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Drittel Kapitel.

Die Mädchen hatten ihr Zimmer wie Joachim auch auf dem oberen Stockwerk im Giebel. Sie schliefen alle drei bei einander in dem großen Zimmer gegen Süden, in das die Sonne beinahe den lieben langen Tag hereinschien. Die Wände waren hier nicht tapeziert wie in den andern Zimmern, sondern sie waren noch vom Großvater her mit bunten tropischen Phantasielandschaften auf blauem Grunde bemalt, meistens hohe Palmen, kleine kaffeebraune Hütten beschattend, vor denen idyllisch aussehende Eingeborene Wache hielten. Der Großvater hatte alles in seinen Mußestunden selbst gemalt, sowie auch die Bilder über den Thüren in der Staatsstube. Die Zimmer waren mit alten, weißlackierten, schwerfälligen Möbeln aus der Zeit der Gustave ausgestattet: die Majorin hatte sie bei ihrer Verheiratung aus dem Vorzimmer drunten hierher verbannt. In dem großen Auszugsbett, das bei Tag zusammengeschlagen war, schliefen Beate und Agnete, während Karin Maria als die Aelteste das mit einem karrierten Baumwollstoff überzogene Sofa auf der entgegengesetzten Seite für sich allein hatte. Vor dem Sofa stand das Prachtstück des ganzen Zimmers: ein altertümlicher ovaler Tisch mit einer dunklen Marmorplatte und dicken geschweiften Beinen, die einst vergoldet gewesen waren.

Wenn Joachim von seinem eigenen Zimmer hin und her ging, stand die Thür zu dem der Cousinen manchmal offen. So oft er durch den dunklen Bodenraum vorüberkam, wurde er beinahe geblendet, als ob er in die Sonne selbst sähe, so strahlend hell war es immer da drinnen, besonders jetzt beim schönen Frühlingssonnenschein. Manchmal sah er dann wohl Karin Maria auf ihrem niedrigen Stuhl am Fenster sitzen und auf der Harfe spielen, oder Beate auf dem breiten Fenstersims stehen und den Kanarienvögeln Grünzeug und Wasser geben. Das Vogelbauer hing vor dem großen Fenster, das mit seinen vielen kleinen Glasscheiben wie die Wand eines Treibhauses aussah. Großvater hatte es so eingerichtet, denn hier oben – mitten im vollen Sonnenschein, alle hergebrachten Malergebräuche verachtend, hatte der in jeder Beziehung sonderbare alte Herr sein »Atelier« gehabt.

Joachim konnte sich den Großvater noch lebhaft vorstellen: die Mädchen hatten aber nur noch eine dunkle Erinnerung an einen kleinen, weißhaarigen Greis mit einem von der Gicht gebeugten Rücken, aber mit klaren, blauen, freundlichen und schelmischen Augen und einem feinen, rötlichen, wie ein Winterapfel zusammengeschrumpften Gesicht. Die Gicht hatte der Großvater schon seit dem Kriege in Finnland im Jahre 1788, aber so ganz gebückt mußte er erst gehen, seitdem er mit der Landwehr auf der Insel Rügen gelegen und es ihm dort so schrecklich schlecht gegangen war. Seit dieser Zeit hatte er sich, nachdem er wieder auf Munkeboda angekommen war, aufs Malen geworfen. Er verließ dann selten mehr den Hof, sondern saß droben in der Giebelstube mitten im Sonnenschein und malte seine seltsamen Landschaften oder las neue französische und deutsche Dichtungen. Er schwärmte für Ossian und Chateaubriand, und viele der Bilder an den Wänden waren seine eigenen Illustrationen zu »Atala« und »René«. Die Zeitungen konnte er aber in seinen späteren Jahren nicht mehr leiden, und die »Grewensmöhlenske Litteratur« betrachtete er mit großer Verachtung.

Bei der Staatsumwälzung am 13. März war er ein Anhänger Adlersparres gewesen und hatte es – als Abkömmling eines alten »Schnapphahngeschlechts« – mit der dänischen Thronfolge gehalten. In früheren Zeiten war er auch ein eifriger Politiker und ein Mann der Opposition gewesen, und mit der Regierung Gustavs III. söhnte er sich niemals aus. Aber gegen das Ende seines Lebens verlor er mehr und mehr das Interesse für alles, was sich im Reiche zutrug. Nach der letzten Thronfolgerwahl, während deren seine alte Lebhaftigkeit für einen Augenblick aufs neue auftauchte, hörte ihn keiner seiner Söhne jemals wieder eine politische Ansicht in Beziehung auf die Vorgänge im Vaterlande äußern. Dagegen nahm er mit Leib und Seele an allem teil, was draußen in Europa vorging, und dem Feldzug Kaiser Napoleons I. folgte er mit dem größten Interesse: die großen Heldenthaten wirkten aus der Ferne immer mit dem ganzen Zauber der Sage und des Wunders auf seine Soldaten- und Künstlernatur.

Für seinen Enkel und Namensbruder, den kleinen Joachim, hatte er stets eine große Vorliebe gehabt. Der Knabe war am 2. Dezember 1805 auf Munkeboda geboren, und zwar mit einer Glückshaube. Als die Nachricht von Austerlitz endlich auch nach West-Göinge hinaufdrang – es war gegen Weihnachten – ließ der alte Herr die letzte Flasche ganz alten Tokayer, die im Keller lag, seit Karl Niklas Skytte Anno 1703 von Wien heimkam, heraufholen. Er stieß feierlich an, zuerst mit seinen Söhnen und dann mit seiner Schwiegertochter, Joachims braver und glücklicher Mutter, und dann tauchte er seinen kleinen Finger in den Wein und steckte ihm den Kleinen in den Mund, »denn,« sagte er, »wenn man am Tage der Schlacht von Austerlitz mit einer Glückshaube geboren ist, so muß man das auch zu wissen bekommen.«

Und Joachim bekam es zu wissen. Der zweite Dezember wurde immer sehr festlich gefeiert, solange der Großvater lebte, und mit seiner kühnen, leichterregten Einbildungskraft sah sich der Junge während seiner ganzen Kindheit mindestens zu einem Marschallstab oder einer Herzogskrone berufen. Der Großvater riß ihn auch niemals aus diesen Träumen! – Er erlebte Waterloo nicht mehr!

Wenn Joachim aus seinem Zimmer trat, hatte er immer viel größere Lust, hinüber zu den Mädchen zu gehen, als hinunter zu Tante Charlotte; aber bis jetzt hatte er der Versuchung immer glücklich widerstanden. Nicht, daß man es etwa in irgend einem andern Haus für unpassend angesehen hätte, Gott bewahre! Aber er wußte, Tante Charlotte sah es so an, weil es sich um ihn handelte. Tante Charlotte hatte Joachim nie recht leiden können; in erster Linie, weil sie selbst keinen Sohn hatte, zweitens, weil nach des Großvaters Testament Munkeboda auf ihn übergehen sollte, und endlich, weil er so sehr » étourdi« war. Die Geschichte mit des Oberstens Lotte, die sie mit allen Einzelheiten erfahren hatte, trug selbstverständlich auch nicht dazu bei, in ihr eine günstigere Meinung von ihm zu erwecken, ja, er war nach ihrer Ansicht nun eigentlich moralisch vollständig verdorben.

Die Mädchen hatten immer sehr viel zu thun; sie woben, sie stickten, übten sich auf dem Klavier und der Harfe und lasen auch immer noch zu bestimmten Stunden französisch mit der Mutter. Tante Charlotte hatte selbst eine Erziehung nach »der alten Art« erhalten, und diese schien ihr nun die einzig richtige zu sein. So gerne auch Joachim seine Zeit mit den Cousinen verbracht hätte, so wurde ihm dazu doch nur selten Gelegenheit geboten. Seit ihn Tante Charlotte damals drüben in der Webstube ihren Töchtern Gedichte aus der, neuesten Zeit hatte vortragen hören, war sie noch mißtrauischer gegen ihn als zuvor.

Meistens trieb er sich deshalb in Wald und Feld herum und verfolgte mit großem Interesse das Holzfällen und die Feldarbeiten, die jetzt begonnen hatten. Dazwischen machte er lange Spazierritte und jagte dabei über Stock und Stein, so toll, daß der Schaum den Pferden vom Maule flog, nur um zu reiten und mit dem Winde davonzusausen. Einmal machte er seine Aufwartung beim Pfarrer und ein andres Mal beim Landrichter Sköldborg, aber er that es nicht zum zweitenmal, denn die Frau Landrichter, sowie ihre Töchter begannen sogleich, die eine auf noch unzartere Weise als die andern, ihn wegen der Werbung des Barons Stjerne um Agnete auszufragen, was sie alle in sehr hohem Grade zu interessieren schien.

Nach Marieholm ging Joachim gar nicht, obgleich es Munkeboda am nächsten lag; aber »er konnte nicht zu dem Freier,« wie er Beate anvertraute, und dann müsse man dort auch so schrecklich viel trinken, daß, wenn er es nur ein einziges Mal versuchen wollte, darin Nils Olof die Stange zu halten, er sich sicherlich die Gurgel abtrinken müßte.

Die Wahrheit aber war, daß er es nicht vertragen konnte, Nils Olofs rotes Gesicht mit den trägen, hervorstehenden Augen zu sehen; es ärgerte ihn, wenn er daran dachte. Er fühlte eine heimliche, unüberwindliche, eigentlich ganz unvernünftige und unbegründete Abneigung gegen ihn, die sich manchmal bis zum Haß steigern konnte. Der Gedanke, dieser dicke, phlegmatische Tölpel sollte einmal Agnete besitzen, war ihm unerträglich; Agnete, die doch, darauf schwur er mehr als einmal, das allerschönste Mädchen war, das er kannte, trotzdem sie nur aus einem kleinen Dorf stammte und außerdem seine eigene Cousine war, die er sich noch ganz gut als Wickelkind vorstellen konnte!

Am Abend legte Joachim Patience » la blocade de Copenhague« oder spielte »Schwarzer Peter« mit den Mädchen und Mamsell Fiken, oder auch Bézique mit Onkel Niklas. Wenn Onkel Niklas durch ein Glas Punsch etwas angeregt war, erzählte er gerne immer wieder dieselben alten Geschichten, entweder wie er Anno 1814 mit dem Heer in Norwegen war, oder aus seiner Jugendzeit, als er in Stockholm in Garnison stand. Punkt zehn Uhr aber erhob sich Tante Charlotte, ob man auch mitten drin in einer Patience oder einer Erzählung war, untersuchte, ob der Eckschrank und das Mahagonibüffett richtig geschlossen waren, gab dann derjenigen von den Töchtern, welche »die Woche hatte«, ihre Befehle für den morgigen Tag, während sie ihr Strickzeug zusammenlegte und das an ihrem Platz stehende Talglicht auslöschte.

»Jetzt ist es für die Jugend Zeit, daß sie ins Bett kommt,« sagte sie mit sehr bestimmtem Ton.

Onkel Niklas erhob sich dann sofort; weder ihm noch irgend einem andern fiel es ein, sich der Alleinherrschaft der Majorin zu widersetzen. Sie stand schon an der Thür, das andre Talglicht in der Hand haltend, an dem Joachim seinen Wachsstock anzündete, um sich selbst und den Mädchen damit die Treppe hinaufzuleuchten. Sie blieb auch geduldig in dem kalten Hausflur unten an der Treppe stehen, bis sie die Jugend oben auf dem halbdunklen Giebelboden auseinandergehen sah; dann erst nahm sie das Licht mit hinein in ihre Schlafstube, wo die Kerze sparsamerweise gelöscht und mit einem Sparlichtchen vertauscht wurde. So mußte sich der lebenslustige und abenteuerdurstige Lieutenant Skytte darein finden, wie ein Schulknabe um zehn Uhr ins Bett geschickt zu werden; er mußte sich darein finden, denn hier oben in dem ödesten Landstrich von Westgöinge hatte man wirklich keinen andern Zufluchtsort für die Nacht, als bescheidentlich in die Klappe zu kriechen. Er verwünschte dann Tante Charlotte und die ganze Wirtschaft auf Munkeboda, las noch ein wenig im Bett und schlief dann fest wie ein Sack bis morgens um halb sieben Uhr. Um diese Zeit klopfte meistens eins der Mädchen ängstlich an seine Thür und bat ihn, sich doch ums Himmels willen zu beeilen, denn Mama würde immer ärgerlich, wenn man mit dem Frühstück auf ihn warten müsse.

Mit den Mädchen stand er bald auf sehr vertrautem Fuß, besonders mit der freundlichen, muntern und herzensguten Beate. Karin Maria schlug in vielem der Mutter nach; sie war steif und vornehm und gab sich ein »Air«, aber wenn man mit ihr sprach, merkte man bald, daß sie erfahrener und auch klüger als die Schwestern war. Sie hatte mehrere Winter in Stockholm und Kristianstad zugebracht, und Joachim hatte sich von Anfang an am meisten mit ihr unterhalten. Agnete war ja noch ein Kind, aber … aber sie hatte ein Paar verteufelt schöne Augen, die kleine Cousine Agnete!

Vom ersten Augenblick an hatten sich seine Gedanken am meisten mit Agnete beschäftigt. Sie war so unberechenbar, einmal so kindlich übermütig, vertrauensvoll, natürlich, offenherzig und mitteilsam, und ein andermal so scheu und mißtrauisch, verschlossen und still, daß er ganz aufgeregt und erhitzt wurde und darüber nachgrübelte, »was er ihr wohl gethan habe«, oder ob sie am Ende »etwas über ihn gehört habe«. Dann konnte sie dazwischen hinein, wenn er sie nicht ansah, ihm mit ihrem feindlich ernsten, verwunderten Blick überall hin folgen; er fühlte diesen Blick, aber er wollte ihm nicht begegnen, denn dann, das wußte er, wandte sie sofort die Augen weg, und der kleine Mund drückte sich trotzig zusammen. In solchen Zeiten war er ganz fest überzeugt, daß sie dann an die Geschichte mit seinem Oberst und der verwünschten roten Lotte dachte. Denn selbstverständlich hatte Mamsell Fiken, die natürlich alles herausschnüffeln mußte, den Mund nicht halten können, selbst wenn Tante Charlotte, was er jetzt beinahe glaubte, geschwiegen hatte. Aber darin täuschte er sich sehr. Die Mädchen, sowohl Karin Maria als die andern, wußten noch ebensowenig wie bei seiner Ankunft etwas davon, und sahen seinen Aufenthalt auf Munkeboda eigentlich nur für einen gewöhnlichen, wenn auch etwas ausgedehnten Verwandtschaftsbesuch an.

Es war in der Mitte des April, an einem schönen, sonnigen Vormittag mit Barfrost, als der junge Skytte von einem seiner wilden Ritte nach Hause kam. Als er die Treppe hinaufging, leuchtete ihm wie gewöhnlich der helle Lichtstreifen entgegen, der, durch die schlecht schließende Thür der Cousinen dringend, sich glänzend auf dem Fußboden hinzog, und da er vorhin Tante Charlotte im Kartoffelkeller mit der Besichtigung der Kartoffeln, die am Auswachsen waren, beschäftigt gesehen hatte, folgte er diesmal dem regelmäßig wiederkehrenden Verlangen, bei den Cousinen einzutreten.

Noch immer in den hohen Reitstiefeln und Sporen, die Reitgerte unter dem Arm und die Mütze in der Hand, klopfte er also an die Thür.

»Herein!« ertönte es sofort ohne weiteres drinnen.

Er öffnete die Thür und erblickte Agnete, die, auf dem Fenstersims stehend, einige blaßgrüne Stengel in den Vogelkäfig hineinsteckte. Sie war sehr erstaunt, als sie ihn sah, und verlor beinahe das Gleichgewicht.

»Vetter Joachim …«

Sie wollte in aller Eile auf den Boden herunterspringen, übertrat sich dabei aber den Fuß und wäre gefallen, wenn er nicht hinzugeeilt wäre, um sie in seinen Armen aufzufangen.

»Aber Agnete, was treibst du nur?«

Sie war ganz bleich geworden und sah ihn mit den großen, braunen Augen, dicht unter den seinigen, erschrocken an. Er war erhitzt und aufgeregt von dem hastigen Ritt in dem scharfen Frühlingswind und, geblendet und wie verwirrt von dem hellen Sonnenlicht, beinahe ohne zu wissen, was er that, drückte er die kleine Agnete innig an sich, ohne sie wieder loszulassen. Ihre Augen begegneten sich in einem langen, lachenden Blick.

»Thut es dir weh, Cousinchen?« murmelte er.

Und mit einem verwirrten, schwindelnden Gefühl, ohne sich erklären zu können, woher es komme, flüsterte Agnete, »sie glaube«, daß es weh thue – im Fuß …

»Setz dich hierher!« Er drückte sie vorsichtig, aber bestimmt aufs Sofa nieder, und ehe sie es sich versah, ließ er sich vor ihr auf ein Knie sinken und löste hastig den Kreuzbandschuh von ihrem Fuß.

»Aber Joachim« … Sie errötete, ließ ihn jedoch ruhig machen und beugte sich, ein wenig verlegen, aber doch eher neugierig, über ihn vor.

»Wenn man ihn ein wenig reibt, geht es schnell vorüber,« und er rieb den kleinen, warmen Fuß in dem gestrickten baumwollenen Strumpf sorgsam zwischen seinen Händen. Jetzt blickte er auf, und ihre Augen begegneten sich aufs neue.

Da beugte er sich tief herunter und that, was er natürlich niemals hätte thun sollen, er lehnte seine Wange auf ihren Spann und küßte ihn.

Da ertönten schnelle Schritte auf der Treppe. Agnete, wie mit Blut übergossen und bis über den Hals errötend, setzte den Fuß fest auf den Boden und Joachim sprang auf.

Gottlob, es war nur Beate! Sie kam eilig herein, ihre große Schürze ganz gefüllt mit Kochäpfeln und einer Schüssel nebst zwei silbernen Messern in der Hand.

»Was, Vetter Joachim!« sagte sie ein wenig verlegen, aber nicht einmal so sehr erstaunt.

»Ja, die Thür stand offen, und da Agnete gerade vom Fensterbrett herunterfallen wollte …« erklärte er ein wenig unzusammenhängend und ohne große Wahrheitsliebe.

Beate hörte nicht auf ihn. Sie war gekommen, um Agnete zu bitten, ihr beim Schälen der Aepfel zu der Torte zu helfen, während Mama den Kartoffelkeller untersuchte. Wenn der Vetter sie dabei unterhalten wolle, umso besser!

Darauf setzten sie sich alle drei um den Prunktisch mit der Marmorplatte, und die Mädchen begannen die Aepfel zu schälen. Die roten Apfelschalen häuften sich in lauter Ringen vor den Plätzen der Schwestern, und die zerschnittenen Apfelschnitzel färbten sich bräunlich in der Schüssel, während sie sich eifrig unterhielten.

Mama wolle durchaus die Apfeltorte heute noch fertig haben, erzählte Beate, weil heute ohnedies gebacken würde und der Backofen noch warm sei. Kriegsrat Fagerhjelm hatte sich nämlich auf der Durchreise nach Kristianstad mit seiner ganzen Familie angesagt.

»Ich wußte es wohl,« fuhr sie fort und sammelte mit beiden Händen die auf dem ganzen Tisch herumliegenden Schalen zusammen. »Ja, ich wußte es wohl! Karin Maria fiel ihr Kamm herunter, als sie sich heute morgen frisierte, und die Elstern haben den ganzen Tag gelacht. Das bedeutet immer Besuch.«

»Potz Schwerenot!« rief Joachim lachend und streckte behaglich die Beine in den Reiterstiefeln von sich. »Da dürfen sie ihren Schnabel hier nicht oft aufmachen, die armen Elstern!«

»Und denk einmal, der dumme Truthahn ist heute beinahe im Spülwasser ertrunken und hat das Bein gebrochen, sonst hätte ihn Mama gewiß niemals für Onkel Fagerhjelm zum besten gegeben!«

»Ich glaube, ich habe noch nie etwas von diesem Onkel gehört,« warf Joachim nachdenklich ein. »Er wohnte zu meiner Zeit nicht in Kristianstad.«

»Nein, er ist erst vor ganz kurzer Zeit dorthin gezogen. Mama ist übrigens Geschwisterkind mit Frau Fagerhjelm. Er ist von Smaaland,« fügte Beate noch hinzu, mit dem etwas mitleidigen, beinahe verächtlichen Ton, womit die eingeborenen Leute von Göinge von den Smaaländern sprechen.

»Und Susen ist in der Pension in Vexiö gewesen und spricht nun oberländisch,« plauderte Beate weiter.

»Fräulein Fager–r–hjelm!« machte Agnete ihr schelmisch nach, mit einer wohlgelungenen Nachahmung des schnarrenden R.

»Und denk dir, das thut nicht einmal Vetter Joachim, der doch so lange in Stockholm gewesen ist!« Beate sah ihn mit anerkennender Bewunderung an.

»Das thut kein Bewohner von Schonen, der Achtung vor sich selbst hat,« sagte Joachim sehr sicher.

Agnete hatte nun ihr Gleichgewicht vollständig wieder gefunden. Sie legte beide Arme in den rotkarrierten Puffärmeln auf den Tisch und neigte sich schelmisch vor: »Ja, ja, wenn nun aber Vetter Joachim Susen sieht, dann …« Sie fand ein verlockendes, bis jetzt ungekanntes Vergnügen darin, Joachim zu necken.

»Meine Susen, meine Susen – admirable! Quelle figure!« machte Beate ausgelassen dem Kriegsrat nach und drehte dabei mit beiden Händen einen eingebildeten Schnurrbart aufwärts. Der Kriegsrat hatte nämlich eine Hasenscharte und trug deshalb einen großen Schnurrbart.

»Und wie sie überall bewundert wird!« fuhr Agnete in demselben Ton fort. »Sie ist wohl schon mit zwölf Offiziersaspiranten verlobt gewesen!«

Joachim lachte laut auf und beugte sich vor, um Agnetes neckisch-siegesgewisse, lachende braune Augen zu sehen. »Und dann gönnst du es mir also, der Dreizehnte zu sein, Agnete,« sagte er, einen vorwurfsvollen Ton annehmend, die Augen fest auf sie gerichtet.

»O nein, du wärst der erste Lieutenant,« antwortete Agnete mit einer leichten spöttischen Verbeugung. Ihre Augen nahmen plötzlich einen Ausdruck von Uebermut und jubelndem Triumph an, indem sie sich aufrichtete und den Kopf ein wenig zurückwarf. »Es ist auch Zeit, daß Susen ein neues Dutzend anfängt.«

»Agnete! Agnete!« warnte Beate, indem sie sich erhob und mit der Schüssel im Arme zum Gehen wandte.

Aber Joachim lachte aus vollem Hals und meinte, er entdecke mit jedem Tag neue Eigenschaften an seinen Cousinen.

Agnete hatte sich auch von ihrem Platz erhoben und machte sich mit einer gewissen Hast zurecht, um der Schwester zu folgen. Joachim öffnete artig die Thür für Beate, die mit der vollen Schüssel in beiden Händen schnell hinausging. Als Agnete nachkam, beugte er sich rasch zu ihr hinunter.

»Wie geht es mit dem Fuß?« flüsterte er.

Und sie, die vorhin noch so schelmisch und lustig war, glitt jetzt an ihm vorüber, tief errötend und mit einem scheuen, halb ärgerlichen, halb flehenden Blick aus ihren nun beinahe schwarz erscheinenden Augen.

Die Flurthür wurde unten rasch von außen aufgemacht. »Mama!« flüsterte Beate, schon halb unten, leise warnend hinauf ins Halbdunkel der Treppe.



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