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Zweiunddreißigstes Kapitel

1

Zwei Abende, nachdem Elmers Mutter sich fast die Zuneigung ihres Sohnes verscherzt hatte, setzte er sich in seinem Arbeitszimmer daheim nieder, um drei oder vier Predigten vorzubereiten und hoffte, um elf im Bett sein zu können. Er wurde wild, als das litauische Mädchen kam und sagte: »Ist wer am Telephon, Doktor«; als er aber Hettie hörte, wurde seine Stimme wieder freundlich.

»Elmer? Hier ist Hettie.«

»Ja, ja, hier Dr. Gantry.«

»Oh, du bist so süß und komisch und würdig! Hört der lettische Küchentrampel zu?«

»Ja!«

»Hör mal, Liebling. Willst du mir einen Gefallen tun?«

»Selbstverständlich!«

»Ich bin so schrecklich allein heute abend. Hast du viel Arbeit?«

»Ich muß paar Predigten fertigmachen.«

»Paß mal auf! Bring dein kleines Bibellexikon mit und arbeit bei mir, ich werd 'ne Zigarette rauchen und dich anschauen. Möchtest du nicht … Liebster?«

»Selbstverständlich. Ich werde gleich da sein.«

Er erklärte Cleo und seiner Mutter, daß er gehen müßte, um eine alte Dame in extremis zu trösten, er nahm ihre Bewunderung für seine Märtyrerschaft entgegen und eilte davon.

2

Elmer saß neben Hettie auf dem Damastsofa unter der Stehlampe, streichelte ihr die Hand und erklärte, wie ungerecht seine Mutter wäre, als die Tür sich wuchtig auftat und ein kleiner Mann mit zuckendem Gesicht und Augen wie Bohrern hereinkam.

Hettie sprang auf und hielt eine Hand an ihren erschreckten Busen.

»Was wollen Sie hier?« brüllte Elmer, als er gleichfalls aufstand.

»Sch!« bat Hettie ihn. »Das ist mein Mann!«

»Dein –« Elmers Aufschrei war das Blöken eines gebissenen Schafes. »Dein – Aber du bist doch nicht verheiratet?«

»Ich bin verheiratet, verflucht! Oscar, schau, daß du hier rauskommst! Wie kannst du dir erlauben, so einzudringen!«

Oscar ging langsam, verständnisinnig in den Lichtkreis.

»Na, euch beide hab' ich!« kicherte er.

»Was soll das heißen!« tobte Hettie. »Das ist mein Chef, der ist hergekommen, um wegen irgend 'ner Arbeit mit mir zu reden.«

»Ja, na selbstverständlich … Heute nachmittag hab' ich mich's bißchen Geld kosten lassen, hier reinzukommen; ich hab' alle seine Briefe an dich.«

»Nein, die hast du nicht!« Hettie eilte zu ihrem Schreibtisch, stand da und blickte verzweifelt in eine leere Schublade.

Elmer versuchte sich vor Oscar aufzuspielen. »Jetzt hab' ich genug davon! Sie geben mir die Briefe und scheren sich hier raus, oder ich schmeiß Sie raus!«

Oscar zog nachlässig eine Pistole aus der Tasche. »Halten Sie den Mund«, sagte er, fast zärtlich. »Also, Gantry, das sollte Sie eigentlich an die fünfzigtausend Dollars kosten, aber ich glaub' nicht, daß Sie so viel auftreiben können. Aber wenn ich auf Entfremdung von Hetties Zuneigung klage, ist das der Betrag, den ich einklage. Wenn Sie sich aber ohne Gericht mit mir verständigen, auf 'ne nette kavaliermäßige Art, ohne ordinär zu werden, werd' ich Sie für zehntausend laufenlassen – und außerdem wird's keine Öffentlichkeit geben – oder, vielleicht kostet's Sie dann nicht Ihren heiligen Kragen!«

»Wenn Sie meinen, daß Sie mich erpressen können –«

»Meinen? Teufel! Ich weiß, daß ich kann! Ich werd' Sie morgen mittag in Ihrer Kirche aufsuchen.«

»Ich werd' nicht da sein.«

»Es wird besser für Sie sein, wenn Sie da sind! Wenn Sie bereit sind, sich bei zehntausend zu verständigen, schön; dann ist keinem was geschehen. Wenn nicht, laß ich meinen Anwalt (das ist Mannie Silverhorn, der geriebenste Winkeladvokat in der Stadt) morgen nachmittag Klage wegen Entfremdung einbringen – und sorg' dafür, daß die Abendblätter Extraausgaben drüber rausbringen. Tag, Tag, Hettie. Tag, süßer Elmer. Halt, Elmer! Schlimm, schlimm! Wenn Sie mich anrühren, knallt's! Bis dahin.«

Elmer starrte dem davongehenden Oscar nach. Er drehte sich rasch um und sah, daß Hettie grinste.

»Mein Gott, mir scheint, du steckst dahinter!« rief er.

»Na, wenn schon, du Riesentrottel! Dich haben wir. Deine Briefe werden vor Gericht nett klingen! Aber glaub ja nicht, auch nur eine Sekunde lang, daß so gute Arbeiter wie Oscar und ich ihre Zeit an 'nen armseligen Prediger verschwenden, der keine zehn Dollars auf der Bank hat. Wir waren auf William Dollinger Styles aus. Aber der ist kein dummer Junge wie du; der hat mich abfahren lassen, wie ich mit ihm geluncht und versucht hab', ihn einzuwickeln. Na, da haben wir gedacht, da wir schon mal was an die Sache gewendet haben, wir könnten ebensogut unsere Kosten und noch 'n bißchen Kleingeld aus dir rausholen, du Schafskopf, und bei Gott, das werden wir auch! Und jetzt schau, daß du da rauskommst! Ich hab's satt, mir dein Geschwätz anzuhören! Nein, ich glaub', 's ist besser, du tust mir nichts. Oscar wird draußen vor der Tür warten. Tut mir leid, daß ich morgen nicht in der Kirche sein kann – mach dir keine Sorgen um meine Sachen und mein Gehalt ich hab' mir schon alles heute nachmittag geholt!«

3

Um Mitternacht, mit offenstehendem Mund, klingelte Elmer am Hause T. J. Riggs. Er klingelte und klingelte, verzweifelt. Keine Antwort. Dann stand er unten und heulte: »T. J.! T. J.!«

Oben wurde ein Fenster geöffnet, eine geärgerte Stimme, dick vor Verschlafenheit, protestierte: »Was wollen Sie denn!«

»Kommen Sie schnell runter! Ich bin's – Elmer Gantry. Ich brauch' Sie, dringend!«

»Gut. Bin gleich unten.«

Rigg, eine groteske kleine Gestalt in einem altmodischen Nachthemd, an einer Zigarre ziehend, ließ ihn ein und führte ihn in die Bibliothek.

»T. J., sie haben mich!«

»He? Die Schnapspascher?«

»Nein. Hettie. Sie wissen, meine Sekretärin.«

»Oh. Ja. Aha. Recht nett zu ihr gewesen?«

Elmer erzählte alles.

»Gut,« sagte Rigg, »ich werd' um zwölf da sein, um Oscar bei Ihnen zu treffen. Wir werden Zeit zu gewinnen suchen, und ich werd' schon was tun. Machen Sie sich keine Sorgen, Elmer. Und hören Sie mal. Elmer, glauben Sie nicht, daß auch 'n Prediger wenigstens versuchen sollte, anständig zu leben?«

»Ich hab meine Lektion gelernt. T. J.! Ich schwöre, daß ist das letztemal, daß ich 'n Seitensprung gemacht hab', ein Mädel auch nur angeschaut hab'. Herrgott, Sie haben sich als guter Freund gezeigt, alter Kerl!«

»Na, ich hab's gern, wenn alles, womit ich zu tun hab', sauber ist. Reiner Egoismus. Sie sollten 'nen Schluck trinken. Sie haben's notwendig!«

»Nein! Ich will wenigstens das Gelübde halten! Ich glaub', das ist alles, was mir noch bleibt. Ach, du mein Gott! und grad heute abend hab ich geglaubt, ich bin ein so großer wichtiger Kerl, daß niemand an mich ran kann.«

»Sie könnten 'ne Predigt draus machen – das werden Sie wahrscheinlich ja auch tun.

4

Der gezüchtigte und unwiderruflich zum allerletztenmal gebesserte Elmer währte Tage. Er schwieg bei der Konferenz mit Oscar Dowler, Oscars Anwalt Mannie Silverhorn und T. J. Rigg in der Kirchenkanzlei am nächsten Mittag. Rigg und Silverhorn redeten. (Und Elmer sah mit Kummer, wie freundlich und lustig Rigg mit Silverhorn umging, von dem er in höchst unmethodistischen Ausdrücken gesprochen hatte.)

»Ja, Sie haben den Doktor«, sagte Rigg. »Das geben wir zu. Und ich bin auch der Ansicht, daß das Zehntausend wert ist. Aber Sie müssen uns eine Woche geben, damit wir das Geld auftreiben können.«

»Gut, T. J. Ich seh' Sie also in einer Woche von heute hier?« sagte Mannie Silverhorn.

»Nein, wir wollen's lieber in Ihrem Bureau machen. Hier sind zu viel schnüffelnde Schwestern in der Nähe.«

»Gut.«

Alle schüttelten sich ausgiebig die Hände – nur gab Elmer Oscar Dowler nicht die Hand, der kicherte: »Aber, Elmer, wo wir doch sozusagen so nah verwandt sind!«

Als sie gegangen waren, winselte der zerbrochene Elmer: »Aber, T. J., ich kann doch unmöglich zehntausend aufbringen! Ich hab' doch nicht einmal eintausend!«

»Himmelherrgottsakrament. Elmer! Sie glauben doch nicht, daß wir denen zehntausend bezahlen werden, oder? Der Spaß kann Sie fünfzehnhundert kosten – die werd' ich Ihnen pumpen – fünfhundert, um Hettie zu beruhigen, und vielleicht tausend für Detektive.«

»Äh?«

»Heute früh um dreiviertel zwei hab ich mit Pete Reese vom Reese-Detektivbureau gesprochen und hab' ihn an die Arbeit geschickt. In ein paar Tagen werden wir 'ne ganze Menge über die Dowlers wissen. Also machen Sie sich gar keine Sorgen.«

5

Elmer war hinreichend getröstet, um in dieser Woche nicht vor Schmerz zu vergehen, doch nicht so sehr getröstet, daß er nicht ein demütiger und zarter Christ geworden wäre. Zur verlegenen Verwunderung seiner Kinder spielte er jeden Abend mit ihnen. Cleo gegenüber befleißigte er sich fast übertriebener Ehemannszärtlichkeit.

»Liebste,« sagte er, »ich seh' ein, daß ich – ach, es ist nicht ganz meine Schuld; ich war so in die Arbeit vertieft; aber die Tatsache bleibt bestehen, daß ich nicht aufmerksam genug gegen dich war, und morgen abend möchte ich mit dir in ein Konzert gehen.«

»Oh, Elmer!« jubelte sie.

Und er schickte ihr einmal Blumen.

»Siehst du!« frohlockte seine Mutter. »Ich hab ja gewußt, daß du und Cleo, daß ihr glücklicher sein werdet, wenn ich dich nur auf ein paar Kleinigkeiten aufmerksam mache. Deine Mutter ist vielleicht dumm und kleinstädtisch, aber trotzdem kann niemand so wie eine Mutter ihren Jungen verstehen, und ich hab' gewußt, ich brauch' bloß mal mit dir reden, und dann wirst du, auch wenn du Doktor der Theologie bist, die Sache anders ansehen!«

»Ja, und es war deine Erziehung, die mich zum Christen und Prediger gemacht hat. Oh, ein Mann schuldet einer frommen Mutter soviel!« sagte Elmer.

6

Mannie Silverhorn war eine der besten Ambulanzwagen-Hyänen in Zenith. Hundertmal schon hatte er die Straßenbahngesellschaft Schadenersatz an Leute zahlen lassen, die sie nicht beschädigt hatte; hundertmal hatte er Automobilisten für Verletzungen bezahlen lassen, wenn sie niemand verletzt hatten. Aber bei all seinem Talent hatte Mannie ein Unglück – er betrank sich häufig.

Nun war Mannie, wenn er betrunken war, für gewöhnlich imstande, sich das Reden über die Fälle seiner Anwaltspraxis zu verkneifen, aber diesmal war er es in Anwesenheit Bill Kingdoms, des Reporters der Advocate-Times, und Mr. Kingdom verstand sich noch besser auf hartnäckige Kreuzverhöre, als Mr. Silverhorn.

Bill hatte nicht liebevoll von Dr. Gantry gesprochen, als Mannie zwinkernd sagte: »Hören Sie, wissen Sie, Bill, Ihr Doc Gantry, den hat's jetzt erwischt! Ho, ich hab' ihn, wo ich ihn brauch'! Und wahrscheinlich wird's ihn 'n Stück Geld kosten, daß er so beliebt bei den Damen ist!«

Bill zeigte eine unerschütterlich interesselose Miene. »Aber, in was lassen Sie sich da ein, Mannie! Seien Sie kein Narr! Sie haben Elmer nicht, und werden ihn nie haben. Der ist zu geschickt für Sie! Um den Kerl zu kriegen, haben Sie nicht genug Verstand, Mannie!«

»Ich? Ich hab' nicht genug Verstand – Sie, passen Sie mal auf!«

Ja, Mannie war betrunken. Er war sogar so betrunken, daß es nur eine Stunde dauerte, in der Mannie damit aufgezogen wurde, daß Elmer ihm an Verschmitztheit über sei, nur eine Stunde von Bills hartnäckigem, doch honigsüßem Schmeicheln, eine Stunde von Bills ziemlich neuer Bereitwilligkeit, Lagen zu bezahlen, bis ein wild gewordener Mannie schrie: »Schön, Sie schaffen 'nen Stenographen, der notarielle Befugnisse hat, und ich diktier' das Ganze.«

Und um zwei Uhr morgens diktierte Mannie Silverhorn einem verärgerten, aber flinken offiziellen Gerichtsberichterstatter in einem Hotelzimmer eine Erklärung und unterzeichnete sie: wenn der Reverend Dr. Elmer Gantry sich nicht ohne Gerichtsverfahren verständige, werde er auf fünfzigtausend Dollars verklagt werden (Rechtsanwalt Emanuel Silverhorn), weil er durch unerlaubte Intimitäten Hettie Dowlers Zuneigung ihrem Gatten entfremdet habe.


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