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IV.
Ein Abend vor Listerland

Was der vierzehnjährige Bernt seiner Mutter rapportierte, war des Vaters Meinung von dem Wetter jenseit Lindesnäß.

»Sag' Mutter, sie brauchte sich nicht hinzulegen. Ich denke, wir werden die ganze Nacht hier vor Lindesnäß liegen müssen. Ah, Bergenser, holt das Toppsegel leewärts! – So ... noch strammer ... so, so! Der Wind läßt schon nach.«

»Das sagst Du hier immer vor Näß, Vater!« rapportierte der Sohn aus der Kajüte heraus.

»Ja, Mutter kann thun, was sie will; laß sie denn nur mit Sturmsegel in der Koje liegen!«

Bernt verschwand mit dem letzten Bescheid, den er aber nicht so ganz unverändert seiner Mutter zu bringen wagte, und stand bald wieder auf dem Verdeck.

Andres Kok kam gerade von hinten her mit dem Deckel einer Schiffskiste, den er repariert hatte und den er nun wieder befestigen wollte. Die Kiste stand zwischen Taurollen am Kajütenfenster.

»Da oben an der Spitze von Lindesnäß giebt's heute abend einen Schnaps, Andres!«

Andres, der mit den notwendigen Nägeln und Stiften im Munde an die Arbeit ging und die Kiste wieder zurecht machte, sah mit prüfendem und fragendem Blick die Kajütentreppe hinunter und murmelte dann befriedigt vor sich hin: »Dank, Capitän!« – Dann legte er sich über die Kiste und fing an, die Nägel einzuschlagen. Er wußte es, daß, wenn der Capitän erst einen Schnaps versprochen hatte, der auch nicht ausblieb, aber er wußte auch, daß er sich keine Andeutung erlauben dürfe, wie wenn Madame Christensen etwa Schwierigkeiten machen würde.

»Hm! ... Hm!« brummte Christensen am Steuer vor sich hin. Er sah dann und wann aufmerksam nach Westen hin, wo die Sonne an dem herbstlichen Abend eines Septembertages ins Meer hinabsank. Die leichten Wolken am Horizont sahen wie verglühende Kohlen aus, dann wurden sie purpurviolett, und nachdem die Sonne untergegangen war, mattrot.

»Rutland« lag schon etwas außerhalb vor Lindesnäß. – »Ja, er läßt schon nach! – In einer halben Stunde haben wir den Mond und vielleicht auch Windstille!« fuhr er nach einer Weile etwas mürrisch fort ... »und das Wenige, was wir haben, kommt von Westen her ... Werden wohl noch einen kleinen Kampf bestehen müssen ... Ree!«

Wieder nach einer Weile wandte er sich an Bernt und sagte: »Bernt, geh nach vorne und sage Niels, er möge herkommen und das Steuer halten.«

Bald darauf kam Niels Kobbervig, unterwegs noch sich eine Jacke anziehend. Er war etwas älter geworden und die große krumme Nase noch schärfer; nach seiner Tischlerarbeit hatte er noch einige Hobelspäne in seinen Haaren.

»Nordwest zu West, Niels, bis wir am Bischof vorüber sind! ... Ja, Du kennst ihn schon,« – fügte er scherzend hinzu, indem er hinabging.

»Der Bischof? Was für ein Bischof, Niels?« – Bernt war es, der so fragte, und seine Augen und Mienen fragten noch eifriger, als seine Worte.

»Ach, ein Bischof, der den Schiffern predigt, ... und wenn sie nicht hören, müssen sie fühlen.«

Sie wurden in ihrer Unterhaltung unterbrochen. Der »Bergenser«, ein junger, pfiffiger Matrose mit lebhaften Geberden, niedriger Seemannsmütze und ledernen Beinkleidern, kam herzu und klapperte mit seinen Holzschuhen auf dem Verdeck eine muntere Melodie, wofür er von dem Sohn seines Capitäns bewundernde Anerkennung einerntete.

»Hurrah für einen Schnaps!« – rief er – Madame kommt herauf und dann giebt's vor Näß einen steifen Capitänsgrog, sage ich.«

»Ich denke, nicht; Madame wird sich für den Tanz gerade über ihrem Kopf bedanken,« rief Niels Kobbervig warnend vom Steuer.

»Ja, aber der Bischof! ... Woher kennst Du den Bischof, Niels?« fuhr Bernt wieder fort.

»Siehst Du da ... am Steuerbord ... gerade vor Dir ... die kleine Scheere?« – Er zeigte mit seiner ganzen Hand hinaus. »Und einen ordentlichen Predigerkragen hat er auch! Sieh' nur, wie der Schaum an ihm heraufspritzt. Aber im Sturm, besonders zur Nacht, dann hat er ein ganzes weißes Messehemd an und leuchtet hell in der Finsternis!«

»Hast Du ihn so gesehen, Niels?«

Niels vergaß die Antwort; – er richtete seine hohe Gestalt empor und sah wie in Gedanken hinaus nach dem Bischof, während ein schlaues Lächeln über sein bleiches Gesicht fuhr.

»Du kannst es gern erzählen,« meinte Andres. »So, nun laßt uns auch hören, Niels! Du hast es noch nicht erzählt. – Ja, laßt uns nun sehen ... es war ein Jahr, nachdem der ›Rutland‹ ... Na, setz' Dich, Bergenser, auf die Schiffskiste und laß die Albernheiten mit Bernt. Du siehst ja, daß er hören will! ... Das war ja die Geschichte von den drei Schwestern?«

»Jawohl, – es war eine Schoonerbrigg, die trug ihre hundert Lasten.«

»Und Du warst Schiffsjunge bei Capitän Sievertsen?«

»Ja, ja! Es war meine erste Reise.«

»Ja, nun hast Du das Tauende schon so lange in der Hand gehabt, daß Du den Anfang nicht wieder finden kannst, Niels!«

»Na ja!« – Niels räusperte sich – »es war mit Capitän Sievertsen! Das war ein Hund von Seemann, wenn der Sturm heulte; aber sonst ..., es hilft ja nicht, zu verschweigen, – sonst war er Einer von diesen alten Nordseecapitänen, die immer in den Kajüten liegen und trinken, unaufhörlich trinken. Das mußte ich wohl wissen, der ihm abends und morgens die Cognacflasche brachte. Außer mir wußte Keiner am Bord es, – aber die aufrichtige Wahrheit war, daß er trank und unter Deck war von dem Augenblick an, als die Brigg in See ging bis zu der Stunde, in der sie wieder irgendwo im Hafen lag unten in Bordeaux oder Nantes, und ebenso wahr ist es, daß Capitän Sievertsen keinen Tropfen trank von der Minute an, in der er an Land ging, bis er wieder am Bord war. Er konnte Jahre auf dem Lande sein, ohne zu trinken. Das kann Niemand begreifen, ... es war wie ein Fluch, der auf dem Manne lag!«

»Eigene Schuld! ... eigene Schuld!« – brummte es von der Bank her, auf welche Capitän Christensen sich mit seiner Pfeife gesetzt hatte. Das hat mehr als einem braven Schiffer den Tod gebracht ... Na, erzähl weiter, Niels!«

»Ja, so war es auch auf der Reise. Wir gingen mit einer Ladung Holz nach Süden, aber die Septemberstürme kamen über uns und verschlugen uns nach dem Norden. Es war ein schwerer Südwest mit Regenböen, bis das Wetter sich endlich aufklärte und der Wind nach Westen ging. Der Steuermann meinte nach der Coursberechnung, wir müßten lange auf offener See sein und hätten uns nicht mehr vor der norwegischen Küste zu fürchten, besonders da die Schoonerbrigg ein außergewöhnlich guter Segler wäre. Trotzdem wollte der Capitän einen andern Cours einschlagen; aber Steuermann Andersen lachte nur spöttisch ... und dann gab der Capitän nach, wie immer, und ging in die Koje. Er konnte sich mit seinem Steuermann nicht messen, aber um so mehr ärgerte er sich über ihn. Und weiter kamen wir diesmal auch nicht, denn so oft wir mehr nach Süden kamen, sprang der Wind wieder nach Südwest und wir hatten dasselbe Hundewetter und dieselben Böen. Da half nichts, wir mußten die Reise noch einmal machen.

Ich hatte eines Abends weit hinaus einen weißen Schimmer gesehen und erzählte es Sievertsen, erhielt aber dafür vom Steuermann eine Ohrfeige. Das wäre nicht möglich, sagte er. Aber der alte Sievertsen meinte es doch und fragte mich eifrig aus.

So war es 6 bis 7 Tage geblieben. Es war ein trübes, regnerisches und stürmisches Wetter und alle Taue und Segel waren durch und durch naß. Der alte Sievertsen hatte in der letzten Woche unten in seiner Koje gelegen und gebrummt, auch viel mit sich selbst gesprochen. Ich hörte es wohl, daß er immer nur vom Bischof redete, und wenn ich unten war, starrte er mich mit seinen roten Augen so unheimlich an, daß mir ganz bange wurde. Da forderte er einmal mitten am Tage eine Flasche. Erst am folgenden Morgen sprach er wieder mit mir und befahl mir, die Kajütenfenster nachzusehen. Dann am Nachmittag mußte ich den Schiffsbesen holen und alle Ecken und Winkel auskehren, denn er behauptete, das wären die reinen Fliegennester. Und endlich forderte er von mir, ich sollte unten bei ihm schlafen; er bot mir dafür einen blanken Thaler. Und was soll ein armer Schiffsjunge thun? Will Er's nicht für den Thaler, muß Er's ohne ihn thun! ... Aber ich vergesse die Nacht nie wieder. Ich wachte auf, als er mich erschrocken und leise weckte: – »Niels! ... Niels! ... Wachst Du? Siehst Du es? ... da am Tisch ... den weißen ...« – Er zeigte nach dem Barometer! – »Nun streckt er die Hand aus. Wenn er nur nicht wieder nach der Uhr zeigt!«

»Da ist doch nichts, Capitän!«

»Nein, nicht? ... Du sollst einen Thaler haben ... hi, hi! ... Nun steht er wieder da, – – siehst Du ihn nicht? ganz schwarz von Fliegen? ... So, weg ist er, ... er sah aus wie ein Bischof, Niels! – Und der Capitän lachte ... »Hm! ... Hm! ... Das geht wie Meerleuchten hinter ihm her – zum Kajütenfenster hinaus. Sieh' da die hellen Streifen auf dem Boden. So, nun kannst Du schlafen! – Niels! Niels!« weckte er wieder ... »sieh' ordentlich nach den Kajütenfenstern, nach beiden! ... Siehst Du nichts? ... hu! hu! Wenn er nur nicht auf die Uhr zeigt ... fünf Minuten auf halb drei war's heute Nacht, ich sah den Minutenzeiger deutlich ... im Licht von seinem hellen Finger.«

Die Taschenuhr hing an der Seite des Tisches, die ihm am nächsten war, so daß er immer nach ihr greifen konnte.

»Schnick Schnack! – sagen wir, nicht wahr, Niels? ... Und Du verdienst Dir Deinen Thaler Bursche! Schnick Schnack!« Er fing an zu lachen; endlich sagte er: »Sagt die Uhr nicht auch Schnick, Schnack! Schnick, Schnack? ... Niels, Niels!« rief er plötzlich. Ich sah, wie er erschrocken aus der Koje herausstarrte ... »Da steht er wieder und zeigt! ... Fünf Minuten auf halb drei ... Ja, ja! ... ja! ich sehe es. Es hilft kein Thaler, Niels! – Nun ist der Bischof fort; aber das nächste Mal, wenn er wieder kommt, wollen wir mit ihm sprechen; sei nur ruhig. Er läßt uns nicht so leicht fahren ... Er will uns etwas ... Er hat es mit den Seeräubern gehalten und der Kirche ungerechten Mammon zugewandt, – so sagen sie, – darum muß er da draußen stehen ... Hi hi hi! Ich nehme die Kette und werfe die Uhr in die See und« – er erhob sich plötzlich in seiner Koje, denn er hörte sehr genau. – »Ach, Niels! sieh' einmal nach, warum sie da oben auf dem Verdeck so herumlaufen und mit einander sprechen! – Spring' hinauf wie du bist!«

Als ich wieder hinunterkam, saß Kapitän Sievertsen schon halbangekleidet vor seiner Koje.

»So, so! – das meinte er!« – und bald nachher war er oben auf dem Verdeck, wo er das Kommando wieder übernahm, und zwar so frisch, wie wenn er die ganze Zeit ausgeruht hätte. An dem Tage kam kein Tropfen in seinen Mund; das kann ich bezeugen, und einen besseren Seemann, als den alten Sievertsen, gab es derzeit nirgends in der Welt ... Der Wind ging wieder nach Westen.

»Heute Abend treffen wir ihn, Bootsmann! ... Heute Abend treffen wir ihn!«

»Es ward Abend. Wir hatten die Laternen aufgezogen, die Wolken hingen so dicht über uns und dann und wann klingelten wir mit der Schiffsglocke. Die See ging hoch und wir hatten zwei Mann am Ruder. Kapitän Sievertsen stand auf dem Deck, da hörte ich plötzlich ein wunderbares Sausen hinter mir; es war der Kamm einer herankommenden schweren See. Ich hatte kaum Zeit, die Kajütentreppe hinunter zu springen, als ich denn auch schon hörte, wie sie mit donnerähnlichem Krachen über das Verdeck hinstürzte, daß das ganze Schiff erbebte.

Dann war es einen Augenblick still, totenstill; das Schiff schien sich erst zu neuem Kampf erholen zu müssen. Als ich wieder auf Deck kam, sah ich den Bischof! – Er stand da ganz groß und majestätisch, hellglänzend in der dunklen Nacht, und ob ich nun noch von der vergangenen Nacht her so ängstlich war, oder ob es sich wirklich so verhielt, aber mir schien's, als ob er mit einem weißen Tuch nach uns schlüge. In demselben Augenblick kam der Kapitän so hastig auf mich zu, daß ich voller Angst vor ihm die Treppe wieder hinunterlief, er stürzte mir nach in die Kajüte, dann nahm er eilig einige Papiere und sein Geld, sowie die silberne Uhr von der Wand, – aber kaum hatte er diese in seiner Hund, so erschrak er, wie wenn ein Blitz neben ihm eingeschlagen wäre:

»Fünf Minuten auf halb drei.« – Er zeigte mir die Uhr. – »Wie viel ist die Uhr, Niels?«

»Es fehlen fünf Minuten an halb drei, Capitän!«

»Nun, so behüte Gott unser Schiff, – – – und auch einen alten versoffenen Schiffer!« ... Dann stürzte er hinauf aufs Verdeck und ich hinter ihm her.

Oben war alles voll Wasser. Capitän Sievertsen übernahm wieder das Commando. Wir kreuzten und waren nun nordöstlich vom Bischof. Als das erste Dämmerungslicht des Morgens anbrach, ward der Sturm noch heftiger und die See noch wütender. Ich hatte mich, wie die Andern, festgebunden und überlegte mir, wie ich mich auf einem Brett oder an einer Planke retten könnte, ... da kam eine Welle, gewaltiger, als alle früheren, und schlug gegen das Schiff ... Es zweifelte wohl keiner mehr daran, daß seine letzte Stunde nun kommen müsse. Ich hörte rufen und schreien, ... und dann verlor ich ja wohl das Bewußtsein. Wenigstens erinnere ich von dem Augenblick nichts mehr ... Als wir uns wiedersahen, trieben wir alle auf dem Meere. Der eine hatte sich an diesen, der andere an jenen Teil des zerschlagenen Schiffes angeklammert. Der arme Schiffshund schwamm von einem zum andern und leckte ihm die Hand, wandte sich aber immer wieder zum Capitän um. Endlich ward er von einer Planke getroffen und sank unter.

So trieben wir umher, bis wir uns einander aus den Augen verloren. Ich lag auf einer Planke und wartete auf den Tag. Dann fing ich an zu zittern und Todesangst ergriff mich. Ich glaube, ich habe gebetet und den Katechismus hergesagt ... Plötzlich sah ich, wie die Planken eine andere Richtung nahmen, und nach wenigen Minuten lag ich vor einer niedrigen Scheere, ... da stand Capitän Sievertsen. Es war, wie wenn ein neues Leben mich durchströmte, und ich nahm alle meine Kräfte zusammen. Der Capitän warf mir ein Tau zu, ich ergriff es und kam – auch noch von einer Welle gehoben – glücklich ans Land. Nach und nach kam auch die übrige Mannschaft, – derselbe Strom trieb sie alle her, – aber sie alle mußten noch in der Brandung mit dem Tode kämpfen, und alle wurden von ihrem Capitän ans Land gezogen.

Die Mannschaft lag nun am Ufer, aber Sievertsen sah noch unruhig auf die See ... »Siehst Du ihn nicht? Siehst Du ihn nicht?« fragte er unaufhörlich. Es war der Steuermann, der noch fehlte. Als aber auch der endlich angetrieben wurde, brach er in die Worte aus: »Nun sind alle hier! alle gerettet! ... nicht ein einziges Leben auf meinem Gewissen!« – Dann setzte er sich hin und weinte wie ein Kind. Schließlich fiel er in Ohnmacht und die Mannschaft trug ihn auf Planken nach dem nächsten Bauernhof.

Als er am andern Morgen erwachte, rief er mich. Er saß in seinem Bett, die Uhr in der Hand, und war so weiß wie Schnee.

»Wie viel ist die Uhr jetzt?« – fragte er und reichte mir die Uhr.

»Es fehlen fünf Minuten an halb drei!« – Ich hielt die Uhr an mein Ohr, – »aber, Capitän, die Uhr steht still.«

»Steht still? Steht still?« ... Er nahm rasch die Uhr. – »Hm! – Du hast recht, Niels! ... Ja, ja, sie muß seit Sonnabend gestanden haben, ... wenigstens eine halbe Woche, denn da zerbrach ich meinen alten Uhrschlüssel.«

»Aber das ist gewiß«, – schloß Niels Kobbervig seine Erzählung – »der alte Sievertsen ist nicht wieder zur See gegangen und hat auch nicht mehr getrunken.«

»Ja, ja,« meinte Christensen, »es gehören breite Schultern dazu, um sein Schiff und seine Mannschaft auf gutem Gewissen zu haben! Und je älter einer wird, um so schlimmer wird's mit den Nordseefahrten. Dann trinken sie sich voll, und es nimmt ein Ende mit Schrecken. Nein, Seemann sollst Du nicht werden, Bernt! – eher Schneider in irgend einer kleinen Gasse!«

Bernt stieß einen unartikulierten Ton aus, der wie ein unterdrückter Protest klang.

»Soll ich darum nicht Schiffer werden, weil Capitän Sievertsen trank!« knurrte er vor sich hin. »Und das kam auch nur daher, weil er eine elende Landkrabbe war.«

»Sag' das nicht, mein Bürschchen!« – Der das sagte, war ein Lotse von Lindesnäß, der als Passagier am Bord war und während Niel's Erzählung hinaufgekommen war.

»Erfahrene Männer haben mehr von der Sorte gesehen. Es kann mancher das Zeug zu einem Steuermann – und einem tüchtigen – haben, der aber doch noch nicht als Capitän für alles einstehen kann. Das habe ich erst kürzlich draußen vor Mandal gesehen. Es war eine deutsche Bark – und ein Himmelssturm. Das Schiff mußte an den Felsen scheitern, – da konnten keine zwei Meinungen sein. Einen Lotsen mußten sie haben und ich wagte es, durch die Scheere zu gehen. Aber die See ging so hoch, daß ich nicht an das Schiff kommen konnte. Ich rief deshalb hinauf, einmal, zweimal: sie möchten die Segel fallen lassen, – aber sie hörten und sahen nichts.

Der Capitän stand wie festgewurzelt auf dem Deck, mit dem Journal unter dem Arm, und die Mannschaft war auch am Bord. Das Fahrzeug hätte leicht geborgen werden können, wenn sie meinem Commando gefolgt wären. Ich segelte rund um das Schiff her und rief, so laut ich konnte. Noch im letzten Augenblick hätten sie die Segel fallen lassen können und wären dann in den Mandalsfjord eingelaufen, aber erst als sie zwei Schiffslängen vor dem äußersten Holm waren, der »der Helm« heißt, fingen sie an, sich an Bord zu rühren und zu manöverieren, aber da war's zu spät und das Schiff scheiterte am »Helm«. Ein Mann rettete sich auf den Holm, die andern wurden von einer Welle weggeschleudert und sanken unter.

Ich war so lange um die Bark herumgesegelt und hatte gerufen und gewinkt, daß sie den Cours ändern sollten, da mein eigenes Boot in Gefahr war, zwischen die Scheeren zu kommen; – darum segelte ich wieder zurück; es war ja auch noch möglich, einen oder den andern von der Mannschaft wieder aufzufischen; aber die waren weg und hin! Ich vergesse das nie wieder, so lange ich lebe; es stand noch manche Nacht vor meinen Augen – das große prächtige Schiff, das so zu sagen, mit offenen Augen ins Verderben stürzte. Der Mann, der gerettet war, wollte nicht mit der Sprache heraus, wie das gekommen wäre. Ich glaube nun, daß alle betrunken waren, oder es war Todesangst gewesen, die sie ergriffen hatte, denn das Meer war schrecklich ... Ja, das war in dem furchtbaren Sturm vom vorigen Jahre.

»Ist's das nicht, was ich sage?« – sagte Christensen mit einem bedeutsamen Blick nach seiner Frau, die mit ihrem Shawl um die Schultern heraufgekommen war; aber sie hörte es nicht. Sie stand, die Hände in den Hüften, vor dem Lotsen von Lindesnäß:

»Sind Sie verheiratet?«

»Ja.«

»Haben Sie Kinder?«

»Ja, zwei Söhne.«

»Ist Ihnen nicht bange?«

»Ach nein,« – der Lotse lachte – »ich habe den festen Glauben, daß der liebe Gott mich ruft, wenn seine Stunde gekommen ist, und er nimmt eben so viele bei schönem Wetter, wie bei Sturm und auf wilder See.«

»Ja, wenn Sie nicht von meinem besten Trondhjemer Aqua vitae bekommen, so lange Sie hier am Bord sind, und außerdem freie Reise, so will ich nicht mehr Madame Christensen heißen!«

Mit diesen Worten verschwand sie wieder in der Kajüte.

Ihre Gegenwart legte ja immer ein Schloß vor den Mund, bis der Humor sich durchbrach. War der nicht nach ihrem Sinn, dann hatte sie bald eine oder die andere Stelle auf dem Verdeck bemerkt, wo nicht ordentlich gescheuert war, aber bei gutem Humor, – ja, dann war's anders, dann sagte Niels: »Butter und Sonnenschein auf dem ganzen Verdeck.« ... Das gehörte nun einmal mit zum Leben am Bord des »Rutland«.

Die Augen des Lotsen hatten fast unverwandt auf Madame Christensen geruht, deren Auftreten eine große Aehnlichkeit mit einer plötzlich über das Verdeck stürzenden Welle hatte, aber aus dem schlauen Ausdruck seines Gesichts war wohl zu erkennen, daß er das letzte Wort derselben zu Herzen genommen hatte und sich nun außer aller Gefahr wußte. Er war ein Mann mit scharfen, regelmäßigen Zügen, das Haar war hellbraun und fiel – gleich den Oehren an einer russischen Theemaschine – in glänzenden Locken über beide Schläfen. Seine grauen Augen schossen dann und wann eigentümlich schnelle Blicke bald hierhin, bald dorthin, was wahrscheinlich von seiner beständigen Lebensgewohnheit herrührte, seinen Taback über den Rand des Schiffes auszuspeien.

Man hörte von der Kajüte her ein angenehmes Klirren, und es dauerte nicht lange, bis Madame Christensen mit einem Brett heraufkam, auf welchem Gläser und eine weiße, dampfende Punschbowle standen. Es sollte also keinen gewöhnlichen Schnaps geben, sondern einen feierlichen, warmen Punsch. Madame war in guter Laune. Aber niemand ließ es sich merken, als ob er auf die Vorbereitungen achte, bis er mit Namen genannt und aufgefordert wurde, zu trinken. Dann trat Jeder herzu, verbeugte sich und trank, strich mit der Hand über den Mund, und sagte: »Dank, Madame!« – Der Lotse erhielt ein besonders großes Glas, welches Bernt ihm bringen mußte.

»Mutter!« flüsterte dieser eifrig, – »er sagt, daß er mit seinem Boot ganz hinauf nach Wick in Schottland gekommen ist, und daß er da gesehen hat, wie fünf bis sechshundert Fahrzeuge auf einmal des Morgens auf Häringsfischerei ausgingen.«

»Halt Deinen Mund!« fuhr sein Vater ihn barsch an, »und bring' ihm das Glas.«

»Der Junge kann doch wohl ein Wort sagen,« meinte die Mutter.

... »und immer mehr Fliegen in den Kopf bekommen, um nur zu See zu gehen,« – brummte Christensen.

»Da ist Dein Glas, Christensen!« – sie reichte es ihm etwas kurz hin.

»Na, na, Mutter! – Dein Wohl, Mutter! – Ah, der war gut ... Ja, Punsch kannst Du so gut brauen, wie nur einer im Schifferklub! ... Schade, daß Du es so selten thust, Mutter! Nun, schmeck' es nur!« er gab ihr das Glas, an welchem sie einige Male nippte. Christensen's politischer Blick verriet, daß er wußte, was er that, als er das Glas auf das Kajütenfenster setzte.

Der Mond war aufgegangen. Er stand groß und voll etwas über dem Raasegelbaum, während sie bei leichter Brise am Listermeer vorüberfuhren; es war still und schön und der Schein des Mondes zeichnete den Schatten des Schiffes mit seinen Segeln und Raaen klar und deutlich ab. Im Hintergrund sah man das Feuer des Leuchtturms.

Trotz ihrer praktischen Natur hatte Madame Christensen eine große Schwachheit, sie saß im Mondenschein gern lange auf dem Verdeck, um Seemannsreisen und romantische Geschichten zu hören.

So saß Madame Christensen an diesem herrlichen Abend neben ihrem Mann, der aus seiner Meerschaumpfeife rauchte, und unterhielt sich lebhaft mit dem Lotsen. Sie kamen gerade von ihrer jährlichen Herbstreise von Stettin und Dänemark mit Kartoffeln und Aepfeln zurück, und Madame Christensen meinte, der schönste Anblick, den sie in ihrem Seeleben gehabt, sei doch der Oeresund am Tage, wenn er voll von Schiffen wäre, und die Rhede von Helsingör bei Nacht, wenn die Schiffe da vor Anker lägen, eins neben dem andern und jedes mit seiner Laterne im Mast, und auf günstigen Wind warteten.

»Ach ja ... ach ja! Madame! – ich will Ihnen nicht widersprechen,« meinte der Lotse – »und« – er nahm einen wackeren Schluck aus dem Glas, welches er dann wieder vorsichtig auf den Rand des Schiffes setzte, – »ja, und ich erinnere mich auch, wie ich einmal als junger Matrose von einer größeren Reise zurückkehrte und wir des Nachts durch den Canal kamen. Das war ein wunderbarer Anblick: dicht vor uns tausend und wieder tausend Lichter – es waren die Fischerkutter von der englischen und holländischen Küste –, und wir fuhren mit frischer Brise durch alle hindurch.«

»Ja, der Lotse ist gewiß vielerwärts in der Nordsee gewesen und hat überall etwas erfahren,« – sagte Madame Christensen. »Sie können wohl eins oder das andere erzählen.«

»Ja, es gehen viele Geschichten über die Geister aus alter Zeit. Aber will Einer richtige Nordseegeschichten hören, der muß mit den Fischern draußen vor Dogger liegen. Die erzählen sich ihre Geschichten vom Abend an bis in die Nacht hinein, wenn sie da draußen ankern mit den Laternen in ihren Masten.«

»Bernt! komm' mit des Lotsen Glas her,« sagte Madame Christensen, »er trinkt ja gar nicht.«

Das war eine indirekte Aufforderung, etwas zu erzählen, die der Lotse auch verstand. Er nahm daher einen Schluck aus dem vollen Glas, räusperte sich und fing an:

»Nun wohl! – Ich war ohne Schiff in Deal, und da fiel es mir ein, ich könnte ebenso gut auf einem Fischkutter Heuer nehmen, um es selbst zu sehen, wie sie es vor Dogger trieben. Und wollte man alles glauben, was sie da erzählen, ja dann wären da draußen vor den Bänken ebenso viele Geister, wie Fische, – – seitdem nämlich in alten Tagen die Holländer und Engländer da gelegen und sich geschlagen haben und keiner von ihnen sich geben wollte. Bald siegte der eine, bald der andere. Einmal verloren die Engländer ihre ganze Flotte mit Mann und Maus, unten auf den Goodwin Sands, und dann zog der Holländer die Themse hinauf mit Birkenreisern im Mast. Das sollte heißen, nun wäre die ganze See reingefegt.

Aber nachher erholten sich die Engländer wieder, und wie auch der Holländer um sich biß – und das that er wacker –, er wurde doch zu schwach und mußte sich darin finden, vor jedem englischen Orlogsschiff seine Segel zu streichen. Nun setzte der Engländer Birkenreiser in den Mast, und er thut es auch heute noch, wenn er den Holländer ärgern will.

Ja, nun war da einmal ein gottverlassener englischer Kaperkapitän, der hieß John Clarlight. Wenn der einmal ein Schiff geentert hatte, fragte er nicht viel nach dem Leben der Menschen, und er hatte sich so viele Reichtümer erworben, daß er Gold und Silber als Ballast nahm. In einem heißen Kampf war er zwischen zwei Holländer geraten und mußte seine Flagge streichen, denn das Schiff sank schon; aber als er die Leine in der Hand hatte, konnte er's nicht übers Herz bringen, sondern streckte seine Hand gen Norden aus und bat den Teufel, ihm zu helfen. Als nun die Kugeln der Holländer noch einmal über das Deck strichen und der eine entern wollte, ergriff er eine Lunte und sprang in die Kajüte, um das ganze Schiff in die Luft fliegen zu lassen. Da saß an seinem eigenen Platz am Tisch ein großer Mann in Seestiefeln, mit weißem Bart; er war sehr bleich und starrte mit seinen umheimlichen Augen auf ihn.

»Mußt Du denn streichen, John Clarlight?« fragte er.

Der Kapitän antwortete nicht, sondern fuhr an ihm vorbei in die Pulverkammer hinein; – er sah nur, wie der andere lachte.

Durch den Pulverraum war eine Kugel gegangen und alles stand voll Wasser; das Pulver wollte kein Feuer fangen.

John Clarlight kam wieder zurück; er hörte die Holländer schon auf dem Verdeck.

»Willst Du noch gerettet werden, John Clarlight?« – fragte der Mann von neuem.

»Ach, das wird wohl zu spät sein!« antwortete dieser; das laute »Hurrah« der Holländer klang ihm schon in die Ohren.

»Sie können die Flagge nicht herunterziehen, so lange ich die Leine halte,« – und nun sah John Clarlight, wie der Mann die Flaggenleine festhielt – »so lange ich hier sitze, darfst Du die Hoffnung nicht aufgeben.«

Das war genug für John Clarlight. Er ergriff eine Axt und sprang wieder auf das Verdeck, und so wunderbar ging es zu, daß er und die kleine Mannschaft, die sich wieder um ihn sammelte, die Holländer vom Schiff trieb. Die ganze Flotille stand vor dem Canal, aber John Clarlight's Fahrzeug entschwand immer mehr ihren Augen.

Am Abend ging der Kapitän wieder in seine Kajüte hinunter, er hatte es so lange wie möglich verschoben. Da saß der Alte noch immer mit der Schnur in seiner Hand.

»Dank' Euch für die Hülfe,« sagte John Clarlight, »aber nun kann ich mir schon selbst helfen, ohne einen andern hier vor Dogger in Heuer zu nehmen!«

Der Mann antwortete nicht, er wickelte die Leine nur zweimal um die Hand.

»Laß die Leine los!« rief John Clarlight, und als der andere nicht darauf hörte, blitzte die Axt in der Luft. Er glaubte ihn getroffen zu haben, aber die Axt war durch die Leine und durch den Alten hindurch gegangen, ohne dieselben verletzt zu haben.

»Ah, John Clarlight, so schnell trennen wir uns nicht!« sagte er ganz ruhig. »Siehst Du, – wenn ich die Schnur losgelassen hätte, wär' es mit Dir und dem Schiff vorbei gewesen; aber ich habe hier die Macht. Im Grunde ist's mir aber auch einerlei, ob es heute oder ein ander Mal mit Dir aus ist, und willst Du nun die Schnur zerschneiden, so thue es nur.«

Jetzt war John Clarlight nicht mehr so eilig.

Der Alte betrachtete ihn mit stillem Hohn. »Siehst Du,« fuhr er fort, »hier befestige ich die Leine. Du kannst sie herunterziehen, wann Du willst, – aber lösest Du Dich nicht jedes Jahr mit drei Fahrzeugen aus, so komme ich selbst in der Neujahrsnacht und – dann werden wir weitersehen.«

»Meinst Du, daß sie da oben fest genug sitzt?« fragte John Clarlight bleich.

»Die sitzt fest!« sagte der Alte, und verschwand mit einem höhnischen Lachen.

Seitdem fährt John Clarlight wieder wie früher, und es ist eine bekannte Thatsache, daß manches Fahrzeug im Laufe des Jahres im Kanal verschwindet, besonders im Nebel und bei unruhigem Wetter: das ist John Clarlight, der mit seiner Laterne im Mast die Schiffe immer weiter und weiter auf den Sand lockt, besonders bei den Swante- und Wells-Bänken, wo die Brandung und der Grund gefährlich sind.« –

Alle saßen nun eine Weile schweigend da, ... es war so still und ruhig auf dem Meer, daß man das einförmige Knacken des Mastes hörte. Christensen dampfte mächtig und mit kurzen Zügen aus seiner Meerschaumpfeife und brummte:

»Hm! hm! ... Ja, da liegt manches Schiff auf dem Grunde.« Er suchte mit der Hand nach seinem Glase, aber Madame Christensen nahm es rasch weg und sagte:

»Ich will es noch einmal füllen, wenn Du heute Abend eine Geschichte vom alten ›Rutland‹ erzählst. Sie müssen wissen, Lotse, er thut's nicht so leicht.«

»Soll ich vielleicht erzählen, wie Du hier am Bord Heuer genommen hast?« – er sah sich schlau nach dem Steuerrad um.

»Nein, danke, Christensen! – die Geschichte kenne ich schon!«

»Nun, wie Du das Steuer von ›Rutland‹ gehalten hast?«

»Du willst mich wohl vor dem Lotsen zum Narren haben?« Oder er glaubt, Du willst die Heuer wieder aufsagen!«

»Ja, das ist wahr! – Nein, Du bleibst doch der sicherste Mann, den ich habe, – laß es nur erst etwas stürmisch werden ... Dein Wohl, Mutter! ... Nein, schenke nur ein! Dann erzähle ich noch eine andere Geschichte, die ich von dem Manne selbst gehört habe, ... der alte ›Rutland‹ hatte damals schon manchen Kapitän gehabt. Es war Schiffer Vollau; wahrhaftig ein braver Seemann, aber etwas ängstlich und wunderlich; denn es ist ja so, wenn man erst einmal die Verantwortung gefühlt hat, so, ... na, davon wollte ich nicht sprechen.«

»Es war im November, da war er von Montrose in Schottland ausgegangen, aber er konnte mit seinem Kours nicht auf das Reine kommen, denn es war nebeliges Wetter und Schnee in der Luft und die Tage waren nur kurz. Unruhig kam er ein- über das andere Mal aufs Verdeck, um auszusehen, dann lief er wieder in die Kajüte, um die Seekarten zu studieren, aber er wurde immer verwirrter. Als er dann wieder einmal hinunterkam, stand da ein Mann in einer dicken wollenen Jacke, der ihn ernst ansah und mit seiner Hand auf die Seekarte zeigte. Schiffer Vollau war ein guter Christ und fürchtete sich nicht vor Geistern; aber er war doch etwas verblüfft, wandte seine Augen von ihm weg und ging aufs Verdeck. Aber er besann sich wieder und ging hinunter. Da erschien der Mann ihm wieder. Noch ernster zeigte er in derselben Richtung auf die Karte und verschwand. Der Mann hatte nach Nord-Nordwest gezeigt, und es schien Vollau, als ob er ihm habe sagen wollen: ›Willst Du Dich bergen, so steure gleich so!‹ – Dann ging er auf's Verdeck und kommandierte plötzlich: Nord-Nordwest. Da sah er auf einmal an seiner Seeseite ein Wrack mit seiner ganzen Mannschaft am Bord. Er setzte Boote aus, und als der letzte Mann gerettet war, sank das Wrack. Der letzte, der heraufkam, war der Kapitän, und – das war gerade der Mann, der in seiner Kajüte gestanden und auf die Seekarte gezeigt hatte!«

Für Madame Christensen war es eine seltene Begebenheit, daß ihr Mann sich so aussprach; es war dieses auch die erste längere Erzählung, die sie in ihrem Leben von ihm gehört hatte. Aber sie ließ sich nichts merken, sondern nickte nur mit dem Kopf, wie wenn sie sagen wollte, wenn sie oder besser Christensen wollte, könnten sie noch mancherlei Gutes von ihm hören!

Als er geschlossen, füllte sie den Rest der Bowle in das Glas ihres Mannes und sagte in einem gewissen vornehmen Tone: »Bernt! siehst Du nicht, Deines Vaters Pfeife ist ausgegangen. Hole ihm Feuer!«

»Frag' den Lotsen, ob er nicht noch etwas von Seeräubern erzählen kann, Mutter!« flüsterte Bernt eifrig; aber sie hörte auf dem Ohr nicht und ließ ihren Sohn in die Kajüte springen. Endlich fing sie wieder an:

»Es ist merkwürdig, Christensen, wie viel Du weißt, wenn Du nur erzählen willst ... Sie müssen wissen, Lotse, Christensen hat in seiner Jugend dreimal Schiffbruch erlitten, und zuletzt mit unserm ›Rutland‹«.

»Das ist gerade keine Ehre, Mutter!« brummte ihr Mann, der sich übrigens doch von den anerkennenden Worten seiner besseren Hälfte geschmeichelt fühlte, – »auch mag ich nicht von mir selbst erzählen, ... ja, es sollte denn die Geschichte sein, als wir unten im Kanal mit der spanischen Brigg zusammenstießen, denn da fehlte nicht viel und Du wärest nie Madame Christensen geworden, Mutter!

»Das war eine ernste Geschichte, und der, der einmal so etwas erlebt hat, wird nicht so rasch bei der Hand sein, die Jugend zu ermuntern, zur See zu gehen. Ich war damals Leichtmatrose und fuhr mit einer englischen Bark, die ›Plymouth‹ hieß, nach Reval hinüber. Es war eine häßliche schwarze Nacht, und die See ging hoch, als wir gerade vor den Feuern von Dünkirchen waren. Wir konnten keine Hand vor Augen sehen, nicht einmal unsere eigenen Laternen im Mast. Wir kreuzten mit Sturmsegel und zogen Notsignale auf und läuteten mit der Glocke. Dann und wann schossen wir eine Rakete ab. Alle Mann waren auf Deck; Augen genug, um zu sehen, wenn wir nur hätten sehen können: das war denn auch der Grund, weshalb alles parat war. Plötzlich, – gerade als wir von einer Welle in die Tiefe geschleudert wurden, sahen wir dicht neben uns ein großes Fahrzeug – es war uns so nahe, als ob wir es geentert hätten, ragte aber hoch über das unsere hinauf. Dann aber fing es an zu krachen und zu stöhnen, wie ein Mensch in großer Angst, und glitt von uns ab. Wir hörten an den Stimmen, daß es Spanier waren, konnten aber keinen einzigen deutlich erkennen.

»›Was habt Ihr geladen?‹ rief der Kapitän.

»›Salz!‹ antwortete der Spanier. ›Und Ihr?‹

»›Eisen!‹

»›Ach Jesus!‹ – so hörten wir's am Bord des Spaniers – und weg war er; wir sahen und hörten nichts mehr von ihm. Fünf Minuten später drang ein dumpfer Knall in unsere Ohren und wenige Secunden darauf sahen wir, wie die Lichter im Wasser verschwanden. Wir erfuhren später, daß das Schiff ›St. Giuseppe‹ hieß und von Torrevieja war.«

»Aber Christensen!« rief Madame erschrocken aus, indem sie ihre Hände zusammenschlug und ihn ansah, »Du hättest ja untergehen und sterben können, ohne daß ich ein Wort von Dir gehört hätte!«

»Ja, Mutter! deshalb kannst Du mir auch glauben« – er zeigte mit seiner Pfeife nach Bernt – »daß ich recht habe, wenn ich sage, daß er nicht zur See soll ... Nu, nu,« fuhr er fort, als er merkte, daß das Thema nicht angebracht war –, »es hat ja auch noch lange Zeit; erst muß er confirmirt werden, und bis dahin wählt er sich vielleicht selbst noch einen andern Beruf.«

Es folgte ein längeres Schweigen. Bernt aber saß und hämmerte und schlug mit einem Tauende.

Der Lotse stand und sah aufs Meer. Christensen commandierte: »Nord-Nordwest-Halb-West, Andres! – stimmt's nicht Lotse?«

»Gern noch einen Strich westlicher ... Morgen früh werden wir schönen West haben.«

»Kann sein; – aber man kann nicht vorsichtig genug sein! ... Nord-Nordwest, Andres! ... Es ist ein Ring um den Mond, ... seht aus, ob Jemand kommt.«

»Ja, da ist das Boot!« rief der Lotse. »Die müssen hier reine Windstille gehabt haben, sonst hätten sie früher kommen müssen.«

Als das Boot eine halbe Stunde später am »Rutland« lag und den Lotsen aufnahm, war von irgend einer Bezahlung seinerseits keine Rede. Madame Christensen griff außerdem noch in einen Korb mit Aepfeln, und sagte: »Für Mutter, wenn sie das kleine Geschenk nicht verschmähen will; aber sie hat einen braven Sohn!«

Eine Stunde später war's still am Bord, und der alte »Rutland« ließ sich von den leichten Wellen treiben, wohin die Hand seines Kapitäns ihn lenkte.


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