sein eigenes Erleben – und der Abscheu vor dem Augenblick, da alles abbricht, der Wagen hält und man einfach wieder aussteigt? Ehmann war nahe daran gewesen fortzugehen, aber er stellte sich nochmals vor seinen Freund hin. Seine Augen bewegten sich neugierig, während er den Freund betrachtete.

»Ist dir wenigstens so viel klar, daß ich jede Verantwortung ablehnen muß, wenn du bleibst? Ich werde natürlich für dich eintreten, soweit die Rücksicht auf mich selbst es irgend noch zuläßt.«

»Danke«, sagte Emanuel kalt.

»Mir zeigst du die kalte Schulter. Was wir tun, ist nun mal ungesetzlich, kann ich dafür? Wenn wir mit unseren Engländern kommen, läßt Schattich sich statt dessen einfallen, eine eigene G.m.b.H. zu gründen. Der Konzern, dem die Erfindung von Rechts wegen gehört, ist der Betrogene so und so.«

Emanuel hatte eine Erleuchtung.

»Das sicherste für dich, Ehmann, ist entschieden, du hältst dich an den Konzern. Bei mir riskierst du was, aber schließlich bei Schattich auch.«

Die Augen Ehmanns irrten ab; grade das überlegte er sich.

»Die Engländer müssen in Wirklichkeit schon längst angekommen sein«, behauptete Emanuel. »Bring mich zu ihnen!«

»Engländer? Was für – Ach so. Nein, die haben telefoniert. Sie hatten sich unterwegs beschickert. Übrigens kennst du sie vielleicht«, sagte Ehmann, um vorzubeugen, wenn Emanuel nachher die Herren Bausch und Williams doch wiedererkannte.

»Jemand muß aber außer mir hier sein«, behauptete Emmanuel hartnäckig, »– weil vor mir die Türen zugehen. Ich glaube, es ist Inge.«

»Die auch noch?« Ehmann war ehrlich erschrocken. »Wie soll die herkommen?« Er dachte, das gebe ein Unglück.

Emanuel stimmte mit ihm überein. Er war sogar entschlossen, das Unglück selbst herbeizuführen, wenn er hier Inge fand. Dies drückte sich in seinem Gesicht aus, aber grade Ehmann war nicht für Gewaltsamkeiten, sogleich trat er den Rückzug an.

»Ich versichere dir, daß ich von keiner jungen Dame in der Sache etwas weiß. Übrigens habe ich dir aus reiner Freundschaft meine Beziehungen zur Verfügung gestellt und will dir nebenbei gestehen, daß sie in diesem Fall über dritte Personen laufen. Deine Verhandlungsgegner kenne ich persönlich gar nicht. Mein Ehrenwort!« versicherte er, unmittelbar, bevor er draußen war. Die ganze Zeit war er nach Menschenmöglichkeit bei der Wahrheit geblieben, er hatte in diesem Gespräch tatsächlich etwas für sein gutes Gewissen getan – um nun doch mit dem letzten Wort ganz unnützerweise einen falschen Schwur zu leisten!

Ehmann suchte im Hause nach dem entlegensten Winkel, um zu schreiben. Er war zu dem Entschluß gelangt, sich in dieser unsicheren und gefährlichen Sache zuletzt nur an den Konzern zu halten. Das entsprach seiner Pflicht, und dabei ging er sicher. Keine Beteiligung durch Emanuel oder selbst durch Schattich ersetzte ihm den Schaden, wenn er nicht mehr im reinen mit dem Konzern war. Daher verfaßte Ehmann in Ruhe und Abgeschiedenheit einen Bericht an seine Abteilung, der er nichts verschwieg, weder über Emanuel Rapp noch über Schattich. Ja, auch Generaldirektor Schattich unterlag der Aufsicht, obwohl er es sich nicht träumen ließ, und höchste Mächte langten nach ihm, wie nach dem Geringsten.

Während Ehmann das Rechte tat, waren andere Personen in dem Hause damit beschäftigt, ihr Äußeres zu verändern. List und Schattich wieder tranken Kaffee, nachdem sie im besten Einvernehmen zusammen gespeist hatten. Emanuel dagegen schlief.

Er hatte einen zeitweiligen Frieden gefunden zwischen den feindlichen Ereignissen. Als der Tag vorschritt, war ihm der Verdacht gekommen, daß man ihn hinhalte und absichtlich durch Hunger schwäche, damit die Stunde der Entscheidung ihn weniger widerstandsfähig finde. Er war klug genug, die verlorenen Kräfte, soweit als möglich, durch Schlaf zu ersetzen.

Als er aufwachte, war es dunkel bis auf das Licht von der Straße, darin aber bewegte sich eine Gestalt.

»Der Schalter war früher hier«, sagte die Gestalt mit hübscher Tenorstimme und drückte hartnäckig auf eine Stelle der Wand. »Außerdem ist mein Schminkkasten mir natürlich wieder geklaut. Es müssen doch Kollegen vorhanden sein.«

Emanuel drehte die Beleuchtung an.

»Wer ist nun das wieder?« fragte der kleine Eindringling. Er war klein, blondgelockt und angemalt wie ein Engel.

»Sagen Sie lieber, was Sie selbst hier zu tun haben!«

»Ich? Ich spiele doch den Polizeikommissar.«

»So sehen Sie aus.«

»Bin ich Ihnen nicht hübsch genug? Frauen umschwirren mich wie Motten um das Licht«, sang der Kleine. Hier erkannte Emanuel ihn.

»Freut mich sehr.«

»Das glaub ich Ihnen. Sie, wie haben Sie das gemacht, daß Sie in der Komödie mitspielen dürfen. Herr von List findet doch Prominente genug – was der zahlt!«

»Meine Rolle ist nur ganz nebensächlich.«

»Ha, ich habe mich in der Etage geirrt!«

»Haben Sie eigentlich schon einmal einen Polizeikommissar gesehen?«

»Und ich habe mich doch in der Etage geirrt. Sagen Sie ja, Sie bekommen die Hälfte! Natürlich hab ich einen gesehen. Was red ich, einen! Soll ich alle die Komödien aufzählen? Jedesmal nimmt er an einer Dame eine Amtshandlung vor. Sie, das dürfen Sie nicht verraten, ich bringe eine neue Nuance, ich verhafte den Gatten. Soll ich mir die Schläfen ganz leicht pudern? Soll ich mal?«

»Verehrter Herr, hier wird gar nicht Komödie gespielt.«

»Aber wozu, frage ich. So ein Funktionär kann ebensogut jung und verführerisch aussehen, besonders, wenn ich es bin. Von mir verlangen die Leute es. Sicher geht hauptsächlich weibliches Publikum hinein, bei Herrn von List ist das immer so. Ich arrangiere den reichen Leuten alle Tage ihren Klamauk. Warum behaupten Sie ins Leere hinein, daß wir heute überhaupt nicht anfangen? Ob Sie in Ihrer Statistenrolle auftreten oder nicht, ich komme heraus, oder jedenfalls verlang ich meine Gage.«

»Sie sprechen so schön«, sagte Emanuel aufrichtig.

»Wie denken Sie über eine Gesangseinlage? Ohne Spaß. Den gesprochenen Text improvisiere ich sowieso. Herr von List hat mich so weit informiert, daß ich in dem Stück jemanden verhafte. Hat der Mann geschoben? Hat er Weibergeschichten? Meine Sorge. Ich hatte den ganzen Tag Probe.«

»Wenn aber die andern ihn umbringen, bevor Sie den Mann verhaften können, was dann? In der Sache sind mehrere eifersüchtige Gatten drin, die können ihn leicht erledigen.«

»Das spielen wir mal! Dann komme ich heraus und singe was. Ich habe dafür einen Song – Sie, da bleibt kein Auge trocken.«

Der Kleine knickte die Knie ein, legte sich schief und himmelte von unten, ach so schalkhaft.

Emanuel näherte sich ihm.

»Lieber Herr, Sie sind Schauspieler. Ich bin keiner. Ich habe hier geschäftlich zu tun – merke aber jetzt, daß meine Gegner nicht grade einwandfrei sind. Mir könnte etwas zustoßen. Ich bitte Sie von Mensch zu Mensch: gehen Sie gegen mich nicht auch noch vor – wenn Sie mir mit Rücksicht auf Ihren Freund List schon nicht helfen wollen.«

Der Kleine machte Miene zu lachen, Emanuel behielt ihn fest im Auge; da schlug jener sich an die Stirn.

»Großartig! Sie sind verrückt. So ist es, Sie bilden sich irgendeine ganz ausgefallene Sache ein, List sagte mir doch etwas. Der sind Sie? Alle Achtung, dazu muß man auch was können.«

»Es ist aber ernst. Verstehen Sie denn nicht, es ist bitterer Ernst und kann am Abend verdammt gefährlich werden, und zwar allen, die mit drin sind.«

»Mir nicht, unberufen. Ich bin beliebt. Aber Sie stinken am Abend ab, Sie fassen Ihre Rolle humorlos auf.«

Damit empfahl sich der junge Prominente. Die Drohung mit einem Mißerfolg hatte ihn verstimmt.

»Bringen Sie die Lacher auf Ihre Seite«, mahnte er im Abgehen. »Mit Humor machen Sie jeden dumm – wenn Sie schon nicht singen können. Frauen umschwirren mich wie Klamotten um das Licht«, sang er draußen – erschien aber nochmals.

»Das eine erwarte ich von Ihrer Anständigkeit. Wenn es ein Erfolg wird und der Tonfilm kommt, den machen Sie mit keinem anderen als mit mir! Ich habe Ihre Idee doch erst aufgezogen.«

Hier bat der Diener den Herrn hinunter.

»Ich komme, mein Freund. Spucken Sie mich an!«

»Nein, nicht der Herr. Der andere Herr, bitte.«

Emanuel ging mit. Der Schauspieler rief noch über beide Treppen nach Kognak. Dann blieb das Haus einen Augenblick still, aber schon läuteten Inge und Brüstung.

Dem Diener gefielen sie nicht, er hätte die Haustür zugeworfen, aber Brüstung war mit dem Fuß dazwischen.

»Herr Rapp!« verlangte Inge, sobald sie in die Halle vorgedrungen waren.

»Kennen wir gar nicht.«

»Denken Sie nach!« warnte Brüstung rauh.

»Herrn Schattich haben Sie doch wohl sicher hier«, stellte Inge fest.

»Herr von List und Herr Schattich sind in einer Konferenz, ich darf nicht stören.«

»Aha, mit Bausch und Ehmann, dazu Williams, es stimmt«, erklärte sie ihrem Begleiter. Hierauf wurde Inge laut; ihr Verehrer hatte sie niemals brutal gesehen, aber die lässige Inge wurde es.

»Hier ist in den nächsten fünf Minuten die Polizei, verstanden? Und Sie oller Penner beziehen noch extra Ihre Keile von dem Herrn hier. Los! Ich will zu Herrn Rapp!«

»Wenn das der Herr ist, der hier schon den ganzen Tag wartet, der sitzt oben.« Der Diener verlor nicht die Fassung, er blieb höflich und wirkte damit ironisch. Er geleitete die beiden heftigen Herrschaften zwei Treppen hoch und klopfte vorsichtig an das Zimmer, worin Emanuel sich bis vor kurzem aufgehalten hatte. Als er noch vergeblich lauschte, drängte Inge ihn fort und stieß die Tür auf. Von Brüstung auf dem Fuße gefolgt, durcheilte sie den Raum und forderte Emanuel auf, sich zu melden. Sie gelangten in das Bad, sahen sich um und kehrten zurück. »Emanuel«, rief Inge ein letztes Mal und wollte wieder hinaus. Aber die Tür war verschlossen.

Sie wendete ihrem Freund die Augen zu; ihr kindlicher Schrecken stand darin. »Das ist schlimm«, flüsterte sie. Er atmete auf, vorher hätte sie ihm fast mißfallen. Er redete ihr Mut zu.

»Es handelt sich wohl nur um ein Mißverständnis. Wir sind etwas schroff aufgetreten.«

»Hast du deinen Revolver?«

»Ich habe meine Fäuste.«

»Dann gib Pfötchen«, sagte sie verzweifelt.

»Du vergißt, daß Williams dabei ist. Schon Williams allein genügt zu seinem Schutz.«

»Ich warte immer, daß du die Tür einrennst.«

»Gleich. Dazu ist noch Zeit, wenn wir erst wissen, was wir eigentlich tun wollen. Eine Konferenz kann man leicht sprengen; aber nachher? Emanuel ist vielleicht im besten Zuge, sein Geschäft zu machen, und nimmt uns die Unterbrechung bitter übel.«

Sie überlegte; dann erhob sie den Kopf und sprach von oben: »Das glaubst du selbst nicht.«

Er war gekränkt, denn er hätte sich das, was er sagte, gern selbst eingeredet, und Inge störte ihn darin. Brüstung war mit so guten Vorsätzen hierher aufgebrochen – grade, weil der bedrohte Emanuel ihn verdrängen wollte bei dem geliebten Mädchen. Auf dem Wege hatte sich etwas ereignet, das den anderen als Mitbewerber ziemlich ausschaltete, so meinte wenigstens Brüstung. Damit aber verringerten sich auch die Gründe für sein eigenes Eingreifen. Er hatte Inge einen Schmerz zu ersparen gewünscht, daher sein Eifer für ihren Freund. Jetzt verfügte sie über ihn selbst, das schien Boxer Brüstung zu genügen. Gut, dem Jungen sollte trotzdem geholfen werden, aber es eilte nicht.

Sie nahm seine Schultern, schüttelte sie und mahnte: »Sei wenigstens du, Brüstung, ein anständiger Kerl.«

»Bin ich das vielleicht nicht!« beteuerte er gutgläubig.

»Seinen Wagen haben wir vor dem Haus nicht gefunden.«

»Da siehst du, er ist abgefahren, nachdem er hier lange genug gewartet hatte.«

»Draußen faßten wir es beide so auf, daß sie seinen Wagen beiseite gebracht haben. Niemand sollte merken, daß Em hier ist.«

»Das war Quatsch«, sagte er, schlug aber die Augen nieder. »Wie soll ich mich nun in die Versammlung einführen? Von den sechs Mann weiß jeder, was er zu tun und zu lassen hat – dein Em auch! Aber ich? Gleich hauen? Dann müßten wir erst ausknobeln, wen.«

»Auf alle Fälle mal Schattich!«

»Den habt ihr auf'm Kiek. Er ist euer Unternehmer. Glaubst du, meine Manager sind bessere Menschen? Jeder verdient. Du brauchst bald keinen Boß mehr, wir heiraten.«

»Nein«, entschied Inge hart und trennte sich von ihm. »Ich danke für einen Penner wie du. Schlag mal gefälligst die Tür ein! Sieh dich vor, diese Sache bringt dir Unglück, wenn du hier in Berlin zum Kampf antrittst.«

»Das habe ich sowieso aufgegeben. Ich fange einen Laden an. Als Boxer kann ich keine Frau glücklich machen, weil schon der Beruf alle Kraft wegnimmt.«

»Behalte deine Kraft!« schrie Inge. Daher überhörten sie, daß geklopft wurde. Eine Stimme draußen fragte: »Können Sie mir die genaue Zeit angeben? Ich glaube, ich muß ins Theater.«

Inge überlegte. Der Prominente! Grade ihn hatte sie ganz vergessen.

»Herein!«

»Wenn Sie nicht aufmachen?«

»Steckt der Schlüssel nicht draußen?«

Hier wurde Brüstung von Wut gepackt. Er trat tatsächlich ein Loch in die Tür. Er faßte hindurch und drehte den Schlüssel um.

»Das konnten Sie nicht selbst besorgen, Sie Lulatsch?« fragte er den Kleinen.

»Ich konnte, aber ich war nicht gesonnen«, erklärte der jugendliche Komiker mit engelgleichem Gesicht. »Ein Gorilla wie Sie soll ruhig hinter Schloß und Riegel bleiben.« Er tat, als übersähe er die unheilvollen Schritte, die der wilde Mann auf ihn zu machte – brachte zwar zwischen sich und jenen einige Möbelstücke, aber das vollzog sich scheinbar nur darum so schnell, weil er jetzt Inge erkannte.

»Wen erblicke ich noch so kurz vor meinem Ende? Die Filmnutte mit der Chance! Ich hatte doch bis jetzt noch keine Ahnung, Kind, wie du in Kleidern aussiehst.«

Er schlug sich an die Stirn.

»Wollten wir uns nicht hier treffen?« Leiser: »Wen hast du dir denn unterwegs geangelt?« Wieder laut: »Ein Mann, ein Wort, da bin ich.«

Sie gab zurück: »Ich hatte Sie auch ganz vergessen.« Dann erklärte sie: »Das ist nur ein flüchtiger Bekannter.« Auch für Brüstung mit fragte sie ihn: »Wollten Sie denn nicht aus Ihrem Freund List herausholen, was das hier für Verhandlungen sind und was er mit seinem Gegner persönlich vorhat?«

»Verhandlungen? Ach! Du meinst die Komödie. Oder nicht?« Denn er bemerkte ihren furchtbar gespannten Ausdruck. »Welchen Gegner hat List?« Wieder ein Schlag vor die Stirn. »Ich verkorkse auch alles, ich war den ganzen Tag auf der Probe. Gleich muß ich wieder ins Theater. Daß ich vorher nur hier meinen Auftritt nicht versäume! Man ist kein Mensch mehr.«

»Haben Sie ihn gesehen?«

»Den Herrn Gegner? Ich bin ihm, scheint es, begegnet, dem Gegner, aber ich bin dagegen. Er hat getobt hier im Zimmer, bevor sie ihn hinunterholten. Du meinst doch den Verrückten?«

»Er ist nicht verrückt. Ihm droht wirklich eine Gemeinheit.«

»Fang mir auch noch an, ja? Räubergeschichten bei meinem Gönner List, wer beißt dir darauf an. Hat man schon einmal einen Kunstfreund –! Deinen armseligen Irren wird er entführen lassen und auf einer wüsten Insel unterbringen, das erzähle mal dem Verein der Kaufleute!«

Brüstung fühlte, daß es Zeit war, seine Freundin zu unterstützen.

»Heute kommt alles vor. Der Mann ist hergelockt worden, weil er eine bedeutende Erfindung vertritt. Wenn es sich nicht um eine ganz große Sache handelte, fände die von Ihnen so genannte Komödie nicht statt, und auch Sie, lieber Herr, wären kaum bemüht worden.«

»Sagen Sie mal, das hat etwas für sich. Auf einmal spricht er nicht mehr wie ein Gorilla. Nun gut, List ist das Letzte von Schweinehund – und wenn schon? Er bleibt mein Mäzen. Die Kunst blüht dabei, und am Theater bin ich derselbe Schweinehund, wollen wir hoffen, sonst sind es die anderen. Jetzt muß ich fort. Kommen Sie doch mal mich ansehen! Hier haben Sie zur Erinnerung ein Paar Handschellen!«

Der Kleine umging überraschend Brüstung, der sich plötzlich gefesselt fühlte.

»Etsch«, machte der Schauspieler. »Ist aber halb so schlimm. Verdreh das Gelenk – schon offen! Sie sind von unserem Requisiteur.«

Im Sprechen hatte er rückwärts die Tür erreicht; er war draußen – winkte aber Inge herbei, während Brüstung sich noch mit den Handschellen abmühte.

»Laß ihn meine Rolle als Polizeikommissar übernehmen. Er tritt auf, bringt seinen Satz – was ihm einfällt – und fesselt deinen Verrückten, so schlecht, wie er will. Wozu soll das ich tun. Ich war zwar dafür engagiert, ihn richtig zu fesseln. Aber andrerseits: was geht mein Freund List mich an. Jeder sein eigener Schweinehund.«

Inge hielt ihn auf.

»Geben Sie mir Ihre Telefonnummer!«

»Das mußte kommen. Wann soll es denn sein?«

»Ich weiß nicht, was heute abend alles passiert.«

»Mit uns? Das weiß ich« – er warf noch eine Kußhand.


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