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Elftes Kapitel.

Karin Maria sprang leichtfüßig aus dem Wagen, gerade in die Arme des höflichen Olof Stjerne, während der Major sich noch sitzend vor der alten Freifrau verneigte, dem Stalljungen die Zügel zuwarf und dann gemächlich ausstieg.

Oben auf der Freitreppe verneigte sich Karin Maria feierlich vor der »gnädigen Tante«, wie die Mädchen, in Erwartung der näheren Verwandtschaft, Dame Malwina nennen durften. Der Major wurde unten noch aufgehalten, denn er mußte die Hinterbeine seines Pferdes lebhaft gegen Figge Wallqvist verteidigen, der unvorsichtigerweise gewagt hatte, sie zu tadeln.

Die alte Freifrau, aufrecht und steif in ihrem knappen, ausgeschnittenen Empirekostüm (seit dem Jahre 1810 war die Mode spurlos an ihr vorübergegangen), betrachtete Karin Maria ungeniert durch ihre Lorgnette, während sie, ohne sich eigentlich direkt an jemand zu wenden, gerade über ihren Kopf weg mit Nils Olof sprach.

»Wie hat sie sich herausgemacht, seit ich sie im Winter zum letztenmal sah! Oder macht es vielleicht der Anzug?«

Karin Maria trug einen Sommerüberwurf von schwarzer Seide, einen großen Strohhut mit lichten Rosen unter dem Rand und hielt ihren kleinen grünen Sonnenschirm über das eine Handgelenk herunter hängend. Sie war wie immer schön und stattlich und errötete nicht einmal über die ungenierte Beurteilung der Baronin.

»Sie ist ja eine ganz prächtige und reputierliche Person geworden, ma chère!« Diesmal wandte sich die Freifrau an das junge Mädchen. »Und hat eine Haltung!« Sie hielt sie betrachtend etwas von sich weg. » Pas mal – pas mal du tout …«

Karin Maria lächelte, schielte ein wenig verlegen zu Nils Olof hinüber und murmelte etwas, wie, die Tante sei gar zu gut.

»Wenn ich nur begreifen könnte, wo Nils Olof seine Augen gehabt hat!« setzte die Freifrau ebenso laut als vorher ihre Betrachtungen fort. »Hier geht er monatelang sauertöpfisch herum und macht einen Heidenspektakel wegen des andern bleichen Gelbschnabels, der sich in den verrückten Vetter vergafft hat« – Nils Olof machte einen verzweiflungsvollen, aber vollständig nutzlosen Versuch, seine Mutter zu unterbrechen –, »anstatt Vernunft anzunehmen und sie auf das richtige Ziel zu lenken.«

»Fräulein Karin Maria kann sehr stolz darauf sein, meiner Mutter in diesem Grade zu gefallen,« warf der unglückliche Baron nun ein, mit einem verlegenen Versuch zu scherzen. »Sie ist für gewöhnlich sehr schwierig in Beziehung auf junge Damen.«

Die Freifrau, bei der die alte Eva nun sofort erwachte, befühlte indessen prüfend den seidenen Ueberwurf, sowie auch das neue schottische Jakonetkleid Karin Marias.

»So, so … also das ist modern? Nun ja, nicht übel – es kommt ja immer darauf an, wie man etwas trägt, und die Kleine hier hat › air‹ – wirklich › air‹. Was ihr gegenwärtig für schrecklich weite Röcke habt!« – Sie drehte Karin Maria wie eine Puppe im Ring herum. – »Wer hat das Kleid gemacht?«

»Wir selbst,« antwortete Karin Maria bescheiden, »das heißt Mamsell Fiken hilft uns dabei.«

»So–o? … Was bekommt sie den Tag?« setzte die äußerst sparsame Freifrau ihr Examen neugierig fort.

»Acht Groschen den Tag,« sagte Karin Maria bedächtig.

»Acht Groschen!« rief Frau Malwina und schlug die Hände zusammen. »Sechs wären wahrhaftig auch genug, sollte ich meinen, wenn sie auch noch das Essen bekommt!«

Karin Maria vermied es, die Löhnungsfrage eingehender mit der Freiherrin zu besprechen. Seit es so schwer war, bar Geld zu bekommen, bezahlte diese ihre Angestellten mit Naturalien und gab ihnen nur an Michaelis zwei Reichsthaler, »um sie in der Schublade aufzuheben«.

Dem Major war es endlich geglückt, Herrn Wallqvist von der Vollkommenheit der Hinterbeine seines Pferdes zu überzeugen. Er stieg jetzt, im Gesicht rot und erhitzt von der Sommerwärme, die Treppe hinauf, und Nils Olof bat die Herrschaften, in den Salon zu treten und sich mit einer Tasse Kaffee zu erfrischen.

»Nun,« sagte die Freifrau und blickte einen Augenblick von ihrer ewigen Perfilagearbeit auf. (Der Kaffee war getrunken, und die Herren besprachen die Heuernte drüben am andern Ende des Zimmers.) »Nun, ist sie jetzt wieder vernünftig geworden – die kleine Agnete?«

»Ich glaube nicht, daß Agnete wieder vernünftig wird,« antwortete Karin Maria würdevoll und bestimmt, »wenigstens nicht in der Weise, wie die gnädige Tante es meint.«

»Stiernackig, wie alles, was Skytte heißt!« sagte die alte Dame. »Nur Kühnheit, aber keine habilité! Und Sie selbst, kleine Cousine! Haben wir nicht auch Herzensangelegenheiten, wie?«

Karin Maria bekannte lachend, sie habe durchaus keine Herzensangelegenheiten.

»Sie sieht zu wenig Mannspersonen, natürlich,« sagte die Freifrau wohlwollend. »Das ist schade, wirklich schade! Und wir sind doch nächstens fünfundzwanzig Jahre alt, nicht wahr?«

»Dreiundzwanzig,« verbesserte Karin Maria.

Die Freifrau öffnete nachdenklich ihre Schnupftabaksdose und nahm langsam eine Prise, verwandte aber dabei kein Auge von Karin Maria. »Dreiundzwanzig,« sagte sie dann. »Ach ja! In diesem Alter war ich schon Gattin – und Mutter – und Witwe sogar. Sie weiß noch nicht, was das Leben zu bedeuten hat, ma chère.«

Karin Maria hatte die Freifrau noch niemals diesen Ton anschlagen hören; sie blickte daher etwas verlegen auf ihre Finger und wußte nicht, was sie sagen sollte.

»Aber Sie sieht aus, als ob Sie dem Leben gewachsen wäre, die Cousine Karin Maria,« fuhr Frau Malwina fort; sie hatte, wie sie selbst zugestand, immer ein gewisses » Faible« für die Aelteste von Munkeboda gehabt. »Ihre Schultern scheinen carrés zu sein, und Sie sieht den Leuten gerade in die Augen, wenn Sie spricht. Sie ist mir lieber, als Agnete. Aber,« – sie maß sie mit ihrem scharfen, kühlen Blick von oben bis unten – »Agnete ist schöner, das kann ich nicht leugnen!«

Jetzt errötete Karin Maria. Sie wurde sonst nicht leicht verlegen, aber die Herrin von Marieholm hatte ein ganz merkwürdiges Talent, die Leute in Verwirrung zu bringen.

»Darüber kann Sie übrigens recht froh sein, ma petite,« tröstete die Freifrau. »Sie ist ja hübsch genug … Schönheit ist eine gefährliche Gabe.«

Sie stützte das Kinn auf ihre kleine, knöcherige Hand und blickte gerade vor sich hin. »Ja, sehr gefährlich.«

Karin Maria blickte verstohlen auf die Sprecherin. Jetzt, da sie den militärischen Empirehut mit dem Federbusch abgenommen hatte und zwar altmodisch, aber anständig gekleidet war, konnte man wohl sehen, daß Malwina Stjerne einmal, wenn auch vor langer, langer Zeit, eine große Schönheit gewesen sein mußte. Unwillkürlich heftete das junge Mädchen ihre Blicke auf ein kleines Miniaturbild über dem Sofa, auf dem die Jahreszahl 1780 stand. Es stellte eine zarte und feine Blondine dar, mit schelmisch blickenden, großen blauen Augen und rosigen Wangen unter der hohen gepuderten Frisur. So hatte das gnädige Fräulein Lejenklö ausgesehen, als es mit siebzehn Jahren die Gattin des alten Baron Stjerne wurde. Die alte Dame wandte sich um, ihr Blick nahm dieselbe Richtung wie Karin Marias, und ein halb spöttisches, wehmütiges Lächeln glitt über ihre Lippen.

»Die dort,« sie nickte dem Bild zu, »sie war dem Leben nicht gewachsen, als sie die Schlacht eröffnete. Und,« fügte sie mit einem höhnischen Klang in der Stimme hinzu, der Karin Maria, die schon manche alte Klatschgeschichte gehört hatte, erröten ließ, »auch den Männern nicht. Aber sie wurde es nachher, ja sie wurde es, ma chère.«

»Aber solch eine Frau,« fuhr sie erregter fort, sich etwas hastig erhebend und ihre Handarbeit auf die Seite werfend, »wäre nichts für weinen Nils Olof; besonders nicht, weil der Corydon nicht weit entfernt wäre, nämlich nicht weiter als Munkeboda; und er, der junge Skytte, er sieht mir nicht danach aus, als ob er sich vor einem Ehemann fürchten würde!«

»Beste Tante!« rief Karin Maria verletzt; diese Worte über ihre Schwester und Joachim trieben ihr das Blut in die Wangen.

Die Freifrau sah sie spöttisch an, aber doch auch mit einem gewissen Wohlwollen.

»Ja, ja, mein Kind, nichts für ungut! Aber ich kenne die Welt, das darf Sie glauben, kleine Karin Maria, und die Männer und die Frauen ebenfalls. Man soll seinen Taubenschlag geschlossen halten, oder noch besser, und das ist wohl das Klügste, man soll lieber gar keine Tauben halten!«

Sie schwieg eine Weile, beugte sich dann plötzlich vor und legte ihre Hände auf Karin Marias Schultern: »Was sagt Sie dazu, meine Liebe, hätte Sie nicht Lust, selbst Freifrau auf Marieholm zu werden?«

»Aber Tante Stjerne – beste Tante!« rief Karin Maria ganz verblüfft.

»Denke darüber nach, Mädchen, ich weiß, was ich sage! Sie würde ganz gut für Nils Olof passen. Er braucht eine Frau, die ordentlich angreifen kann und ihn auch hie und da ein wenig kurz hält. Sie ist nicht romantisch und nicht doucereuse – sie hat Haare auf der Zunge, das habe ich immer gesagt. Denk Sie darüber nach, Karin Maria! Wer nach mir die Herrschaft antritt, findet etwas in Küche und Keller, das kann ich Sie versichern, meine Kleine, es ist nicht mehr so, wie damals, als ich nach Marieholm kam!«

»Aber gnädigste Tante!« versuchte Karin Maria halb lachend, halb unglücklich abzuwehren. »Baron Stjerne hat mich noch niemals auch nur angesehen!«

»O doch,« nickte die Freifrau. »Die Männer sehen mehr, als man glaubt, und mehr, als sie oft selbst wissen. Er ist gar nicht so dumm, mein Nils Olof, wenn man ihn nur richtig zu behandeln weiß. Und das ist dann Ihre Sache, meine Kleine. Wenn mich nicht alles täuscht, so fängt er schon an zu begreifen, daß es ein sehr mäßiges Glück ist, eine junge Frau ins Haus zu führen, wenn der Geliebte schon bereit ist, durch das Fenster ihres Schlafzimmers hereinzusteigen. »Ja, ja« – die Freifrau lächelte höhnisch und überlegen über Karin Marias entrüsteten Widerspruch – »Ihre Schwester ist wohl auch nicht besser, als andre! Sie hat das heiße Blut der Skytte, und meint Sie denn, Treue und Gesetz gelten viel in der Liebe? Die kleine Agnete hat ein Paar Teufelsaugen! Wenn sie ein Jahr lang oder vielleicht auch nur ein halbes geweint hat, dann läßt sie sich von Joachim Skytte die Thränen wegküssen – so machte es wenigstens … nun, das ist jetzt einerlei! Das haben schon so viele vor ihr gethan!« Die Freiherrin schwieg eine Weile. Karin Maria wußte nicht mehr, was sie sagen wollte.

»Aber Sie ist ein vernünftiges, ordentliches Mädchen, Cousine Karin Maria, Sie nimmt die Welt, wie sie ist, sans façon, cavalièrement – wie man sie nehmen soll, und Sie gefällt mir. Wollen wir wetten, daß Sie nach mir Herrin von Marieholm wird?«

Nun mußte Karin Maria trotz ihrer Entrüstung laut auflachen. Wie es nun auch war – der eigensinnige, immer wiederkehrende Vorschlag der alten Dame, sowie ihre große Sicherheit begannen nun doch einen gewissen Eindruck auf sie zu machen.

Nils Olof Stjerne hörte ihr Lachen; es war schon so lange her, seit das Gelächter eines jungen Mädchens auf Marieholm erklungen war. Er wandte sich um und ging zu den beiden Damen hin.

»Darf man fragen, was Ihre Heiterkeit so sehr erregt hat?« fragte er in seiner gewöhnlichen formellen Weise, aber mit einem freundlichen, etwas unsichern Lächeln, das leider nur so selten um seine Lippen spielte.

Karin Maria wurde dunkelrot und warf der Freifrau einen scheuen, flehenden Blick zu; diese antwortete schnell: »Ich prophezeie Karin Maria die Zukunft, und sie scheint sich darein zu finden. Nun solltest du sie aber ein wenig auf dem Hof herumführen. Sie gibt uns so selten die Ehre ihres Besuchs, und sie sieht mir danach aus, als ob sie sich für Haus und Hof interessierte. Wenn ihr dann zurückkommt, steht das Abendbrot auf dem Tisch. Karin Maria soll sehen, was das Haus vermag.«

Und als der Baron seine Mutter fragend ansah – er war an diesen freundlichen und herzlichen Ton Besuchen gegenüber durchaus nicht gewöhnt – fügte sie leiser hinzu: »Gib wohl acht, daß es ordentlich dabei zugeht. Heute abend will ich Figge nicht betrunken sehen!«



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