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XV.
Wie Bernt »eine Jungfrau bindet.«

»Eine Jungfrau binden« – eine der schwierigsten Arbeiten bei dem Takeln eines Schiffes.

Madame Christensen hatte mehrere Wochen sehr viel zu thun gehabt. Die Kammer auf dem Giebel war mit Teppichen und Gardinen geschmückt worden. Statt der alten grünen, zersprungenen Fenster waren neue eingesetzt, die Wände wurden mit Bildern verziert und vor allem ein schönes, weiches Bett zurecht gemacht.

Bernt hatte ja geschrieben, er denke im Oktober mit Andersen's »Augusta« von Hartlepool aus zu kommen. Er war dort gegen drei Jahre auf dem Schiffswerft gewesen.

Madame Christensen hatte die letzte Reise nicht mitgemacht, damit »ihr Sohn das Haus nicht leer vorfände, wenn er zu seinen Eltern zurückkehrte!«

Sie war indessen überflüssig vorsichtig gewesen, denn Christensen kam mit »Rutland« noch acht Tage früher an, als sein Sohn.

Und nun war Bernt gekommen, groß und stark und in hübscher Seemannstracht, so hoch und breit in den Schultern, wie sein Vater, ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren mit etwas dunklem Bart, den bestimmten Zügen und der hübsch gebogenen Nase seiner Mutter.

»Und so solide, Christensen! ... Spricht nicht, ohne daß er etwas zu sagen weiß. Und dann – hast Du es wohl bemerkt? – er antwortet auch nicht so viel, sondern fragt mehr ...«

»Nach Dir, Mutter! nach Dir ... Du bist immer so neugierig gewesen!«

»Deshalb habe ich auch so viel in der Welt erfahren, Christensen! und das werden wir auch noch einmal an Bernt sehen!«

»Weißt Du, wohin er gegangen ist?«

»In die Stadt hinein, sagte er, ... nach Nielsen's.«

»Grethe Nielsen's wegen, denke ich, Mutter!«

»Hätte nicht gedacht, daß Du das gemerkt hättest, Christensen! Er hat immer ein Auge auf sie gehabt, und wie oft hat er in seinen Briefen nach ihr gefragt ... Dann erkundigte er sich wieder nach allen Verlobungen in der Stadt, Du kannst nur glauben, daß ich Pulver gerochen habe!«

»Säh's lieber, wenn er Polly nähme, Mutter!«

»Polly ... Madame Christensen kam plötzlich ein neuer Gedanke. »Ja, weißt Du was, Christensen! ... das wäre nicht so verkehrt!«

»Nun, Bernt! – wo bist Du gewesen?« – fragte sie, als er wieder kam. Es war am Tage nach seiner Rückkehr.

»Es war niemand gestern Abend bei Nielsen's zu Hause; aber ich glaube doch, daß ich einen Schimmer von Grethe im Fenster sah ... Und dann mußte ich ja nach dem Takelboden gehen, ... sprach auch mit Kjelsberg, ... ein wunderliches Original! – Er stand lange vor mir und sah mich an und sagte, ich wäre vor seinen Augen aus den Wassern des Meeres aufgetaucht wie ein großes Beispiel zur Bestätigung! ... und dann fragte er mich ganz grimmig, ob ich ›als ein Ausländer‹ an seinem Takelboden etwas auszusetzen habe? ... Aber ich hütete mich wohl, etwas zu sagen; hätt' jedoch nie gedacht, daß er so klein und niedrig wäre! Ich meinte immer, er wäre so groß ... Und dann war ich unten am ›Rutland!‹ Es ist unglaublich, wie viel man von solchem alten Fahrzeug lernen kann, ... das ist ein ächter Nordseefahrer. Und ich kenne jede Planke, jedes Tau, glaub' ich! Heute Nachmittag muß ich notwendig wieder hin.«

»Heute Nachmittag müssen wir jedenfalls erst den Takelmeister besuchen!«

»Ja, aber erst Nielsen's. Sie werden gewiß zu Hause sein. Außerdem hab' ich mit dem Takelmeister ja schon gesprochen!«

»Hast Du Polly schon begrüßt?«

»Ach, die treffe ich wohl noch!«

»Ob sie es Dir aber nicht übel nimmt, daß Du zuerst nach dem Takelboden hinausgingst, und nicht zu ihnen!«

»Polly? ... Ach! mit der werd' ich schon fertig werden ... Werd' mich doch freuen, sie wieder zu sehen ... Noch ebenso rothaarig und knabenhaft, ... nur etwas größer geworden, wie ich auch!«

»Ich möchte den Takelmeister nicht gern beleidigen. Wir müssen zuerst dahin! Bin bange, daß Du doch nicht so leicht mit Polly fertig wirst!«

»Polly? – O, das nehm' ich schon auf mich! Hört sie erst eine kleine Dosis von den alten Geschichten, so ergiebt sie sich gleich ... Aber bei Madame Nielsen hab' ich doch gewohnt; das ist etwas anderes!« – Er setzte eine sehr bestimmte Miene auf und drehte etwas an seinem kleinen Backenbart.

»Lieber Bernt! Du mußt Dich hier fügen! Ich fürchte, daß Du es bei dem Takelmeister schon verdorben hast. Er wäre sonst nicht auf einmal so merkwürdig geworden, wie Du sagst.«

»Ja, ja, wie Du willst, ... wenn wir dann nachher nur gleich dahin gehen, wohin ich möchte!«

»Ich glaube, Du kennst Polly nicht mehr recht.«

»Ob ich sie kenne!«

Bernt öffnete die Thür, um die Treppe hinaufzuspringen, aber wandte sich plötzlich wieder um. »Alle diese Teppiche und Gardinen, Mutter! – was soll das? Glaubst Du, daß ich so etwas gewohnt bin? ... Etwas mußt Du wieder zurücknehmen!«

»Ach Bernt! ... Das stört Dich doch nicht!«

»Glaubst Du, daß ich noch einen Kameraden hier oben haben könnte? – wenn ich einen fände! Das ist ja wie für ein Frauenzimmer!«

Am Nachmittage gingen Bernt und seine Mutter hinauf zu dem Takelmeister. Bernt hatte seine frühere heitere Miene; er wollte Polly mit alten Erinnerungen ergötzen.

Als sie kamen, saß der Takelmeister auf seinem alten Sorgenstuhl.

»Wir kommen zuerst zu unserm Freund, Takelmeister Kjelsberg!« sagte Madame Christensen mit Absicht; sie wollte von vorne herein alle möglichen Mißverständnisse aus dem Wege räumen.

»Ja, wir sind alte Bekannte, Madame Christensen! Was das im Besonderen sagen will, muß die Jugend erst lernen! Nicht wahr, mein Herr Bernt Christensen? ... nein, setzen Sie sich, liebe Madame!« Er bot ihr einen Platz im Sopha an, während Bernt seine Seemannsmütze weglegte und sich einen Stuhl nahm. »Wir haben Polly gleich hier! ... Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, daß ich mich freue, Sie so mit einander hier zu sehen?«

Die Thür ging auf und Bernt wollte schon mit seinem muntern Lächeln die alte Bekanntschaft erneuern, als er überrascht sie kommen sah und sich dann nur von seinem Stuhl erhob. Das schlanke, bleiche Mädchen, welches nun hereintrat und auf seine Mutter zuging, auch ihn im Vorübergehen grüßend, – das war Polly!

»Bernt Christensen, Polly! ... der wieder zurechtgebracht ist!« sagte der Takelmeister.

Polly schien die näheren oder ferneren Beziehungen aus alter Zeit nicht aufrecht erhalten zu wollen, sondern machte nur einen Versuch zu lächeln.

»Ist gewachsen, siehst Du! – Wie alt nun, Madame Christensen?«

»Über zweiundzwanzig, Takelmeister!«

»Ja, ja, die Zeit geht hin. Siebzig bis achtzig Jahre ist das Alter der Menschen ... Ja gewiß ist er gewachsen, ... aber über seine Eltern wächst niemand hinaus. Das kann man zum Ueberfluß auch an Isaak und Jacob sehen, die in den Hütten ihrer Eltern lebten und ihnen gehorsam waren, bis sie schon ein gehöriges Alter auf dem Rücken hatten ... Aber wie ist es denn nun? Wann reist Ihr Sohn wieder hinüber nach England, Madame?«

»Bernt will sich nun zu Hause durchschlagen, Takelmeister! Ihm war drüben ein Platz auf einem Werft angeboten, aber er und wir meinten, zu Hause wär es am besten ... Ich glaubte, Polly, Du hättest es Deinem Großvater gesagt.«

»Ich hatt' es vergessen, ob er hier bleiben oder wieder gehen wollte, ich freute mich nur, daß Sie so vergnügt waren, Madame Christensen!« – Es war etwas Erkünsteltes in der Art, wie sie das sagte; es sollte ruhig scheinen, aber aus ihren Augen leuchtete ein unterdrücktes höhnisches Lächeln.

Bernt war sich nicht mehr ähnlich. Er hatte den Grund unter seinen Füßen verloren. Diese zarte, hohe Gestalt, ... dieses junge Mädchen, das so brav war! Sollte er es nicht besser gekannt haben! Er fing mit seinem bescheidensten Wesen an:

»Sie erinnern sich gewiß, Jungfrau Kjelsberg! der früheren Tage, ... es war so hübsch auf dem Takelboden.«

Ja, ... Sie liefen da herum, ... ich erinnere mich wohl!«

»Und Sie waren ein ganzer Seemann, ... kannten alles!«

»So? ... Ja, das ist nun lange her.«

»Stehen da nicht noch ein paar von den alten Modellen?«

Aus ihren Augen schoß ein hastiger Blick voll Trotz und Leidenschaft; aber sie antwortete so gleichgültig, wie möglich: »Hast Du etwas derartiges auf dem Takelboden gesehen, Großvater? ... Ich bin da nie mehr!«

»Was? ... Was?« – fragte dieser, der in seiner Unterhaltung mit Madame Christensen unterbrochen wurde.

»Ach es handelt sich nur um ein altes Spielzeug, weshalb der Takelmeister sich nicht weiter bemühen soll,« antwortete Bernt etwas kurz. »Hier ist manches Gras derweilen gewachsen!« fügte er hinzu.

»Ja, Sie werden hier große Veränderungen finden. Ich hätte Sie auch nicht wiedererkannt, wenn ich nicht Ihren Namen gehört hätte.«

Polly sagte das mit einer gewissen Lust, ihn zu verletzen und er merkte es wohl; aber daß sie so hübsch geworden war und ihn so ganz vergessen hatte, das wurmte ihn!

»Bernt! wir dürfen den Takelmeister nicht länger aufhalten,« bemerkte Madame Christensen und erhob sich. »Wir müssen heute Nachmittag auch noch nach Nielsen's!«

»Nichts versäumen um unseretwillen, Madame!« –

Als sie auf die Straße gekommen waren, meinte Bernt, es wäre zu spät, um noch nach Nielsen's zu gehen; sonst könne er nicht mehr zum »Rutland« kommen!

Er ging denn auch hinunter nach dem Hafen und blieb lange da; – worüber er aber nachdachte, war jedenfalls nicht allein die Construction »Rutland«.

Bernt kam erst zum Abendessen nach Hause und war ziemlich schweigsam.

Als er am nächsten Vormittage bei Nielsen's gewesen war, traf er Polly auf der Straße; aber sie sah es wohl nicht, daß er grüßte, ... oder sie wollte es nicht sehen, ... sie grüßte nur freundlich in ein Fenster bei Röds.

Es ward ihm schwer, recht schwer, daß er seine alte Polly verloren hatte, ... ja recht, recht schwer! ... Es heißt, daß die Frauenzimmer falsch sind, und es kann wohl sein ... jedenfalls muß man sich vor ihnen hüten! – Wie war Polly so ganz anders geworden! Das einzige, was sie behalten hatte, waren ihre Augen ... und dann! – Ja, die Haare, – aber für sie paßten nun doch einmal keine andere. Sollten sie vielleicht schwarz sein! ... Nein, das wär nicht möglich gewesen ... Sie war eben eine Ausnahme – unverschämt hübsch! ... Aber daß sie ihn ganz vergessen hatte!

Es währte nicht lange, bis Bernt ein neues Attentat versuchte. Vielleicht hatte sie ihn damals wirklich nicht gesehen!

An einem Vormittage, als er wußte, daß er den Takelmeister nicht treffen würde, ging er wieder hin. Er sah schon draußen von der Treppe, daß sie in der Stube war und klopfte deshalb kühn an die Thür.

»Herein!« – Es war Polly's Stimme.

»Ah, so treffe ich Sie doch, Jungfrau Kjelsberg! ... Fast hätte ich Sie Polly genannt!«

Sie war aufgestanden und es war, als ob ihre Gestalt sich hob, während ihre Augen verwundert auf ihn sahen.

»Ich glaubte, wir wären nun beide erwachsen, Christensen! ... Wollten Sie meinen Großvater sprechen?«

»Ja ... Ist er nicht zu Hause?«

Jetzt leuchtete es aus ihren Augen, wie in alter Zeit; denn sie merkte es wohl, daß er gelogen hatte.

»Es wäre der Klüver ... und dann der Jager Dreieckiges Segel, welches vorn am Bugsprit geheißt wird., den mein Vater gern neu haben wollte und ich möchte gern wissen, wann der Takelmeister es liefern könnte.«

»Großvater ist jeden Tag bis 12 Uhr mittags unten auf dem Takelboden! ... Ich dächte, Sie wüßten das noch von früher her. Er ist um diese Zeit nie zu Hause ...«

Sie sagte das so, daß Bernt es fühlte, es wäre hier nicht mehr viel zu machen; darum antwortete er mit einer ruhigen und gleichgültigen Miene:

»Das ist so lange her ... Ich habe seitdem an manches andere denken müssen, Jungfrau Kjelsberg!« – Indem er dann wieder zur Thür ging, sagte er: »Ihren Großvater finde ich jetzt also auf dem Takelboden?«

Er wußte nicht recht, ob sie ihm geantwortet oder nur genickt hatte, und ging dann schnell fort. Aber, was sie gewollt hatte, war klar ... Milde ausgedrückt, übersah sie ihn, um nichts Schlimmeres zu sagen! ... Und nun mußte er noch obenein nach dem Takelboden und mit dem alten Brummbär über den Klüver und Jager sprechen, ... es war zum rasend werden!

Es war ein hartes Geschick, welches ihn verfolgte! ... und gar wegen Polly! ...

Unten auf dem Takelboden ging er, während er auf Kjelsberg wartete, in seine eigenen Gedanken vertieft herum und suchte die alten Stätten wieder auf, wo sie mit einander gespielt hatten. Wie oft waren sie hier auf und ab gelaufen ... Er durchstöberte alles, und plötzlich sah er in einer Ecke ... drei seiner Modelle in der schönsten Ordnung und sehr sorgfältig numeriert. Er stand dann lange Zeit mit über einander geschlagenen Armen vor diesen Erinnerungen seiner Kindheit. Dann ging er rasch die Treppe hinunter, ... ließ den Takelmeister Takelmeister sein und eilte nach Hause.

Seine Mutter stand mit aufgekrämpten Armen in der Küche und kochte. Sie hörte am Schritte, daß es ihr Sohn war, und ging darum auch in die Stube hinein.

Als sie sah, wie er aufgeregt auf und ab ging und sich die Lippen biß, fragte sie erschrocken:

»Was ist denn passiert, Bernt?«

»Nichts, nichts, Mutter! ... Wahrhaftig nichts! Ich wollte nur nicht länger auf den Takelmeister warten!«

Sie ging wieder in die Küche; Bernt folgte ihr bald.

»Kannst Du's begreifen, was mit Polly Kjelsberg vorgegangen ist? ... Sie ist so merkwürdig gegen mich, seitdem ich zurückgekommen bin, vom ersten Augenblick an!«

»Meinst Du das, Bernt! ... Ja, mir schien auch, daß sie sich nicht mit Dir einlassen wollte.«

»Sich nicht mit mir einlassen wollte? ... Das kann wohl sein. Sie ... nun ja!« – er räusperte sich – »das kann mir ja auch einerlei sein! ... Aber woher mag das gekommen sein?«

»Ich sagte Dir ja, daß Du vergessen hättest, wer Polly jetzt wäre, und bat Dich, Takelmeisters nicht zu beleidigen.«

»Meinst Du, es wäre deshalb?« Er schüttelte den Kopf. »Nein ... sie will nun – rein heraus gesagt – mich nicht mehr kennen! Es muß einer, während ich fort war, irgend etwas zwischen uns gelegt haben!«

»Unmöglich, Bernt! Es wußte ja niemand, daß Du da etwas wolltest, und das hätte doch wohl das einzige sein können, – – wenn Du einem von denen, die sie haben wollten, im Wege gestanden hättest.«

»Hat jemand sie haben wollen?«

»Zwei oder drei, glaube ich ... Und Du hast ja von Polly auch immer nur als von einem Kinde geschrieben!«

»Und Polly hat ja wohl auch meine Briefe gelesen?«

»Weißt Du was, Bernt! ... Je mehr ich darüber nachdenke, meine ich, daß es das nicht gewesen sein kann, was sie so beleidigt hat, ... denn sie war wirklich merkwürdig gegen Dich.«

Bernt stand noch einen Augenblick still, dann drehte er sich plötzlich um. – »Adieu, Mutter!«

Als sie hörte, daß er die Treppe hinunter sprang, ging sie rasch in die Stube und öffnete das Fenster. »Ja, wahrhaftig, er geht wieder nach Kjelsberg's!«

*

Polly's Gesicht verriet sehr deutlich, daß ihr die Kühnheit, mit welcher Bernt sich so schnell wieder bei ihr einfand, nicht gerade angenehm war. Und als er nun obenein in demselben Augenblick, in welchem er in die Thür trat, sehr bestimmt und gerade aussagte: »Ich möchte noch gern ein Wort mit Dir sprechen, Polly?« – leuchteten ihre Augen und sie antwortete ebenso offen: »Aber ich will nicht mit Dir sprechen, Bernt Christensen!« ... Dann wollte sie aus der andern Thür hinausgehen und ihn in der Stube allein lassen, aber er trat ihr in den Weg und sagte: »Du entwischest mir nicht, Polly, ehe Du mir gesagt hast, wer etwas zwischen uns gebracht hat!« Bernt's finster blickende Augen und sein ganzes bleiches Gesicht bezeugten es, daß es dem schlecht ergehen würde, der das gethan.

Polly stutzte einen Augenblick und sagte dann: »Es hat Dich Niemand verleumdet! Ich glaube auch nicht, was so gesagt wird! ... So, nun weißt Du es!«

Sie machte einen neuen Versuch, zu entfliehen.

»Höre nun, Polly! Ist es wegen des niederträchtigen Zeugs, was ich in meinen Briefen über Dich geschrieben habe? ... Ich meinte es ja nicht so oder, ... dachte nicht daran, daß Du erwachsen wärest.«

»So, gar nicht! ... Ich weiß nicht, ob ich die Briefe gelesen habe! ... aber sie sind ja überall gewesen, bei Nielsen's und andern, ... und hat da etwas von mir darin gestanden, ... nun, so ist das sicher an gewissen Orten ... dankbar anerkannt worden!«

Mit diesen Worten schien sie wieder gehen zu wollen, aber er hinderte sie wieder daran.

»Erinnerst Du Dich noch der Modelle?« fragte Bernt traurig. »Ich bin heute auf dem Takelboden gewesen, Polly! ... und bist Du nicht ganz verstimmt, so sag' es mir ehrlich und aufrichtig, ... wußtest Du nichts von den Briefen und von den ... Es war kein Staub auf ihnen!«

Er sah, daß sie etwas verwirrt wurde.

»Ich denke, Du räumst es ein, Polly! ... Hätte mir nicht gedacht, daß Du so böse sein konntest! Du hast es ordentlich darauf angelegt, mich zu quälen. Haben wohl vornehmere, als ich es bin, um Dich gefreit.«

»Das ist nicht wahr!«

»Nicht wahr? ... Sieh' mir in die Augen, Polly, Du hast schon zwei, drei Freier gehabt!« Bernt war nun sehr aufgeregt geworden.

»Ja, aber ich habe keinen von ihnen genommen!« – Nun loderte es auch in ihr auf. »Und wohin bist Du gegangen, gleich als Du eben erst gekommen warst? ... Wie? ich soll's Dir wohl sagen, ... direkt zu Grethe Nielsen, die so fein und vornehm ist, daß sie nicht einmal aus dem Fenster sieht, um die zu grüßen, die auf der Straße an ihrem Hause vorübergehen! ... Aber das ist ja auch einerlei ... Ich weiß wirklich nicht, warum Du hierher kommst und ein Verhör abhältst? Grethe wird Dir's auch wohl schon erzählt haben, wie viele Freier sie gehabt hat, – wenn sie überhaupt einen gehabt hat!«

»Ja, aber nun antworte mir, Polly! ... klar und deutlich! ... denn jetzt freie ich um Dich! ... Ich sage Dir, Grethe Nielsen war eine große Dummheit! Er ergriff ihre Hand, sie aber zog sie zurück. »Meine nur nicht, daß ihre schwarzen Haare so etwas seltenes wären, ... können sich nicht mit deinen messen! ... Ich sah gleich, daß Du eine Ausnahme warst, Polly! und daß ich dumm wie ein Rhinoceros gewesen war. Ein so braves, hübsches Mädchen, wie Du bist, habe ich nirgendswo gesehen, nicht in England, nicht in Ostindien, nicht am Cap, nicht in Montreal, und ich versichere Dir, es giebt keines in der ganzen Welt!«

Sie antwortete nicht.

»Es gab eine Zeit,« – sagte er plötzlich niedergeschlagen – »als wir immer bei einander waren und nicht daran dachten, daß wir je geschieden werden könnten ... Denkst Du nicht an die Modelle? ... Ja, ein Werft muß es werden, ob Du nun mit mir gehen willst oder nicht.«

Die Thür ging auf, – der Takelmeister trat herein und setzte seinen Stock fort.

»So – so? – Bernt Christensen! ... Jugend wartet nicht mehr auf einen alten Mann ... Gehen ihre eigenen Wege, wenn man nicht rasch zu ihren Diensten ist ... Bewahre! bewahre! ... weg sind sie! ... Aber nun ist gerade meine Mittagszeit, Herr Bernt Christensen!« – Der Alte war nun wirklich in Feuer gekommen.

»Aber Großvater! ... Großvater! so hör' doch! ... Du ... Du weißt ja nicht, wie alles zusammen hängt ... Wir ... wir ...« – sie sah Bernt so strahlend und so glücklich an, daß er plötzlich seine alte Polly wiedererkannte.

»Ja, Herr Takelmeister!« – fing dieser wieder an – »wenn ich Sie nur hätte finden können ... Aber hier ist von etwas ganz anderm die Rede, ... nicht wahr, Polly? ... denn, Herr Takelmeister, wir wollten Sie fragen, ob Sie etwas dagegen hätten, daß ... Polly und ich ... Ich meine, wir sind nun von Kindheit immer bei einander gewesen, und so meinten wir, – und wir meinten nicht nur! – daß ... ob der Takelmeister nicht Ja dazu sagen wollte.«

Der Takelmeister sah ihn erstaunt an, und dann Polly; endlich fuhr er sie an: »Freit er um mich? ... Ich verstehe ihn nicht.«

»Nein, um mich, Großvater!« – rief Polly und legte ihren Arm um seine Schultern.

»Na – so! – so! ... Aber verstand ich Dich denn nicht recht? ... daß er Dir nicht lieb wäre? ... Hab' mich also geirrt! ... So – so, der Bernt Christensen kommt nun so auf einmal hier an, ... na, na! ... Aber Du wolltest doch nichts von ihm wissen, Polly? ... Na, so! ja, das ist nun etwas anderes. Wenn Du willst und ... ja, ja, Polly! ... wenn Deine Eltern einwilligen, Bernt, so sollst Du meinen Segen noch zum Ueberfluß haben! ... Aber unbegreiflich ist es ...«

»Kannst Du es nicht begreifen, Großvater! – Er ist es ja, den ich immer geliebt habe!«

Ob der Großvater es nun begriff oder nicht, genug, Bernt nahm sie stürmisch in seine Arme, drückte sie an sich, und sagte: »Solch' schöne Brigg giebt's nicht mehr, ... und sie ist mein!«

»Schöne Brigg, ja, ... schöne Brigg ... ganz richtig! Hat Er auch die rechte Hand, sie zu steuern? – Aber nun, Polly! denke ich, warten wir noch etwas mit dem Mittagessen und gehen nach Christensen's, um ihnen alles zu erzählen! ... Aber – er sah sich prüfend an – »ich habe meinen Staatsrock nicht an.«

Polly ging nun mit ihm fort und half ihm seinen Staatsrock anziehen, den langen, blauen Rock, den er immer bürsten mußte, wenn er ihn trug; – dann ordnete er vor dem Spiegel seine weitere Toilette, und sagte für sich hin: »Wackerer Bursche, ... wackerer Bursche! und mit Kenntnissen für seinen Beruf ausgerüstet, ... hat auch seine Eltern hinter sich, ... wohnt hier in der Stadt, ... geht nicht außer Landes!«

Als sie die Straße hinuntergingen, war der Takelmeister sehr guter Laune und konnte es nicht unterlassen, dann und wann auszusprechen: »Ein stolzes Paar! ... wahrhaftig ein stolzes Paar!«

Als sie bei Christensen's die Treppe zum Hause hinaufgingen, nahm er Bernt am Arm und stützte sich auf ihn.

»Wahrhaftig, meiner Seel'!« – sagte er munter – »wenn Du Polly bekommen hast, hast Du's bewiesen, daß ›Du eine Jungfrau binden‹ kannst.«


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