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XIII.
Daheim und in der Fremde

Zwei, drei Jahre waren vergangen, »Rutland« machte seine Reisen wieder auf der Ostsee nach Preußen, Dänemark und Holland. Es war ihnen alles geglückt; denn Christensen wagte nun mehr, als früher, da er immer sehr ängstlich und vorsichtig überlegte. »Wir können ja nicht mehr, als die paar Schillinge verlieren, die wir haben, Mutter!« – das war sein aus einem bitteren Herzen kommender Wahlspruch, den er immer wiederholte.

In einem schlechten Kartoffeljahr in Norwegen hatte er zwei bis drei Reisen nach Stettin gemacht und war jedesmal mit voller Fracht wieder zurückgekehrt, – da wurden auf die Tonne Kartoffeln hundert Procent verdient, und im folgenden Jahre, als die Roggenpreise in Rußland so gesunken waren, glückte es ihm in Königsberg ebenso. Er sicherte sich zwei ganze Ladungen. Freilich half seine Frau ihm treulich, – sie folgte ihm überall hin bis in die späte Jahreszeit hinein; aber es ging nicht mehr nach der alten Weise; denn er war immer selbst an Land und schloß den Handel ab.

Es war ein heißes, saures Leben an »Rutland«, und Beider höchstes Ziel war, so viel wie möglich zu verdienen; keine andere Freude, als über einen recht hohen Gewinn, kam in ihre Herzen. Das zehrte am innersten Leben, aber die andern, bitteren Gedanken wurden dadurch verscheucht. Christensen saß unten in der Kajüte mit seinen Büchern und rechnete und zählte, – das war sein einziger Trost; – es war lange her, seitdem seine Frau sein altes, launiges Lächeln auf dem harten, blatternnarbigen Gesicht gesehen hatte. Unter einander kam nie ein böses Wort über ihre Lippen; sie waren beide sehr vorsichtig; nur wenn er glaubte, daß sie einen Brief von Bernt bekommen hatte, war er sehr schlechter Laune. Es war, als ob er fürchtete, daß sie es dann doch verraten könnte, daß Bernt geschrieben. Waren sie zu Hause, dann ging er des Abends gern in den Klub und hielt sich sonst so viel wie möglich unten am »Rutland« auf, oder machte sich sonst etwas zu schaffen.

»Wär' vielleicht am besten, wenn ich nicht mehr im Wege stände und ... weg wäre, ... dann könntest Du es nach Deinem Wunsche haben!« – so sagte er einmal bei solcher Gelegenheit. Sie zog sich daraus die Lehre, ihre Briefe noch mehr, wie vorher, vor Christensen zu verbergen. Bernt mußte sie an den Takelmeister adressieren und dort las sie dieselben auch gewöhnlich.

Der Takelmeister konnte auch so gut trösten. Er behauptete, alles im Leben seien Wellen.

»Mein' Seel', Madame! ... Mein' Seel', Madame! große Wellen und kleine Wellen, ... wie das Fahrwasser ist! Aber bedenken Sie, Madame, im Sturm halten nur die starken Schiffe aus, alte, verrottete taugen nicht! ... Hat Madame kürzlich meine Polly gesehen? Was sagen Sie? ... in dem neuen blauen Kleide! Ja, Sie brauchen nicht zu antworten, ... nein, Sie brauchen nicht zu antworten ... Ich bin nicht blind ... Nein Madame. Ich habe viele brave, junge Mädchen in meinem Leben gesehen! viele brave, junge Mädchen! besonders in meiner ersten Jugend; aber ... Polly ist gerade so schlank und biegsam in ihrer ganzen Figur, wie ihre Großmutter! ... so fein und leicht gebaut, wie eine Seiltänzerin! ... Das kam mit einem Male, als sie confirmiert war ... Mit einem Male war aus einem wilden Mädchen eine Jungfrau geworden!« Er sah mit einem launigen Blick Madame Christensen an und schüttelte den Kopf. – »Aber dann bricht wohl doch einmal der Tag an, an dem einer oder der andere kommt und den alten Takelmeister unglücklich macht! – Ordnung der Natur! sage ich mir selbst, so gut ich kann, Madame Christensen! ... Wir müssen alle den Ernst des Lebens erfahren! ... Das ist auch die Ordnung der Natur, daß wir einmal davon müssen; – aber es ist uns das auch nie recht!«

»Ich weiß nicht, Takelmeister! – Wenn wir auf Erden nur nicht unsere Lieben hätten, von denen der Abschied schwer würde!« – Sie seufzte.

»Das ist das erste Mal, daß Sie vor meinen Ohren thöricht geredet haben, Madame Christensen! ... Wenn die Wellen über Bord schlagen, so kneift man den Mund zusammen und hält den Atem an, bis es wieder besser wird. Der, welcher ungeduldig schreit, bekommt Wasser in den Hals und ertrinkt, weil er – oder nun weil Sie, Madame Christensen!! – nicht zur rechten Zeit schweigen kann, ... nicht Ihr Vertrauen auf Den setzt, der dem Meer und den Wellen gebietet! ... Das sollen wir wohl zu Herzen nehmen, Madame.«

Es giebt Menschen, die, wenn sie auch geschlagen sind, den Kampf immer wieder aufnehmen und hoffen, so lange nur noch ein Schimmer von Hoffnung da ist, die aber schwach werden, wenn alles um sie her dunkel ist und man mit Geduld auf bessere Tage warten muß. Und es giebt kräftige Naturen, die wie zum Angriff geschaffen sind, aber die in einer längeren Geduldsprobe ermatten.

Geduld war nun Madame Christensen's Stärke nicht. Sie brach zusammen und fing schon an mit ihren sechsundvierzig Jahren alt und müde zu werden, was sonst durchaus nicht zu ihrem thätigen, raschen Wesen paßte. Sie lebte buchstäblich nur in den drei, vier Briefen, die sie im Laufe des Jahres von Bernt erhielt, – war einer angekommen, dann hoffte sie wieder auf einen andern. Sie las die Briefe erst mit dem Takelmeister und mit Polly oder Madame Nielsen und dann heimlich Tag für Tag zu Hause.

Daß sie eines Nachmittags wieder bei Kjelsberg's war, das kam auch von einem solchen Briefe, den sie beim Takelmeister las, und als dann auch Polly rasch in die Stube trat, warm und gerötet von der Winterkälte, in der sie ausgegangen war, fragte diese auch gleich: »Ein Brief von Bernt, – Madame Christensen?«

»Ja, und ein recht langer, Polly! – und von weit her, von Lima. Ich habe ihn gerade Deinem Großvater vorgelesen.«

»Ja, das hat sie! ... Sie kann lesen wie ein Kaufmann! ... Madame Christensen wird mich wohl entschuldigen, wenn ich da draußen bei der Arbeit die Mäuse nicht mehr auf dem Tisch tanzen lasse ... Sehen sie das spanische Rohr nicht aus der Tasche heraushängen, werden sie gleich übermütig. – Danke, Polly!«

Der Takelmeister hatte mit Polly's Hülfe seinen langen Rock angezogen und die Mütze von pennsylvanischem Leder vorsichtig auf seinen großen Kopf mit den weißen Haaren gesetzt. Dann ging er langsam die Steintreppe hinab, indem er sich an dem Geländer festhielt und sich auf seinen Stock stützte.

Madame Christensen zog den Brief wieder hervor und Polly sah eifrig über ihre Schultern hinein:

»Liebe Mutter!

Ebenholz, wonach Du fragst, das ist Negerhandel, und darum verstehst Du wohl, weshalb ich von der ›Atalanta‹ ging? Nun nachträglich kann ich Dir's ja auch gern sagen, daß es ein gefährlicher Spaß war, denn ist man erst am Bord in ihrem Garn, dann ist das Entwischen nicht so leicht. Aber ich weiß ja, daß Du es nicht gern sähest, wenn Dein Sohn ein Sklavenhändler würde, und wirst es verstehen, daß ich sobald wie möglich entfloh, um nicht ihrer Sünde teilhaftig zu werden! Es war in einer Nacht und sehr dunkel; ich kletterte an dem Tau auf das Boot, welches hinter dem Schiff hergezogen wurde, weil sie am Tage fliegende Fische gefangen hatten. Zum Glück wehte gleich nachher eine frische Brise, so daß ich am Morgen schon außer Sicht war. Aber da saß ich nun drei und einen halben Tag mit drei Biscuits und einer kleinen Flasche Wasser, daß ich zuletzt vor Durst das Blei zerkaute. Ich glaubte, im Passat wären immer Schiffe. Aber nein! Eine Weile war mir schrecklich angst. Nur Wellen und das große, weite Meer! und nichts anderes um mich her, während ich allein in dem kleinen Boot auf dem Ocean fuhr. Plötzlich kam es mir vor, als ob ein großes Tier aus dem Wasser herauskäme und mich ansähe, um mich zu verschlingen. Das war nur der Durst; aber so bange ist mir noch in meinem ganzen Leben nicht gewesen. Am Morgen des vierten Tages ward ich von dem › Port au Prince‹ aufgenommen.«

 

Madame Christensen schüttelte den Kopf und sah Polly an, die ganz gespannt und starr da stand.

»Nun, was sagst Du? ... Und davon hat er in seinem letzten Briefe nichts geschrieben!«

»Nein, aber ich dachte nun gleich, daß irgend etwas passiert sein müßte, sonst wäre Bernt nicht vom Schiff gegangen!« – Polly atmete heftiger ... Sie las dann weiter ...

 

»Schön ist es am Bord vom › Port au Prince‹ auch nicht; aber – ohne mich zu rühmen, kann ich sagen, daß ich so stark bin, daß so leicht keiner mir zu nahe kommt. Das merkten sie schon in den ersten zwei, drei Tagen, und dann wurden sie höflicher.«

 

»Ja, besonders in den Armen war er schrecklich stark, schon hier zu Hause! ... Ob er groß geworden ist? Ich bilde mir ein, daß er die Schultern seiner Mutter hat ... Sie haben so breite Schultern, Madame Christensen!«

»Ach nein, er gleicht seinem Vater mehr; da kann man sich wohl denken, daß er groß und stark ist.«

Polly's Augen waren schon wieder in dem Briefe.

»Nein, wart' nur, Polly, wir wollen zusammen lesen!«

Sie fuhren fort: »Hier in Lima ist es sehr warm, und im übrigen Ananas, Feigen, Apfelsinen und andere Früchte in Menge; aber sie sind nicht alle gesund. Von drei bis fünf Uhr nachmittags gehen die Einwohner im Schatten des Berges spazieren. Die Vornehmen binden ihre Pferde überall an der Promenade an, und nachher am Abend kommen die Aermeren. Die Sonne geht im Meere unter, und die Berge, die sie los Andes nennen, glühen dann wie ein Feuer. Die Geier fressen alles Aas von den Straßen weg. Wir gehen jetzt nach Bombay. Du sagst, ich solle Dir alles Mögliche erzählen; aber das geht im Briefe nicht so gut. Und die Seeabenteuer, die mir der Bergenser in alten Zeiten auftischte, bin ich auch satt. Er band erst mir seine Geschichte auf und dann erzählte ich sie wieder Polly Kjelsberg! Die war ungeheuer leichtgläubig ... Wie geht's ihr, ... noch immer rothaarig und wild? Du kannst sie grüßen, Mutter! – Schlau war sie ...«

»Ach, das ist einerlei, Polly!« sagte Madame Christensen plötzlich und wollte abbrechen.

... »Wenn auch nicht gerade hübsch!« – las diese weiter.

Aber der Brief hatte doch zu große Anziehungskraft, als daß sie nicht gleich fortgefahren hätte.

 

»Aber viel Spaß haben wir beiden doch auf dem Takelboden mit einander gehabt! Ich muß noch oft daran denken. Nein, dumm war sie nicht ...! Sollte nur ein Segelmacherbursche sein ... Ich hätte sie wohl sehen mögen, als sie confirmiert wurde; aber ich kann's nicht recht glauben, daß sie etwas christliche Façon annehmen kann.«

 

Polly war glühend rot geworden, und Madame Christensen sagte: »Kümmere Dich doch nicht um seine albernen Redensarten!«

»Grethe Nielsen« – fuhr der Brief fort – »ja, die ist wohl ein hübsches Mädchen geworden! Ich habe noch nie wieder einen so schlanken Wuchs gesehen, auch hier in Lima nicht. Und so verständig! Du mußt ihr auch gelegentlich einen recht hübschen Gruß von einem bringen, der ihr zu vielem Dank verpflichtet wäre!«

»Ja, sie konnte die Sprüche beim Prediger lernen,« sagte Polly dazwischen, »aber damit ist eine noch lange nicht verständig!«

 

»Und nun muß ich schließen. Ich wollte, ich dürfte auch meinen Vater grüßen, wie ich Dich grüße, liebe Mutter! Aber hiervon darf ich ja nicht schreiben.

Dein ergebener Sohn Bernt.«

 

Madame Christensen legte den Brief langsam zusammen und seufzte: »Erschrecklich, wie weit Bernt in der Welt herumkommt! Man muß bei jedem Briefe von ihm bange sein! ... Und große, große Verantwortung, sage ich, für Den, der das veranlaßt hat! ... Wir müssen wohl in dem gestraft werden, was uns am liebsten ist, und ich war vielleicht zu blind gegen ihn, ... bin es noch. Und darf nicht einmal mein Herz vor seinem Vater ausschütten! ... Nein, das ist wahrhaftig nicht so leicht, immer allein für sich dazusitzen mit all' den schweren, schweren Gedanken! ... Aber das verstehst Du nicht, Polly! So ein Mädchen, das jung und fröhlich ins Leben hineinsieht ...«

Polly antwortete nicht. Aber als Madame Christensen gegangen war und Polly wieder zurückkam, nachdem sie dieselbe bis zur Thür begleitet hatte, standen Thränen in ihren Augen und sie sagte heftig:

»Ah! ... und war' ich das schönste Fräulein im Lande, ich wollte ihm nicht nachsehen! ... ich wollte nicht einmal an ihn denken! ... so ein – Matrose!«

Sie griff heftig in ihre Haare, daß die Flechten herunterfielen und sagte mißmutig: »Das rote Haar würde ich ja doch wohl behalten!«

Polly Kjelsberg und Grethe Nielsen waren die beiden bravsten Mädchen unten in der Stadt, ... darüber waren die Meinungen nicht geteilt; aber Grethe hatte ja ihr schönes, krauses, schwarzes Haar, Polly's war so rot, daß es »fast schade für ein sonst so außergewöhnlich hübsches Mädchen war«. Aber es war auch wieder ein Beweis dafür, daß sie ein prächtiges Mädel war, sonst würde man den roten Feuerbrand unter ihrem Hut nicht so leicht vergessen können. Daß Polly auf Grethe's schwarze Haare eifersüchtig war und ihre rasche Zunge öfters eine harte Kritik über Grethe aussprach, wußte jeder; aber so etwas war ja unter zwei jungen Mädchen sehr erklärlich ... »Ordnung der Natur!« wie der Takelmeister sagte.


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