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Sechzehntes Kapitel.

Früh am zwanzigsten Juli waren Beate und Karin Maria im Küchengarten und pflückten Zuckererbsen. Jede stand auf einer Seite des schmalen Gartenbeets, wo die dünnen, gelbgrünen Ranken sich an Reisigzweigen emporrankten und dicht ineinander schlangen, so daß Beate, wenn sie mit Karin Maria sprach, nichts andres von dieser sehen konnte als ihren weißen Schutzhut. Was Karin Maria selbst anbelangte, so hatte sie gar kein Verlangen, die Schwester anzusehen, denn die Unterhaltung war derart, daß sie das lieber unterließ.

Beate »wunderte« sich nämlich im höchsten Grade wieder einmal, wie schon so oft im Laufe des letzten Monats, was denn Nils Olof immer wieder auf Munkeboda wolle. Erst gestern abend war er wieder dagewesen, und als ihn nachher alle ein Stück Wegs nach Hause begleitet hatten, war er, die Zügel seines Pferdes um den Arm geschlungen, mit Karin Maria weit hinter allen andern drein gegangen. Was in aller Welt hatten die beiden nur besprochen? Hier beugte sich Beate so weit zwischen den Erbsenranken vor, als sie nur konnte; sie entdeckte aber auch jetzt nichts andres, als den gesenkten Sonnenhut Karin Marias, sowie ihre mit Halbhandschuhen bekleideten Hände, die ruhig die dünnen, grünen Schoten pflückten.

»Man könnte nächstens glauben, er wäre in dich verliebt!« rief endlich Beate unwillig nach einer kurzen Pause.

Jetzt antwortete Karin Maria; zwar schüchtern, aber doch mit Würde: »Wäre denn das so merkwürdig? Ich bin ja doch die Einzige, die immer liebenswürdig gegen ihn gewesen ist!«

»Immer?« konnte Beate trotz ihrer Ueberraschung über dieses unzweideutige Zugeständnis nicht unterlassen, spöttisch zu fragen.

»Ja,« antwortete Karin Maria unerschrocken; sie sah, jetzt war die Zeit gekommen, Farbe zu bekennen, »ich habe jederzeit Achtung und Zuneigung für Stjerne gefühlt.«

»Großer Gott, Karin Maria!« Beate sank beinahe zwischen den Erbsen zu Boden, so unerhört kam ihr diese Verräterei vor. »Du willst doch nicht sagen, daß du auch in ihn verliebt bist?«

Karin Maria hatte jetzt den ersten schweren Schritt gethan und fühlte sich mehr und mehr Herr ihrer selbst.

»Verliebt?« sagte sie und zog das Wort ein wenig in die Länge, »das … ist etwas, zu dem ich sehr wenig Anlage habe …« – Beate konnte glücklicherweise nicht sehen, wie sie unter ihrem Hut errötete – »aber ich will ehrlich zugeben, daß ich in der letzten Zeit, da wir uns so oft gesehen haben, angefangen habe, sehr … gut über ihn zu denken.«

Karin Maria verstand es, eine Sache so darzustellen, daß sie, ganz annehmbar lautete. Joachim behauptete, sie habe ein unvergleichliches Talent, den Leuten den Mund zu schließen, sobald sie den ihren öffne. Das gelang ihr auch jetzt. Beate konnte mehrere Minuten lang nicht ein Wort über die Lippen bringen.

»Hat er vielleicht auch schon um dich geworben?« fragte sie endlich mit einem schwachen Versuch, noch immer sarkastisch zu sein. Sie begann nämlich schon die Achtung zu fühlen, die nun einmal jeder vernünftige Mensch vor einer vollendeten Thatsache hat.

»Ja,« antwortete Karin Maria ganz ruhig und mit einem gewissen Stolze; »er ließ gestern einige Worte fallen, die … die … mich berechtigen, das anzunehmen.«

Beate wurde nun beinahe mit Bewunderung vor ihrer älteren Schwester erfüllt. Eine Prinzessin aus königlichem Geblüt hätte die Werbung eines regierenden Fürsten nicht mit größerer Verschämtheit und doch zugleich mit größerem Stolze mitteilen können.

»Und was hast du geantwortet?« fragte Beate mehr und mehr überwältigt, jetzt ohne eine Spur von Sarkasmus in ihren Worten und ihrer Stimme.

»Ich bat ihn, sich an Papa und Mama zu wenden – natürlich.«

»Aber dann willst du ihn ja haben!« rief Beate mit einem letzten Rest von Zweifel.

»Ich bin wohl nicht gezwungen, den ganz gleichen Geschmack wie meine Schwester Agnete zu haben,« sagte Karin Maria in einem überlegenen und etwas scharfen Ton. »Glaubst du zum Beispiel, daß ich Vetter Joachim haben möchte?«

Beate hatte keine weiteren Einwendungen zu machen. Sie gestand sich selbst, daß Karin Marias Verhalten über ihren Verstand gehe.

Einen Augenblick schwiegen die jungen Mädchen ganz still. Die Bienen summten schläfrig im Sonnenschein über den Gartenbeeten, und draußen vom Kleefeld her hörte man den schwirrenden Laut von Troels Sense, die Grünfutter für die Wagenpferde schnitt. Karin Maria, die jetzt ihren Korb gefüllt hatte, ging rund um das Erbsenbeet herum und setzte sich stille neben ihre Schwester mitten m den schmalen Weg.

»Liebe Beate,« sagte sie, als ob es die natürlichste Sache von der Welt wäre, »nun können wir Agnete zu Mamas Geburtstag nach Hause bekommen.«

Beate sah auf, ihre Augen begegneten denen der Schwester, und plötzlich vollständig versöhnt mit dem Freier und dem ganzen Plane, schlang sie die Arme um Karin Marias Nacken. Karin Maria sagte nichts, aber sie erwiderte die Umarmung mit mehr Gefühl, als sie sonst bei Beates Zärtlichkeitsanfällen zu zeigen pflegte.

Am elften August, dem Susannatag, war der Geburtstag und zugleich der Namenstag von Frau Charlotte Susanne Skytte, und deshalb wurde dieser Tag in der ganzen Familie nächst dem Weihnachtsfest als der größte Festtag des Jahres gefeiert. Die Herrin von Munkeboda war ja sonst, wie Gott und alle Welt wußte, keine Freundin von großartigen Festen, aber an diesem Tag hielt sie es, den Gewohnheiten des achtzehnten Jahrhunderts getreu, für passend, sich überraschen zu lassen. Sie zwang sich auch deshalb, am Morgen ein paar Stunden länger im Bett zu bleiben als gewöhnlich und hatte dann immer, wenn sie sich endlich zeigte, ein wohlwollendes Lächeln für die Ueberraschungen der jungen Mädchen und Mamsell Fikens. Diese begannen den Tag gern mit einer Verkleidung und Deklamation beim Kaffee, der, wenn das Wetter es erlaubte, im Garten getrunken wurde, denn die sonst übliche Biermilch war natürlich an solch einem Festtag ganz außer Frage. Hierauf kam jedes mit seinen Geschenken und Glückwünschen, die alle gnädig angenommen und belobt wurden, und am Nachmittag fanden sich die Nachbarn von mindestens drei Meilen im Umkreis zum Geburtstagskaffee und Abendbrot ein. Die Ueberraschung wurde auch niemals dadurch verringert, daß die Majorin wenigstens eine Woche lang selbst alles zu oberst und unterst drehte mit Scheuern des Hauses und Putzen des Silberzeugs und des Kupfers, und in den allerletzten Tagen noch mit dem Schlachten des Festlamms und der Hühner, dem Backen von ellenhohen Kranzkuchen, sowie der Vorbereitung des Nachtischs und der Punschbowlen. Natürlich waren die großartigen Veranstaltungen ein öffentliches Geheimnis, und Mamsell Fiken fragte schon vierzehn Tage vorher, ob man blaugesottenen, oder gebratenen Hecht haben werde, und ob es junge Hühner mit Petersilie, oder wilde Enten zum Abend gebe.

Wenn aber dann die gnädige Frau präzis neun Uhr den Tanz abbrach und die Gäste bat, mit einem »einfachen Abendbrot, das man zufälligerweise im Hause habe,« vorlieb zu nehmen, so verzog niemand den Mund auch nur zu einem ganz leisen Lächeln.

Diesem August hatten die jungen Mädchen indessen nicht mit so großen Erwartungen entgegengesehen als dem vorhergehenden. Beate, die sonst immer die eifrigste war, wenn es galt, Familienfeste vorzubereiten, hatte sich nicht einmal dazu bequemen können, mit Mamsell Fiken über eine kleine Aufführung zu ratschlagen. Nach der Unterredung mit Karin Maria, drunten bei den Zuckererbsen, schien sich indes alles unerwartet aufzuklären, und beim Mittagessen stellte sie auch schon in ihrem Kopfe die Schlußgruppe des Festes zusammen: die liebenden Paare in der Mitte, von Blumenguirlanden umgeben, so wie sie es auf einer alten Zeichnung bei dem Fest aus Drottningholm, wo die Königin Hedwig Elisabeth Charlotte die Heldin gewesen war, gesehen hatte. Sie erwachte wie aus einem Traum, als Bengta atemlos hereinstürzte und meldete, sie habe droben auf dem Hügel von der Küchenstaffel aus Baron Stjernes Wagen mit den Wallachen gesehen.

Beate wurde wie mit Blut übergossen, und ihr Herz fing stürmisch zu klopfen an. Während sie sich alle in großer Eile von ihrer sauren Milch erhoben, blickte sie mit einer beinahe verbrecherischen Mitwisserschaft zu Karin Maria über den Tisch hinüber, die sich zwar tapfer hielt, aber auch tief errötete.

»Heute schon wieder!« rief der alte Niklas ärgerlich, während er die Serviette wegwarf. »Er läßt sich wahrhaftig bald häuslich in Munkeboda nieder! Er kam, bei Gott, nicht halb so oft damals, als er auf Freiersfüßen ging!«

»Papa,« begann Karin Maria sehr erregt – Joachim und Beate verwandten inzwischen kein Auge von ihr – »ich glaube … ich bin beinahe überzeugt … Baron Stjerne hat heute ein besonderes Anliegen bei dir und Mama vorzubringen …«

Sie hatte keine Zeit, mehr zu sagen, denn schon trat Nils Olof, sich verneigend, noch ein wenig röter im Gesicht als gewöhnlich, ins Wohnzimmer, und wurde sofort von Mama in den Salon geführt. Karin Maria und Beate machten ihrem Vater lebhafte Zeichen, zu folgen, und etwas verwirrt und verlegen ging er nach.

Karin Maria war ganz bleich geworden; sie stand kerzengerade an ihrem Tischende und faltete mechanisch ihre Serviette zusammen. Als sie aufblickte, stand Vetter Joachim neben ihr.

»Karin Maria? …« sagte er nur und legte seine Hand fragend auf die ihrige.

»Ja, Joachim,« antwortete Karin Maria und sah dabei schrecklich schuldbewußt aus. Beate aber war so erschüttert, daß sie am liebsten unter den Tisch gekrochen wäre, um nicht bei dem, was bevorstand, anwesend sein zu müssen.

Plötzlich schloß Joachim in seiner überströmenden Freude Karin Maria in seine Arme und hielt sie in die Höhe.

»Liebste Cousine,« sagte er herzlich und äußerst befriedigt, »das bringt nun alles in Ordnung.«

»Du glaubst am Ende, ich hätte es um deinetwillen gethan?« murmelte Karin Maria halb lachend, halb beleidigt.

Joachim lachte auch und versicherte sie auf seine Ehre, so eingebildet sei er doch nicht, und darauf schwur er in seinem Entzücken einen feierlichen Eid, Nils Olof sei der prächtigste Mensch von der Welt, obgleich er natürlich solch eine Perle wie Karin Maria gar nicht verdiene, ein Kompliment, das Karin Maria nebst dem darauffolgenden Gratulationskuß mit geziemender Bescheidenheit in Empfang nahm.

Beate hatte entsetzliches Herzklopfen, jeden Augenblick erwartete sie Mama an der Thüre erscheinen zu sehen, um Karin Maria hineinzurufen. Dieser Vorgang kam Beate als das allerschrecklichste vor, das sie je erlebt hatte, wie auch die Aussicht, gleich nachher selbst hineingehen, sich drin im Salon vor dem neuen Schwager verneigen und ihm Glück wünschen zu müssen, der es am Ende gar noch für seine Pflicht halten würde, sie zu umarmen.

»Jetzt!« flüsterte Beate krampfhaft und hielt den Atem an, als sie von der andern Seite jemand die Hand auf die Thürklinke legen hörte.

Karin Maria richtete sich auf und ging hinein. Einen Augenblick standen Joachim und Beate unbeweglich still, unwillkürlich lauschend, ohne jedoch irgend etwas zu hören.

»Kannst du begreifen, daß sie ihn haben will?« rief Joachim plötzlich in lautem Flüsterton.

Aber nun fühlte sich Beate im Namen der Schwester beleidigt. Sie hatte seit dem Gespräche am Vormittag, in diesen wenigen Stunden schon gelernt, Stjerne mit ganz andern Augen zu betrachten; und jetzt, da er sozusagen mit zu der Familie gehörte, rühmte sie an dem Erwählten Karin Marias alle guten Eigenschaften, die sie nur erdenken konnte. Aber plötzlich, bei einem Geräusch im Zimmer nebenan, unterbrach sie sich rasch und flüsterte: »Vetter Joachim,« sie sah ihn flehend an und zog sich schnell ein paar Schritte gegen die Küchenthür zurück, »sag' den andern, im Fall sie nach mir fragen, daß ich … daß ich einen Augenblick zu Mamsell Fiken gegangen bin. Ich …,« sie bewegte die Hand mit einer beinahe tragischen Gebärde, »ich kann es nicht länger aushalten!«



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