Magnus Gottfried Lichtwer
Fabeln
Magnus Gottfried Lichtwer

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Der Maulwurf.

                Ein Maulwurf, der durchaus ein Weiser heißen wollte,
Warf vor Betrachtungen, worin er sich verlor,
Fast keinen Haufen auf; er schloß auch noch zuvor
Die Augen zu, daß ja ihn nichts zerstreuen sollte.
Die Nachbarn nöthigten einst diesen Sonderling,
        Mit ihnen einmal auszufahren,
Und da geschah's, als ihm die Augen offen waren,
Daß er ein Quittchen fand, das noch am Zweige hing.
Er rief dem Einen zu, der ihm erklären mußte,
Was dieses Ding wohl sey, und hörte den Bericht
    Verächtlich an, und sprach. Man wundre sich nur nicht,
        Daß ich es nicht zu nennen wußte.
    Ein weiser Denkender, der sich in sich vergißt,
Kann so gemeines Zeug nicht in dem Kopfe tragen;
Doch will ich euch dafür jetzt eine Wahrheit sagen,
        Die Allen ein Geheimniß ist.
Was hilft's, daß ihr den Koth stets durch einander werfet?
        Glückselig ist, wer in der Ruh'
        Die Kräfte des Verstandes schärfet.
        Jedoch genug hiervon; hört zu.
Der runde Kloß, den ihr mir eine Quitte nennet,
        Hängt selber an des Zweiges Fuß,
Der Zweig hat einen Riß, wie ihr hier sehen könnet,
Drum folgt, daß er an was gehangen haben muß.
        Der Zweig ist stark, das Ding hingegen,
        Daran er hing, muß stärker seyn,
        Sonst hätt' es ihn nicht tragen mögen,
Dies Stärk're hängt vielleicht an einem Andern fest,
Was noch viel stärker ist, wie sich leicht schließen läßt,
        Dies hängt vielleicht an einem Dritten,
Das stärker, als die Zwei zugleich sammt Zweig und Quitten.
Hieraus mach' ich den Schluß: es können Zweige seyn,
Die noch viel dicker sind, als unser Drei vom Leibe.
So warte, bis man Dir, fiel ihm ein Andrer ein,
        Die Schuppen von den Augen reibe;
        Du Wurm, machst Du so großen Wind,
        Und weißt noch nicht, daß Bäume sind?

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