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XII.
Trauer

Am zwölften Tage nach der Abreise hatten die Rheder die Nachricht erhalten, daß die Brigg glücklich in Shields angekommen sei und Kohlen lade; aber es verging ein Tag nach dem andern, eine Woche nach der andern, ohne daß ein Wort von Bernt kam. »Rutland« war wieder mit Fracht für Christianssand und andere nordische Städte in See gegangen und Madame Christensen hatte vorher noch dafür gesorgt, daß ihnen jeder Brief so schnell wie möglich nach den verschiedenen Oertern nachgeschickt würde.

Es war ein Monat ohne Nachricht von Bernt vergangen; da ward ein Brief nach Shields auf die Post gegeben und ihm geschrieben, wohin er seine Briefe adressieren solle, da vermutlich sein Brief verloren gegangen sei.

Sie hatten inzwischen in Christianssand und Bergen gelöscht und waren mit Rückfracht wieder nach dem Süden gegangen. Madame Christensen wartete und wartete auf einen Brief von Bernt und zählte in äußerster Unruhe die Tage, ja, sie wollte schon polizeiliche Maßregeln in Anspruch nehmen, als endlich – als sie von Kleven nach Mandal gehen wollten – der ersehnte Brief ankam. Es war ein wunderbarer Brief, der Madame Christensen in den Händen brannte von dem Augenblick an, wo sie ihn im Posthause in Empfang nahm, bis sie ihn glücklich ihrem Mann am Bord gebracht hatte. Auf dem Couvert stand der Stempel Gibraltar! – und das Herz zog sich ihr in der Brust zusammen. Sie konnte und wollte ihn nicht öffnen, ehe sie bei Christensen war.

Als dieser sie dann mit dem Brief in der Hand kommen sah, brach er, erschrocken über ihr bleiches, verstörtes Gesicht, in die Worte aus: »Was ist denn für Unglück passiert, Gertrud! Ist Bernt ...?«

»Nein, Gott sei Dank, es ist seine eigene Hand!« Dann sah sie auf den Brief und gab ihn Christensen.

»Gibraltar!« – Er wechselte seine Farbe und riß ihn auf. »Gibraltar! ... Lies es mir vor! ... Lies es mir vor, hörst Du!« donnerte er sie an. »Ach, nein«, – er sah sich nach der Mannschaft auf dem Deck um, und sagte leise: »Laß uns hinuntergehen, Gertrud!«

Am Nachmittage lag »Rutland« bei schönstem Wetter mit vollen Segeln zwischen den Scheeren, um ostwärts in offene See zu gehen.

Madame Christensen saß auf einer Bank am Schiffsrand, mit dem Brief in der Hand unter ihrem Shawl und starrte schweigend vor sich hin, ohne Christensen anzusehen, der, die Hände auf dem Rücken, finster, ja fast drohend auf und ab ging. Dann und wann stand er still. Sie sah angegriffen und aufgeregt aus; man konnte es ihren Augen ansehen, daß sie geweint hatte. Sie nahm immer wieder den Brief vor sich und ließ ihn dann immer wieder fallen. Er war nur kurz und lautete so:

 

»Liebe Eltern!

Ihr müßt nicht traurig werden, wenn Ihr von mir einen Brief aus Gibraltar erhaltet; aber ich hatte mir selbst das Gelübde gegeben, daß ich nicht nach Shields oder irgend wo andershin wollte, sondern zur See. In Shields nahmen sie mich gleich an Bord der ›Dancing girl‹ als Schiffsjunge, Vollsegler, vier und zwanzig Mann, – nach dem Mittelmeer. Der Kapitän sagte, ich taugte als young man, ein und einhalb Pfund Sterling Heuer, nachdem ich in einer Nacht bei schwerer See unter Portugal mit am Bramraa gerissen hatte. Jetzt gehen wir nach Kap Bona und dann nach Smyrna. Da will ich bei dem Konsul nach einem Brief von Euch fragen. Vergebt mir nun, liebe Eltern; aber ich konnte nicht anders handeln, ohne das ganze Glück meines Lebens zu zerstören, und seid, Vater und Mutter und alle Lieben gegrüßt von Eurem in allem andern stets gehorsamen und ergebenen Sohn

Bernt.«

 

Christensen's erster Ausbruch in der Kajüte war fürchterlich gewesen. Feuerrot im Gesicht war er in die Worte ausgebrochen: »Er könnte ebenso gut tot und weg sein, – meinethalben jetzt!« – und nach einer Pause: »Mein Sohn ist er nicht mehr! ... Schreib' ihm das!«

Dann hatte seine Nase eine ganze Weile geblutet, und nun waren auf dem Deck zwei elektrische Gewitterwolken, die sich gegen einander entladen mußten. Plötzlich stellte er sich gerade vor seine Frau hin und sagte mit finsterer Stimme: »Weißt Du, weshalb er das gethan hat, Gertrud? ... Du antwortest nicht. Nun, ... es ist auch ebenso gut! Darum, weil seine Mutter mit ihm gegen den Vater zusammen hielt!«

Sie gab noch immer keine Antwort; aber ihr Blick wies diese Beschuldigung in einer Weise zurück, daß er über den Schmerz, den er in ihrem Gesicht sah, erschrak.

»Ja wohl Mutter; – Ich sehe, Du wärest lieber da unten in Gibraltar oder Cap Bona bei ihm, statt hier bei mir! Aber ... Er wandte sich dann plötzlich um und ging nach dem Steuermann, der an dem in dem stillen Wetter leise sich hin und her bewegenden Ruder müßig stand. Geh' nur, Martin, ich will hier schon aufpassen!«

Als dieser gegangen war, wandte er sich wieder zu seiner Frau. »Ich will Dir etwas sagen! Von der Stunde an, da Du Dich erkühnt hast, mit ihm mir zu trotzen und meinem Recht als Vater entgegen zu treten, ist es vorbei mit der alten Melodie ›mit Madame Christensen fahren!‹ Dieses Weiberregiment und dieses Handeln an der Küste bin ich leid. Wir machen nun wieder unsere alten großen Reisen, wo der Mann zu sagen hat, ... und magst Du nicht mit, kannst Du zu Hause bleiben!«

»Wie Du willst, Christensen! ... Ich sehe, daß Du zu Vielem fähig bist, ... Deinen Sohn schickst Du von Dir weg und auch Deine Frau, den einen hierhin, die andere dahin!«

»Wozu ich fähig bin, kann einerlei sein! ... Aber nun sprich nicht wieder davon! Hörst Du, Gertrud! Ich habe meinen einzigen Sohn, auf den ich viele Hoffnungen setzte, ... verloren. Ich dachte, er sollte etwas Besseres werden, als ich werden konnte! ... Mehr will ich nicht verlieren! Sei nun klug, die Geschichte nicht wieder aufzurühren, wie ich sehen will, ob ich sie vergessen kann! Ich bitte Dich darum um meinet- und um Deinetwillen, Gertrud! Wollte nicht gern auch Dich verlieren! ... Seine Briefe dürfen mir nicht vor Augen kommen!«

Ueber Madame Christensen's Lippen wollten schon harte und bittere Worte wegen seines Eigenwillens und seines blinden, herzlosen Auftretens gegen seinen einzigen Sohn kommen, und wie er und nur er allein die Verantwortung trage, – aber sie schwieg.

Die Abendsonne sank ins Meer. Vor dem blauen Skager Rack lagen unzählige weiße Segel, die See war hier still, wie selten, nur »Rutlands« großer Raabaum schlug unruhig hin und her, wie wenn er seinen Ballast im Kiel verloren hätte.

Sie wartete beim Abendessen ihrem Manne schweigend auf, setzte ihm dann einen warmen Trunk hin, ... aber während des ganzen Abends und der ganzen Nacht und dann nachher noch viele Tage und Nächte waren diese beiden Menschen von einander geschieden, ... Jeder hatte seine eigenen Gedanken, Jeder trug seine eigene Last.


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