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XVI.
»Rutland«

Willst Du den alten Schiffer Christensen, der nun »abgetakelt hat«, kennen lernen, so mußt Du in eine der kleinen Städte des Ostlandes gehen. Er geht sehr gebückt und mit einem Stock, aber ist in seinem blauen Wamms und der Seehundsmütze noch immer sehr rührig und thätig. Ist er auf irgend etwas stolz, so ist er's auf die Jahre, in welchen er seine ersten Schillinge verdiente, die ihn zuletzt zu einem Mann von acht- bis neuntausend Speciesthalern machten. Auch in Bernt's Schiffswerft hatte er etwas stehen! Und daß Bernt gleich eine Bark baute, hatte auch darin seinen Grund, daß »der alte Christensen« als erster dreitausend Thaler zeichnete, und als dann auch der Takelmeister noch fünfhundert, – wie er sagte, »auf den Wellen schwimmen ließ«, wurden noch im selben Monat alle zehntausend Speciesthaler voll gezeichnet.

Aber frage den Alten nicht, wie er »Rutland« verlor. Das ging sehr ärgerlich zu!

Nach einer sehr beschwerlichen Reise im Herbst, in welchem der Sturm gerast hatte, wie lange nicht, war er zurückgekommen. Große Kriegsschiffe waren in Arendal und Christiansand arg beschädigt angekommen und jeder Hafen lag voll ramponierter Fahrzeuge; auch die alte Eiche neben der Kirche seiner Vaterstadt war geknickt.

»Rutland« war durch die Scheeren glücklich in den Hafen gekommen. Er hatte die kleine Fracht gelöscht und sollte dann noch die kleine halbstündige Tour nach Tömmervig machen, um da gründlich repariert zu werden, denn er zog das Wasser nun schon sehr bedenklich ein. Es war herrliches, ruhiges Wetter, etwas kühl, und am Abend lag das leere Fahrzeug in der Nähe von Tömmervig, – da, wo die ersten Häuser stehen und wo die Straße von der Stadt her gerade unter dem Felsen hin bis ganz zur See führt. Es wehte ja auch etwas, daß das Schiff auf den Wellen tanzte; aber das war auch alles! – das versicherten nachher sowohl Andres, wie auch Niels, die nach Hause gegangen waren; denn Christensen hatte nicht gewollt, daß jemand am Bord bliebe.

Am Morgen war Christensen der erste, um nach dem »Rutland« zu sehen; dann kam auch Niels. Da war das Schiff gesunken und die Wellen schlugen über das Verdeck hin!

Christensen ging an den folgenden Tagen öfters wieder hin und überlegte, was gethan werden müsse, aber das Resultat war, daß es sich nicht verlohne, »Rutland« zu reparieren. Man brachte das Schiff daher auf den Strand, und Holz und Eisen wurden verkauft.

»Rutland« hatte also, ehe sie es sich dachten, »ihn und Gertrud an Land gesetzt.«

Christensen kaufte dann den Hof Berg draußen vor Tömmervig, was er schon lange im Auge gehabt hatte. Er konnte das hübsch gebaute Haus billig kaufen, und mit dem Lande hatte die thätige Madame Christensen ihre eigenen Gedanken: sie wollte Gemüse nach der Stadt hin verkaufen, ... aber nur Gemüse, auf Astern und Levkoyen wollte sie sich nicht einlassen! – Aber das Resultat war doch ein recht gutes, denn das Geld, was sie hier angelegt hatten, trug zwei-, dreimal so viele Zinsen ein, als das, was sie auf der Sparcasse hatten. Der kleine Wagen geht regelmäßig mit Kohl, Rüben, Kohlrabi und Radieschen nach der Stadt, während Niels' noch etwas krummer gewordene Bootshakengestalt nebenher geht und die Zügel des Pferdes hält.

In den ersten Jahren wohnten Bernt und Polly in Christensen's Haus in der Stadt; aber »die Jugend erweitert sich!« – wie der Takelmeister sagte, und nun hatten sie ihr eigenes Haus unten bei dem Werft.

Wenn Polly am Strande entlang nach Christensen's ging, mußte sie sich immer erst noch nach dem »Rutland« umsehen, der zerschlagen wurde und mit seiner altertümlichen westländischen Galeassenfaçon so ehrwürdig da lag. Was sie besonders beschäftigte, war der silberne Pocal, der irgendwo im Kiel verborgen sein sollte. Es wurde alles sehr genau untersucht, aber hier mußte der »Mann in Stavärn« sich doch geirrt haben.

Hingegen fanden sie hier und da Jahreszahlen, die zeigten, daß das Schiff im Jahre 1755 erbaut war, wenigstens hatte das Material dann fertig dagelegen. »Rutland« ging im Jahre 1856 unter, – es blieb also die Frage offen, ob »Rutland« gerade hundert Jahre geworden war oder hundertundeins oder vielleicht nur neunundneunzig.

Madame Christensen sagte immer, »Rutland« wäre hundert Jahre alt geworden! – Und das wollen wir denn auch glauben. Ob wir aber auch glauben wollen, was der Takelmeister in seiner Rede bei der Hochzeit Bernt's und Polly's sagte, das ist etwas anderes. Besonders in unserer Zeit werden die Meinungen da sehr geteilt sein. Indem er die »Welle« berührte, welche er »Bernt's Fehltritt im Auslande« nannte, aber dann davon sprach, daß er »sich doch zuletzt wieder unter den Gehorsam seines Vaters begeben habe«, – wandte er sich mit einer Parenthese zu Madame Christensen und sagte ihr:

»Sehen Sie, Madame! ... Ich sehe immer noch, wo das spanische Rohr im Hause steht. Ein Haus ohne ein spanisches Rohr, das ... Nun, ich meine natürlich Sie nicht, hochgeehrte Madame! ... Aber ... zum siebenten und letzten Male!« …


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