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56. Sannah

In der Stille der Nacht lenkte der Lord sein getreues Weltschiff in rascher Fahrt über Flüsse, Gebirge und Seen. Der Vollmond beleuchtete die Landschaft und Flitmore kannte sich darin aus.

Endlich hatte er seinen Landungsplatz gefunden und die Sannah senkte sich auf eine grüne Wiese herab.

Der Engländer sah auf die Uhr.

»Noch vier Stunden bis Sonnenaufgang«, murmelte er. »So will ich denn auch noch einen Schlaf tun, um recht frisch zu sein, wenn uns ein schöner Morgen aufleuchtet.«

Er weckte John. »Halte du diese Nacht vollends Wache. Wir befinden uns bereits auf festem Erdboden und es wird nichts vorkommen. Sobald die Sonne aufgeht, weckst du zuerst mich, dann die andern.« So sprechend legte er sich zur Ruhe.

John öffnete die Luke des Südpolzimmers und sah hinaus. Er war doch neugierig, wo man sich befand. Seinen Herrn hatte er nicht fragen mögen, da dieser von selber nichts gesagt hatte.

Was war das für eine Landschaft? Merkwürdig bekannt kam sie Rieger vor. Aber England war das nicht, noch weniger Deutschland; es konnte nichts andres als Afrika sein!

Da wiegten schlanke Palmen ihre Wedel in der Vollmondnacht, dort dämmerten dichte Bananenhaine und nicht ferne glitzerte der Spiegel eines Sees, an dessen linkem Ufer im Osten eine Hochgebirgslandschaft aufragte.

»Das ist sozusagen nichts andres als der Albert-Edward-Njansa«, sprach John zu sich selbst, »und dieses Dach in der Nähe zwischen den Baumwipfeln dürfte die Farm des alten Herrn Piet Rijn sein. Nein! Das wäre sozusagen eine Überraschung für meine Lady Mietje und auch für den Herrn Professor und dann erst für die Familie des Herrn Rijn und Fräulein Helene – ach nein! Frau Rijn muß man ja jetzt sagen, Frau Hendrik Rijn! Und für ihren Herrn Gemahl, den lieben Herrn Hendrik! Wenn das wäre! Und die tapfere Zwergprinzessin ist ja wohl auch bei ihnen. Nein! Wie ich mich freuen würde, die kleine schöne Tipekitanga wieder einmal zu sehen!«

Er mußte sich überzeugen und begab sich in das nächste Gemach, das jetzt nordwärts schaute. Richtig! Da ragte die Gletscherkuppe des Ruwenzori gewaltig empor und glänzte im Mondlicht.

Kein Zweifel! Man befand sich unmittelbar in der Besitzung des Buren Piet Rijn an den Ufern des Albert-Edward-Sees! John lächelte vor sich hin; das war ein feiner Gedanke seines Herrn, seinen Schwiegervater aufzusuchen.

In der Farm Piet Rijns regte es sich zu derselben Zeit. Eine junge blühende Frau hatte sich von ihrem Lager erhoben und schaute zum Fenster hinaus.

Sie rieb sich die Augen: was war das für eine ungeheure Kugel, die über die Baumwipfel im Osten emporragte? Wie glitzerte die gewölbte Oberfläche im Mondschein?

Die junge Dame war Sannah, die Tochter des Farmers Piet Rijn, die zur Zeit mit ihrem Gemahl, Doktor Otto Leusohn, einem deutschen Arzt, der sich in Ostafrika niedergelassen hatte, zu Besuch auf der väterlichen Farm weilte.

Sie huschte an das Bett ihres Gatten und weckte ihn mit einem Kuß.

»Otto«, sagte sie, »ich hatte einen so merkwürdigen Traum, als ob eine große, große Kugel durch die Luft daherkäme, und, denke dir, wer herausstieg?«

»Nun?«

»Meine Schwester Mietje und unser Schwager Charles Flitmore!«

»Ein schöner Traum in der Tat«, sagte Leusohn lachend, da er gleich völlig munter geworden war, wie es sich für einen Arzt ziemt. »Und nun glaubst du wohl, er werde sich noch diese Nacht erfüllen?«

»Ich weiß nicht! Aber wie ich zum Fenster hinausschaue, sehe ich die Kugel meines Traumes über die Baumwipfel ragen.«

»Das wäre!« rief Leusohn erstaunt und sprang aus dem Bett. Ein Blick durch das Fenster überzeugte ihn, daß da allerdings etwas Fremdes und Merkwürdiges ganz in der Nähe lagerte.

»Wollen wir hingehen und sehen, was es ist?« fragte Sannah.

»Ich bin dabei!« erwiderte ihr Mann.

Während seine junge Frau sich eiligst ankleidete, klopfte er an die dünne Bretterwand, die das Schlafgemach vom Nachbarzimmer trennte.

»Was ist los?« fragte dort eine schlaftrunkene Stimme.

»Ich weiß nicht«, antwortete Leusohn; »aber jedenfalls hat sich etwas ganz Seltsames zugetragen. Sannah und ich wollen der Sache auf den Grund gehen, willst du uns nicht begleiten, Hendrik.«

»Selbstverständlich!« rief dieser zurück. »Ich mache mich gleich fertig.«

»Und ich gehe natürlich auch mit euch«, rief eine helle Frauenstimme aus dem Nebengemach. Das war Leusohns Schwester Helene, die Gemahlin Hendrik Rijns.

Als Hendrik und Helene vollständig angekleidet waren und ihr Schlafzimmer verließen, kam ihnen im Vorgemach eine schlanke Mädchengestalt entgegen.

Es war eine auffallend hübsche, wohlgewachsene kleine Negerin von lichter Hautfarbe und mit prächtigen blitzenden Augen. In Wahrheit war sie kein kleines Mädchen mehr, wie es auf den ersten Blick scheinen mochte, sondern eine ausgewachsene Dame, aber aus dem Geschlecht der Zwerge. Trotz ihrer vornehmen Geburt, denn sie war eine königliche Prinzessin, diente sie Helene als getreue Kammerzofe und Mädchen für alles, namentlich auch als Begleiterin auf Jagdausflügen; gab es doch keine so treffliche Jägerin mehr in ganz Afrika wie das liebliche Zwergfräulein.

»Ihr wollt in die Nacht hinaus?« fragte die Kleine. »Tipekitanga wird mit euch gehen.«

»Das ist recht, du treue Seele«, lobte Helene Rijn und streichelte ihr die zarte Wange.

Jetzt erschien auch Doktor Leusohn mit seiner Gattin, die von ihrer Dienerin Amina, einer auffallend hübschen Somalinegerin, begleitet wurde.

Sannah begrüßte ihren Bruder Hendrik und ihre Schwägerin Helene mit einem Kuß; auch Otto Leusohn küßte seine liebe Schwester und seinen Schwager herzlich, dann erzählte er den Traum seiner Frau und die wunderbare Erscheinung, die man vom Fenster aus beobachten konnte.

Währenddessen hatten sie sich schon ins Freie begeben und eilten in der Richtung dahin, in der man zu der rätselhaften Kugel gelangen mußte.

Als sie aus dem Ölpalmenwäldchen hinaustraten auf die freie Grassteppe, standen sie staunend still; vor ihnen ragte der dunkle Koloß, eine ungeheure schwarze Kugel. Der Mond war untergegangen und so sah die dunkle Masse finster und drohend aus, als könnte sie im nächsten Augenblick daherrollen und die Menschlein zu ihren Füßen zermalmen.

»Die Kugel meines Traumes!« rief Sannah.

»Deinem Traume nach müßte sich aber Mietje in ihrem Innern befinden«, sagte Leusohn.

»Da oben schaut ja ein Mann heraus«, rief nun Helene.

Die dunkle Gestalt, die sich aus einer Luke der Sphäre herausbeugte, ließ nun auch ihre Stimme vernehmen:

»Wenn ich mir gestatten darf, Sie an Ihrer mir immer noch wohlbekannter Weise in lieblichster Erinnerung befindlichen Stimme erkennen zu dürfen und Sie mir dieses nicht für übel aufzunehmen belieben, so wären ja dieses Sie, Fräulein Helene oder vielmehr, weil ich mich darin immer wieder verspreche, Frau Rijn und Herr Hendrik, sowie Fräulein Sannah oder sozusagen jetzt Frau Doktor Leusohn mit ihrem wertesten Herrn Gemahl?«

Helene lachte hell auf. »Nein! Solche Redensarten führt kein Mensch auf der Welt«, sagte sie, »als einzig und allein Johann Rieger, Lord Flitmores edler Diener.«

»Oho!« rief Leusohn. »Dann hast du doch wohl einen prophetischen Traum gehabt, liebe Sannah! Wenn John da Auslug hält, dann dürften Schwager Charles und Mietje auch nicht ferne sein.«

»Nein, diese Freude!« jubelte John. »Aber entschuldigen Sie, wenn ich meine bescheidene Persönlichkeit für einen Augenblick zurückzuziehen in die Lage mich versetzt fühlen muß, indem daß die Sonne bereits ihren Aufgang hält, wo ich verpflichtet bin, meinen gnädigen Lord zu wecken.«

John verschwand und drunten plauderten die jungen Menschen ganz aufgeregt und glücklich durcheinander: was war das für ein wunderbarer Bau, und wie konnte Flitmore mit ihm von England nach Afrika reisen? Aber die Hauptsache war: er war gekommen und Mietje mit ihm, ein unerwarteter und gar so lieber Besuch!

Zehn Minuten später beleuchtete schon die aufgehende Sonne das Weltschiff, als Flitmore und Mietje in der Luke erschienen.

»Hurrah!« rief Leusohn: »Da sind sie ja!«

»Hurrah!« antwortete der Lord: »Und ihr habt uns entdeckt? Willkommen, Schwager Otto, willkommen, Schwager Hendrik! Willkommen, meine lieben Schwägerinnen Helene und Sannah: die große Sannah kam, euch zu grüßen.«

»Nein, daß ihr auch gerade hier seid, Sannah und Otto!« jubelte Mietje herab: »Das ist gar zu schön! Und da ist ja auch unsre Zwergprinzessin und die treue Amina!«

»Jambo, jambo!« riefen die beiden Negermädchen frohlockend hinauf.

Inzwischen hatte John die Strickleiter befestigt und der Lord und seine Gattin beeilten sich hinabzusteigen. Gleich hinter ihnen erschien Professor Schultze.

Mietje und Sannah flogen einander in die Arme; Flitmore küßte herzlich seine Schwäger und Schwägerinnen und sogar die kleine Zwergprinzessin, die solcher Ehre wohl wert war. Ebenso innig begrüßte Lady Flitmore, als sie sich aus der Schwester Armen herausgefunden, ihren Bruder Hendrik und dessen Gattin, sowie den Doktor, ihren Schwager, und alsdann Tipekitanga und Amina.

Inzwischen hatte auch der Professor sich der Gruppe genähert und wurde mit kräftigem Händeschütteln von den alten lieben Bekannten begrüßt, mit denen er einst auf afrikanischem Boden so manches Abenteuer erlebt hatte.

Heinz und Heliastra waren mittlerweile ebenfalls der Sannah entstiegen.

Sie waren hier noch unbekannt und blieben etwas abseits stehen; doch wurden sie bald bemerkt und hohes Staunen erfüllte Hendrik und Leusohn und deren Gattinnen, als sie die wunderliebliche Gestalt und das in überirdischer Schönheit strahlende Gesicht des fremden Mädchens erschauten.

Sie verstummten und fühlten sich von einem seltsamen Zauber gefangen genommen, der von dem engelgleichen Wesen ausging, das von einem schneeweißen, zarten Gewebe umflossen vor ihnen stand. Sie bewunderten diese blendende Erscheinung mit wahrer Andacht und frommer Scheu: sie erschien wie ein Geschöpf aus einer andern vollkommeneren Welt, denn wie konnte die Erde solche himmlische Reize hervorbringen? Und sie hatten recht mit dieser Ahnung: Heliastra kam ja wirklich aus höheren Sphären.

Aber neben diesem Gefühl ehrfürchtiger Bewunderung wallte zugleich in aller Herzen eine beseeligende Liebe zu der Fremden auf: sie fühlten sich ganz wunderbar zu ihr hingezogen. Die Reinheit, Milde und herzgewinnende Freundlichkeit, die aus diesem lieblichen, rosenschimmernden Antlitz lachte, vor allem aber aus den großen Augen, deren zartes Blau auf Erden nicht seinesgleichen hatte, mußten ja alle Seelen gefangen nehmen.

Heliastra ihrerseits schaute mit liebendem Wohlgefallen auf die Gruppe, ihr Herzchen klopfte vor freudiger Aufregung und wogte besonders ihren neuen irdischen Schwestern entgegen. Wie schön und wie lieb sahen sie aus, wenn sie auch nicht so ätherisch waren wie Glessiblora und die andern Mädchen Edens! Selbst ihre dunkelfarbigen Erdenschwestern, die feingliederige Tipekitanga und die rundliche Amina kamen ihr reizend vor.

»Wer ist dies himmlische Geschöpf?« stammelte endlich Sannah mit fliegenden Pulsen.

»In Wahrheit ein himmlisches Geschöpf!« sagte Mietje: »Denn wir haben sie aus der himmlischen Welt der Fixsterne geholt. Und wie lieb und edel sie ist, werdet ihr bald selber erfahren.«

»Aus der himmlischen Welt der Fixsterne?« rief Helene ratlos. Was sollten diese rätselhaften Worte bedeuten? Und doch! Sie fühlte, daß ein überirdisches Geheimnis allein der Wahrheit entsprechen konnte; denn daß auf ein irdisches Wesen eine solche Anmut ausgegossen sein könnte, schien ihr je länger je mehr völlig undenkbar.

»Es ist so«, bestätigte der Lord: »Heliastra ist ein Gast aus den himmelweiten Fernen der Fixsternwelt. Wie das alles zusammenhängt, werden wir euch hernach erklären. Nun aber will sie unsre arme Erde als ihre Heimat betrachten: eine edle Sehnsucht zog sie zu uns herab und die Liebe ihres Herzens zu unserm edlen Freund Heinz Friedung, der ein Los gezogen hat, wie es noch keinem Sterblichen zuteil wurde, außer etwa mir, der ich eine Mietje Rijn zur Gattin gewann.«

»Frevler!« rief Lady Flitmore und legte ihre kleine Hand auf des Lords Mund: »Wie kannst du es wagen, mich mit einer Heliastra zu vergleichen!«

»Das ist Heinz Friedung, der mit Ihnen Australien bereiste?« wandte sich nun Doktor Leusohn an Schultze.

»Gewiß! Eine Seele von einem Menschen und ein Held! Niemand hätte ich ein solch goldenes Glück so freudig gegönnt, wie gerade ihm.«

»Herzlich willkommen!« rief Leusohn und umarmte den jungen Mann, der ihm aus des Professors Briefen längst bekannt und lieb war; ebenso stürmisch begrüßte Hendrik den neuen Freund, worauf auch Sannah und Helene ihm die Hand schüttelten.

Dann eilten die jungen Frauen auf Heliastra zu; doch hielt sie immer noch eine andächtige Scheu zurück, der Holden eine Zärtlichkeit zu erweisen, zu der sie ihr Herz trieb. Sie fühlten sich unwürdig so hoher Gunst und streckten ihr zaghaft die Hand entgegen.

Heliastra aber schlang lächelnd ihre Elfenarme nacheinander um Sannahs und Helenes Hals und drückte warm ihre feinen Rosenlippen auf ihren Mund. »Seid ihr nicht meine lieben Schwestern?« fragte sie dann errötend.

»Wenn wir es sein dürfen, mit Stolz und Freude!« erwiderte Helene und Sannah fügte hinzu: »Ich glaube, ich werde niemand so lieb haben können, wie dich, ausgenommen natürlich meinen lieben Mann.«

»Ja, mein lieber Heinz geht auch bei mir allen andern vor«, sagte Heliastra mit einem zärtlichen Blick auf ihren Gatten: »Aber dann sollt gleich ihr kommen. Oh, ich habe so viel Liebe, es reicht für euch und die ganze Welt!«

Das ganze Gespräch wurde auf deutsch geführt, das Heliastra bereits fließend sprach, und das aus ihrem Munde wie himmlische Musik und Glockengeläute klang.

Dann ging sie leichtfüßig auf Tipekitanga und Amina zu, die scheu bewundernd beiseite standen, umarmte und küßte auch sie und sprach: »Ihr seid doch auch meine lieben Schwestern von der Erde?«

Amina war ganz stumm vor Glück und großer Verlegenheit, zugleich aber hob sich ihr Herz in seligem Stolz.

Tipekitanga aber sah die himmlische Schwester mit einem strahlenden Blicke an und flüsterte nur: »Oh, liebe, liebe Herrin!«

Hierauf reichte Heliastra Hendrik und Leusohn das durchsichtige Händchen mit warmer Herzlichkeit; die Männer aber wagten nicht, fest zuzugreifen, so zart erschien ihnen diese Elfenhand, auf die sie einen ehrerbietigen Kuß drückten.

Da aber wurde es plötzlich in der Höhe laut und der Zauberbann, den Heliastras Erscheinung ausübte, wurde für eine Weile gebrochen.

»Oh, schnöde Erde! Oh, jämmerliche, erbärmliche Menschheit!« grollte es herab. »Also da sind wir wieder gelandet auf dem armseligsten aller Planeten? Und da unten begrüßen sie sich und kein Mensch denkt an mich, Kapitän Hugo von Münchhausen, den berühmten Abu Baten, Pascha seiner Königlichen Hoheit des Khedive von Ägypten! Mich, mich lassen sie die Begrüßungsszene verschlafen! Mich, die gewichtigste Persönlichkeit von allen, behandeln sie als eine zu vernachlässigende Größe? Komm, Heliastra, du Engelskind aus einer bessern Welt! Laß uns miteinander diesen undankbaren Erdboden wieder verlassen und zurückkehren in die seligen Sphären!«

»Halloh! Münchhausen, unser herrlicher Kapitän, der schreckliche Abu Baten!« rief es unten durcheinander.

Dieser stürmische Jubel versöhnte den zürnenden Koloß und er turnte mit erheiternder Gewandtheit die Strickleiter herab.

Als er keuchend den Erdboden erreichte, umringten ihn die Freunde und Freundinnen und grüßten ihn mit solch herzlicher Freude, daß er erklärte: »Na Kinder! Wenn ihr mich denn doch so gern habt, so will ich mich, wenn auch schweren Herzens, entschließen, wieder diesen heillosen Planeten zu bevölkern!«

Nun erst kam auch der bescheidene John herab, gefolgt von den Schimpansen Dick und Bobs, und auch er wurde aufs freundlichste willkommen geheißen.

»Ah! Da steht ja auch unsre herrliche Zwergprinzessin!« rief Münchhausen: »Komm an mein Herz, liebes Mädchen, fliege in meine Arme, reizende Tipekitanga! Dein alter Onkel sehnt sich danach, dich an seine treue Brust zu drücken!«

»Halt, halt!« lachte Leusohn, als der Kapitän wirklich Miene machte, die zarte Gestalt zu umarmen: »Sie würden ja unsre kleine Heldin erdrücken und erwürgen. Für solch zerbrechliche Wesen sind Ihre Liebkosungen denn doch zu gefährlich.«

»Sie haben recht, wie immer, weiser Doktor«, sagte Münchhausen und ließ die Arme wieder sinken. »Na, dann gib mir dein Patschhändchen, vortrefflichstes aller Prinzeßchen!« Und er drückte ihr vorsichtig die kleine Hand.

Nun erschien auf einmal Piet Rijn, der greise Bure, auf der Bildfläche, gefolgt von seinen übrigen Söhnen Frans, Klaas und Danie.

Frans hatte von der Farm aus das Weltschiff in der Morgensonne strahlen sehen, und da bald bemerkt wurde, daß Hendrik und Leusohn mit ihren Frauen und deren Dienerinnen ausgeflogen waren, beschloß der würdige Alte, nachzusehen, was dort drüben los sei.

Hocherfreut umarmte er seine Tochter Mietje und seinen Schwiegersohn, den Lord, begrüßte herzlich den Professor und ebenso Heinz und Münchhausen, die Flitmore ihm vorstellte. Von letzterem besonders hatte er ja durch seine Söhne, sowie Sannah, Helene und Leusohn des Rühmlichen genug erfahren. Ebenso freudig bewegt begrüßten die Brüder Mietje, den Lord und dessen Gefährten. Auch John wurde nicht vergessen.

Mit hoher Bewunderung wurde auch die Perle der Gesellschaft, Heliastra, willkommen geheißen, dann begab man sich gemeinsam nach dem Wohnhause der Familie Rijn.

Unterwegs schimpfte Münchhausen: »Nein, es ist doch ein wahres Elend auf dieser Erde! Wie leichtfüßig war ich doch auf dem Planeten Eden! Ach! Wenn ich an dieses Hüpfen und Schweben denke! Und jetzt? Eine Schinderei ist es, solch einen stattlichen Leib, wie ich ihn besitze, schwerfällig über den Erdboden zu schleppen!«

Auch Heliastra hatte bemerkt, daß es sich auf Erden nicht so leicht wandelte, wie in ihrer heimischen Welt. Sie machte einen Versuch, sich wie dort in die Lüfte zu erheben, aber damit war es hier nichts! Mit einer leisen, bedauernden Enttäuschung in der Stimme sagte sie zu ihrem Gatten: »Heinz, hier kann ich nicht mehr fliegen!«

»Wenn nur unsere Seelen fliegen!« erwiderte er tröstend.

Doch Heliastras heiteres Gemüt überwand rasch die Enttäuschung. Wozu wollte sie fliegen, wenn es ihrem Heinz doch versagt war? Und sie schwebte so leichtfüßig über den Erdboden dahin, wie kein Menschenkind es vermochte.

»Wie eine Elfe!« dachte Sannah.

Helene und Sannah eilten nun voraus in die Farm, um mit Aminas und Tipekitangas Hilfe einen tüchtigen Morgenimbiß zu bereiten, zu dem John noch Früchte und Konserven von Eden aus der Sannah holen mußte, die hohes Staunen erregten und den unkundigen Erdenkindern einen nie geahnten Genuß bereiteten.

Inzwischen wurde lebhaft geplaudert und zunächst in aller Kürze von der wundersamen Weltfahrt berichtet.

Wie ein Märchen klangen diese Berichte, und Leusohn meinte: »Wenn uns Kapitän Münchhausen das alles erzählte, so wüßte ich ja, wie ich daran bin; so aber kenne ich mich wahrhaftig nicht mehr aus! Und das alles soll wirkliche, selbsterlebte Wahrheit sein und kein wunderbarer Traum?«

»Hast du schon solche Früchte und Baumzweige gesehen und gekostet?« fragte Helene ihren zweifelnden Bruder. »Gibt es Milch und Honig, Butter und Fruchtsäfte auf der weiten Erde, wie diese paradiesischen Genüsse, die uns aus einer fernen Welt gebracht und aufgetischt worden sind?«

»Und vor allem«, fügte Sannah hinzu, als ihr Gatte seiner Schwester daraufhin nichts zu erwidern wußte, »ist dieses engelgleiche Wesen, Heliastra, nicht ein augenscheinlicher Beweis für die Wahrheit alles dessen, was unsre staunenden Ohren vernehmen?«

»Ihr habt recht, meine Lieben«, gab nun der Doktor zu, »und wenn ich mich überzeugt habe, daß ich das alles nicht selber träume, dann muß ich es ja schließlich glauben. In der Tat zweifle ich lebhaft, ob nicht selbst unseres Kapitäns großartige Phantasie zu schwach wäre, solche Wunder auszudenken.«

»Oho!« verwahrte sich Münchhausen. »Warten Sie ab, bis ich zu erzählen beginne, etwa von den sechsbeinigen Marsmenschen und dergleichen!«

»Und mir zu Ehren hast du dein märchenhaftes Fahrzeug ›Sannah‹ geheißen?« fragte Leusohns Gattin ihren Schwager Flitmore.

»Gewiß! Und sie hat dir Ehre gemacht; sie hat sich treu und zuverlässig erwiesen«, lautete die Antwort.

Tipekitanga aber strahlte vor Stolz und Glück, als sie erfuhr, daß auch sie einer so außerordentlichen Ehrung gewürdigt worden war, und daß ein kleiner, aber an Wundern und zauberischen Reizen reicher Weltkörper ihren Namen erhalten hatte. Ebenso stolz war Amina, daß ein Komet nach ihr benannt worden war.

Mehrere Wochen blieben unsere Freunde auf Piet Rijns Farm, glücklich inmitten ihrer Lieben, dann nahmen sie Abschied, doch nicht für immer.

Sie bestiegen noch einmal die Sannah; Münchhausen wurde in Adelaide abgesetzt; Professor Schultze, Heinz und Heliastra verließen endgültig das Weltschiff, als es Berlin erreichte.

Kurz darauf landete Lord Flitmore und Mietje und John nebst den treuen Schimpansen vor seinem Schloß in England, um zunächst hier zu verweilen, später aber die Sannah zu einer neuen Weltfahrt praktischer auszurüsten unter Benutzung aller Erfahrungen, die auf ihrer ersten Reise gemacht worden waren, die er nur als eine Probefahrt ansah.

Ein nochmaliger Besuch des Planeten Eden war für den Lord und Mietje vor allem eine ausgemachte Sache; dies waren sie schon Heinz und Heliastra schuldig, denen sie versprochen hatten, sie in ein paar Jahren dorthin mitzunehmen, damit die Tochter Edens ihren Eltern und Geschwistern berichten könne von dem segensreichen Wirken ihrer erbarmenden Liebe auf der fernen Erdenwelt.

Im übrigen war Lord Flitmore entschlossen, noch mehrere Weltschiffe nach dem Muster der Sannah zu bauen, um einen regen Verkehr der Erde mit dem Planeten und der Fixsternwelt anzubahnen.

Bei der nächsten Reise würde also vermutlich gleich eine wohlbemannte Flotte von der Erde in den Weltraum sich erheben, und das schönste und am vollkommensten ausgestattete dieser Weltschiffe sollte auch den schönsten und würdigsten Namen tragen, den Namen » Heliastra«.


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