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I.
Ein alter Nordseefahrer

Es war das erste Mal, daß der »Rutland«, der im ***sund lag, und die Mobilien des Amtsrichters Nörregaard einlud, um sie nach Österrisöer zu bringen, sich an der Schiffsbrücke als Schaluppe präsentierte. Die alte Nordseegaleasse – mit gewohnter Uebertreibung behauptete man, daß sie ihre hundert Jahre zählte – hatte, ehe sie so umgebaut worden war, manche Mannschaft über ihr Deck kommen und gehen sehen, hatte einen Capitain nach dem andern gehabt, manche, die auf dem »Rutland« alt und grau geworden waren, sie war der Schauplatz manch' ernster und manch' fröhlicher Geschichte gewesen und hatte fast an allen Sandbänken und Felsenriffen der Nord- und Ostsee einen Sturm erlebt, ja hatte bisweilen auch längere Fahrten gemacht durch den Canal hinab nach der spanischen Küste. Es wird nicht so leicht zu zählen sein, wie oft der alte »Rutland« zur Weihnachtszeit in dunklen Winternächten zwischen Schottland und Norwegen lag, alle Masten und Raaen mit Eis und Schnee bedeckt und die matte Thranlampe unten in der dunklen Kajüte, – dann kostete es manchen Kampf, um in den erwünschten Hafen einzulaufen, oder er mußte gar fürchten, um die Shetlandsinseln herum verschlagen zu werden und im großen atlantischen Ocean wie ein Strohhalm spurlos zu verschwinden; und wie oft hatte er nicht im heißen Sommer vor Bordeaux gelegen oder in Setural und Cadix, daß das Pech überall schmolz und große Theerthränen an den nassen Seiten des Schiffes herab ins Wasser fielen. Er hatte Fahrten mit »Licenz« und auch Caperfahrten gemacht, und im Kajütenschrank lagen alle unsere Flaggen vom alten Dannebrog bis zu derjenigen, die er nun führte. Der Rumpf war geborsten, und das Wasser drang hinein, aber »Rutland« hatte die merkwürdige Eigenschaft, daß das Wasser ihm nie gefährlich wurde. Ob das des Schiffes guter Geist that, kann ich wirklich nicht angeben, – aber solche alte Schuten hängen zäh am Leben.

Und doch schlug auch seine letzte Stunde. Es war im vorigen Herbst, als das Schiff, mit einer Ladung Salz von St. Ybes kommend, draußen in der Nordsee während eines furchtbaren Sturmes leck wurde, so daß der Capitain und ein Teil der Mannschaft es verließ und bei Peterhead ans Land ging. Die Uebrigen – der Steuermann Christensen und drei der ältesten und erfahrensten Matrosen, die schon lange auf dem »Rutland« gewesen waren – hatten den Mut, den Cours nach Norwegen zu richten, wo sie oben vor Söndmöre auf den Grund gerieten und gänzlich Havarie erlitten.

Damals kamen keine argen Gedanken auf, und das Seerecht ließ die Galeasse »Rutland« auf einer Auction als Wrack verkaufen. Steuermann Christensen erhielt sie für dreißig Speciesthaler und Erstattung der Kosten. Bei dieser Gelegenheit zeigte es sich, daß derselbe über hundert Speciesthaler in Bankactien verfügen konnte, die er sich durch seine Heuer verdient hatte.

Das Fahrzeug ward nach Harö hineinbugsiert, um von Grund aus repariert und als Schaluppe umgebaut zu werden. Christensen's Matrosen halfen ihm als feste Arbeiter, und als im Laufe des Winters die Mittel erschöpft waren, suchte derselbe ein Darlehen auf sein Schiff zu erhalten.

Um diese Zeit nun war's, daß von den Rhedern »Rutlands« der gerichtliche Beweis erfordert wurde, daß das Schiff gänzlich Havarie erlitten habe, um sich auf Grund dessen die Versicherungssumme in Amsterdam auszahlen zu lassen.

»Die Galeasse war also versichert!« – Diese Nachricht lief mit Windeseile durch die Stadt. Denn es war in jenen Zeiten etwas Außergewöhnliches, daß kleinere Fahrzeuge versichert wurden, und alte Geschichten, die lange vergessen waren, wurden wieder aufgerührt. Hier oder dort hatte man durch manche Künste ein altes Schiff versichert, und dann war es an der holländischen oder englischen Küste gescheitert, oder auf den Sand geraten. Das Mißtrauen wurde immer größer, endlich zur Gewißheit, und unter dem Druck der öffentlichen Meinung ging die Untersuchung vor sich.

Während des Verhörs zeigte sich der Steuermann Christensen sehr verdächtig. Seine undurchdringliche Miene und all' die eigentümlichen, vorsichtigen Bewegungen, wie er seinen Hut auf die Bank legte und mit halb feindlichen Blicken auf das Tintenfaß sah, so oft die Feder in dasselbe getaucht wurde, oder wie er seinen Taback kaute und auf die Erde spie, – das Alles mußte wohl gegen ihn einnehmen. Der schwarzhaarige, blatternarbige und breitschulterige Seemann mit seinen zwei- oder dreiunddreißig Jahren stand auch so merkwürdig unruhig da, und war, wie es schien, wenig geneigt, bestimmte Antworten zu geben.

Als er gefragt wurde, ob er gewußt habe, daß der »Rutland« versichert gewesen sei, blinzelte er geheimnißvoll mit den Augen, lächelte schlau, erkundigte sich sehr genau nach »den Gesetzen« und erklärte schließlich, indem er sich wiederholt räusperte, daß er, um nicht den Rhedern zu schaden, weder Ja noch Nein sagen wolle, – das käme auf Capitän Petersen, der den »Rutland« geführt habe.

»Ob er das Schiff habe auf den Strand laufen lassen?« Ja, davon könnte der »Rutland« wohl erzählen: das war 'ne saure Arbeit gewesen. Als dann der Koch verhört wurde, nickte und blinzelte er ihm zu und bat ihn, sich nur »in seinem Fahrwasser zu halten«.

Als nun der Richter Andres Kok ernstlich vermahnte, die Wahrheit zu reden, war dieser bereit, es mit einem feierlichen Eide zu erhärten, daß das ein schlauer Mann sein müsse der mit Steuermann Christensen sich oberhalb Windes halten wolle.

Die Versicherung führte zu einem noch heftigeren Examen, während dessen Andres Kok's Gesicht perlte wie ein warmer Meerschaum-Pfeifenkopf, bis er endlich den Kopf schüttelte und resolut erklärte, daß er nun »nicht länger Land sähe«.

»Mit andern Worten, Du verstehst mich nicht? ... verstehst kein Wort? ... kein Norwegisch? ... wie?!« – so donnerte der erregte und aufs Aeußerste gebrachte Inquisitor ihn an.

»Ruhig! Ruhig! nur Kabeltau vorsichtig aufwinden! hilft nicht, Mannschaft so hart anzufahren!«

»Was hat Sie denn bewogen, unter den angegebenen gefährlichen Verhältnissen an Bord zu bleiben?«

»Ja, sehen Sie, Herr Richter!« – es war der rothaarige Niels Kobbervig, der gefragt war und nun antworten mußte; – seine lange, hagere Figur und seine große Habichtsnase hatten ihm den Spitznamen »Botshaken« verschafft, – »nun habe ich neun Jahre schon mit Christensen auf dem ›Rutland‹ gefahren, die letzten sechs Jahre war er Steuermann, und darauf will ich schwören, wenn Petersen den Mann nicht auf Deck gehabt hätte, dann« ...

»Der Steuermann stand also in einem sehr vertraulichen Verhältnis zu seinem Capitän? Er konnte ihm alles überlassen, Alles?«

»Ja, wahrhaftig! – der war seine rechte Hand und mehr noch!« ...

»Ruhig! – Ruhig, Niels!« – flüsterte abwehrend Christensen!

»Will's schon sein, Steuermann!«

Während des nun folgenden Examens hörte man einzelne leise, warnende oder ermunternde Commandorufe vom Steuermann, worauf im feierlichen Gerichtssaal mit den nur Eingeweihten verständlichen Ausdrücken der Schiffersprache und zustimmendem: »Ja wohl, Steuermann!« geantwortet wurde.

Gegen den Schluß des langen Verhörs konnte Niels Kobbervig sich doch nicht enthalten, mit seinem dunklen Taschentuch das Gesicht zu trocknen und mit einem tiefen Seufzer zu erklären, »er wäre bange gewesen, daß sie in seichtes und trübes Wasser geraten.

»Ja mein Freund, da wirst Du ein wahres Wort gesprochen haben!« – sagte der Richter, der sich überlegte, ob er schon jetzt arretieren dürfe oder ob er lieber noch ein weiteres Verhör abwarten wolle, in welchem er vielleicht auch von dem Capitain und der Mannschaft, die bei Peterhead an Land gekommen waren, genauere Nachrichten erhalten könne.

Während des Winters waren noch fünf gerichtliche Verhöre gewesen, in welchen der Richter jedoch mehr und mehr zu der Ueberzeugung kam, daß der Steuermann Christensen im Grunde ein selten ehrlicher Mann war. Er hatte nur ein unüberwindliches Mißtrauen gegen andere Menschen, besonders gegen diejenigen, die in andern Verhältnissen lebten, wie er; darum war auch sein ganzes Auftreten vor dem Gericht so merkwürdig und seine Antworten auch auf die einfachsten Fragen so gezwungen gewesen, daß er wohl verdächtig erscheinen mußte.

Deshalb war es Christensen auch sehr schwer geworden, das erforderliche Geld zur Reparatur seines Schiffes aufzutreiben, und es war ihm schließlich nur mit Hülfe des Amtsrichters Nörregaard gelungen, der sich für ihn bei einem bekannten Handelshause verbürgte.


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