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22. Bismarck

Selten waren historische Gestalten ihren nachgeborenen Analytikern so gefällig, Träume zu hinterlassen, am wenigsten die Realisten, die weniger auf Träume zu lauschen pflegen als die Künstler. Bismarck hat aber zwei Träume erzählt, von denen einer in die Hände eines Doktors Sachs fiel, Lieblingsschüler von Freud. Hier ist der Traum aus dem Jahre 1863, wie ihn Bismarck später einmal seinem König schrieb; in dem klassischen Deutsch Bismarcks kann sich der Leser für einige Augenblicke vom Stil der analytischen Geheimsprache erholen:

»Mir träumte – und ich erzählte es sofort am Morgen meiner Frau und andern Zeugen –, daß ich auf einem schmalen Alpenpfade ritt, rechts Abgrund, links Felsen. Der Pfad wurde schmaler, so daß das Pferd sich weigerte und Umkehr und Absitzen beim Mangel an Platz unmöglich; da schlug ich mit meiner Gerte in der linken Hand gegen die glatte Felswand und rief Gott an; die Gerte wurde unendlich lang, die Felswand stürzte wie eine Kulisse und öffnete einen breiten Weg dem Blick auf Hügel und Waldland wie in Böhmen, preußische Truppen mit Fahnen und in mir noch im Traum der Gedanke, daß ich dies schleunig Eurer Majestät melden könnte. Dieser Traum erfüllte sich, und ich erwachte froh und gestärkt aus ihm.«

Hat man je von einem Traum gehört, dessen Sinn klarer und einfacher war? Ein Staatsmann befindet sich in größter Bedrängnis, er will einen Krieg anfangen, aber sein König fürchtet den Krieg, das Volk will ihn nicht, das Parlament verweigert die Kredite: zwischen Fels und Abgrund reitet der tollkühne Mann und ruft Gott an in seiner Not. Ohne Waffen, wie er ist, bleibt ihm nur die Reitgerte zur Rettung. Er wird gerettet. Bald darauf ziehen die preußischen Truppen wirklich mit Fahnen in Böhmen ein. Dies alles spielt sich zu Pferde ab, denn der Staatsmann ist ein passionierter Reiter vom sechsten bis zum achtzigsten Jahre gewesen und hat einmal erzählt, fünfzig Male langen nicht, daß er vom Pferde gefallen wäre.

Wenn nun aber ein phantasievoller Traumdeuter noch etwas Besonderes herauslesen wollte, so müßte das doch wohl in der Linie von Bismarcks Charakter hegen, Gewalt und Krieg berühren oder sonst mit seinen Wünschen oder Visionen in Zusammenhang stehen. Doch dies alles würde über dem Nabel spielen und einen Analytiker zu nichts führen. Hören wir die Deutung der Psychoanalyse!

Der träumende und geträumte Reiter ist nicht etwa Bismarck, sondern: »In seiner Eigenschaft als stets angestrengt Tätiger, der sich für fremdes Wohl plagt, lag es für Bismarck nahe, sich mit einem Pferde zu vergleichen … So ausgelegt, bedeuten die Worte, daß das Pferd sich weigerte, nichts anderes als daß … er im Begriffe stand, sich von den Fesseln des Realitätsprinzips durch Schlaf und Traum zu befreien. Die Wunscherfüllung, die dann im zweiten Teil so stark zum Ausdruck kommt, wird denn auch hier schon präludiert durch einen Alpenpfad … Bismarck wußte damals wohl schon, daß er seinen nächsten Urlaub in den Alpen – nämlich in Gastein – zubringen werde: der Traum, der ihn dahin versetzte, befreite ihn also mit einem Schlage von allen lästigen Staatsgeschäften.«

Man könnte fragen: wenn Bismarck das Pferd ist, wer ist eigentlich der Reiter? Auf alle Fälle träumen beide bereits vom nächsten Urlaub, obwohl Bismarck im Jahre 1863 nicht wußte, ob er nächstes Jahr noch leben oder noch Minister sein wird (ein Attentat kam bald darauf), noch konnte er ahnen, daß in späteren Jahren Gastein ein politischer Treffpunkt für ihn werden würde.

Nachdem so die Basis des Traumes künstlich erschüttert ist, geht es erst richtig los: Das Pferd Bismarck hat auf alle Fälle mit einer Reitgerte zu tun. Wenn der sexomane Analytiker das Wort »Reitgerte« hört, ist er elektrisiert: ohne dies Instrument hätte er niemals den Traum analysiert:

»Ein Zug«, schreibt er nämlich, »der jedem Kenner der psychoanalytischen Technik auffallen muß, ist die Reitgerte, die unendlich lang wird. Gerte, Stock, Lanze und ähnliches sind uns als phallische Symbole geläufig. Wenn aber diese Gerte noch die auffällige Eigenschaft des Phallus, die Ausdehnungsfähigkeit, besitzt, so kann kaum ein Zweifel bestehen. Die Übertreibung des Phänomens durch die Verlängerung ins Unendliche scheint auf die infantile Übersetzung zu deuten. Das In-die-Hand-Nehmen der Gerte ist eine deutliche Anspielung auf die Masturbation, wobei natürlich nicht an die aktuellen Verhältnisse des Träumers, sondern an weit zurückliegende Kinderlust zu denken ist. Sehr wertvoll ist hier die von Dr. Steckel gefundene Deutung, nach der Links im Traume das Unrecht, das Verbotene, die Sünde bedeutet, was auf die gegen ein Verbot betriebene Kinderonanie sehr gut anwendbar wäre

»Zwischen dieser tiefsten, infantilen Schicht und der obersten, die sich mit den Tagesplänen des Staatsmannes beschäftigt, läßt sich noch eine Mittelschicht nachweisen, die mit beiden anderen in Beziehung steht. Der ganze Vorgang der wunderbaren Befreiung aus einer Not durch das Schlagen auf den Fels mit der Heranziehung Gottes als Helfers erinnert auffällig an eine biblische Szene, nämlich wie Moses für die dürstenden Kinder Israels aus dem Felsen Wasser schlägt … Andererseits enthält die Bibelstelle manche Einzelheiten, die für die Masturbationsphantasie sehr gut verwendbar sind. Gegen das Gebot Gottes greift Moses zum Stock, und für diese Übertretung straft ihn der Herr, indem er ihm verkündet, daß er sterben müsse, ohne das gelobte Land zu betreten. Das verbotene Eingreifen des – im Traume unzweideutig phallischen – Stockes, das Erzeugen von Flüssigkeit durch das Schlagen damit und die Todesdrohung – damit haben wir alle Hauptmomente der infantilen Masturbation beisammen. Interessant ist die Bearbeitung, die jene beiden heterogenen Bilder, von denen eines aus der Psyche des genialen Staatsmannes, das andere aus den Regungen der primitiven Kinderseele stammt, durch Vermittlung der Bibelstelle zusammengeschweißt hat, wobei es ihr gelungen ist, alle peinlichen Momente wegzuwischen.

»… Das Wasser ist wahrscheinlich der sekundären Bearbeitung, welche die Vereinheitlichung dieser Szene mit der vorigen erfolgreich anstrebte, zum Opfer gefallen, statt dessen stürzt der Fels selber.«

»Den Schluß einer infantilen Masturbationsphantasie, in der das Verbotsmotiv vertreten ist, müßten wir so erwarten, daß das Kind wünscht, die Autoritätspersonen seiner Umgebung möchten nichts von dem Geschehenen erfahren. Im Traum ist dieser Wunsch durch das Gegenteil, den Wunsch, das Vorgefallene dem König sogleich zu melden, ersetzt. Diese Umkehrung schließt sich aber ausgezeichnet und ganz unauffällig der in der obersten Schicht der Traumgedanken und in einem Teile des manifesten Trauminhaltes enthaltenen Siegesphantasie an. Ein solcher Sieges- und Eroberungstraum ist oft der Deckmantel eines erotischen Eroberungswunsches, einzelne Züge des Traumes, wie zum Beispiel, daß dem Eindringen ein Widerstand entgegengesetzt wird, nach Anwendung der sich verlängernden Gerte aber ein breiter Weg erscheint, dürften dahin deuten, doch reichten sie nicht hin, um daraus eine bestimmte, den Traum durchziehende Gedanken- und Wunschrichtung zu ergründen. Wir sehen hier ein Musterbeispiel einer durchaus gelungenen Traumentstellung. Das Anstößige wurde zwar fast vollkommen zur Darstellung gebracht, aber so geschickt überarbeitet, daß es nirgends über das Gewebe hinausragt, das als schützende Decke darübergebreitet ist. Die Folge davon ist, daß jede Empfindung von Angst hintertrieben werden konnte. Es ist ein Idealfall von gelungener Wunscherfüllung ohne Zensurverletzung, so daß wir begreifen können, daß der Träumer aus solchem Traume froh und gestärkt erwachte.«

Da haben wir also ein Musterbeispiel einer durchaus gelungenen Traumentstellung. Das Anstößige wurde hineingearbeitet, damit es überall aus dem Gewande herauslugt; die schützende Decke wurde weggezogen. Die Folge davon ist, daß jedes saubere Gefühl hintertrieben wurde. Es ist ein Idealfall von gelungener Schlüpfrigkeit mit Zensurverletzung, so daß wir begreifen, daß der Pornograph aus seiner Traumdeutung froh und gestärkt erwachte.


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