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16. Ein Konzert in der Sannah

Die Reise war bisher so ergebnisreich verflossen, daß unsere Freunde noch nicht dazu gekommen waren, ein richtiges Konzert zu veranstalten, wenn auch hie und da ein halbes Stündchen durch vereinzelte musikalische Vorträge verklärt worden war. So war John einigemal aufgefordert worden, seine Flöte hören zu lassen oder hatte der Lord mit seiner Gattin vierhändig gespielt, – lauter erhebende Genüsse. Ganz besonders aber entzückte alle Heinz' wunderbares Geigenspiel.

Der junge Schwabe liebte es namentlich, im Dunkeln zu spielen, sei es, daß er aus dem Gedächtnis seine Lieblingsschöpfungen großer Meister wiedergab, sei es, daß er phantasierte.

Wie überirdische Musik klang dieses wundersame Phantasieren durch den dunklen Raum.

»Woher haben Sie nur diese Töne?« fragte Lady Flitmore einmal: »Das ist ja die reinste Sphärenmusik!«

»Mir ist's auch, als vernähme ich die Harmonie von Sphären«, erwiderte Heinz nachdenklich: »Hören Sie nichts? Fliegen wir nicht durch den Raum der von der wunderbarsten aller Harmonien erfüllt ist? Und mir ist's, als riefe mir von einem fernen Stern seine melodische Stimme und locke mich durch ihren bezaubernden Gesang. Das sind Klänge aus höheren Wunderwelten, die ich vernehme, eine überirdische Musik, aber was ist dagegen mein schwaches, armseliges Spiel? Wohl ist es beseelt von den himmlischen Harmonien, doch nimmer ist es imstande, auch nur eine Ahnung von ihrem Zauber zu vermitteln.«

»Oh, Sie geben uns mehr als eine Ahnung davon«, hatte dann der Lord gesagt; denn ihm, wie allen andern kamen die Töne wahrhaft überirdisch vor, die der junge Künstler seinem herrlichen Instrumente entlockte.

Heute nun wurde zum erstenmale ein regelrechtes Konzert veranstaltet, bei dem alle mitwirken sollten, abgesehen von Schultze, dem jegliche musikalische Ausbildung mangelte: »Gleich meinen Vettern, den Schimpansen«, sagte er lachend.

Wie wir wissen, verstand sich Heinz nicht bloß auf die Violine, sondern auch aufs Pistonblasen; der Lord betätigte sich außer auf dem Klavier noch auf dem Cello und der Posaune; Mietje war eine vorzügliche Pianistin und John ein nicht zu verachtender Flötenbläser: es ließ sich also je nach Wunsch und Bedarf ein abwechslungsreich gestaltetes Orchester zusammensetzen.

Münchhausen behauptete, sehr musikalisch zu sein, erklärte aber: »Um die Klaviatur zu malträtieren oder die Saiten zu kratzen, fehlt es mir an der nötigen Beweglichkeit und Gelenkigkeit; Blasinstrumente kann ich wegen meiner fatalen Kurzatmigkeit nicht pusten, aber das Paukenschlagen verstehe ich vorzüglich und weiß ein Gefühl, eine Stimmung, eine Melodik hineinzulegen, daß ich mich anheischig machen wollte, in einem Paukensolo Ihnen die herrlichsten Schöpfungen unserer größten Meister in einer Weise vor Ohren zu führen, daß Sie gestehen müßten, kein Instrument reicht in seiner Wirkungsfähigkeit an die Pauke heran, und kein anderes ist so geeignet, den feinsten seelischen Stimmungsgehalt eines Musikwerks wiederzugeben, wie eben dieses Instrument der Instrumente.«

»Oho!« lachte der Lord: »Das ist mir wirklich neu! Kapitän, Sie sind ein musikalisches Genie und eröffnen der Musik ganz neue Bahnen und Aussichten. Wahrhaftig! Ein Paukenvirtuos, wer hat je von einem solchen gehört? So sei Ihnen denn die Pauke anvertraut, als dem Würdigsten unter uns.«

»Münchhausen«, sagte Schultze: »Was wollen Sie überhaupt mit einer Pauke? Sie reichen ja doch nicht mit ihren kurzen Armen um Ihre Leibeswölbung herum und können das von Ihnen so gepriesene Instrument überhaupt nicht treffen: Sie treffen höchstens Ihren eigenen Bauch und das ist ja auch eine Pauke, die jede künstliche Pauke entbehrlich macht. Überdies wird es für Sie eine äußerst zuträgliche Massage sein, wenn Sie diese größte und herrlichste aller Pauken schlagen, mit der die Natur und Ihr guter Appetit Sie begabt hat.«

»Oho!« protestierte der Kapitän: »Schultze, Sie sind schief gewickelt! Sie treiben da Ihren Spott mit einem Titanen der Musik, Sie, der Sie von Musik überhaupt nichts verstehen und bei unserem Konzert einzig und allein das verständnislose Publikum abzugeben vermögen. Allerdings gebe ich zu, daß dies ein notwendiger Bestandteil jedes richtigen Konzertes ist.« –

»Nun, nun«, eiferte der Professor: »Wenn ich auch nicht gerade Sachverständiger auf dem Gebiete des Kontrapunkts und der Harmonielehre bin, und nicht unterscheiden kann, ob Sie Beethoven oder Wagner pauken ...«

»Muß jeder feinhörige Mensch sofort an meinem Paukenschlag heraushören!« unterbrach Münchhausen.

»Nanu! Wenn ich so fein auch nicht höre, so habe ich doch die größte Freude an der Musik und werde als verständnisloses Publikum doch ein dankbarer und begeisterter Hörer sein.«

»Bravo!« rief Mietje, »als solchen kennen wir Sie, und für Sie wird denn auch das ganze Konzert gegeben.«

Unter den Virtuosen, die hier versammelt waren, hatte jeder seine besondere Vorliebe für diesen oder jenen großen Komponisten.

Lady Flitmore zog Schubert, Schumann, Mendelssohn und Chopin vor; ihr Gatte hielt Bach, Beethoven, Händel, Haydn und Weber für die Bedeutendsten; Heinz neigte mehr zu Wagner, Bruckner, Hugo Wolff und Grieg; Münchhausen begeisterte sich für Mozart, Brahms und Gluck, während John für Meyerbeer und Richard Strauß schwärmte.

Doch waren alle vielseitig und unparteiisch genug, um auch der andern Größe anzuerkennen und ihnen gern zu huldigen.

Am meisten bewies das Heinz, der trotz seiner Vorliebe für Wagner doch auch von Sebastian Bach so eingenommen war, daß er diesen weltumfassenden Geist durch mehrere kleine Gedichte gepriesen hatte, zu denen ihn die Töne des Meisters begeisterten.

Die Choralphantasie über »Komm heil'ger Geist, Herre Gott!« hatte beispielsweise folgende Verse bei ihm ausgelöst:

Töne von Bach!
Wie sie rauschen und schwellen
Gleich den Meereswellen!

Ich denk' ihm nach,
Ob ich's möge erfassen,
Was sie ahnen lassen.

Was reißt ihn fort
Über irdische Sphären
Zu den Himmelsheeren?

          Heilige Glut,
Von Gott selber entzündet,
Die da Liebe kündet;

          Liebe zu Gott,
Die in seligen Schauern
Sprengt die irdischen Mauern;

          Liebe zu Dir,
O Du Heiland der Seelen,
Die in Schulden sich quälen.

          Töne von Bach,
Sprengt die Ohren der Tauben,
Daß sie weinen und glauben;

          Öffnet und hellt
Doch die Augen der Blinden,
Ihren Heiland zu finden
Und die selige Welt!

Ein andermal ließ er sich also vernehmen:

Sebastian Bach! Die Welt versinkt dem Geist,
Der schauernd lauschet deinen mächt'gen Tönen;
Und überwältigt ahnt er, was es heißt,
Zu hören die Vollkommenheit des Schönen.

O Bach, wie wird uns erst im Himmel sein,
Wenn wir verzückt, von sel'gen Engelchören
Getragen, deine Meisterwerke hören,
So heilig ernst und so vollkommen rein!

Und die unvergleichlichen Passionsoratorien gaben Heinz die nachfolgenden Verse ein:

O heil'ge Wundertöne
Zum heil'gen Gotteswort,
Wie reißet eure Schöne
Die Herzen mit sich fort!

Der Erdenwelt entrücket,
Knie ich erschauernd da:
Es schaut mein Geist verzücket
Das Kreuz auf Golgatha.

Und was ich zitternd höre
So herzergreifend schön,
Das sind der Engel Chöre
Aus lichten Himmelshöhn;

Dazwischen Menschenstimmen
Voll Leidenschaft und Wut
Die gegen Den ergrimmen,
Der sie erkauft mit Blut.

Doch unaussprechlich milde
Ertönt durch all den Hohn
Die Stimme durchs Gefilde
Vom ew'gen Gottessohn:

Das sind nicht ird'sche Sänge!
Wie alles bebt und rauscht!
O Bach, du hast die Klänge,
Dem Himmel abgelauscht!

Vom heil'gen Geist durchdrungen
Ins Paradies entrückt,
Hast du uns nachgesungen,
Was Engel dort entzückt!

So verklärten sich diese Melodien in des jungen Künstlers Geist, wenn er ihnen als andächtiger Zuhörer lauschte. Wirkte er aber selber mit, wie heute, so legte er seine ganze Seele in den Ton, versenkt in die Gefühle, die des Meisters Geist beseelten, da er sein Werk schuf.

Die Klänge rauschten in harmonischer Fülle durch den Saal und dann erstarben sie in einem Pianissimo von einer Zartheit, das geradezu wunderbar wirkte; alle standen unter dem Banne einer heiligen Andacht und Schultze fühlte sich tief ergriffen und lauschte mit aller Anspannung, um ja keinen der leisesten Töne sich entgehen zu lassen.

»Bum!« ein dumpfer Paukenschlag erscholl dröhnend durch das entzückende Pianissimo; wie eine Bombe zerstörend platzte er herein und zerschmetterte die klassischen Harmonien.

Was fiel dem Kapitän in seiner Ecke ein! War er ganz aus dem Konzept gekommen? Das war ja eine Roheit, ein Verbrechen an Beethovens unsterblichem Werke! So dachten alle, obgleich sie nicht aufsahen: Der Fehler war ja gewiß absichtslos, warf aber ein schlimmes Licht auf Münchhausens Musikverständnis.

Aber was war das? Noch schwebte das Pianissimo nach der unzeitgemäßen Störung elfenhaft durch die Räume, als die Pauke plötzlich ein wahres Kanonenfeuer eröffnete: »Bum, bum, bum-bum-bum!« Mit schwerem Geschütz wurde das zarte Meisterwerk zusammengeschossen.

Nun sahen alle empört nach der Ecke. Da lag der Kapitän, in seinen Sessel zurückgesunken, und rieb sich, aus tiefem Schlaf erwachend die Augen: auch seine klassische Ruhe war durch den Donner der Pauke zerstört worden.

An seinem vielgerühmten Instrument aber stand Dick, ein äußerlich würdiger Stellvertreter des Entschlummerten, leider aber ein völlig unfähiger Paukenvirtuose. Dieser heillose Schimpanse hatte den Schlegel ergriffen, der dem Kapitän entsunken war und bearbeitete nun das Trommelfell mit wuchtigen, höchst temperamentvollen, aber durchaus unpassenden Schlägen.

Der Zauber der Stimmung war rettungslos dahin: ein unwiderstehliches Gelächter erschütterte den Saal; Münchhausen aber rief, sich ermunternd:

»Da sieht man's, da hört man's mit Ohren, daß die Pauke in der Tat das wichtigste Instrument in einem Konzerte ist: wer sie nicht zu handhaben versteht, ruiniert das erhabenste Meisterwerk mit tödlicher Sicherheit.« Und er entriß dem verblüfften Schimpansen den mißbrauchten Schlegel.


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