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21. Jupiter

Die Sannah näherte sich dem größten aller Planeten, dem Jupiter, und Flitmore begünstigte die Annäherung durch zeitweise Unterbrechung des Zentrifugalstroms.

»Seien Sie vorsichtig!« warnte Münchhausen: »Ich habe großen Respekt vor dem obersten aller olympischen Götter und fürchte sehr, er könnte uns einen Streich spielen, wie dem unseligen Biela-Kometen, wenn wir uns ihm allzu naseweis nähern. Stellen Sie sich das Unglück vor, wenn sein gewaltiger Einfluß unsre Sannah in zwei Hälften teilen würde, vielleicht just während wir uns in unsern verschiedenen Schlafkojen eines sorglosen Schlummers erfreuen. Dann würde unsre schöne Gesellschaft getrennt und wir könnten uns vielleicht nie wieder zusammenfinden.«

»Beruhigen Sie sich«, lachte der Lord: »Ich werde mich hüten, dem Jupiter Anlaß zu solch grausamer Maßregel zu geben. Wir wollen ihn uns nur etwas aus der Nähe betrachten.«

»Wollen wir nicht auch auf ihm landen, wie auf dem Mars und der reizenden Tipekitanga?« fragte Lady Flitmore eifrig.

»Das hängt ganz davon ab, wie die Verhältnisse des Planeten sich uns darstellen.«

»Hat er überhaupt eine Atmosphäre?« erkundigte sich Heinz.

»Vermutlich sogar eine sehr dichte«, belehrte Schultze, »denn er zeigt ein sehr starkes Albedo.«

»Die Astronomen der Erde sind sogar im Zweifel, ob ihre Teleskope ihnen überhaupt die Oberfläche des Jupiter zeigen«, mischte sich der Lord ein: »Sie rechnen mit der Möglichkeit, daß das, was sie sehen, nur Kondensationsprodukte, das heißt Verdichtungserscheinungen seiner Lufthülle sind. Jedenfalls läßt sich von ihm keine Karte entwerfen, wie vom Mars; denn das, was man erblickt, ist äußerst veränderlich. Nur zwei dunkle Streifen bleiben dauernd sichtbar.«

John aber hatte vorhin den Professor von einem »Albedo« reden hören, das war ihm ein völlig unbekanntes Wort, zumal es das Vorhandensein einer dichten Lufthülle beweisen sollte. Er konnte das nicht hingehen lassen, er mußte sich auch hierüber belehren und fragte daher:

»Herr Professor, um keine langwierigen Umschweife zu machen, gestatten Sie mir wohl, infolge Ihrer unabsehbaren Liebenswürdigkeit, geradeheraus eine Frage an Sie zu richten, die mir für meine Bildungsvollkommenheit unabgängig zu sein scheint; weil Sie nämlich soeben sich äußerten, als habe der Jupiter ein starkes Torpedo, so ist mir das von den Kriegsschiffen her bekannt aber nicht begreifbar, wieso das mit den atmosphärischen Verhältnissen wesentlich zu tun habe; das muß wohl eine ganz andre Art von Torpedo sein.«

»Ja, mein Sohn!« lachte der Professor: »Es ist eine durchaus andre Art von Torpedo und schreibt sich Albedo. Albedo ist nämlich das mittlere Verhältnis der ausgestrahlten Lichtmenge eines Körpers zur eingestrahlten.«

»Ach so!« erwiderte John zögernd; offenbar war ihm die Sache sehr unklar. Er hatte ein sehr schwaches Albedo, denn das Licht, das Schultzes Weisheit in ihn einstrahlte, strahlte nur sehr unvollkommen aus seinen Zügen zurück.

»Ich will dir das näher erläutern«, sagte der praktische Engländer. »Siehst du, wenn die Sonne auf einen schwarzen Stoff scheint, so saugt dieser das meiste Licht auf oder absorbiert es, wie die Gelehrten sagen, damit man sie nicht so leicht verstehen soll. Der schwarze Stoff wirft nur wenig von dem Licht zurück, das ihn bestrahlt; er hat also ein schwaches Albedo. Fällt dagegen der gleiche Sonnenstrahl auf einen Spiegel, so wirft dieser das Licht fast ungeschwächt zurück, er blitzt so hell, daß du nicht hineinsehen kannst; er hat also ein sehr starkes Albedo.

Nun weiß man, wieviel Sonnenlicht den Jupiter oder sonst einen Planeten trifft und wie hell er uns demnach erscheinen müßte, wenn er das ganze Licht ungeschwächt auf uns zurückstrahlte. Je geringer nun sein Glanz im Verhältnis zu diesem eingestrahlten Licht ist, desto geringer ist sein Albedo und umgekehrt.

Die Erde hat eine Lufthülle, die so dünn ist, daß sie das meiste Licht durchläßt und wenig davon zurückwirft; erst der Erdboden wirft das Licht zurück, das ihn trifft, aber nur einen Teil davon, das meiste verschluckt er. Darum hat die Erde ein schwaches Albedo. Wäre sie mit einer Schneedecke bedeckt, dann würde ihr Albedo weit stärker, da der Schnee das Licht reichlich zurückstrahlt.

Eine recht dichte, dunstige und wolkige Lufthülle wirft das Licht ebenfalls stark zurück. Wenn daher ein Planet ein starkes Albedo hat, das heißt im Verhältnis zu seiner Bestrahlung durch die Sonne recht hell erscheint, nimmt man an, er habe eine besonders dichte Atmosphäre; dies ist vor allem bei Venus der Fall. Mars hat ziemlich das gleiche Albedo wie die Erde, und Merkur ist der einzige Planet, der ein geringeres Albedo aufweist, also eine dünnere Luft zu haben scheint.

Allerdings muß man dabei nicht vergessen, daß eine spiegelnde Oberfläche, eine Schneedecke oder etwa eigenes Licht, das der Planet noch ausstrahlen könnte, ebensogut das starke Albedo erzeugen können wie eine dichte Atmosphäre; völlige Sicherheit mangelt also auch diesen Schlüssen.«

»Hören Sie, Lord«, bruddelte Schultze, sich höchst ärgerlich stellend: »Sie haben mich als Astronomen der Expedition angeworben; wenn Sie aber selber in der Astronomie so gründlich bewandert sind, dann sehe ich nicht ein, was für einen Zweck ich hier habe!«

»Beruhigen Sie sich«, lachte Flitmore: »Mit einigen astronomischen Kenntnissen habe ich mich freilich versehen, da ich in die Sternenwelt reisen wollte; aber ich bin durchaus nicht auf dem ganzen Gebiete so beschlagen, wie Sie. Übrigens schadet es bei solcher Fahrt gar nichts, wenn mehrere oder alle Teilnehmer etwas von dieser Wissenschaft los haben. He! Münchhausen, entscheiden Sie als Sachverständiger in ganz ähnlichem Fall. Braucht ein Schiffskapitän vom Steuern eines Schiffes nichts zu verstehen?«

»Wo denken Sie hin!« rief der Kapitän: »Einem solchen könnte das Kommando über ein Schiff nicht anvertraut werden; gründlich muß er's verstehen und im Notfall selber das Steuerruder führen können.«

»Ist dann nicht ein Steuermann überflüssig, da der Kapitän ja seine Arbeit versehen könnte?«

»Unsinn! Einen ersten und einen zweiten Steuermann sogar braucht er höchst notwendig.«

»Da haben Sie's, Professor«, lachte der Engländer: »Das ist hier ein ganz ähnlicher Fall.«

Bald näherte man sich dem großen Planeten, der zwölfhundertundsiebzigmal größer als die Erde ist und fünfmal so weit von der Sonne entfernt als sie, nämlich 773 Millionen Kilometer.

In 9 Stunden 55½ Minuten dreht sich dieser Koloß um sich selbst, seine Tage sind also nicht halb so lang wie die irdischen; dagegen beträgt seine Umlaufzeit um die Sonne beinahe 12 Erdenjahre, nämlich 11 Jahre, 314 Tage, 20 Stunden und zwei Minuten.

Seiner schnellen Rotation entspricht die kolossale Abplattung seiner Pole, die nicht weniger als ein Sechzehntel beträgt.

Bei der Annäherung spürte man selbst in den geschützten Räumen der Sannah, daß Jupiter eine starke Wärme ausströmte, weshalb sich Flitmore nur vorsichtig seiner Anziehungskraft aussetzte und das Weltschiff sich abwechselnd senken und wieder entfernen ließ.

Währenddessen konnte man den Planeten genau beobachten.

Zunächst sah man leuchtendes Gewölk, das von einem rasenden Orkan dahingetrieben wurde, rascher als Jupiter selber sich um seine Achse dreht.

Wo die zerrissenen Wolken Durchblicke gestatteten, zeigte sich ein wogendes Meer von Glut, zwischen dem sich wenige dunkle Streifen erstarrten Gesteins hinzogen.

»Das stimmt«, sagte Schultze, »zu der Berechnung der Dichtigkeit des Planeten, die sich als ¼ der Erddichte ergab, also nur 1? die Dichte des Wassers beträgt, woraus zu schließen war, daß Jupiter sich in flüssigem Zustande befindet. Ebenso ließ sein helles Strahlen auf eigenes Licht schließen und der unscharfe, zum Teil durchsichtige Rand auf eine wechselnde Dunsthülle.«

»An eine Landung ist hier also nicht zu denken, meine Liebe«, wandte sich der Lord an seine Gattin.

»Nun denn auf dem Saturn!« meinte diese.

»Dort dürfte es auch nicht besser aussehen, Mylady«, wendete der Professor ein: »Der beringte Planet hat die geringste Dichtigkeit von allen, nur ? der Erddichte und ¾ Dichtigkeit des Wassers.«

»Na«, behauptete Münchhausen heiter, »noch flüssiger als das Wasser soll er sein? Dann besteht er am Ende aus steifem Grog! Da laßt uns hin!«

Mit Interesse wurden noch die vier Jupitermonde betrachtet, die nach Schultzes Belehrung in einem Tag, 18 Stunden und 27 Minuten, 3 Tagen, 13 Stunden und 13 Minuten, 7 Tagen, 3 Stunden und 42 Minuten und in 16 Tagen, 16 Stunden und 32 Minuten um den Planeten sich drehen.

Der erste, innerste, dem Jupiter nächste Mond war von einer starken Wolkenschicht umgeben; doch sah man an den leuchtend durchschimmernden Stellen und den dunklen Flecken, die sich darin zeigten, daß er in der Erstarrung begriffen war und auf seiner glutflüssigen Oberfläche Schlackeninseln schwammen. Er ist etwas größer als der Erdenmond.

Der zweite, bläulichweiß schimmernde Trabant, fast genauso groß wie unser Mond, zeigte ebenfalls glutflüssige und erstarrte Stellen.

Der dritte, größte und hellste befand sich in gleichmäßiger Rotglut, die meist ins Gelbliche spielte. Er war außerordentlich stark abgeplattet und rotierte sehr schnell.

Der vierte Jupitermond, der zuweilen als der lichtschwächste erscheint, zuweilen aber alle andern überstrahlt, war von einer leuchtenden, scharfbegrenzten Wasserdampfhülle umgeben.

»Diese Monde«, bemerkte Schultze, »gewähren den kurzen Jupiternächten eine äußerst zweifelhafte Beleuchtung, da die drei innersten stets vom Schattenkegel verfinstert werden und auch sonst mit unsrem irdischen Mondlicht nicht konkurrieren können.«


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