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XI.
Einer muß das Rad halten und das Schiff steuern

Ein Seemann in einer frischen Marssegelbrise, – das war der einzige anständige Beruf, den man sich in der Welt wählen könnte! – in dieser Anschauung waren Polly und Bernt sich einig; die einzige Schattenseite desselben war etwa ein Schiffsjunge, der sich den Magen mit Speck und Erbsen überlud.

Deshalb bewies Bernt ihr auch mit vielem Eifer, daß er alles Lernen als Bagatelle ansähe und die Aufgaben nur am Morgen, ehe er zur Schule gehe, ein oder zweimal überlese. Ganz so leicht ging es indessen doch nicht. Aber, ob es nun die silberne Uhr war, die seine Mutter ihm zur Confirmation versprochen hatte, oder die Furcht vor seinem Vater oder auch die sich regenden Kräfte seines Geistes, – genug, es zeigte sich, daß Bernt am Schluß der Woche immer ganz vorzügliche Zeugnisse erhielt. Wenn er dann am Sonnabendnachmittag oben auf dem Takelboden Polly sein Zeugnisbuch überreichte, so gefiel es ihr freilich nicht immer, ihm dafür auch die Ehrfurcht zu beweisen, die sie doch gewiß der Zeugnisse wegen im Herzen gegen ihn fühlte. Ja, sie konnte sogar ziemlich spöttisch fragen, »ob noch mehr solche Helden auf der Schulbank säßen«, oder wenn sie in der Laune war, war sie so spöttisch, sich zu erkundigen, ob es wahr wäre, daß Grethe Nielsen ihm abends, ehe er zu Bett ginge, seine biblische Geschichte überhöre.

Er konnte nicht begreifen, woher sie das wußte. Sie hatte aber auch immer etwas auf Grethe Nielsen!

Grethe war Madame Nielsen's sechszehnjährige Tochter, ein schwarzhaariges, hübsch gewachsenes Mädchen mit einem recht anmutigen Wesen. Bernt hielt viel von ihr, – aus vielen Gründen und auch schon darum, weil sie wie eine Erwachsene aussah. Freundlich und aufmerksam, war sie immer bereit, ihm aus mancher Verlegenheit im Hause zu helfen. Sie trocknete seine Kleider im Backofen, ohne daß die Mutter es wußte, wenn er seine Experimente und Seestudien auf dem alten Prahmen gemacht hatte, und reparierte auch in aller Stille seine Garderobe.

Einig waren er und Polly aber in allem, was seine Arbeiten und Beschäftigungen auf dem Takelboden betrafen. Während er in den Freistunden da oben mit den andern Arbeitern saß, und fleißig wie nur einer war, konnte sie, die Hände auf dem Rücken, sehr eifrig vor ihm stehen und ihn aufmerksam beobachten. Bernt machte sich dann auch mit alten Rutlandsgeschichten breit, und tischte auf, was er nur finden konnte, – auch manches ziemlich unwahrscheinliche, was er von dem Mann in Stavärn gehört haben wollte, wie der »Rutland« während eines Winters draußen im Ocean mit erfrorener Mannschaft gefunden sei und wie das Schiff einmal einen Capitän gehabt habe, der so dick gewesen wäre, daß er die Kajütentreppe nicht habe herunterkommen können.

Was Polly mit etwas Mißvergnügen ansah, war, daß er immer mehr nach dem Schiffswerft ging auf der andern Seite der Stadt. Er zeichnete da Schiffe, baute Modelle und berechnete die Länge derselben im Verhältnis zur Breite, die Stellung der Masten u. s. w. Wenn er aber dann seine kleinen Schiffe nach dem Takelboden brachte und sie Polly zur Verwahrung anvertraute, wurde sie ebenso eifrig, wie er, und sie schwärmten in dem Gedanken, ein solches Schiff, wie er es sich ausgedacht, wirklich auf der See vor sich zu haben, lang und schlank in der Wasserlinie, am Bugspriet hübsch gebogen, hoch und luftig, – leicht in den Masten und Raaen, scharf wie ein Rasirmesser im Bug.

Dann lernte er auch den Cubikinhalt eines Schiffes zu berechnen, und vor jedem Modell sah er im Geist eine neue Welt, und Polly träumte sich dann auch an Bord des Schiffes, ... »Aurora«, »Falke«, und »Der Versuch« passierten einer nach dem andern die offene See.

Auch hier kamen sie indessen oft hart aneinander; denn Polly war ziemlich hitzig; am wenigsten wollte sie von den Segeln wissen, die Grethe Nielsen gemacht hatte! – – –

Als Christensen in diesem Jahre gegen Weihnachten wieder nach Hause kam und sein Schiff aufgelegt hatte, fand er zu seiner Verwunderung nicht weniger als drei Briefe vor, in welchen die Obrigkeit ihn für verschiedene Fälle zu einem Vertrauensposten ausersehen hatte. – Was war das? Konnte er sich doch im vorigen Jahre getäuscht haben? ... Etwas Rätselhaftes hatte doch in der Luft gelegen! ... Indessen die Thatsache lag nun einmal vor und versetzte ihn in einen vortrefflichen Humor.

Aber in seinem ganzen Leben kam für ihn kein Licht in dieses Dunkel hinein, – dafür hatte seine Frau treulich gesorgt sowohl bei dem Amtsrichter Nörregaard, als auch bei dem Stadtrat. »Der Schatten sollte sein verwundetes Herz nicht mit trüben Gedanken erfüllen.«

Aber wie war Bernt herangewachsen! Wie hatte er sich herausgemacht und was für ein prächtiger Bursche war er geworden! »Sieh' nur, Christensen, sieh' doch! – Ja, Madame Nielsen ist eine tüchtige Frau!«

Madame Christensen lebte nur in Bernt. Jetzt war auch Polly bei ihr in der Speisekammer, um ihren Bericht zu erstatten.

Sie hatte viel zu erzählen, aber Polly hatte ja auch eine rasche Zunge und blieb nie eine Antwort schuldig. Wie sie einmal draußen vor dem Felsenriff mit dem kleinen Prahm, zu welchem Bernt sich ein großes Bootssegel geliehen hatte, umgeschlagen waren, davon schwieg sie natürlich; das hatte auch Madame Nielsen nicht erfahren; – im Großen und Ganzen aber war Polly ziemlich offenherzig. Sie fühlte es ja auch, wie der Born der Vergebung reichlich fließen würde, und daß jedes anerkennende Wort seiner Mutter ebenso willkommen sein würde, wie der versprochene Honigkuchen mit Succade ihr, wenn er endlich einmal aus einer oder der andern Kiste ans Tageslicht kommen sollte.

»Und diese Zeugnisse, die er bekommen hat, Polly! Christensen war ganz überrascht. Bernt muß ungeheuer fleißig gewesen sein!«

Polly schwieg und antwortete nur: »Sie sagen alle, es würde ihm so leicht.«

»Das hat er von Christensen, Polly! ... Christensen hat im Grunde einen ausgezeichneten Kopf, besonders kann er ausgezeichnet gut rechnen ... Willst Du die silberne Uhr einmal sehen, die wir Bernt zur Confirmation schenken wollen? – es bleibt dabei, daß er im Frühling confirmiert wird, – aber Du darfst nicht sagen, daß Du sie gesehen hast. Sieh' her!«

»Im Frühling? – Dann soll Grethe Nielsen auch confirmiert werden,« – fügte Polly erläuternd hinzu.

»Ja, die beiden sollen zusammen vor den Altar treten.«

Polly verfiel plötzlich in tiefe Gedanken.

»Höre, Polly! – Sprich nun aufrichtig! ... Er hat wohl viele Prügeleien gehabt?«

»Nei ... n! ... Nur ein einziges Mal. Aber da hatte er auch nicht angefangen! Er fischte draußen vor der Tonne. Erst hatte er den Prahm da festgemacht, als Lars Enersen – der, den sie ›das Insekt‹ nennen – und einige andere auf einer Jolle nach ihm hinruderten, ihn ›Schiffer‹ nannten und ihn von seinem Platz wegjagen wollten ... Das wollte Bernt sich aber nicht gefallen lassen.«

»Lars Enersen? – Er hat es wohl im Mund, wie seine Mutter!«

»Und dann entstand eine Prügelei ... und dabei wurde seine ganze Hose zerrissen, daß er nicht wußte, wie er nach Hause kommen sollte, und alle lachten hinter ihm her. Aber weil Madame Nielsen es nicht erfahren sollte, kam Grethe, die immer so wichtig thut und ... und« – sie sprach in immer größerer Erregung – »ich hörte es von dem Mädchen, – setzte sich den ganzen Nachmittag hinten in die kleine Kammer und nähte die Hose wieder zusammen!« Polly suchte die Thränen, die ihr in den Augen standen, gewaltsam zu unterdrücken.

»Aber Polly! – das war gewiß nicht die einzige Prügelei ... es waren gewiß drei, vier! – – Nun, nun, Polly, denke nur nicht, daß ich darum böse werde! ... Hier, sieh' hier!« – sie schlug den Deckel einer Kiste zurück – »hier hast Du den Honigkuchen, den ich Dir versprochen habe, ächter holländischer mit Succade! ... Und nimm auch noch diesen kleinen, damit der große nach Hause kommt und Du Deinen Großvater auch traktieren kannst.«

Gegen Weihnachten wurde Madame Christensen sehr still und nachdenklich. Wie sollte sie es nur anfangen, Christensen zu bewegen, Bernt zur See gehen zu lassen? Bernt hatte schon öfters gefragt, was in aller Welt mit ihm werden solle, wenn er confirmiert wäre. Seine Mutter tröstete ihn dann und meinte, wenn er nur fleißig bei dem Prediger wäre, so würde sich schon später ein Ausweg zeigen; aber sie wolle den Vater nicht vor der Zeit beunruhigen ... »Aber bist Du auch dann noch fest entschlossen, so wollen Vater und ich schon mit einander überlegen!«

Bernt schien indessen trotzdem Unrat zu merken, denn er ging immer traurig einher; doch beschäftigte ihn der Gedanke an die Confirmation sehr, und wie überall, so war er auch in diesem Unterricht sehr eifrig. Was ihn aber auch hier anspornte, war der Gedanke, daß er dadurch sein höchstes Ziel, zur See zu gehen, eher erreichen könne.

In dieser Zeit war er auch nicht viel bei Polly auf dem Takelboden. Er wollte in der Schule und bei der Confirmation gut bestehen, um dann zu seinem Vater sagen zu können, daß er zur See wolle.

Er und Grethe Nielsen waren immer die Ersten, und es konnte kein Zweifel sein, daß sie darum auch bei der Confirmation den ersten Platz erhalten würden.

Christensen war in diesem Winter immer sehr vergnügt und aufgeräumt. Eines Tages ging er so, auch eine muntere Seemannsweise flötend, in der Stube auf und ab. Er sagte indessen nichts, ehe Bernt, wie gewöhnlich, nach seinem Zeugnisbuch gefragt war. Endlich kam es heraus:

»Nun hab' ich erreicht, was ich immer wollte, Mutter! Berg hat mir einen festen Platz für Bernt auf demselben Werft in Shields verschafft, wo sein Sohn in der Lehre war. Das nenne ich Glück!«

»Ja, aber ich habe keine Lust dazu!« bemerkte Bernt.

»Ich denke, Du hast Lust zu Allem, was Dein Vater mit Dir im Sinne hat!«

»Nein, ich –« ... Bernt schwieg in Folge eines bedeutsamen Blickes seiner Mutter plötzlich still.

»Ich denke doch, – und dabei bleibt's! Solltest Dich freuen und recht dankbar sein, wenn Deine Eltern Dir zu einem so guten und ordentlichen Beruf verhelfen. Du kannst glauben, daß uns das etwas kostet! Oder meinst Du, daß ich so viel Geld habe, daß es mir aus allen Taschen herausfällt? ... Nein, Du gehst nach Shields!«

»Ich will nicht nach Shields!«

»Bernt!« – warnte seine Mutter.

Er schwieg, aber sah trotzig aus.

»Brummst Du?«

»Nein, Christensen! Du siehst ja, der Junge will sich nach Deinem Willen richten, wenn er auch nicht recht darauf vorbereitet war.«

»Und wir sind ja schon lange darüber einig, Gertrud!«

Bernt saß mit Thränen in den Augen und bitteren Gefühlen im Herzen da.

»Lieber Christensen!« Du siehst ja, Bernt fügt sich Dir in Allem.«

»Das verlange ich auch!«

Madame Christensen sah still zu, wie Bernt seine Mütze nahm und sich aus der Thür schlich. Es kostete ihrem mütterlichen Herzen viel, den Kampf nicht schon heute zu eröffnen; aber sie kannte ihren Mann zu gut und wußte, daß sie jetzt keine Aussicht auf einen entscheidenden Sieg habe. Sie sah es ein, daß der Kampf ein schwerer werden würde, aber sie konnte sich doch so weit überwinden, ihrem Manne eine freundliche Miene zu zeigen. Sie wollte den Kampf lieber wieder aufnehmen, wenn sie einen confirmierten Sohn mit eigenem Willen neben sich habe.

Der Confirmationstag fing mit einem rechten Aprilwetter an, bis die Sonne durchbrach und es in der gefüllten Kirche recht schön warm wurde. Christensen und Madame Christensen saßen sehr glücklich da und sahen ihren wackern Bernt auf dem ersten Platz im Kirchengang, Grethe Nielsen gerade gegenüber! Madame Christensen war sehr bewegt und weinte viel, ja es gab Augenblicke, wo sie ihren Sohn vor Thränen nicht sehen konnte. Sie konnte nicht anders, aber es war ihr, als läge etwas wie ein schwerer Druck auf ihr, ... eine oder die andere trübe Ahnung!

Die Gratulationen waren vorüber und der festliche Sonntag lag hinter ihnen. Bernt ging nun mit seiner Uhrkette auf der Weste umher, aber die Freude wollte doch noch nicht so recht durchbrechen. Auf den Confirmationstag hatte er alle seine Hoffnungen gesetzt, und wie manche Luftschlösser und große Illusionen trug er nicht mit sich herum. Das freie Land der Erwachsenen lag leuchtend vor ihm! Wenn er confirmiert war, wollte er Heuer nehmen für eine Fahrt über den Ocean, ... er wollte Californien sehen und Cap Horn und die Neger und all' die fremden Völker, auch die, von denen der Bergenser erzählt hatte, »die Schlangen wie Aale essen«; – dann wollte er ein tüchtiger Seemann werden, erst Steuermann und dann Capitän! ... Hinter dem Confirmationstag lag vor seinen hoffenden Augen das ganze blaue Meer mit all' seinen Schiffen, Abenteuern und Gefahren. Er hatte auf der Schule gearbeitet und war fleißig gewesen, um diesen Tag zu sehen! Und nun ging er mit der ganzen Sehnsucht seines Herzens still umher und wartete auf die Worte seiner Eltern, die alle Hindernisse wegräumen und ihm die Erlaubnis geben sollten, in See zu gehen. Der schwarzhaarige Knabe hatte, so jung er war, etwas im Gesicht, was an seinen Vater und an seine Mutter erinnerte: der feste Wille beider.

Er ging auch noch nach der Confirmation, wie früher, zur Schule, aber er zählte die Tage, bis die Stunde der Freiheit schlagen würde. Er wußte es wohl, daß ein Kampf zwischen seinen Eltern unvermeidlich war, aber er hatte es noch nie erlebt, daß seine Mutter ihren Willen nicht durchgesetzt hätte, wenn sie etwas ernstlich wollte. Als er eines Nachmittags nach Hause kam, warf er seine Bücher unmutig auf den Tisch:

»Aber, Mutter, soll es denn nie zum Schluß kommen? Was hilft's denn, daß ich zwischen der Schule und unserm Hause hin- und herlaufe und laviere. Ich halte es auch nicht länger aus! Du mußt jetzt vorwärts gehen!«

»Und Du willst zur See, Bernt? ... und hast Dich fest entschlossen und willst Dich nicht noch bedenken?«

»Mich bedenken? ... Sagst Du das? oder hat Vater ...«

»Ich wollte nur wissen, ob Du fest wärest; denn wenn das nicht wäre, Bernt, dann könntest Du es mir ersparen, ...«

»Vater ging ja auch zur See!«

»Darum will er Dich nicht zur See haben!«

»Ich will zur See, ... Du mußt bald mit ihm sprechen, Mutter! Es muß ein Ende haben!«

»Das können wir haben, ehe wir es wollen, Bernt! Du kennst Deinen Vater nicht!«

»Ich bin confirmiert! – er braucht nicht mehr für mich zu wollen; ich kann's selbst!« – sagte er trotzig.

»Bernt!«

»Nach Shields gehe ich nicht! – Ich gehe zur See!«

»Ohne Deines Vaters Erlaubnis?«

»Er muß es mir erlauben!«

»Wie meinst Du das, Bernt?«

Bernt antwortete nicht.

»Sage mir gleich, wie Du es meinst!«

»Ich will zur See, Mutter! und ich kann nicht länger warten! ... Schickt er mich nach Shields, so sieht er mich nie wieder!«

»Bernt! Bernt! Du willst uns doch keinen Schmerz bereiten?« – Seine Mutter sah ihn traurig an.

»Werd' nur nicht gleich so traurig, Mutter! Ich will es auch Vater selbst sagen; mehr als tot schlagen kann er mich doch nicht, – und dann komme ich jedenfalls nicht nach Shields!«

»Es wird mir bange für Dich, Bernt! Was wird noch einmal aus Dir werden!«

»Bange für Bernt?« – klang es durch die Thür. Es war Christensen, der unterdessen nach Hause gekommen war. »Er soll ein tüchtiger Schiffsbaumeister werden ... In acht Tagen kannst Du die Schule verlassen, dann geht Stenersen's Brigg nach Shields und Du fährst mit ihr hinüber.«

»Ich will lieber zur See!«

»Ja, das wollen alle jungen Bursche gern, dann brauchen sie nichts zu lernen; aber es kommt die Reue später.«

»Bei mir nicht!«

»Bei Dir nicht? – Was weißt Du davon?«

»Ich will zur See; zu etwas anderm habe ich keine Lust.«

»Als wenn man immer thun könnte, wozu man Lust hat! ... Aber die Welt ist nun einmal nicht so, mein kleiner Freund! ... Und hat ein Schiffsbaumeister nicht auch mit der See zu thun?«

»Nach der Seefahrt auf dem Lande frage ich aber nicht viel!«

»Aber ich frage danach, ... verstehst Du! Und nun ist's gut! ... In vierzehn Tagen gehst Du mit Stenersen's ›Hertha‹ hinüber nach Shields, und unterwegs kannst Du grübeln, so viel Du willst.«

»Ich geh' nicht nach Shields!« sagte Bernt trotzig.

»Da wird's wohl erst einmal etwas geben müssen, mein lieber Bernt!« – Christensen ging auf ihn zu.

»Lieber Christensen! ist es nicht besser, wir sprechen einmal ordentlich über die Sache? ... Wenn er nun doch so große Lust zum Seemann hat ...«

»Das ist recht, Mutter! hilf Du ihm nur auch noch! Sieh' nur, was für eine Gans Du werden kannst, wenn's sich um Deinen Bernt handelt!«

»Könnt' es auch sein, wenn's sich um Dich handelt, Christensen! Kommst Du mir mit solchen Vorwürfen? Ja, ich könnte mir für Dich meine letzte Feder ausrupfen!«

Christensen stutzte. Er liebte keine rührenden Scenen, darum sagte er kurz und barsch: »Mit oder ohne Feder! – es läßt sich nun nicht mehr ändern!«

»Du wirst doch Verstand annehmen, hoffe ich!«

»Ich weiß, was ich will.«

»Wir müssen uns aber doch hüten, die Zukunft unsers Sohnes nur nach unserm eigenen Willen zu bestimmen, Christensen!«

»Ich meine, Du trägst das Deinige dazu bei, den Jungen aufsäßig zu machen!«

»Ich will nur, daß er es merkt, daß wir nach reiflicher Ueberlegung handeln und nach bestem Gewissen, Christensen!«

»Nach reiflicher Ueberlegung? ... Nach reiflicher Ueberlegung?« Er ging hastig auf und ab. »Willst Du's wissen, so kann ich Dir sagen, daß ich darüber nachgedacht habe, seitdem er geboren ist, ... sechszehn Jahre! Oder meinst Du, ich kennte den Schifferberuf nicht? wüßte nicht, wie ein Steuermann dem andern auf die Füße tritt und jeder sobald wie möglich Capitän werden will, – und hat er dann gemerkt, was das heißt und welche schwere Verantwortung er dadurch auf sich geladen hat, ... dann verflucht er den Tag, an welchem er zur See gegangen ist. Und dann will er wieder an Land, – aber dann glückt's ihm auch nicht mehr so leicht, – und er muß doch für seine Familie sorgen!«

»Eine Verantwortung hat jeder Beruf, Christensen!«

»Aber nicht so, wie zur See, sage ich Dir! ... Es ist ein flotter und lustiger Matrose noch kein rechter Seemann! ... Dazu gehört noch etwas anderes, und ein verständiger Vater sollte am wenigsten wünschen, seinen Sohn zur See gehen zu lassen!«

»Wenn Du lange auf dem Lande gewesen bist, sehnst Du Dich selbst nach der See! ... und wir kennen ja auch viele Capitäne, die es gut haben und glücklich sind.

»Einige, ja!«

»Viele, viele, Christensen!«

»Weil sie fünf gerade sein lassen und diesmal das Himmelswetter vergessen, das sie zuletzt draußen erlebt haben! ... Und man kann sich auf mancherlei Weise die Verantwortung vom Halse schaffen. Ja, ich weiß es, Mutter! – und es giebt auch andere die, rein heraus gesagt, die schwere Verantwortung nicht ertragen können, und das sind vielleicht die, die von Anfang an die besten und mutigsten waren!« – Christensen sagte es mit tiefem Ernst, wie wenn er von den Erinnerungen seines eigenen Lebens ergriffen wäre.

»Du denkst, daß Alle so sind, wie Du, Christensen! Du bist immer verdrießlich, wenn Du fremde Güter am Bord hast. Aber so wird man kein rechter Seemann, ... und so, meine ich, kommt man überhaupt nicht vorwärts!«

»Ich kenne mein eigen Fleisch und Blut und setze deshalb meinen Sohn den Gefahren nicht aus!« – Es schien ihm schwer zu werden, diese Worte herauszubringen. »Aber überlege Du es Dir auch! – Du weißt nun, was ich will ... und Du, Bernt, denke ich, auch! Willst Du je von mir einen Schilling haben, um vorwärts zu kommen, so sei gehorsam!« – Die Adern an seiner Stirn wurden blau und seine dunklen Augen brannten drohend über Mutter und Sohn.

Es ward still in der Stube, der Vater ging langsam auf und nieder, während Bernt mit niedergeschlagenen Augen da saß und seine Zähne zusammenbeißen mußte, um nicht in ein wildes Schluchzen auszubrechen. Christensen nickte ihm ungeduldig zu und Bernt verstand, daß er die Stube zu verlassen habe.

Als er hinausgegangen war, wurde es drinnen, wo möglich, noch schwüler und drückender. Madame Christensen hatte ihre Näherei fallen lassen und sah mit entschlossener Miene vor sich hin.

»Ist es nicht Zeit, daß Du das Licht anzündest, Gertrud?«

Sie wandte sich auf dem Stuhl nach ihm hin: »Sag' mir, Christensen, läßt Du den Knaben wirklich so von Dir gehen? ... ich hätte fast gesagt, den Knaben und auch mich? – und wie's scheint, willst Du die Verantwortung nicht auf Dich nehmen!«

»Weil ich weiß, was ich will!«

Dann trat wieder eine unheimliche Stille ein; Madame Christensen's Brust ging heftig auf und nieder. Wär' es nicht so dunkel gewesen, so würde er gesehen haben, wie bleich und mit zusammengepreßten Lippen seine Frau vor ihm saß. Endlich sagte sie mit erzwungener Ruhe: »Ich hätte mir nie gedacht, Christensen, daß Du so wenig auf das geben würdest, was ich wünsche.«

»Einer muß das Rad halten, Mutter, und das Steuer lenken, – und der bin ich! ... Du hast es manches Jahr gehalten und Dank dafür geerntet, und ich habe mich nicht groß darum gekümmert, daß der eine oder andere vielleicht dachte, ich wäre ein Tropf. Aber« – er trat näher an sie heran und sah ihr scharf in die Augen – »glaubst Du auch, daß ich es wirklich bin, Gertrud, so magst Du das Jahr über hier still an Deinem Spinnrocken sitzen!«

Sie sah plötzlich die beleidigte Mannesehre auflodern und verstand, daß ihre eigene Stellung gefährdet werden könne. Sie hatte über seinem nachgiebigen und gutmütigen Wesen vergessen, wovon sie doch im tiefsten Herzen eine dunkle, respektvolle Ahnung gehabt hatte, daß er, wenn er zum Aeußersten gebracht würde, eine gewaltsame, unbezwingliche Natur sein könnte, und sie dachte in diesem Augenblick an die eiserne Hand, die sie einmal, als sie noch Jungfrau Een war, am Bord des »Rutland« fest und ruhig auf das Verdeck niederdrückte.

Es waren keine freundlichen Augen, die auf ihm ruhten, sondern es waren die Augen einer verletzten Mutter und einer Frau, die bisher geglaubt hatte, ihren Mann beherrschen zu können, und es nun einsah, daß sie sich beugen müsse. Mit einem kurzen: »Du hast natürlich zu entscheiden!« erhob sie sich und zündete das Licht an. Aber während sie mit einander aßen und auch nachher, als er während des ganzen Abends über seinen Büchern saß und rechnete, kam kein Wort über ihre Lippen.

Nur zu Bernt sagte sie, als dieser zu Bett gehen wollte: »Du hörst, Bernt, Dein Vater will es nicht! Er hat Dir selbst die Gründe angegeben und wir müssen uns darein finden und gehorsam sein!«

Seit diesem Abend, an welchem Christensen so seinen Willen durchgesetzt hatte, war zwischen ihm und seiner Frau eine gewisse Spannung eingetreten. Während sie stets immer alles lang und breit mit ihm besprach, kam sie jetzt nur dann und wann mit einer kurzen Frage zu ihm über die Aussteuer Bernt's und über die Kiste, die genommen werden sollte, sowie über die Art und Weise, in welcher er sich in Shields einrichten müsse. Er fand sich indessen bald philosophisch darein, daß sie diese Tage vor der Reise etwas kalt und gemessen gegen ihn war. Und sie mußte auch ihre Zeit haben, um sich darein zu finden, daß es jetzt nicht mehr nach ihrem Sinn gehe.

Madame Christensen that redlich das Ihre, um ihren Sohn mit der Bestimmung seines Vaters auszusöhnen; aber er wich ihr immer aus und brach die Gespräche ab, die sie wegen der Reise mit ihm anknüpfte.

»Ein Jahr in Deinem Alter ist nicht so viel! ... und vielleicht kann ich während der Zeit ja auch Deinen Vater umstimmen; man muß ihn in Güte anfassen, weißt Du.«

»Ja! ... und dann nach einem Jahr wieder als Schiffsjunge anfangen, – vielleicht und vielleicht auch nicht!«

»Jetzt mußt Du Dich fügen, Bernt, einen andern Rat kann ich Dir nicht geben!«

»Aber mir scheint, weil ich doch konfirmiert bin, hätte ich gefragt werden können. – Warum bekomme ich mein blaues Hemd nicht mit, Mutter?«

»Das alte, ... zerrissene?«

»Thut nichts. Du kannst es ja wieder zusammennähen! Wer weiß, wozu es gut ist!« – Dann band er seine Bücher mit einer Schnur zusammen, und sagte: »Vater will, daß ich sie in der Schule verkaufe, weil man drüben nur englisch liest. Aber weißt Du, was ich am liebsten thäte, Mutter? ... sie in einem Sack mit einem Stein draußen auf der See ins Wasser werfen!«

»Bernt! Du solltest mich vor Deiner Abreise nicht so betrüben! Es ist schon so hart genug, mein lieber Junge!«

»Ach, Mutter – ich werde Dir auch schreiben!«

»Höre, Bernt! Du mußt auch Deinem Vater hübsch schreiben, – immer uns Beiden. Soll ich ihn zu einer andern Meinung bringen, muß er von Dir nur Gehorsam sehen. Vergiß nicht, was ich Dir jetzt sage, Bernt! So oft Du schreibst, denke daran ..., denke daran, daß ich vor Dir stehe und Dir das sage!« – Die Thränen traten ihr in die Augen, ... und auch die folgenden Tage, wenn sie daran dachte, daß ihr Sohn nun bald von ihr Abschied nehmen und in ein fremdes Land gehen müsse.

Zwei, drei Tage später ging Bernt nach England. Sein Vater und seine Mutter, Madame Nielsen und ihre Tochter Grethe, wie auch Polly Kjelsberg waren mit im Boot, als Stenersen's Brigg lichtete. Der einzige außer Christensen, der nicht weinte, – das hatte Madame Nielsen wohl bemerkt – war Bernt. Er sah ziemlich unbewegt aus und flüsterte Polly, die den ganzen Tag mit roten Augen herumgegangen war, leise zu:

»Zum Henker, Polly, glaub' doch nicht, daß ich hinübergehe, um Zimmermann zu werden.«


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