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Fünftes Kapitel.

Um sechs Uhr nachmittags fuhr der alte gelblackierte Landauer des Kriegsrats Fagerhjelm durch das Gartenthor herein in den Hof. Joachim stand gerade mitten auf dem Grasplatz, wo er den jungen Hengst »Ajax« an einer langen Leine ein wenig im Freien laufen ließ. Das schöne Tier war wild und ausgelassen; die ungewohnte frische Luft und das beständige Im-Kreisherumlaufen hatten es erregt, und Joachim konnte es nur mit Mühe am Durchgehen verhindern. Es schnaubte mit tief gesenktem Kopf, scharrte mit den Füßen und schlug mit den Vorderbeinen; Joachim war vollauf mit ihm beschäftigt und mußte es daher Onkel Niklas überlassen, den Damen aus dem Wagen zu helfen. Erst als sie nach vielen lauten Worten und Entschuldigungen auf der Staffel und dem Flur, »weil sie die Herrschaften am hellen Werktag heimsuchten«, in dem nun endlich geheizten Salon glücklich untergebracht waren, wagte sich Joachim die Treppe hinauf und in sein eigenes Zimmer. Hier machte er in Gedanken an die zwölf verführerischen Offiziersaspiranten äußerst sorgfältig Toilette, legte seinen allerbesten Anzug an und gab auch seinen Haaren etwas wohlriechende Pomade.

Als er endlich fertig war und durch die Wohnstube ging, war Beate gerade im Begriff, von Agnete und Mamsell Fiken unterstützt, das Abendbrot auf den nun zu einer großen Tafel zusammengefügten Klapptischen anzurichten. Ein kleines Sparlicht auf dem Anrichtetisch beleuchtete schwach den weiten Raum. Die Tapetenthür nach der Küche stand weit offen, und es schlug ihm daraus ein höchst appetitlicher Geruch von dem »halbertrunkenen« Truthahn, sowie das Geklapper von Tellern und Töpfen entgegen. Agnete, schwer mit Tellern beladen, warf im Vorbeigehen einen hastigen, scheuen, fast feindselig spöttischen Blick auf seinen sorgfältigen Anzug. Auch Beate hatte ihn bemerkt und konnte sich nicht enthalten, die Schwester mit einem bedeutsamen Blick ein wenig anzustoßen.

Drinnen im Salon, in feierlichem Halbdunkel, beim Schein der vier angezündeten Wandleuchter – zwei auf jeder Langseite des Zimmers – unterhielt Tante Charlotte auf dem Sofa zwei magere weibliche Personen mit hohem, mit Blumen versehenem Kopfputz und mit herunterhängenden Locken an den Schläfen. Ein junges, oder wenigstens jüngeres Mädchen in ausgeschnittenem hellblauem Seidenkleid, das Spitzentaschentuch graziös zwischen den Fingerspitzen haltend, verhandelte »Geheimnisse« mit Karin Maria im Ecksofa, während der junge Fritz Fagerhjelm, der sonst in Lund seinen Wohnsitz hatte, unter viel Scherzen und Lachen herauszubringen versuchte, was sie sagten. Aus dem Comptoir drang schon das Geräusch der Würfel und der Steine des Brettspiels herüber.

Mit gebührender Feierlichkeit wurde Lieutenant Skytte der Kriegsrätin und ihrer etwas jüngeren Schwester, der Frau Hauptmann Ekebeck, vorgestellt. Nach einigen wohlgesetzten Reden, wie sie der damalige Gebrauch verlangte, konnte er sich dann an Fräulein Susen wenden.

Joachim schwor sofort darauf, daß dieses Fräulein Susen – potztausend alle Welt – durchaus nicht übel sei! Mager war sie zwar, das schien in der Familie zu liegen, aber sie war ein Blitzmädel! Sie hatte gleich eine ganze Menge Grüße an den »Herrn Lieutenant« von gemeinsamen Freunden zu bestellen und wußte dabei ihre großen blauen Augen so gut zu gebrauchen, daß Joachim, plötzlich ganz aufgeräumt und in strahlendem Humor, den Bewohnern von Kristianstad zu ihrer neuen Bewohnerin gratulierte, die sich so »unternehmend« zeige. Als Agnete nach einer Weile auch hereinkam und, vor den Gästen sich verneigend, der Mutter das fertige Abendbrot anmeldete, machte Vetter Joachim offenbar Susen schon gewaltig den Hof. Dort drüben stand er neben ihr und neigte sich in sentimentaler Stellung zu ihr hernieder, ihr allerlei Schmeicheleien zuflüsternd und mit mystischen Worten andeutend, wie schlimm es für ihn sei, für sie ein Fremder zu sein und darum nicht verstanden zu werden und so weiter. Karin Maria aber, empört über diese unpassende, unbesonnene Courmacherei, stickte mit einem Eifer an ihrer Straminarbeit, als gälte es ihr Leben, und kümmerte sich durchaus nicht um den armen Fritz, der ihr äußerst niedergeschlagen gegenübersaß.

Die Majorin erhob sich sofort und bat die Herrschaften, mit einem »Butterbrot« vorlieb zu nehmen. Aber aus diesem gesucht anspruchslosen Wort bekam man den Eindruck, daß das, was sie biete, nicht mit Gold aufzuwiegen sei. Der Major und der Kriegsrat, beide mit ein wenig geröteteren Gesichtern, als gewöhnlich, kamen nun aus dem Comptoir, und Joachim wurde aufs neue vorgestellt.

»Auf Ehr und Seligkeit!« rief der Kriegsrat, sich in die Brust werfend und mit ein paar alten Napoleonsdor klimpernd, die er immer in der Westentasche trug, während er Agnete bewundernd vor sich im Kreis herumführte, »du kannst wahrhaftig stolz auf dein Nesthäkchen sein, mein verehrter Freund und Bruder!«

Agnete errötete; den Kopf hilflos auf die Seite geneigt, zupfte sie verlegen mit der freigebliebenen Hand an ihrem Musselinkleid. Sie fühlte, wie aller Augen auf sie gerichtet waren.

»Sind wir vielleicht zu groß geworden, um dem alten Onkel einen Kuß zu geben?« setzte der alte Herr mit lauter Stimme galant hinzu. Und ohne eine Antwort abzuwarten, legte er den Arm um das junge Mädchen und küßte es herzlich.

Joachim hatte sich bei den Worten des Kriegsrats, ebenso wie alle andern, umgedreht und Agnete angesehen. Sie sah entzückend aus in ihrer frischen, unbewußten Anmut, mit den kindlich schmalen Schultern und dem weichen, etwas hohen, im Schein der Lichter blendend weiß schimmernden Nacken. Er hatte plötzlich Susen vollständig vergessen, und als der »alte Libertin«, wie er von da an bei sich selbst den Kriegsrat betitelte, sie so ohne weiteres küßte, runzelte er aufgebracht und empört unwillkürlich die Stirne. Wie konnte sich nur Agnete solch eine Unverschämtheit ruhig gefallen lassen!

»Wenn meine gnädige Cousine die Güte hat!« Mit diesen Worten verbeugte sich der Kriegsrat vor der Majorin. Mit würdevoller Herablassung legte diese zwei Finger auf seinen Arm; Onkel Niklas bot wohlwollend seine Arme den beiden mageren Schwestern auf dem Sofa, und Susen schlang schelmisch ihren Arm um die noch immer verdrießliche Karin Maria, weil sie sah, daß der Lieutenant keine Miene machte, sie zu Tische zu führen.

Dann verneigte und sperrte man sich noch eine Weile im Eßzimmer; endlich saß alles, und Beate, etwas erhitzt und aufgeregt, bot die Speisen herum, während die Majorin freundlich zum Zugreifen nötigte. Agnete, mit einem unbestimmten Widerwillen, mit den andern zusammen zu sein, machte sich noch im Salon zu schaffen; sie zog die Sofadecke zurecht und stellte die Stühle wieder an ihren Platz.

»Agnete! …« flüsterte Joachim dicht neben ihr.

Es war etwas in seiner Stimme, verlangend und demütig bittend zugleich, das plötzlich ihr Blut heiß aufwallen ließ.

»Vetter Joachim!« rief sie verwundert, als ob sie ihn vorher gar nicht bemerkt hätte. »Aber …« sie blickte sich um, »was hast du denn mit Susen gemacht?«

»Agnete …!« Er streckte seine Hand nach der ihrigen aus und wagte es doch nicht, sie zu ergreifen. Agnete aber zog sich ein wenig zurück und sah ihn unfreundlich und zürnend an.

»Ich habe es dir ja gesagt, du würdest dich sogleich in Susen verlieben; sie ist eine so vollendete Weltdame …«

»Ach, zum Kuckuck mit Susen!« rief er plötzlich ungeduldig, zwar leise, aber energisch, ergriff rasch ihre kleine Hand und zog sie mit sanfter Gewalt an sich. »Du …,« er senkte die Augen und räusperte sich. »Wenn du dich noch einmal von dem alten Branntweinfaß küssen läßt, dann drehe ich ihm den Hals um!«

Agnete machte große, unschuldige Augen. »Aber Joachim … so ein lieber, alter Onkel!«

Aber ihre Augen waren allzu unschuldig gewesen; er ließ sich nicht für Narren halten! Ohne seine Blicke abzuwenden, die jetzt wieder unverstellt zärtlich und munter und halb fragend waren – als ob er um mehr bitten wolle, es aber nicht wage – zog er ihre Hand an die Rippen und küßte sie.

»Kleine Agnete!« murmelte er.

Nach dem Abendbrot spielten alle zusammen, außer der Majorin und der Kriegsrätin, verschiedene Kartenspiele um Pfeffernüsse und gebrannte Mandeln. Agnete war dabei so ausgelassen, daß ihr Karin Maria mehreremal einen strafenden Blick zuwarf und sie unter dem Tisch am Rock zog. Joachim bemerkte jetzt auch, wie gut sie es verstand, ihre Augen zu gebrauchen, mindestens ebenso gut wie Fräulein Susen. Sie hatte eine Art, dem jungen Fritz Fagerhjelm, wenn er gewonnen hatte, ihre Hände zum Küssen hinzuhalten – die sie aber dann doch im letzten Augenblick regelmäßig wieder zurückzog –, bei der es ihn heiß und kalt überlief, denn er saß auf der andern Seite des Tisches, zwischen Frau Hauptmann Ekebeck und Fräulein Susen, und konnte sie ganz gut beobachten. Und das Schlimmste war, daß es ihr so gut stand, diese übermütige, kindlich herausfordernde Koketterie mit der allzu deutlichen Geschicklichkeit. Trotz seines Aergers und seiner Unruhe mußte er doch immer wieder über sie lächeln, während er seinerseits sich Fräulein Susen widmete und vollständig mit ihr beschäftigt zu sein schien. Mit den Händen auf dem Rücken, und ihr Gesicht dicht unter dem seinigen, spielte Susen »gerade oder ungerade« mit ihm, mit Nußkernen, die sie dann unter Scherzen und Lachen miteinander aufaßen.

Nachher wurden Rätsel aufgegeben. Tante Netten – wie sie von den jungen Mädchen genannt wurde –, die Joachim während des Kartenspiels als eine fröhliche und tolerante Dame erkannt hatte, war unermüdlich im Reimen und darin allen voran.

»Mein Erstes trifft im Walde man,
Mein Zweites ist ein kleiner Fluß,
Mein Ganzes ist ein Dummrian,
Vom Scheitel bis zum Fuß!«

las sie lustig von dem ihr von der Majorin zu diesem Zweck freiwillig gewährten halben Papierbogen.

Joachim und Fräulein Susen steckten die Köpfe zusammen und brachten die abenteuerlichsten Lösungen vor, aber niemand brachte das Rätsel heraus.

»Aber, mon Dieu!« rief die Hauptmännin und fächelte sich mit dem Papier – der warme Punsch und die Pfeffernüsse hatten den Wärmegrad in dem überheizten Salon noch bedeutend erhöht – »kann es wirklich niemand herausbringen? … Das ist doch selbstverständlich mein Mann! Eke–bäck – Eichen–bach! Das ist doch so klar wie der Tag!«

Sie richtete ihre runden blauen Augen, die an die der Nichten erinnerten, mit einem lustigen Ausdruck ungekünstelten Erstaunens auf Joachim, so daß dieser sofort in lautes Lachen ausbrach und sich nur verwunderte, daß er bei der treffenden Beschreibung nicht sofort auf den ehrenwerten Hauptmann verfallen war.

Aber alle drei Schwestern Skytte waren verletzt; sie blickten verlegen vor sich hin, und Beate flüsterte dem jungen Fritz ins Ohr, sie könne Tante Netten durchaus nicht begreifen.

»Sie meint es ja nicht böse,« tröstete Fritz, »aber in ihrer Jugend gehörte es zum guten Ton, nicht allzu empfindsam zu sein, wenn man von seiner Ehehälfte sprach.«

»Mama würde niemals so etwas über Papa sagen,« versicherte Beate, noch immer entrüstet.

»Nein …« Fritz sann ein wenig nach und sah dann aus, als ob er das nicht gerade als eine vorteilhafte Eigenschaft der Majorin betrachte. »Aber Tante Skytte ist eben auch so ungewöhnlich ernst.«

Es war schon spät, aber niemand wollte zu Bett gehen; man sah so selten junge Leute auf Munkeboda. Karin Maria bat Joachim, ihre Harfe aus der Giebelstube zu holen, und sang einige Lieder von Geijer, sowie die beliebte und allgemein bewunderte »Holdselige Rose« und »Die Blumen«. Alle lauschten andächtig dem Gesang, alle schienen des Lachens und Scherzens plötzlich müde geworden zu sein. Tante Charlotte richtete sich in ihrer Sofaecke auf und blickte würdevoll um sich, stolz über die Leistung ihrer ältesten Tochter. Die Thür zum Comptoir öffnete sich leise, und durch den dichten, von den langen Tabakspfeifen ausgehenden Rauch, der wie eine Wolke ins Zimmer drang, erblickte man zwei vorgestreckte rote Gesichter.

Joachim hatte unbemerkt seinen Platz gewechselt und saß jetzt hinter Agnete. Ohne daran zu denken, hatte er die Hand über die Rückenlehne ihres Stuhls gelegt, und plötzlich fühlte er, wie ihr Hals unbewußt darauf niedersank. Er rührte sich nicht, sondern saß mäuschenstill, während ihr weicher Nacken vertrauensvoll, beinahe wie zärtlich auf seiner Hand ruhte. Ihre runden, weißen Schultern erschienen in dem Halbdunkel des Zimmers auf dem blauen Möbelüberzug noch weißer – wäre es Fräulein Susen oder irgend ein andres Mädchen gewesen, so hätte er nicht eine Minute gezaudert, sondern sofort seine Lippen darauf gedrückt: das wäre nur eine gewöhnliche Galanterie gewesen und ganz in der Ordnung. Aber was auch immer der Grund sein mochte, bei Agnete wagte er es nicht. Vielleicht war es nur aus Angst, es könnte von irgend jemand gesehen und eine scherzhafte oder eine zweideutige Bemerkung darüber gemacht werden, was ihm aber, das fühlte er ganz deutlich, im höchsten Grade unangenehm gewesen wäre. Die einzige Zärtlichkeit, die er sich seiner Cousine gegenüber erlaubte, war, daß er sich zu ihr hinunterbeugte und seine Wange an ihr weiches Haar drückte.

»Kleine Agnete!« murmelte er noch einmal. Dieses einfache und gewöhnliche Schmeichelwort war das Einzige, was ihm in diesem Augenblick einfiel, ihm, der sonst stets so viele ausdrucksvolle und huldigende Eigenschaftswörter für das schöne Geschlecht in Bereitschaft hatte.

Agnete vernahm es wohl, und sich plötzlich seiner Nähe bewußt werdend, richtete sie hastig das etwas zurückgeneigte Köpfchen in die Höhe und saß nun so gerade wie eine Kerze, nur ganz wenig vorgeneigt unter seinen Blicken, die sie unwillkürlich fühlte.

Karin Maria schloß mit einigen langen, zitternden Accorden; Joachim erhob sich im selben Augenblick von seinem Platz hinter Agnete und sagte mit einer Stimme, die sie gar nicht recht kannte, hastig, energisch, wie über die Worte stolpernd: »Jetzt wollen wir tanzen!«

Niemand machte eine Einwendung. Frau Hauptmann Ekebeck setzte sich schnell wie auf Kommando ans Klavier. Ohne sie erst zu fragen, nahm Joachim in der allgemeinen Verwirrung, während die andern erst Tische und Stühle rückten, Agnete in seinen Arm und tanzte mit ihr allen voran. Es war ein Walzer, ein aus Deutschland neu eingeführter Tanz, der erst später auf dem Lande allgemein wurde. Agnete tanzte willenlos nach der Musik; es war ihr, als ob sie auf deren Klängen dahinschwebe. Ihre strahlenden Augen blickten lachend in die Joachims. Während sie tanzten, fühlten sie sich wie ganz allein auf der Welt – es war keine Rede mehr von Zwang, Scheu, Furcht oder Verstellung zwischen ihnen.

Der Walzer war zu Ende. Joachim zog Agnete, die plötzlich schwankte, noch näher an sich und gab sich alle Mühe, selbst fest auf den Füßen zu bleiben. Es war ihm auf einmal so wirr im Kopf, als ob er in der Stille eine ganze Flasche Champagner geleert hätte.

»Danke! Danke!« murmelte er und drückte heftig ihre Hände, ohne recht zu wissen, was er sagte und that.

Fräulein Susen war beleidigt. Sie konnte gar nicht verstehen, warum der einzige Kavalier – natürlich rechnete sie den jungen Fritz nicht als solchen – plötzlich mit der »Jüngsten« tanzte, anstatt sie zu engagieren, wie es Schick und Brauch gewesen wäre und die einfachste Höflichkeit es verlangt hätte. Sie saß sehr aufrecht da, die Arme in die Seiten gestemmt und das Taschentuch vornehm zwischen den Fingerspitzen haltend, während Fritz ein wenig ungelenk Karin Maria zum Tanz aufforderte, und Beate sich gutgelaunt von Onkel Fagerhjelm herumschwingen ließ. Es war ganz spaßig, Onkel Fagerhjelm tanzen zu sehen; er neigte dabei den Kopf auf die Seite und machte allerlei künstliche und überflüssige Bewegungen mit den Beinen. In der Saalthür stand Mamsell Fiken in ihrem neuen schwarzen Grenadinekleid und wiegte sich, die Hände in die Hüften gestemmt, im Takt nach der Musik. Der Major machte von der gegenüberliegenden Thür aus mehrere vergebliche Versuche, durch die Tanzenden hindurch zu Mamsell Fiken zu gelangen. Er nickte ihr aber unaufhörlich zu und rief dazwischen hinein aufmunternd: »Nun werden wir, Mamsell Fiken – jetzt kommen wir dran!«

Sobald sie anhielten, fing Agnete einen erstaunten und erzürnten Blick der Mutter auf; sie begriff sofort, was er zu bedeuten hatte, und erschrak tödlich. »Susen,« flüsterte sie, noch nach Atem ringend, und blickte Joachim flehend an. »Susen sitzt!«

Joachim war so glücklich, daß er hätte laut lachen können. Er drückte innig Agnetes Hände, die noch immer in den seinigen ruhten, und ging dann artig auf Susen zu.

»Sie werden doch nicht um meinetwillen Ihre Dame so schnell verlassen haben!« sagte Susen spitzig und mit süßsaurer Miene.

»Aber gnädiges Fräulein!« Joachim sah sie vorwurfsvoll an und legte die Hand gefühlvoll aufs Herz. »Ich bin vollständig darauf vorbereitet, daß Sie mich mißverstehen. Wir hatten ein Vielliebchen miteinander gegessen, meine Cousine und ich,« fügte er so laut hinzu, daß es die Damen drüben auf dem Sofa auch hören konnten.

Fräulein Susen war nicht schwer zu versöhnen. Sie schlug ihm sehr liebenswürdig vor, sie und der Herr Lieutenant sollten nun die Mädchen Polka lehren, »denn Polka tanzt man jetzt in Kristianstad am meisten,« erklärte sie überlegen.

Beate war gleich Feuer und Flamme für diesen Vorschlag. Die gefällige Frau Hauptmann spielte weiter, und nun begannen alle miteinander, auch Mamsell Fiken, den neuen »Tanzschritt« zu lernen. Fräulein Susen machte, das hellblaue Kleid sehr graziös etwas in die Höhe hebend, eifrig und gerne die Lehrerin.

Nur Agnete that nicht mit. Sie hatte sich gleich nach dem Walzer auf den Flur hinausgeschlichen und sich in der Dunkelheit auf die nach oben führende Treppe gesetzt, ohne die Kälte zu empfinden.

Joachim hatte sie verschwinden sehen und den Grund geahnt; er wurde plötzlich unruhig, und von einer unerträglichen Sehnsucht nach ihr ergriffen, ging er ihr nach, als er sich vergewissert hatte, daß alle von der Polka vollständig in Anspruch genommen waren.

»Agnete,« flüsterte er leise. Er konnte sie in dem schwachen, flackernden Licht der rauchenden Thranampel auf dem Flurtisch zuerst gar nicht sehen.

Sie antwortete nicht, sondern erhob sich rasch, sich ans Treppengeländer anlehnend.

Im nächsten Augenblick war er neben ihr, und plötzlich – keines von ihnen konnte sich nachher erinnern, wie es eigentlich zugegangen war – lag sie in seinen Armen, die Wange innig und fest an seine Brust geschmiegt.

»Agnete! Mein Liebling, mein Lieb!« flüsterte er ihr glückselig zu.

Sie antwortete nicht, aber sie blickte zu ihm auf, zärtlich, scheu, ja wie ein wenig neugierig. Und er erkannte plötzlich, daß die kleine Agnete an einem einzigen Tag, unter den heißen Strahlen einer brennenden und endlich vollbewußten Liebe zur Jungfrau herangereift war. Und die heiße, beinahe rohe Leidenschaft, die ihn vorhin beim Tanze für alles andre, was um ihn her vorging, beinahe blind und taub gemacht hatte, zerfloß hier in der Stille und Einsamkeit zu weicher Zärtlichkeit und ängstlich zitternder Hingebung.

Es war nur ein Augenblick. Eine Thür ging auf, und das Geräusch fröhlicher Stimmen und der Lärm des Tanzes drang heraus. Agnete riß sich bebend aus seinen Armen und flog lautlos die Treppe hinauf.



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