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40. Grundzüge

Zwei negative Züge treten zunächst hervor.

Freuds Machtwille war mit äußeren Ehren nicht befriedigt. Ihn trug das Gefühl, vom Innern des Menschen mehr zu verstehen als alle vor ihm. Da er Kapitän eines eigenen Schiffes war und allein navigierte, war es leicht, im Hafen sein Schiff nur immer tiefer zu verankern und durch ausgelegte Bojen noch künstlich zu festigen.

Eine davon war das Mißtrauen der Fachleute gegen seine neue Lehre. Daß er verfolgt und nicht ernst genommen wurde, schmeichelte Freud mehr als alles andere; als er gegen Ende seines Lebens legitim wurde, mußte der Abfall wichtiger Schüler ihm diese Form der Befriedigung ersetzen. Gleichzeitig wurde er aber aus Tradition von ererbten Begriffen, von Professur und Katheder so irritiert, daß diese in seinen Träumen immer wieder vorkommen, wie Gespenster. Im selben Ton, in dem er oben von den Geistern sagte, »Ich muß leider bekennen …«, beginnt er einen solchen Absatz seiner Memoiren mit den eigensüchtigen Worten: »Ich bin, soviel ich weiß, nicht ehrgeizig, übe meine ärztliche Tätigkeit mit zufriedenstellendem Erfolg aus, auch ohne daß mich ein Titel empfiehlt.«

Freud äußerte, daß ihm jene Ehrungen gleichgültig seien, die er doch brauchte. Als er 1909 nach Amerika zu Vorträgen eingeladen worden war, schrieb er die übertriebenen Worte: »Es war wie die Verwirklichung eines unglaubwürdigen Tagtraumes, als ich in Worcester den Katheder bestieg.« Aber sogleich fing er an sich zu beklagen, der Behaviorismus würde mit seiner Lehre verwechselt. Später nannte er Amerika einen großen Versuch, der mit einem Mißerfolg enden würde.

Mit derselben Naivität ging er mit früheren Meistern um, die ihm als Analytiker gerühmt wurden: »Schopenhauer habe ich sehr spät im Leben gelesen. Nietzsche, den anderen Philosophen, dessen Ahnungen und Einsichten sich oft in erstaunlicher Weise mit den mühsamen Ergebnissen der Psychoanalyse decken, habe ich grade darum gemieden; an der Priorität lag mir ja weniger als an der Erhaltung meiner Unbefangenheit.« Man stelle sich vor, im Streit um die Erfindung der elektrischen Birne oder des Telegraphen hätte Bell so über Morse oder Marconi so über Branlie geschrieben.

Wenn er aber von der »Anwendung der Analyse auf Literatur und Kunst, religiöse Gebiete und Prähistorie, Mythologie, Volkskunde« spricht, das heißt von den mehr komischen Provinzen seiner Lehre, so sammelt er alle diese Wissenschaften in dem kapitalen Satze: »Von den meisten dieser Anwendungen gehen die Anfänge auf meine Arbeiten zurück.« Ein anderes Mal vergleicht er seine Leistung als produktive Schöpfung mit der Trockenlegung der Zuidersee.

Noch tiefer saß in seinem Inneren der Haß, denn er lebte in ihm von Anbeginn, während sich der Hochmut doch erst entwickelte. Goethe schrieb: »Wenn ich dich liebe, was geht's dich an!« Freud schrieb: »Wenn ich einen andern liebe, muß er es auf irgendeine Art verdient haben.« Ein andermal: »Meine Liebe ist mir so kostbar, daß ich sie nicht ohne Verantwortung wegwerfen kann.« Ein drittes Mal: »Es müßte heißen, liebe deinen Nächsten, wie dein Nächster dich liebt.« Ein viertes Mal: »Ich muß ehrlich bekennen, ein Fremder hat mehr Anspruch auf meine Feindseligkeit, sogar auf meinen Haß.«

Zu diesen Bekenntnissen hat er die wahrhaft großartige Glosse gefunden: »Wenn ich jemand alles verziehen habe, bin ich fertig mit ihm.« Vielleicht wird diese klassische Formel des echten Menschenhasses als ein Sprichwort das Freudsche Werk überleben.

Ist Freud geliebt worden?

Es ist ergreifend, bei seinem ihm bis zum Tod ergebenen Biographen zu lesen: »Obwohl er mich seinen Freund nannte, fühlte ich nicht, daß ich es war. Im Grunde blieb ich ihm doch so fern wie bei unserer ersten Begegnung.«

Da er in die von ihm gehaßte Moral immer wieder zurückfiel, suchte Freud auch hier beide Seiten zu erfüllen und behauptete: »Ein intimer Freund und ein gehaßter Feind waren mir immer notwendige Erfordernisse meines Gefühlslebens; ich wußte mir beide immer von neuem zu verschaffen, und nicht selten stellte sich das Kindheitsideal so weit her, daß Freund und Feind in dieselbe Person zusammenfielen.« Und doch hat von Freuds Freundschaften niemand gehört und sein Biograph nichts zu berichten.

Dagegen fielen grade die bekanntesten seiner Schüler von ihm ab, weil kein selbständiger Geist mit dem Autokraten auf die Dauer leben konnte. Wenn er beim moralisierenden Vortrage eines feindlichen Professors plötzlich den Hut ergreift und fortgeht, so freut sich jeder an dieser Geschichte. Aber Freud mußte jeden Mann von Geist, auch wenn er für ihn war, in seiner Nähe verletzen: er konnte nicht anders. Als in einer jener Wochensitzungen ein Schüler einen neuen Aufsatz vorgelesen, erkannte Freud die Bedeutung, aber er konnte sich auch hier kein Lob abringen, er sagte: »Ich entsinne mich jetzt manchmal des Teufels in einer Heiligenlegende, der alle Steine zusammentragen mußte, worauf dann die Heiligen den Tempel bauten. So geht es mir. Das mußte ich machen, und ihr sitzt jetzt in friedlichen Überlegungen und zeichnet ein harmonisches Gebäude, eine Sache, die mir nie zugekommen ist.«

Wenn sich dann aber sein Vaterkomplex gegen ihn selbst erhob, wenn die, die in ihm den Vater sahen, in jene Revolte verfielen, die er ihnen theoretisch vorgeschrieben, dann fehlte Freud die Größe, zu lächeln oder auch nur zu schweigen. Er war auf den Tod beleidigt, weil er es nicht vorher gesehen hatte. Seine Selbsttäuschung ging, wie sein Biograph sagt, »so weit, daß er die Zeichen am Himmel nicht sah«, während andere Schüler den drohenden Abfall vorher erkannten. So sind sie beinah alle von ihm abgefallen, Breuer, Fließ, Adler, Jung, Rank, Steckel, und der große Menschenkenner war nicht imstande, die tieferen Gründe in sich selbst zu suchen.

In so kalter Luft des Mißtrauens konnten herzliche Bindungen nicht gedeihen; auch die Schüler untereinander sind meistens Feinde geworden. So erzählt Sachs, daß er ein Jahrzehnt mit Rank bei Freud intim zusammen gearbeitet habe. Als aber Rank ein revolutionäres Buch schrieb, erzählte er seinem Freunde nichts davon, obwohl er während dieser Monate neben ihm auf dem Lande lebte, und brachte ihm erst später das gedruckte Buch.

Man braucht als Beispiel dieses »bis zur Grenze von Vergeltung« gehenden Hasses nur Freuds Kritik des von ihm abgefallenen Adler zu lesen. »Adlers Werk«, schreibt Freud, »führt eine Art von parasitärer Existenz auf Kosten der Psychoanalyse.« Um ihn lächerlich zu machen, erinnert Freud daran, daß in seinem kleinen Geburtsort der Landdoktor alle Schmerzen der Bauern mit der Diagnose »Verhext« kennzeichnete, worauf jeder zufrieden weggegangen sei. »Etwas von dieser Lehre muß natürlich richtig sein, ein Partikel für das Ganze.« Freud sah nicht, daß er mit diesem letzten Satze das Urteil über seine eigene Lehre sprach.

In dieser Wüste habe ich eine einzige kleine Blume gefunden und hebe sie auf, weil nichts den Menschen tiefer bewegt als solch ein Fund. Einer von Freuds besten Schülern, Abraham, war gestorben. Nach einigen Monaten fragte Freud einen anderen: »Wie geht es Abraham?« Und als dieser ihn erstaunt ansah, sagte Freud leise: »Ich kann es noch immer nicht glauben.« Diese kleine Geschichte zeigt, wie auch in diesem liebesfernen Herzen gegen alle Theorien zuweilen Gefühle aufstiegen.

Im höchsten Alter offenbarte Freud einige imposante und einige ergreifende Züge. Ein Atheist, der im Angesicht des Todes nicht zurückweicht, hat großen Stil; bei Freud wirkt dies besonders, weil er als Arzt die Unheilbarkeit seiner Krankheit kannte und über ein Jahrzehnt hin seine Schmerzen ohne Klage ertragen haben soll.

Auf wahrhaft magische Art hatte die Verbannung den Achtzigjährigen nicht ins Dunkle, sondern zum ersten Male ins Licht getragen. Aus den drei dunklen Wiener Zimmern, in denen er sein Leben verbracht, sah er sich über Nacht in die Helle eines englischen Landhauses versetzt, wo ein großer Garten, ein Leben in Luft und Sonne dem Greise beschieden waren, zugleich vollkommene Ruhe, denn die Bomben hat er nicht mehr erlebt.

Während der Verfolgungen in Wien hatte er die Analysen aufgegeben, in solcher Unruhe auch seine Bücher nicht fortsetzen können. Diese plötzliche Muße benutzte er zu einer rührenden Arbeit. Eine Prinzessin Bonaparte, seine Schülerin, hatte in einem Buch die Krebserkrankung eines Hundes und seine Heilung geschildert, offenbar zum Trost für ihren Meister. Nun setzte dieser sich hin und übersetzte das französische Buch. Der geheime Sinn zwischen Autor, Meister und wieder Autor nahm durch die Parallele der Krankheit und die Übersetzung einen romantischen Charakter an, dergleichen man im Leben Freuds sonst nicht findet.

In England aber machte sich der Unermüdliche an seine alten Ideen über Moses und schrieb jenes unglückliche letzte Buch. Sein Trotz war ungebrochen, denn er schrieb, er »erwarte«, daß dieses Buch ihm viele Sympathien entziehen würde. Auch sonst gab er nicht nach und trat mit alter Festigkeit auf. Er hielt an dem fest, was er nicht lange vorher geschrieben:

»Eine Entschädigung für uns, die wir schwer am Leben leiden, verspricht uns Gott Logos nicht … Die Menschen sind Vernunftsgründen wenig zugänglich, sie werden von Triebwünschen bewegt … Wir haben kein anderes Mittel zur Beherrschung unserer Triebhaftigkeit als unsere Intelligenz … Die Stimme des Intellektes ist leise, aber sie ruht nicht, ehe sie sich Gehör verschafft hat. Am Ende, nach unzählig oft wiederholten Abweichungen, findet sie es doch … Das Primat der Intelligenz liegt indessen in weiter, aber wahrscheinlich doch nicht unerreichbarer Ferne.«

In solchen Auswegen und fernen Hoffnungen ist er im Alter ergreifend: er war ja sein ganzes Leben lang in die Triebe verliebt gewesen. Freud hat wie einer der antiken Zyniker bis zuletzt an seinen Dogmen festgehalten, in Alter, Krankheit und Verbannung.


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