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36. In der Fixsternwelt

Die frische Luft regte den Appetit mächtig an und Münchhausen war der erste, der dies bemerkte.

»Wie wäre es«, sagte er, »wenn wir für heute unsern Luftwandel einstellten und zunächst eine ausgiebige Stärkung zu uns nähmen? Mir ist, als hätte ich seit acht Tagen nichts gegessen.«

»Unsre Mahlzeiten sind in letzter Zeit allerdings etwas zu kurz gekommen«, lachte Flitmore; »der Mangel an Lebensluft und Stoffwechsel ließ keinen rechten Hunger aufkommen.«

»Nicht einmal bei mir«, bestätigte der Kapitän.

»Was viel sagen will!« spottete Schultze.

»Komm, John!« gebot Lady Flitmore: »Eilen wir in die Küche, ein Festmahl zu bereiten, so rasch wir eines zustande bringen; wir müssen heut unser aller Geburtstag feiern.«

»Brava!« rief Münchhausen; »brava, Mylady, das ist ein genialer Gedanke. In der Tat sind wir heute alle zu neuem Leben wiedergeboren.«

Mietje begab sich mit John hinab und die andern folgten.

Während erstere sich in die Küche begaben, blieben letztere im Zenitzimmer.

»Ich glaube«, sagte hier Flitmore, »ich habe nun auch eine Erklärung dafür gefunden, warum der Komet Amina uns entführt hat:

Sie wissen, meine Herrn, daß nach meiner Ansicht alle Körper mit Anziehungskraft und Fliehkraft ausgestattet sind und sich demnach gleichzeitig anziehen und abstoßen, so daß sie sich einander bis zu der Entfernung nähern, wo Anziehung und Abstoßung sich ausgleichen und einander aufheben.

Nun scheint mir in der Kometenmaterie die Fliehkraft zu überwiegen. Daher kommt es, daß die durch die Sonnennähe aufgelösten Massen dieses Stoffes mit solcher Wucht von der Sonne abgestoßen werden, daß sie einen Schweif von vielen Millionen Kilometern bilden.«

»Das würde auch erklären«, fügte Schultze bei, »warum ein Komet, wenn er, durch die Geschwindigkeit seines Laufes die Zentrifugalkraft bis zu einem gewissen Grade unwirksam machend, dem Jupiter sehr nahe kommt oder gar die Korona der Sonne durchsaust, zwar zertrümmert und aufgelöst werden kann, niemals aber auf diese Weltkörper fällt.«

»Auch das!« stimmte der Lord zu. »Nun aber zieht Fliehkraft die Fliehkraft an: nur so ist es begreiflich, daß ein Komet seinen ungeheuren Schweif mit sich führen und späterhin wieder einziehen kann, während die Weltkörper, die etwa diesen Schweif kreuzen, nichts davon mitnehmen, eben weil die Fliehkraft in ihm vorherrscht.«

»Aber die Sternschnuppenregen und Meteorsteinfälle?« wandte Heinz ein. »Tatsächlich werden eben doch Teile eines Kometen oder seines Schweifes von der Erde angezogen.«

»Gewiß!« gab Flitmore zu: »Wir müssen uns eben vorstellen, daß zwar die Fliehkraft in den Kometen überwiegt, einzelne Bestandteile aber doch positiv magnetisch sind: gerade das könnte die lockere Schweifbildung erklären, da sich dann Bestandteile darin finden würden, die einander bis zu einem gewissen Grade abstoßen müßten. Jedenfalls wäre klar, warum der Komet unsre mit Fliehkraft geladene Sannah anziehen und mit sich fortreißen mußte.«

»Ich begreife«, sagte der Professor: »Und teils die rasende Geschwindigkeit der Fahrt, teils das Vorhandensein anziehender Elemente im Schweife verhinderten es, daß wir durch Ausschalten des Stroms freikommen konnten.«

»So stelle ich es mir allerdings vor«, sagte der Lord. »Nun hat uns der andre Komet aus dem Anziehungsbereich der Amina fortgerissen, ohne uns jedoch festhalten zu können, weil die miteinander streitenden Kräfte unsre Sannah schließlich an die Grenze der Anziehungssphäre beider Kometen brachten. Und nun werde ich mich beeilen, den Zentrifugalstrom auszuschalten, damit wir von dem Sonnensystem Alpha Centauri angezogen werden und, wenn wir einen günstigen Planeten entdecken, dort landen können.«

Da dies allgemein für das Beste gehalten wurde, stellte Flitmore alsbald die Fliehkraft ab.

Dem Festmahl, das nun aufgetragen wurde, sprachen alle wacker zu und es entwickelte sich eine behagliche und heitere Stimmung, die nach den ausgestandenen Leiden und Todesängsten doppelt erquickte.

Dann ergab man sich einem köstlichen Schlaf, wie man ihn schon lange nicht mehr genossen hatte.

Als unsre Freunde am andern Morgen im Zenitzimmer zum Frühstück sich vereinigten, flutete heller Sonnenschein durchs Fenster, ein Wunder, das mit größter Überraschung und einem wahren Jubelausbruch begrüßt wurde; denn seit dem Verlassen des irdischen Sonnensystems war das blasse Licht des Kometen und der Schein der elektrischen Glühbirnen der Sannah das einzige Licht gewesen, das man gekannt.

Sofort nach beendigtem Mahl eilten alle ins Freie, um das neue Schauspiel zu genießen.

Die Oberfläche der Sannah strahlte im hellsten Sonnenglanz. Ihre Flintglasbekleidung verhinderte jedoch eine allzugroße Erhitzung. Es war wie der plötzliche Einzug warmen, sonnigen Frühlings nach langer, frostiger Winternacht!

»Da sind ja sozusagen zwei Sonnen!« rief John aufs höchste überrascht, »wenn ich mir erlauben darf, mich nicht wesentlich zu täuschen, was nicht der Fall sein dürfte.«

Alle sahen empor nach den blendenden Tagesgestirnen, die allerdings zu zweit, anscheinend dicht nebeneinander am Himmel leuchteten.

So merkwürdig dies aussah, lange konnte man nicht hinblicken: die Augen hielten den Glanz nicht aus.

»Das stimmt«, sagte Schultze: »Alpha Centauri ist ein Doppelstern.« Und alsbald hielt er einen Vortrag über Doppelsterne, der hier ganz am Platze war.

»Das Vorhandensein solcher Doppelsterne«, sagte er, »ist erst seit einigen Jahrzehnten bekannt. Allerdings hatte das Fernrohr den Astronomen schon lange enthüllt, daß da, wo man mit bloßem Auge einen einzigen Stern zu sehen vermeint, in Wirklichkeit zwei oder gar mehrere sein können, und der neblige Schimmer der Milchstraße löste sich unter dem Teleskop in dichte Massen zahlloser Sterne auf, so daß Herschel anfangs vermutete, alle Sternnebel müßten sich in genügend starken Instrumenten als solche Sternenhäufungen erweisen. Aber alle diese Sterne erscheinen nur wegen ihrer perspektivischen Lage und unendlichen Entfernung einander so nahe zu sein, daß sie für das bloße Auge zu einem zusammenhängenden Gebilde werden. In Wirklichkeit sind sie durch Himmelweiten voneinander getrennt und sind durchaus nicht das, was man Doppelsterne und mehrfache Systeme nennt.

Die wirklichen Doppelsterne sind zwei Sonnen eines Sonnensystems, deren eine die andere umkreist. Bessel war der erste, der im Jahre 1847 verkündigte, Sirius im großen Hunde, sowie Procyon im kleinen Hunde müßten dunkle Begleiter haben.

Zwanzig Jahre später wurde der Begleiter des Sirius, den Bessel durch bloße Berechnung erraten hatte, von Alvon Clark entdeckt. Er schien halb so groß wie Sirius, also 12 bis 15mal so groß wie unsere Sonne, aber 10 000mal lichtschwächer, immerhin noch selbstleuchtend, sonst wäre er unsichtbar geblieben. Seine Entfernung von Sirius ist gleich der des Uranus von unserer Sonne.

Bessel hatte aus den ganz eigentümlichen Bewegungen des Sirius die Umlaufzeit seines Begleiters auf 50 Jahre berechnet; sie wurde denn auch neuerdings mit 50,38 Jahren bestimmt.

Die Doppelsterne umkreisen einander meist in sehr langgestreckten Ellipsen. Die Umlaufzeit der Doppelsterne, die durch die sichtbare Veränderung ihrer Lage bestimmt werden konnte, beträgt im Mindestmaß 5,7 Jahre. Doppelsterne mit noch kürzerer Umlaufzeit stehen einander zu nahe, um auch mit den besten Teleskopen noch getrennt gesehen werden zu können.

Hier hat uns denn das Spektroskop neue Enthüllungen gebracht; man sah in den Spektren einiger Sterne periodische Doppellinien auftreten, die mit Sicherheit offenbarten, daß uns hier zwei Körper Licht sandten, von denen sich einer auf uns zu, der andere von uns weg bewegte. Aus der Verschiebung dieser Linien konnte man die Umlaufzeit nach Sekundenkilometern berechnen, selbst ohne die Entfernung der betreffenden Himmelskörper zu kennen.

Alle spektroskopisch entdeckten Doppelsterne haben sehr kurze Umlaufzeiten von einem Tag bis zu 3 Jahren.

So wurde der Polarstern als Doppelstern mit viertägiger Periode und bloß 3 Kilometer Sekundengeschwindigkeit erkannt, sein Begleiter muß ihm also äußerst nahe sein.

Man hat Tausende solcher Doppelsterne entdeckt und kann getrost sagen, sie scheinen die Regel zu bilden und ein Sonnensystem, wie das irdische, mit einer einfachen Sonne, ist eine Ausnahme. Diese Sterne gehören sozusagen dem Algoltypus an, oder wie Freund John sagt, dem Alkoholtyphus, nur daß ihre Begleiter nicht dunkel sind, sondern selbstleuchtende Sonnen, manche allerdings schon im Erlöschen begriffen, wie bei Sirius.

Es gibt aber nicht bloß Doppelsterne, sondern auch vielfache Systeme, wie auch schon die Nebelflecke ein bis vier Zentralkerne aufweisen. Man hat bis zu neunfache Systeme entdeckt und wenn diese mehrfachen Systeme verhältnismäßig selten erscheinen, so können sie nichtsdestoweniger sehr zahlreich sein, da die kleineren Sonnen, so leuchtend sie sein mögen, uns in solcher Entfernung nicht mehr sichtbar werden können.

Ein dreifacher Stern, Gamma in der Andromeda, ist ein funkelnder Edelstein, der zu den herrlichsten des Himmels gehört. Schon kleine Fernrohre offenbaren uns seine ganze Schönheit: sein Hauptstern leuchtet in goldgelbem Lichte wie ein Topas, sein Nebenstern, der wieder doppelt ist, strahlt in wundervollem blauen Glanz, ein blitzender Saphir.

Auch das Spektroskop hat uns solche vielfache Systeme enthüllt: man findet, daß periodisch sich verdoppelnde Linien sich in weiteren Perioden nochmals spalten und so vierfache Systeme verraten.

Was nun die Doppelsonne anbelangt, die wir hier vor Augen haben, so scheinen uns die beiden Gestirne von hier aus recht nahe beieinander; in Wirklichkeit sind sie 25mal weiter voneinander entfernt als unsere Erde von ihrer Sonne, also beinahe so weit als unser äußerster Planet Neptun von der Erde entfernt ist, da er 29 Sonnenentfernungen von dieser hat.

Während Neptun sich in 165 Jahren um die Sonne bewegt, braucht die Nebensonne unseres Alpha Centauri 81 Jahre, um ihr Zentralgestirn zu umkreisen, welches etwa die doppelte Größe der irdischen Sonne hat.«

»Und nun«, sagte Flitmore, »möge dieses Doppelsonnensystem der Fixsternwelt uns seine Gotteswunder offenbaren!«


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