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29. Mythologisches

Die Größe einer Sage, die Tiefe ihrer Symbolik offenbart sich in der Veränderlichkeit ihrer Motivierung: die ältesten und ehrwürdigsten Legenden sind durch die Jahrhunderte immer neu interpretiert worden, wobei Dichter und Kommentatoren einander bekämpften. Die schöne Helena ist von Homer bis zu Offenbach besungen worden, und man kann beide Versionen anerkennen. Ähnlich geht es mit Klytämnestra. Wenn die tragischen Töne des Äschylos verrauscht sind, und Racines gemessene Verse klangen auf und Glucks getragene Rhythmen und Goethes verinnerlichte Fassung, so blieb doch immer die eine Geschichte: daß eine Frau ihren abwesenden Mann betrügt, daß er heimkehrt, von dem Rivalen getötet wird und daß schließlich seine Kinder sich zusammentun, um den Mord ihres Vaters an Mutter und Oheim zu rächen.

In allen Darstellungen ist das Verbrechen und seine Sühne konstant: die Tochter der Ehebrecherin, Elektra, ist überall die Hüterin des Hasses, die ihr ganzes Leben dem Racheakte widmet und Orest, ihrem Bruder, bei seiner Heimkehr den Bericht, die Geheimnisse, die Waffen vorbereitet. Während dieser und während ihre Schwester Iphigenie auf ihren Abenteuern in der Welt Menschen und Schicksale kreuzen, ist Elektra, immer unvermählt, fanatisch dem einen Gedanken geweiht und unerschütterlich. Es ist eine der großen Sagen der Menschheit, und alle Völker kennen sie.

Aber da kommt der Uhrmacher, diesmal Doktor Rank, großer Freudschüler. Im Stile des Revolutionärs, der immer nur fragt, was kann ich zerstören, ergreift er das kostbare alte Uhrwerk, öffnet's, nimmt Räder, Stifte und Bügel auseinander, bis es kaputt ist, und weist dann triumphierend auf ein geheimes Rädchen, das bisher niemand entdeckt habe. Man drücke nur einmal das Vergrößerungsglas vors rechte Auge und blicke scharf in den Mechanismus, so wird man es leicht erkennen! Warum verfolgt Elektra ihre Mutter mit tödlichem Hasse und ruht nicht, bis sie sie tot sieht?

Nicht, weil jene ihren Mann, Elektras Vater, hat umbringen lassen, weil sie einen andern liebte, den sie zum Morde trieb; nicht aus Rache für Blutschuld. Sie empfand nur ihre Mutter als störende Konkurrentin im Wettstreit mit der Neigung des Vaters, in dessen Bette sie selber schlafen wollte!

Ähnlich ergeht es Amphitrion. Der geistreiche Franzose, der kürzlich seine Variationen als »Amphitrion no 14« auf die Bühne brachte, hatte mit all seiner Ironie an einer Alkmene festgehalten, die sich in die schönen Beine und die herrliche Rüstung des verkleideten Zeus verliebte. Mit Abscheu wendet sich der Analytiker von solch einem kindlichen Franzosen, von solch einem naiven Griechen ab: Die Analyse »vertieft« à la Wagner, das heißt auf nordische Weise, die herrliche Sage und erfindet ein »Vater-Tochter-Verhältnis«, denn Alkmene sehnte sich natürlich ihr Leben lang nach ihrem Vater und nahm schließlich den »Götter-Vater« Zeus auf Abschlag in Kauf.

Dürfen wir hier noch ein anderes Opfer anschließen, den armen Don Juan? Alle Männer, die die Liebe kennen, haben diesen Hochstapler in gewissen Augenblicken beneidet, alle Frauen einmal von ihm geträumt, Philosophen haben sich mit Deutungen gestritten, ob er eine tragische Figur sei oder ein Genießer. Nur eines blieb immer konstant als Quelle des Begehrens, als Motiv der Erregung bei der Nachwelt: daß er so unverwüstlich männlich war.

Weit gefehlt! sagt Doktor Wittels: Unbewußt sehnt sich Don Juan immer nur nach seiner Mutter. Erotomanie verdeckt oft geheime Sexualität. Ein Liebespartner des andern Geschlechtes bedeutet solch einem Typus wenig oder nichts. Nur das Gesetz der Gesellschaft nötigt ihn seine homosexuellen Instinkte zu verdrängen.

Ein Genieblitz! Der spanische Ritter, der ein paar Dutzend Frauen raubte, auf sein Schloß entführte, ihre Väter oder Liebhaber erstach, fühlte sich durch die Gesetze der Gesellschaft gehemmt, seine wirklichen Triebe spielen zu lassen: er wagt nicht, sich an einem seiner Pagen zu vergreifen.

Bis zu solchem Grade der Fälschung aller Grundmotive kann eine abstruse Lehre führen. Die Autoren dieser Aufsätze sind die Ärzte, denen wir unser Vertrauen schenken, damit sie uns als Kenner der Seele beraten.


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