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54. Der Planet Merkur

Die andern wußten es sich nicht zu erklären, wie der Lord dazu kam, ein Dankgebet zu sprechen, während sie sich mitten im Flammenofen der Sonne wähnten; denn erst jetzt begann die Hitze beinahe unerträglich zu werden.

Nur Professor Schultze sah so klar wie Flitmore.

»Wir sind unversehrt hindurchgekommen!« sagte er aufatmend; »aber wie mag die Sannah aussehen?«

»Sind wir denn schon außer Gefahr?« fragte Mietje ungläubig.

»Gewiß, meine Liebe«, sagte der Lord, »die Lebensgefahr bestand darin, daß sich unser Fahrzeug infolge der ungeheuren Hitze sofort in Dampf aufgelöst hätte. Die Wärme, die wir nun aber spüren und die allerdings sehr lästig ist und auf die Dauer nicht auszuhalten wäre, beweist uns, daß wir die Korona der Sonne bereits durchflogen und hinter uns haben. Wäre die Katastrophe eingetreten, so hätten wir gar nichts gespürt, so plötzlich wäre alles gekommen; diese allmählich sich steigernde Hitze jedoch weist darauf hin, daß die Sannah an ihrer Oberfläche sehr heiß wurde, ohne jedoch wesentlich Schaden gelitten zu haben. Durch die feuerfeste Umhüllung und die dicke Guttaperchaauspolsterung aller Räume, sowie die in diesen enthaltene Luft ist die Temperatur in diesen untersten Gelassen nur langsam und verhältnismäßig wenig gestiegen.«

»Das glaube ich«, sagte Münchhausen: »Sind doch nach allen Seiten hin nicht weniger als 7 Zimmer oder Stockwerke von je drei Meter Höhe zwischen uns und der äußeren Umhüllung, 7 Säle mit gummibelegten Decken und Fußböden, so daß uns 14 Schichten von geringster Wärmedurchlässigkeit beschützen, getrennt durch 7 drei Meter hohe Lufträume, ganz abgesehen von der starken Außenhülle.«

»Aber ist es nicht möglich, daß wir uns noch in den Flammen befinden?« fragte nun Heliastra: »Dann würde die Hitze ganz allmählich steigen, aber wir würden sie bald nicht mehr aushalten.«

»Ganz ausgeschlossen!« sagte Schultze. »Bei der rasenden Eile unsrer Fahrt mußten wir schon längst wieder aus der Sonnenkorona ausgetreten sein, ehe die Temperaturerhöhung in ihrem allmählichen Fortschreiten sich hier unten bemerkbar machte.«

»Dann aber möchte ich ganz ergebenst die bescheidene Bemerkung aussprechen«, sagte John, »daß wir nach oben gehen in die frische Luft, denn ich schwitze, wenn es zu sagen gestattet sein sollte, wie ein sogenannter Magister!«

»Geduld, Geduld, mein Sohn!« lachte Schultze. »Das müssen wir nun schon eine Weile aushalten. Zum ersten sind wir der Sonne noch so nahe, daß ein Spaziergang ins Freie vorerst ganz ausgeschlossen ist, wenn wir nicht braten sollen; zum zweiten ist die Hitze in den oberen Gemächern zweifellos weit schlimmer als hier im untersten; sie müßte wachsen, je höher wir steigen. Wir müssen erst eine gründliche Abkühlung abwarten.«

»Da werden wir wohl noch lange Geduld haben müssen«, meinte Heinz, »denn die Sonne dürfte bei ihrer Nähe derart auf die Sannah brennen, daß von einer Abkühlung vorerst überhaupt keine Rede sein wird.«

»In zwei Stunden«, sagte der Lord, »können wir ohne Sorge den Aufstieg wagen. Erstens muß eine verhältnismäßige Abkühlung selbstverständlich eintreten, da der Temperaturunterschied doch ein ganz gewaltiger ist zwischen der Korona selber und ihrer bloßen Nähe; zweitens entfernen wir uns mehr als blitzschnell von der Sonne; drittens dreht sich ja unsre Sannah um sich selbst und kehrt stets nur eine Seite der Sonne zu; die von der Sonne abgekehrte Seite wird sich aber sehr rasch und stark abkühlen. Endlich übt die bloße Bestrahlung durch die Sonne, wenn diese auch noch sehr nahe ist, ihre Einwirkung nur in sehr geringem Maße bis in die Innenräume aus.«

Es zeigte sich, daß der Lord recht hatte; die furchtbare Hitze nahm verhältnismäßig rasch ab und nach zwei Stunden konnten unsre Freunde bereits ins Zenitzimmer hinaufsteigen, das gerade von der Sonne abgewendet war und Nacht hatte.

Allerdings herrschte dort noch eine gelinde Backofenhitze, aber dadurch, daß sämtliche Verbindungstüren der Innenräume geöffnet wurden, konnte ein starker kühlender Luftzug erzeugt werden; überdies konnte man auf der Nachtseite auch die Außenluken öffnen und es strömte eine zwar mehr als laue, aber doch frische Luft ein, die nach der ausgestandenen Hitze den Eindruck wohltuender Kühle machte.

Durch die Luke des Zenitzimmers stieg Flitmore ins Freie hinaus, um zu sehen, was die Umhüllung der Sannah bei der Fahrt durch die Glutatmosphäre der Sonne gelitten habe.

Er fand, daß der Flintglasbelag fast vollständig abgesprungen war; die äußerste Metallumhüllung war geschmolzen, aber fast beinahe überall noch dicht, da sie nach Verlassen der Sonnenkorona rasch wieder erstarrt war; an einzelnen Stellen freilich zeigten sich Löcher, da war die Umhüllung in ihrer ganze Dicke durchgeschmolzen. Doch das wollte nun nicht viel besagen, denn einer ähnlichen Hitze würde man ja wohl nicht wieder standzuhalten haben.

Als der Lord ins Zimmer zurückkehrte, sagte Mietje: »Mir ist es immer noch ein Rätsel, wie wir so unbeschädigt durch die flammende Sonnenatmosphäre kommen konnten.«

»Ein Wunder göttlicher Bewahrung ist es gewiß!« sagte ihr Gatte. »Aber das natürliche Mittel, durch das er uns hindurchhalf, ist die ungeheure Geschwindigkeit, mit der er unser gebrechliches Fahrzeug seine Bahn durcheilen ließ. Du hast ja wohl selber schon probiert, meine Liebe, wie du deinen Finger unbeschädigt, ja ohne nur auch eine Wärmeempfindung zu verspüren, durch die Flamme eines Lichtes bringen kannst, wenn du es schnell genug ausführst. Ganz so kurz verweilten wir nun freilich nicht in den Sonnenflammen, aber doch auch gewiß nicht mehr als zwei Minuten, und für diese kurze Zeit genügte unsre Schutzhülle, um den Gluten stand zu halten, die schon einige Zeit brauchten, um nur die Flintglashülle zu sprengen. Daß die Hitze im Innern nicht unerträglich wurde, obgleich das Metall an der Außenfläche angeschmelzt wurde, darf uns nicht wundernehmen, wenn wir uns erinnern, daß dies auch bei Meteoren der Fall ist.«

In blendendem Glanze strahlte der Planet Merkur durch das offene Fenster des Zenitzimmers. Die Sannah mußte ganz in seiner Nähe vorbei und er schien mit ungeheurer Schnelligkeit sich zu nahen.

Dieser Planet, der zu ? ewige Nacht und zu ? ewigen Tag hat, während der vierte Teil seiner Oberfläche allein den Wechsel von Tag und Nacht kennt, die im Durchschnitt 44 Erdentage währen, kehrte beinahe seine voll erleuchtete Seite der Nachtseite der Sannah zu.

Um ihn dauernd beobachten zu können, sowie um sich nicht der Sonnenhitze auszusetzen, begaben sich unsre Freunde, entsprechend der Umdrehung der Sannah, jedesmal in dasjenige Zimmer, das gerade Mitternacht hatte. Jede halbe Stunde mußte ein solcher Zimmerwechsel vorgenommen werden.

Schultze fühlte sich veranlaßt, einige Belehrungen über den Merkur loszulassen:

»Die große Sonnennähe dieses Planeten«, sagte er, »hat seiner Beobachtung von der Erde aus die größten Schwierigkeiten entgegengesetzt. Aus den Veränderungen, die Schröter an den Spitzen der Merkursichel, den sogenannten Hörnern, wahrzunehmen glaubte, berechnete Bessel seine Umdrehungsdauer zu 24 Stunden. Dagegen schloß Schiaparelli 1883 aus Flecken und Streifen, die er wahrnahm, auf eine Rotationsdauer von 88 Tagen; das heißt, Merkur würde der Sonne stets dieselbe Seite zukehren, wie der Mond der Erde, und würde sich in der gleichen Zeit um sich selbst drehen, wie um die Sonne.

Allein es wurde nachgewiesen, daß jede Kugel mit glatter, gleichmäßig gefärbter Oberfläche bei unvollständiger Beleuchtung dunkle Streifen zeigt, die auf einer notwendig eintretenden Sinnestäuschung beruhen, so daß Schiaparellis Berechnungen fragwürdig erscheinen, weil sie auf die Beobachtung eben dieser Streifen sich aufbauten.

Merkur zeigt der Erde wechselnde Lichtgestalten oder Phasen wie der Mond, aber wie Venus zeigt er sich vollbeleuchtet, wenn er der Erde am entferntesten steht, und erscheint daher am hellsten, wenn er, nur halb beleuchtet, der Erde näher tritt. Aber auch dann ist er nur einem guten Auge sichtbar infolge seiner Kleinheit und Sonnennähe; doch wurde er im Altertum und im Mittelalter von unsern helläugigen Vorfahren gut beobachtet.

Die Lichtgrenze seiner Oberfläche zeigt sich sehr verwaschen, was auf eine ziemlich dichte Atmosphäre hinweist. Seine Bahn ist die exzentrischste aller Planetenbahnen, das heißt, sie entfernt sich am meisten von der Kreisform und erscheint oval.

Seine Dichtigkeit ist anderthalbmal so groß als die der Erde, so daß man ihn als eine Kugel von Gußeisen ansehen könnte. Seine Oberfläche beträgt etwa das Dreifache des gesamten russischen Kaiserreichs. Seine Masse ist nur 1/12 der Erdmasse, die Schwerkraft auf ihm beträgt nur 3/5 derjenigen der Erde. Er empfängt siebenmal mehr Sonnenlicht als diese und dürfte wohl unter unerträglicher Hitze auf der Sonnenseite und grauenhafter Kälte auf der Nachtseite leiden. Venus leuchtet ihm bei ihrer größten Nähe 600mal schwächer als unser Vollmond.«

So viel wußte Schultze in aller Kürze zu sagen. Was nun von der Sannah aus von der Oberfläche des Planeten gesehen wurde, war hochinteressant: er erschien als glatte Scheibe, durchaus nicht ohne Hügel und Berge, aber auch diese waren gleich glatten, wenig hervorragenden Halbkugeln, die keinen Schatten warfen, weil das Licht durch die spiegelnden Flächen tausendfach zurückgeworfen wurde und alles erleuchtete.

Auch Pflanzenwuchs, ja Hochwälder waren zu sehen, aber Stämme, Zweige und Blätter glitzerten und spiegelten dermaßen, daß sie auf größere Entfernung völlig in dem Meer von weißem Licht verschwanden.

»Wenn da Tiere und Menschen leben«, meinte Schultze, »so sind sie jedenfalls ebensolche spiegelnde Wesen und diese Eigenschaft schützt sie dann wohl vor der schädlichen Einwirkung allzuhoher und allzuniedriger Temperaturen.«

Rasch entfernte man sich von dem Planeten, der mit größerer Geschwindigkeit als alle andern seine Bahn um die Sonne durchläuft; die Sannah näherte sich wieder der Venusbahn, doch die Venus war fern: die Sonne stand zur Zeit zwischen ihr und dem Weltschiff.


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