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34. Ein verhängnisvoller Zusammenstoß

Gott sei uns gnädig! Was war das?« schrie Lady Flitmore.

»Wenn nur kein Unglück die andern betroffen hat!« rief Heinz.

Und so schnell ihre schwachen Kräfte es ihnen erlaubten, eilten sie zurück in das Zenitzimmer.

»Was ist geschehen?« rief ihnen hier Münchhausen entgegen.

»Das wollten wir Sie fragen«, gab Heinz zurück.

»Wo ist mein Gatte?« forschte Mietje besorgt.

»Da kommt er!« sagte Schultze aufatmend.

Der Lord trat ein. Todesblässe bedeckte sein Antlitz.

»Gottlob! Dir ist nichts passiert!« rief die Lady, alles andre vergessend.

»Wir wollen uns auf unser Ende vorbereiten«, erwiderte Flitmore dumpf: »Es ist keine Hoffnung mehr für uns, mit dem Leben davonzukommen, die nächsten Stunden bringen den Tod.«

»Kein Sauerstoff mehr da?« fragte der Kapitän.

»Ein großer Meteor hat die Sannah gestreift und ihre Umhüllung zertrümmert und zwar mußte es gerade unsre letzte Sauerstoffkammer sein, deren Decke durchlöchert wurde. Natürlich ist alles in den leeren Raum entwichen. Als ich die Ventile öffnen wollte, erfolgte gerade der Krach. Ich ahnte, was geschehen und blickte durch das Seitenwandfenster in den Raum, der durch das Licht des Kometen erhellt wurde, das durch die zertrümmerte Decke eindringt.«

Eine tiefe Niedergeschlagenheit bemächtigte sich aller. Nur John entfernte sich stillschweigend. Er wußte eigentlich selber nicht warum; doch gedachte er, sich den Schaden zu besehen und einen Rundgang durch das Weltschiff zu machen, um festzustellen, ob sonst alles in Ordnung sei.

In Ordnung! Ja, wenn nur Luft dagewesen wäre! Es war eine mühsame Wanderung durch die sauerstoffleeren Räume und oft drohten dem Diener die Kräfte zu versagen; doch heldenmütig schleppte er sich weiter.

Im Nordpolzimmer sah er die beiden Schimpansen sterbend am Boden liegen. Sie dauerten ihn.

Er richtete die treuen Tiere auf, die sich krampfhaft an ihm festklammerten.

»Ihr sollt nicht so lange leiden müssen«, sagte er: »Wir wollen alle drei hinaussteigen, wo gar keine Luft ist, dann sind wir gleich tot!«

Gleichzeitig begab er sich zur Luke, um sich mit den Affen in den leeren Raum zu stürzen, denn er war der Meinung, sie würden hinabfallen; die Anziehungskraft des Mittelpunktes der Sannah, die ihn an der Oberfläche der Umhüllung festhalten würde, hatte er nicht begriffen.

Es waren durchaus keine Selbstmordgedanken, die John zu diesem anscheinend so verzweifelten Schritte trieben; klare Gedanken vermochte er überhaupt nicht mehr zu fassen, da das Blut dumpf in seinen Schläfen hämmerte, seine Lunge keuchte und röchelte, und seine Kiefer umsonst nach Luft schnappten. Ein dunkler Nebel umfing seine Sinne. Aber der gleiche Gedanke, der Mietje bewogen hatte, sich opfern zu wollen, dämmerte auch im Hintergrunde von Johns Seele, als er zur Luke hinaufkletterte: er wollte von dem letzten Restchen Luft seinem Herrn nichts mehr wegatmen. Und dann war es noch das Mitleid mit Dick und Bobs, die ein rasches Ende finden sollten.

Unterdessen sahen die andern im Zenitzimmer einem langsamen, schrecklichen Ende entgegen. Immerhin konnte es nicht lange mehr dauern, so würde eine wohltätige Bewußtlosigkeit eintreten und ihnen das Gefühl der letzten Qualen ersparen.

Lord Flitmore war gefaßt und in den göttlichen Willen ergeben.

Heinz und Mietje zeigten sich ebenfalls ruhig: schwer wurde ihnen nur, daß sie sich nicht für die andern opfern konnten, das hatte jetzt keinen Zweck mehr.

Der Kapitän war der Unruhigste: ihm paßte das Ersticken durchaus nicht und er sehnte sich nach einer frischen Seebrise. So murmelte er denn hie und da etwas vor sich hin, das nicht danach klang, als habe er mit der schnöden Welt bereits abgeschlossen. Doch er war kein Hasenfuß und kein Zweifler; gewiß fand er sich auch noch in sein Schicksal, er mußte nur zuvor noch einiges überwinden.

Im Stillen bewunderte er Professor Schultze: der schien auf einmal alles vergessen zu haben und so schwer auch er mit dem Luftmangel kämpfte, in den letzten Viertelstunden seines Lebens noch ganz von wissenschaftlichem Eifer beseelt zu sein.

Der Zusammenstoß hatte seine Wißbegierde erregt und er forschte angestrengt nach dessen Gründen.

»Es ist klar«, sagte er endlich mit schwacher Stimme: »Ein neuer Komet ist die Ursache des Verhängnisses, dieser neue Komet ist durch den Schweif der Amina gefahren und ein fester Bestandteil seines eignen Schweifes hat unsre Sannah getroffen.

Auch sind wir vom Kopfe unsres Kometen viel weiter entfernt als bisher: es scheint zwischen den beiden Haarsternen ein heftiger Kampf um unsre Wenigkeit entbrannt zu sein: der neue Komet will uns mit sich fortreißen, die Amina will uns nicht freigeben! Es wäre wirklich interessant, zu erleben, welcher von beiden es gewinnt: kommt die Sannah los vom Kometen Amina, so führt sie der andre Komet wahrscheinlich zurück nach unserm irdischen Sonnensystem.«

»Wirklich hochinteressant«, sagte der Kapitän spottend. »Nur schade, daß wir das Ende des Kampfes nicht erleben und daß die Rückfahrt in unser Sonnensystem uns ziemlich einerlei sein kann; denn was kümmert's uns, wo unser großer Sarg landet. Ja, wenn Sie uns verkünden könnten, daß irgend in der Nähe ein Hoffnungsstern uns leuchtet, daß wir innerhalb einer halben Stunde irgendwo landen können, das ließe ich mir gefallen, da hätten Ihre Beobachtungen doch einen vernünftigen Zweck.«

In abgebrochenen Sätzen, oft unterbrochen durch das vergebliche Suchen nach mehr Luft, hatte Münchhausen diese Rede hervorgestoßen. Schultze aber erwiderte etwas kleinlaut:

»In letzterer Beziehung allerdings sieht es schlimm aus: Alpha Centauri ist uns zwar verhältnismäßig sehr nahe gekommen, es lassen sich sogar schon leuchtende Trabanten seines Sonnensystems unterscheiden; doch einige Tage brauchten wir noch mindestens, um einen davon zu erreichen, selbst wenn wir nicht jetzt auch noch dadurch aufgehalten würden, daß zwei Kometen sich um uns balgen.«

»Also aussichtslos!« brummte Münchhausen; und nun ward es wieder stille im Zimmer. Man hörte nur noch Stöhnen und Röcheln.

Flitmore beugte sich über seine Gattin. Sie hatte das Bewußtsein verloren und würde es wohl auch nicht wieder erlangen. Es wäre zwecklos und grausam gewesen, sie wieder zur Besinnung zurückrufen zu wollen.

Heinz schaute mit erlöschenden Blicken umher; er vermißte John: »Rieger fehlt!« hauchte er.

Niemand erwiderte hierauf etwas.

Schultze blickte immer noch zum Fenster hinaus.

Plötzlich verdunkelte sich dieses; ein Schatten fiel darauf und nun wurde der Professor auf einmal lebendig, durch das höchste Erstaunen aufgeregt.

»Da hört sich doch aber alle Wissenschaft auf!« keuchte er: »Da steht ja John Rieger, die treue Dienerseele! Mitten im luftleeren Raum! Ja, er lebt noch, er bewegt sich, er scheint ganz munter! Das ist ja die reinste Unmöglichkeit.«

Inzwischen war John außen auf die dicke Scheibe niedergekniet, winkte und klopfte aus Leibeskräften.

»Er tut ganz verzweifelt! Natürlich, er hält es keine Minute mehr aus ohne Luft. Wie er aber auch da hinauskommt und warum?« machte Schultze kopfschüttelnd weiter. »Soll ich ihn einlassen?«

»Natürlich!« sagte Flitmore.

»Meinetwegen!« stimmte der Kapitän bei: »Obgleich uns die letzte Luft entweichen wird, wenn wir die Luke öffnen.«

»Da ist ja auch Bobs! Nein, der tanzt ja ordentlich und schlägt Purzelbäume!« rief Heinz verwundert, während der Professor sich anschickte, eiligst die Luke zu öffnen, um John einzulassen, den er im Todeskampfe wähnte.

Doch noch ehe Schultze geöffnet hatte, hatte Rieger sich besonnen, daß ja die Türen auch von außen aufgemacht werden konnten.

Es eilte ihm offenbar ungeheuer und er konnte es nicht abwarten, bis die da drinnen ihm den Zugang frei legten; er drückte auf den Knopf und langsam drehte sich die dicke Metallplatte in ihren Scharnieren.

Nun mußte die Luft vollends in den leeren Raum entweichen, aber was machte das schließlich aus, sie war ja Gift und ein rasches Ende konnte nur willkommener sein als ein langwieriger Todeskampf.

Aber da geschah ein Wunder!


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