Magnus Gottfried Lichtwer
Fabeln
Magnus Gottfried Lichtwer

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Der Vater und die drei Söhne.

            Von Jahren alt, an Gütern reich
Theilt' einst ein Vater sein Vermögen,
Und den mit Müh' erworb'nen Segen
Selbst unter die drei Söhne gleich.
Ein Demant ist es, sprach der Alte,
Den ich für Den von euch behalte,
Der mittelst einer edlen That
Dazu den größten Anspruch hat.
Um diesen Anspruch zu erlangen,
Sieht man die Söhne sich zerstreun;
Drei Monden waren schon vergangen,
Da stellten sie sich wieder ein.

    Drauf sprach der Aelteste der Brüder:
Hört! es vertraut' ein fremder Mann
Sein Gut ohn' ein'gen Schein mir an,
Dem gab ich es getreulich wieder.
Sagt, war die That nicht lobenswerth?
Du thatest, Sohn, wie sich's gehört,
Ließ sich der Vater hier vernehmen,
Wer anders thut, der muß sich schämen,
Denn ehrlich seyn heißt uns die Pflicht.
Die That ist gut, doch edel nicht.

    Der Andre sprach: Auf meiner Reise
Fiel einst ganz unachtsamer Weise
Ein armes Kind in einen See,
Ich aber zog es in die Höh',
Und rettete dem Kind das Leben;
Ein Dorf kann davon Zeugniß geben.
Du thatest, sprach der Greis, mein Kind!
Was wir, als Menschen, schuldig sind.

    Der Jüngste sprach: Bei seinen Schafen
War einst mein Feind fest eingeschlafen
An eines tiefen Abgrunds Rand,
Sein Leben stand in meiner Hand.
Ich weckt' ihn, und zog ihn zurücke.
O! rief der Greis mit holdem Blicke,
Der Ring ist dein. Welch edler Muth,
Wenn man dem Feinde Gutes thut!


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