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Viertes Kapitel

Sie waren natürlich im Kino gewesen, wie jeden Sonnabend. Inge wie Margo waren der Meinung, daß ihr Vater nichts davon hatte, wenn sie seinetwegen auf ihr Vergnügen verzichteten. Übrigens machten sie sich aber auf das Schlimmste gefaßt. Denn nach ihren Begriffen saßen alle älteren Leute nur noch sehr locker im Leben, ja, gehörten ihm höchstens halb an.

Sie waren mit Tränen der Furcht entschlafen. Als sie dann am Sonntag erwachten, herrschte sogleich Ferienstimmung dank der Abwesenheit Birks. Die ganze Wohnung gehörte nun fünf jungen Leuten, den beiden mittleren Töchtern samt dem Schwiegersohn und den Jüngsten, Susanne und Ernst. Zuerst war die Sechzehnjährige auf und öffnete die Tür des jungen Ehepaars.

»Margo, aufstehn! Dein Pilot nimmt dich heute mit!«

Emanuel schalt das Kind.

»Was hast du hier zu suchen, neugierige Elster!«

Es streckte ihm die Zunge aus. Aber die ältere Schwester verließ wirklich das Bett. Ihr lag viel daran, mitzufliegen. Die Luftfahrtgesellschaft beschäftigte die kleine Susanne. Margo war mit Fliegern bekannt geworden und benutzte es, um zu lernen, wie man ein Flugzeug führt. Emanuel hinderte sie nicht.

»Du kannst natürlich abstürzen«, bemerkte er wohl.

»Aber die Gefahr ist auch nicht größer –«, sagte sie.

»Als was uns sonst alles droht«, schloß er.

Sie dachten gleich in fast allem – sie, ihre Geschwister und ihre Freunde. Sie waren gegen Birk darin einig, daß der siebzehnjährige Ernst nur ruhig Mechaniker bleiben sollte. Nicht Ingenieur werden und noch mehr lernen, wie der Vater wollte; denn wohin führte es. Ernst mußte imstande sein, Autos und Flugzeuge zu reparieren, jetzt noch bei der Luftfahrtgesellschaft. Über die eigene Reparaturwerkstätte kam einer, der Glück hatte, dann zu einer Fabrik. Wer viel gelernt hatte, endete bestimmt in abhängiger Stellung, wie Papa … Ernst konnte trotz eifrigem Bemühen seine Finger nicht mehr weiß bekommen. Er bastelte, sobald er nicht aß oder sich auf dem Sportplatz betätigte. Hatte er grade kein Werkzeug zur Hand, stierte er Löcher in die Luft.

Aber Ernst liebte seine beiden großen Schwestern mehr als einer. Mit Susanne kam Liebe nicht in Frage; sie war seine Altersgefährtin und das gleiche junge Arbeitstier wie er. Zu Margo und Inge sah Ernst unter seinen zusammengewachsenen schwarzen Brauen empor als zu der unerreichbaren Schönheit. Sie waren seine ganze Romantik. Er träumte von Margo als der ersten festangestellten Flugzeugführerin in der ganzen Luftfahrtgesellschaft. Inge ihrerseits heiratete, wenn es nach Ernst ging, einen allerersten Mann, einen der Führer der Zeit, Boxer Brüstung.

Ernst schaltete den Strom ein, der das Wasser für den Kaffee heizte. Dann betrat er den Küchenbalkon und wartete, bis alle fertig angezogen waren. Außerdem hoffte er den Boxer schon drunten im Park zu sehen. Der verliebte Brüstung bediente sich des jungen Ernst, um jeden Sonntag in Erfahrung zu bringen, wo er Inge antreffen konnte. Sie selbst sagte ihm nicht immer das Richtige. Er warb um sie bisher ohne entscheidenden Erfolg.

In dem stillen Monbijou-Park entdeckten die Blicke des jungen Ernst noch keinen Menschen. Wohl aber stand die junge Zofe der Frau Schattich schon auf der Terrasse des dritten Stockwerks. Sie lehnte sich an den Mast der schwarz-weiß-roten Fahne, die Schattich hier immer wehen ließ, damit die Spaziergänger des Parks sie vor Augen hätten. Vorn auf den Heumarkt hinaus überließ er das Flaggen seinem Mieter Birk, der ganz oben wohnte. Daher trug das Dach die Farben Schwarz-Rot-Gold, und Schattich duldete es. Sie stellten das Gleichgewicht her, und der frühere Reichskanzler war außer Verantwortung.

Im dritten Stock schliefen die Herrschaften mindestens noch zwei Stunden. Marietta hätte sonst nicht wagen dürfen, mit Ernst zu flirten. Ihr Standpunkt war vor dem Schlafzimmer ihrer Herrin. Das zweite Stockwerk enthielt die Schattichschen Gesellschaftsräume, das erste die Büros. Der hohe Konferenzsaal des Generaldirektors reichte vom ersten bis zum zweiten und belegte ihren ganzen hinteren Teil, mit allen seinen Fenstern nach dem Park. Das Dach des Saales war eben die Terrasse mit der Fahnenstange, an der die Zofe lehnte. Eine eigene Treppe führte neben dem Saal hinauf bis hinter die Wand der Terrasse.

Auf dieser Treppe ging Schattich seine Wege, die seine Gattin Nora nicht alle kannte. Auch Marietta suchte den Knaben, den sie begehrte, dort hinunter zu locken. Sie holte jetzt wieder einmal den Schlüssel hervor, tat, als öffnete sie die kleine Tür in der Mauer, dahinter die Treppe lag, und mit der anderen Hand deutete sie an, wie leicht es sei, zu ihr herabzusteigen.

Das wußte er; er hatte es schon erprobt, aber nur, wenn sie nicht da war. Er blieb völlig ernst, ja, düster, während sie so lockende, leichte Mienen zeigte. Im Innern sah er sich mit ihr inmitten der Gesellschaftsräume des Generaldirektors, bei großer Beleuchtung auf ungeheuren seidenen Sofas. Die Aussicht berauschte den jungen Mechaniker nicht sehr und machte ihm nicht übertrieben bange. Er erwog sachlich die Chancen seines Vergnügens. Immerhin klopfte ihm das Herz, und das Mädchen wußte es. Sie lachte ihn aus. Auch eine unanständige Gebärde wagte sie.

»Ich kann alles sehn«, sagte eine hohe Stimme, und sie bemerkte Boxer Brüstung. Er stand auf dem Gartenweg und verschränkte die Arme. Die Zofe Marietta schnitt ihm noch schnell eine Fratze, dann verschwand sie nach den Schattichschen Gemächern. Im letzten Augenblick flüsterte sie hinauf zu Ernst: »Nachmittag um drei.« Sie war sicher, daß er sie verstand.

Er hatte indes nur Sinn für Brüstung dort unten, der von ihm Nachricht über Inge erwartete. Heute abend sollte der Boxer kämpfen im Sportpalast vor der tausendköpfigen Menge, noch immer aber kam er wegen Inge! Ernst war ein Junge, dem vorläufig seine Schwester und ihre Sache mit Brüstung wichtiger erschienen, als was in Hinsicht des Herzens ihm selbst zustoßen konnte. Anders, wenn es sein Verhältnis zu der Luftfahrtgesellschaft betroffen hätte.

Er sprach zwischen seinen Handflächen in den Park hinunter.

»Sie ist aufgestanden. Ausfahren? Noch nicht sicher – wegen Vater. Warte mal! Ob sie nicht kommt? Bist du in Form?« fragte er auch noch.

Aber Brüstung zeigte ihm jetzt von unten ein Päckchen. Ernst begriff sofort. Er ging hinein, schon kam er mit einem Seil zurück. Er ließ es hinab, Brüstung hängte das Päckchen daran.

Kaum hatte Ernst es oben, war Inge da.

»Was treibst du? Ach so. Das will ich aber nicht.«

Sie hatte über Brüstung hinweggesehen, unvermeidlich war nur, daß sie bemerkte, was die geplatzte Hülle des Päckchens verriet. Silberlamé funkelte im Morgenstrahl. Es versetzte Inge einen Stoß; sie nahm das Geschenk und wollte verschwinden. Ihr kleiner Bruder rief ihr nach: »Wenn du es nimmst, muß er auch –«

Sie war fort. Ernst beugte sich tief über das Geländer des Balkons.

»Bruno! Jetzt glaube ich, daß es wird.«

»Woher?« fragte der Boxer gedämpft und angstvoll.

»Dein Geschenk regt sie auf. Grade das Kleid hat sie sich gewünscht, sie sprach davon.«

»Ich habe sie vor dem Schaufenster beobachtet«, sprach Brüstung nach oben, »da wußte ich Bescheid.«

»Du bist ein feiner Kerl«, sagte Ernst hinunter, »ich möchte Boxer werden.« Er war begeistert, seine Stimme klang ganz hell.

»Glaubst du, sie liebt mich jetzt?« Auch Brüstung sprach glücklich erregt. Beide jungen Leute hatten das Gefühl, allein zu sein, und wäre der öffentliche Park auch schon besucht gewesen. Er gehörte aber sich selbst und ihnen im Tau und ersten Licht, mit allen Laubschleiern. Dahinter die noch verschlossenen Häuser, alles im Schlaf, nur sie beide nicht; und neu erwacht, wie sie, waren der Park und seine frische Luft.

Im Gefühl, allein zu sein, sagten sogar beide, wie Inge schön sei.

»Ich sehe sie durch das Fenster«, meldete Ernst. »Sie hat dein Kleid an.«

»Wenn ich das sehen könnte!« verlangte der Boxer.

»Dann komm herauf«, beschloß ihr Bruder kühn. »Gleich frühstücken wir.«

Schon lief Brüstung. Ernst lag noch eine Weile über dem Geländer und spuckte hinunter. Dabei teilten sich seine dunklen Haare, und die merkwürdige weiße Strähne erschien, die er lieber versteckte … Bedenken kamen ihm. Nichts vom soeben Gesprochenen schien ihm noch voll berechtigt. Worte hatten niemals die Zuverlässigkeit einer laufenden Maschine. Der Siebzehnjährige lernte dies täglich – an anderen, an sich selbst. Er zog die Brauen fester zusammen und ging hinein.

Im Wohnzimmer deckte Margo den Tisch. Die kleine Susanne ging ab und zu, sie brachte die Sachen. Dann war noch Emanuel da, er kehrte aber den Rücken her. Es wurde nicht gesprochen.

»Sie ist in unserem Zimmer«, flüsterte Susanne. »Sie probiert ein neues Abendkleid.«

Margo erschrak. Sofort sah sie sich nach Emanuel um – der nicht hörte oder nicht hören wollte. Margo zog dennoch die Jüngste bis unter die Küchentür.

»Woher hat sie ein neues Abendkleid? Gestern konnte sie nicht mal die Bluse kaufen, und die braucht sie.«

»Willst du sie sehen?« fragte Susanne, um sich zu rechtfertigen. Aber aus Gutmütigkeit sagte sie: »Von Emanuel hat sie es sicher nicht.«

Margo warf den Kopf zurück.

»Kommt nicht in Frage«, sagte sie blaß und mit brennenden Augen.

Plötzlich wandte ihr junger Gatte sich an Ernst.

»Du kannst den Wagen haben.«

»Wieso? Ihr fahrt nicht hinaus – wegen Vater?«

»Ich – wegen Vater«, erwiderte Margo. »Emanuel muß andere Gründe haben.«

Das reizte ihn.

»Ich lasse mir doch nicht vorschreiben, wen ich mitnehmen darf und wen nicht.«

Margo fühlte Tränen, daher wechselte sie wieder die Stellung. Sie blickte jetzt in Richtung der Schlafzimmer; grade aber ging die Tür auf, Inge stand da. Die Schwestern sahen einander an. Die Augen Inges glitten einmal schnell hinüber zu Emanuel, dann sahen sie einander weiter an.

»Inge, fahr mit mir!« bat Ernst in bester Absicht. Die sanfte Margo aber zeigte ihm ein drohendes Gesicht.

»Inge ist erwachsen, merke dir das, mein Junge. Sie weiß, mit wem sie fahren soll. Sie weiß auch, von wem sie Geschenke nimmt.«

Da klopfte es an der äußeren Tür. Ernst öffnete, und es war Brüstung.

»Der gute Bruno!« sagte Emanuel etwas zu gönnerhaft, und dabei war der Boxer nahezu durchgedrungen, die Zeitungen brachten sein Bild.

»Sollen wir ihn zum Frühstück einladen?« fragte Emanuel. Ernst umwölkte sich; so sprach man nicht mit Boxer Brüstung.

Dieser gab inzwischen allen die Hand, und wer sie ihm gegeben hatte, ward einen Augenblick nachdenklich.

»Danke«, sagte Inge, die ihm die Hand nicht gab.

»Danke wofür?« fragte Margo.

»Er hat mir etwas geschenkt.« Sie äußerte sich nicht näher.

Margo und Emanuel verhielten sich hierauf beide stumm und ernst.

»Werden Sie es tragen?« fragte Brüstung.

»Ich hoffe«, antwortete Inge. »Aber Pappi ist so krank. Ich muß noch warten.«

»Heute in acht Tagen? Beim Ball im Sportpalast?«

»Wer weiß, wie es kommt«, sagte sie, ohne jemand anzusehen.

»Zuerst siegen Sie mal heute abend! … Hast du schon angerufen?« fragte sie ihre Schwester.

»Papa schlief noch«, erklärte Margo. »Ich gehe nach dem Frühstück zu ihm.«

»Ich fahre dich hin«, versprach Emanuel versöhnlich. Erst dieser Ton machte, daß ihre Lippen schmerzlich zuckten.

Ernst hatte gegessen und sah in die Luft. Sie dachten wie gewöhnlich, daß er Löcher stierte. Er hatte aber gerade genug hinzugelernt heute morgen über die Unverläßlichkeit der Menschen und der Dinge, soweit sie nicht technisch gesichert waren.

Die kleine Susanne sagte inzwischen, daß sie beabsichtige, Filmdiva zu werden. Sie sagte es innerhalb eines beliebigen Gespräches und mit der größten Ruhe. Niemand fand es übrigens auffallend, so klar und vernünftig sprach das Mädchen darüber.

»Das große Grundstück, das die Filmgesellschaft kaufen will für ihre Ateliers, gehört Papas Konzern«, sagte sie, und es schien ihr zu genügen.

»Pappi ist reizend«, erwiderte Inge. »Aber auf einen geschäftlichen Abschluß Einfluß nehmen, damit du Diva wirst, gerade das fehlt ihm noch.«

»Er lernt es vielleicht«, meinte die Sechzehnjährige. »Heute lernt jeder zu.«

Emanuel erkundigte sich: »Kannst du es denn auch? Diva, meine ich.«

»Meine Herren! Ist die Frage dämlich!«

Hierbei bekam die kleine Suse ein überhebliches Gesicht, als wäre sie nicht mehr die kleine Suse. Sie hatte, des Haushaltes wegen, am Sonntagmorgen ihr Arbeitskleid an, das Gesicht war nicht hergerichtet; um so unnachsichtiger formte ihre Miene sowohl den Stolz als die Verachtung. Das war ihre ganze Antwort auf seine komische Frage.

Er sah es ein und unterstützte sie sogar.

»Na ja, meine zwanzig Berufe, darunter auch mal Schauspieler. Was ich kann, kann jeder. Auch ich kann jeden ersetzen. Daher gibt es immer neue Leute, und man überaltert so schnell.«

Jemand war hiermit nicht einverstanden. Margo. Es kam natürlich daher, daß sie ihrem Gatten andere Vorwürfe zu machen hatte. Emanuel sah sie lieber gar nicht an.

»Kann auch jeder boxen?« fragte sie den Champion.

Brüstung besann sich, um allen gerecht zu werden. Dann sprach er, wie immer, zu Inge.

»Das ist etwas anderes«, sagte er. »Erstens bleibt man nicht immer dabei.«

Ihm schien es, daß sie den Mund verzog. Schnell berichtigte er sich.

»Die Weltmeisterschaft will ich haben. Bevor ich sie aber wieder verliere, mache ich doch lieber einen anderen Laden auf.«

Emanuel gab ihm recht, zögernd auch Margo. Wenn Brüstung nur für irgend etwas Sinn gehabt hätte, außer daß Inge die Schultern hob. Sie hob ihre schönen Schultern und sagte ihm damit, daß er nicht ihr Typ sei, und täte er, was immer. In diesem Augenblick fühlte Brüstung sich tödlich vereinsamt und sprach wie in einen inneren Nebel hinein, so traurig war er.

Er sagte: heute abend, wenn sie ihn im Sportpalast kämpfen sähen, werde er wahrscheinlich Sieger werden. Er sprach mit dem Blick auf Inge. Denn ihm gehe es verdammt schlecht, sagte er; und immer dann kämpfe er am besten.

Er sprang auf, in der Erregung äußerte er merkwürdige Dinge.

»Das Glück ist gar kein Glück. Ich habe trainiert, ich muß das Glück sowieso haben. Trotzdem kann es mir entgehn, und gegen den Schrecken vor der Niederlage kommt kein Sieg auf. Jetzt bin ich oben, noch heute aber kann ich abrutschen. Das Gefährliche beim Boxen ist das Ungewisse.«

»Das ist das Gefährliche bei allem anderen auch«, sagte hier der siebzehnjährige Ernst, und alle anderen sahen auf ihn und seine merkwürdige Haarsträhne, die freilag. Sie wunderten sich kaum, daß gerade er den Ausspruch tat, so sehr bestätigte ihn ihr eigenes Wissen.

Ernst, der wieder in die Luft stierte, hatte soeben herausbekommen, warum Brüstung, der breitschultrige Mann mit dem ruhigen Gesicht, ein durchtrainierter Körper und ein aufsteigender Name – warum er feuchte Hände hatte.

Nach einer Weile nahm Inge ihre ältere Schwester beiseite.

»Ich habe endlich einen Fettpuder gefunden, der richtig hält.«

Dauer und Sicherheit, da waren sie. Immer jung, immer schön bleiben, fühlten Margo und Inge. Jene dachte es für Emanuel zu sein, diese für noch viele. Vor allem aber war es nötig, um zu leben. Daher prüften sie mit Eifer den neuen Puder.

Emanuel antwortete auf eine Frage Brüstungs: »Ich weiß wirklich nicht, ob ich dich heute abend ansehen kann. Man ist so furchtbar überlastet – selbst sonntags. Ich habe mich auf ein Unternehmen eingelassen, das mich mit neunzig Prozent Sicherheit zum reichen Mann macht. Aber die anderen zehn Prozent! Die machen Sorgen. Das Schwerste ist, in Gang zu kommen. Die ganze Nacht war mir, als ob ich laufe.«

»Ist es denn eine sportliche Angelegenheit?«

»Mehr oder weniger«, sagte Emanuel, fest entschlossen, nichts zu verraten.

Inge sah auf und brachte einen Satz.

»Laß dich nur nicht gleich in der ersten Runde k. o. schlagen, lieber Em«, sagte sie wie einstudiert und ging wieder zur Pflege ihres Gesichtes über. Margo hingegen stieß sie an, ihr war noch dies zuviel. Sie hatte nicht gewollt, daß der Vater sein großes Geheimnis in ungeübte Hände lege. Jetzt aber: man schwieg und handelte!

Sie stand auf.

»Ich gehe zu Papa.«

»Und dein Flugzeugführer?« rief die kleine Susanne. »Er erwartet dich bestimmt.«

»Ich möchte auch unbedingt. Wie soll ich nur – meinst du, daß er meinetwegen eine halbe Stunde später –? Ach, das ist Unsinn. Aber ich muß zu Papa, am Telefon sagt mir niemand die Wahrheit über ihn, nein, Rolf erst recht nicht.«

»Das Telefon!« meldete Ernst. »Margo wird verlangt.«

Von wem? Der Herr hatte sich nicht genannt, aber es war Schattich. Kein Geringerer als der Generaldirektor selbst wünschte Margo zu sprechen. Noch war nicht Zeit gewesen, von der Begegnung mit ihm zu erzählen; es gab mehr Aufregungen. Alle standen verblüfft, bis sie aus dem Arbeitszimmer Birks zurückkehrte.

»Gestern wollte er, daß ich meine Tätigkeit zu ihm ins Haus verlege. Jetzt soll es sogleich sein.«

»Findet ihr das auffallend?« fragte Inge ohne jede Betonung.

»Wie werden wir«, sagte die kleine Suse nicht weniger undurchdringlich. Keine von ihnen sah Emanuel an.

Er äußerte fragend: »Am Sonntagmorgen –«, als ob ihm nur dies auffiele. Plötzlich warf er die Schultern zurück und beschloß drohend: »Ich gehe natürlich statt deiner. Der Herr scheint nicht im Bilde.«

»Aber Em!« Suse war es. »Willst du dir denn einen Vollbart stehen lassen? So klingen deine Ansichten.«

Margo fragte: »Sehe ich aus, als ob ich zum Opfer Schattichs bestimmt wäre?« Schnell erinnerte sie sich ihrer aufgeworfenen Nase.

Sie blickte umher. Alle sechs jungen Leute lachten beherzt über die falschen Erwartungen eines älteren Herrn. Auch Emanuel fand die Sache jetzt einfach komisch.

»Mach, was du willst«, bestimmte er. »Mein Tag ist besetzt.«

Er holte schon seinen Hut.

Auch Margo setzte ihren Hut auf, aber sie lachte nicht mehr.

»Ich wollte fliegen. Ich wollte Papa besuchen. Schließlich werde ich drunten im ersten Stock sitzen und stenographieren. Man hat nie Zeit. Nie tut man, was man will.«

»Und so vergeht das Leben«, ergänzte ihre sechzehnjährige Schwester, die sich lustig machte.

»Lache nur!« war die Antwort. »Wenn du erst zwanzig bist, sagst du das nicht mehr im Scherz.«

Ihr Gatte nahm Margo beiseite.

»Ich komme mit dir – nein, nicht zu dem Zweck wie vorhin. Überhaupt nicht deinetwegen; lassen wir den Unsinn. Ich habe die allerernstesten und dringlichsten Gründe – du ahnst wohl, in welcher Richtung sie liegen.«

Margo nickte.

»Die Gelegenheit ist gut«, sagte Emanuel noch. »Mir bleibt es völlig gleich, welche Gelegenheit der Mann mir gibt. Jede ist gut.« Er sprach wegwerfend, zu sehr sogar – hatte auch unruhige Bewegungen. Margo sah ihn fest an, sie tat alles, um ihm Kraft zu geben.

»Mach dir gar keine Gedanken! Um so besser, wenn du mich in der Sache brauchen kannst – als Schlepper, sagen wir.«

»Läßt er sich erst mit dir ein, hab ich ihn auch«, gestand Emanuel erleichtert.

»Richtig«, sagte Margo.

In glänzender Einigkeit verließ das Ehepaar die Wohnung. Inge, die Ursache ihrer Zerwürfnisse, wurde nicht beachtet. Dagegen erbot Ernst sich, sie hinauszufahren. Er wollte auch Brüstung und Susanne mitnehmen. Der schöne Frühlingstag, die heiteren jungen Leute und die Freiheit! Aber Inge lehnte ab. »Amüsiert euch!« wünschte sie ihnen und fuhr fort in ihrer Schönheitspflege.

Sie war ungeduldig, obwohl sie nach ihrer Art nett blieb. Ihre jüngeren Geschwister merkten es, sie machten hinter sich die Tür zu. Allein war noch Brüstung bei Inge.

Er sah sie ihre Fassade beenden und fand Inge zu schön – zu schön für das Büro des Konzerns, und auch für ihn selbst zu schön. Ihr weißes, voll und längliches Gesicht war von so sichtbaren Formen und Zügen, daß man stehenbleibt, wenn es vorbeigeht. Brüstung hatte bemerkt, daß manche Männer beim Anblick ihrer Gestalt und ihres Ganges schmerzliche Mienen bekamen. War vielleicht er selbst nur einer von diesen und bestimmt, es immer zu bleiben?

»Warum halten Sie sich dabei so lange auf?« fragte er und deutete auf das Handwerkzeug, das sie weglegte.

Weil er sie liebte, hatte er eine Eingebung; er antwortete statt ihrer.

»Wohl, weil Sie traurig sind.«

Sie erschrak, einen Augenblick sah sie mißtrauisch aus. Dann wurde es ihr aber, wie er sehen konnte, sofort gleichgültig, was er herausgefunden hatte. Sie blieb nett und gutmütig, für Brüstung bedeutete es nichts Gutes. Da er so genau Bescheid wußte, befragte sie ihn sogar über etwas, das sie beunruhigte.

»Kennen Sie den Zustand, wenn man im Begriff steht, etwas zu tun, das man unbedingt nicht tun will?«

Er sah sie an und verstand, was sie quälte. Er war ein ruhiger Mann, sie aber schließlich nur von der Weiberrasse, sosehr er sie liebte. Immer mit dem einen beschäftigt, immer getrieben von dem einen. Er sagte mit liebevoller Strenge: »Das gibt es, was Sie meinen. Aber wenn zum Beispiel ich mich heute abend gehenlasse und etwas tue, was nicht mehr richtig ist, dann werde ich disqualifiziert.«

Sie hatte die Stirn zwischen ihren beiden blühenden Händen, eine blonde Locke fiel auf jede. Die Augen aber sah man grübeln. Sie sagte: »Wenn es auf die Sportregeln ankommt –«

»Und es kommt überall und immer auf sie an«, entschied er ohne Besinnen.

Sie blieb unschlüssig.

»Sie können das sagen … Bei Ihnen liegt es einfacher. Sie werden noch oft kämpfen …«

Ihre Worte kamen in Pausen.

»Ich aber habe jetzt meine einzige Gelegenheit, zu gewinnen – und aus dem Wettbewerb auszuscheiden«, sagte sie ironisch und verzweifelt.

»Sonst aber das ganze Leben lang eine Jagd, wie – Was weiß ich, eine Jagd über eine glühende Straße, eine Straße, die mich verbrennt!« Das war nur noch Verzweiflung.

Lange Pause.

»Und Aufenthalt undenkbar, außer – bei ihm?« fragte Brüstung.

»Aufenthalt bei ihm«, sprach sie mit Inbrunst.

Er beugte sich vor.

»Nie bei mir?« fragte er mit schrecklichem Flehen. Sie sprang auf und wich zurück, so plötzlich kam der Umschwung des ruhigen Mannes.

»Ich liebe dich!« rief er, hielt die Stirn gesenkt und keuchte.

»Ich liebe dich, gib dich ihm nicht! Es schlägt dir fehl, und beide verlieren wir alles. Das kommt nie wieder – für dich nicht, für mich nicht«, keuchte er rauh. »Aus. Ich sage heute abend den Kampf ab.«

Hier war nur sie die Vernünftige.

»Aber Brüstung! Die Weltmeisterschaft! Wegen einer Frau wollen Sie Ihre Chance verlieren? Ich selbst bin eine Frau, die ins Geschäft geht, und davon würde mich kein Mann abhalten. Wir denken doch beide sachlich, wir können nicht anders. Sonst kommen sofort die Nächsten –«

An der Tür polterten die beiden Jüngsten.

»– und drängen uns hinaus.«


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