Magnus Gottfried Lichtwer
Fabeln
Magnus Gottfried Lichtwer

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Zweites Buch.

          Reizt dich ein edler Trieb, nach Art der alten Weisen,
Dem menschlichen Geschlecht die Tugend anzupreisen,
    So flöß' ihm, soll dein Fleiß nicht ohne Wirkung seyn,
    Zu guten Thaten Lust, für böse Abscheu ein.
Soll ich die Thorheit flieh'n, und mich zur Weisheit neigen,
So muß dein kluger Mund davon mich überzeugen,
    Wie vor des Narren Thür verdiente Strafen ruhn,
    Und Menschen selig sind, die Gutes willig thun.
Du hast allhier die Wahl von zwei verschied'nen Wegen,
Der eine Weg ist lang, und schwer zurück zu legen,
    Dem Pöbel ganz verhüllt, und Weisen nur bekannt,
    Dem leuchtete Vernunft, der hier den Ausgang fand.
Der andre Weg ist kurz, bequem und Jedem helle,
Erfahrung heißt der Weg. Sie führt zur Wahrheitsquelle,
    Von ihr wird, was Natur und ihr Gesetz begehrt,
    Durch wirklichen Erfolg, von Zeit zu Zeit, bewährt.
Weil aber oft Geschicht' und wahres Beispiel fehlen,
So stand Aesopus auf, uns Fabeln zu erzählen,
    Aesopus, Samos Schmuck, und Phrygiens Sokrat,
    Der mehr als eine Schaar von sieben Weisen that.
Er fand zuerst die Kunst, durch ein Gespräch von Thieren
Das menschliche Geschlecht im Scherz zu überführen.
    O Menschen! flieht den Geiz, ruft Thales warnend aus,
    Wer goldne Schlösser sucht, verscherzet oft sein Haus.
Wer allzu viel begehrt, hat Alles oft verloren,
So spricht der Philosoph, und predigt tauben Ohren,
    Er bringt Beweise vor, und Niemand achtet drauf;
    Jetzt aber tritt Aesop, der Fabeldichter auf,
Hört, hebt er an, ein Mensch, der Vieh zu halten pflegte,
Hatt' einst ein seltnes Huhn, das täglich Eier legte;
    Allein es legte stets von reinem Gold sein Ei.
    Er meinet, daß ein Schatz in seinem Leibe sey,
Und würgt das gute Huhn. Wie kurz war seine Freude?
Das Huhn war andern gleich an Fleisch und Eingeweide.
    Jetzt bist du überzeugt, der Geiz sey nimmer satt!
    Und da er mehr begehrt, verlier' er, was er hat.
Nicht Kindern gibt Aesop blos Fabeln anzuhören,
Er predigt Männern auch, gibt auch den Greisen Lehren:
    Und wenn er lächelnd schon der Thiere Thun erzählt,
    So redet er von uns und zeiget, was uns fehlt.
Er gibt uns Bös und Gut begreiflich anzuschauen,
Er redet frei mit uns, und sucht uns zu erbauen;
    Hier malt ein redend Bild die Folgen unsers Thuns,
    Das Beispiel rührt das Herz, und überzeuget uns
Mehr, als nicht Gründe thun, die in verknüpften Schlüssen
Nur die, die sie verstehn, spät überführen müssen.

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