Magnus Gottfried Lichtwer
Fabeln
Magnus Gottfried Lichtwer

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Die Schnecke und die Grille.

        Recht langsam, Schritt vor Schritt, mit viel Behutsamkeit,
                Kroch eine wohl belad'ne Schnecke
                Zu einer nahgeleg'nen Hecke.
Der Weg, so kurz er war, war für die Schnecke weit,
Ein Zeiger an der Uhr kann nicht so sachte gehen.
Sie zieht die Hörner ein, sie streckt die Hörner aus,
                Jetzt bleibt sie eine Weile stehen,
                Nun drückte sie das Schneckenhaus.

                    Hier pries sie das Geschick der Grille,
                Die an dem Wege saß, und sang:
                Wie leicht ist sie, wie schnell ihr Gang!
                Sie lebt und singt in edler Stille,
                Ein Sprung setzt sie in Sicherheit;
Wenn meine Wohnung mich verbindet auszuhalten,
                Und in der Sorge zu veralten.

                    Die Grille nahm sich hier die Zeit,
                Die Schnecke heimlich zu belauschen,
D'rauf zwitscherte sie ihr zum Trost die Worte zu:
                Wie gerne wollt' ich mit dir tauschen!
Plagt mich die Witterung, so liegst und ruhest du
                Bequemlich, zugedeckt, verschlossen;
Oft such' ich in der Nacht, kalt, hungrig und verdrossen,
Die Ruhe, die dich längst mit sanften Flügeln deckt;
Wenn mich der Winterschnee mit Tod und Krankheit schreckt,
                Wenn ich mich mit dem Hunger quäle,
                So nährst du dich in deiner Höhle.

 

                    Nun ist die Grille fortgehüpft.
                Ich schließe so aus ihrer Klage:
                Wer ledig ist, hat seine Plage,
Und mancher Eh'stand ist auch oft mit Noth verknüpft.


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