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Zehntes Kapitel

1

Als Elmer an diesem Abend nach Babylon zurückwanderte, freute er sich seiner Befreiung nicht so, wie er erwartet hatte. Doch er arbeitete mannhaft daran, sich Lulus ewig gleiches Geschwätz ins Gedächtnis zurückzurufen, ihre humorlose Unwissenheit, ihr unaufhörliches Streicheln, ihre anspruchslose Ungehobeltheit und alles, dem er entronnen war.

… Sie um sich zu haben – sie hätte sein Leben verkleistert – hätte sich nie bei der Gemeinde beliebt machen und ihm helfen können – und wie, wenn er in einer großen Stadt mit einer fabelhaften Kirche sein sollte – Herrje! Vielleicht war er nicht einmal froh, aus der Sache raus zu sein! Übrigens! Wirklich besser für sie. Sie und Floyd paßten viel besser zueinander …

Er wußte, daß Dekan Trosper nur eine einzige Sünde hatte – bis spät in die Nacht hinein zu lesen – und platzte ihm um elf Uhr ins Haus. Während der letzten Meile hatte er heroisch seine freudige Erregtheit unterdrückt; hatte sich mit Wucht in den Zustand des betrogenen und trostlosen jungen Manns gebracht, mit solchem Erfolg, daß es selbst daran glaubte.

»Oh, wie weise haben Sie über die Frauen gesprochen, Dekan!« jammerte er. »Etwas Schreckliches ist geschehen! Mein Mädel – ihr Vater und ich haben sie soeben in den Armen eines anderen Manns gefunden – eines regelrechten Bruders Liederlich von dort draußen. Ich kann nie wieder hin, nicht einmal für die Osterandachten. Ihr Vater ist derselben Ansicht wie ich … Sie können ihn fragen!«

»Nun, es tut mir sehr leid, das zu hören, Bruder Gantry. Ich wußte gar nicht, daß Sie so tief empfinden können. Sollen wir im Gebet niederknien und den Herrn bitten, Sie zu trösten? Für den Ostergottesdienst werde ich Bruder Shallard hinausschicken – er kennt das Feld.«

Auf seinen Knien erzählte Elmer dem Herrn, daß ihm mitgespielt worden wäre wie keinem Mann vor oder nach ihm. Der Dekan war von seinem Schmerz sehr gerührt.

»Na, na, mein Junge. Der Herr wird schon Ihre Bürde erleichtern, wenn er es für gut hält. Vielleicht wird das zu einem verborgenen Segen – Sie haben Glück, daß Sie so ein Weib loswerden, und das wird Ihnen jene Demut geben, jenes tiefere Dürsten nach der Rechtfertigung, dessen Fehlen ich immer an Ihnen empfunden habe, trotz Ihrer glänzenden Kanzelstimme. Und ich habe auch etwas, das Sie von Ihren Sorgen ablenken wird. Am Rand von Monarch steht eine recht hübsche kleine Kapelle, für die ein Vikar fehlt. Ich hatte vor, Bruder Hudkins zu senden – Sie kennen ihn; das ist der alte pensionierte Prediger, der draußen bei der Ziegelei wohnt – er kommt ab und zu in die Vorlesungen – ich hatte vor, ihn für den Ostergottesdienst hinzuschicken. Aber ich werde Sie an seiner Stelle schicken, und wenn Sie mit dem Ausschuß sprechen, glaub' ich sogar, daß Sie sich diesen Posten als regulären sichern können, mindestens bis zu Ihrem Schlußexamen. Sie zahlen fünfzehn für den Sonntag und Ihre Reisespesen. Und wenn Sie in einer Stadt wie Monarch sind, können Sie den Predigerverein besuchen und so weiter – jede Woche bis Montag mittag drüben bleiben – und schöne Bekanntschaften machen, so daß Sie vielleicht schon im nächsten Sommer als Hilfsprediger für eine der großen Kirchen in Betracht gezogen werden. Sie haben einen Vormittagszug nach Monarch – zehn Uhr einundzwanzig, nicht? Sie werden morgen früh mit diesem Zug hinüberfahren und einen Rechtsanwalt namens Eversley aufsuchen. Er hat ein Bureau – wo hab' ich denn seinen Brief? – sein Bureau ist im Royal Trust Company Building. Er ist Diakon. Ich werd ihm telegraphieren, damit er morgen nachmittag auch dort ist oder wenigstens Nachricht für Sie hinterläßt, und dann können Sie selbst Ihre Verabredungen treffen. Sie heißt Flowerdale-Baptistenkirche, es ist eine wirklich nette, kleine moderne Kolonie mit lieben Leuten. Jetzt gehen Sie in Ihr Zimmer und beten Sie, und ich bin überzeugt davon, daß Ihnen bald besser sein wird.«

2

Ein freudestrahlender Elmer Gantry war es, der sich in den Zehn-Uhr-einundzwanzig-Zug nach Monarch, einer Stadt von etwa dreihunderttausend Einwohnern, setzte. Er saß im Personenwagen und dachte über seine Osteransprache nach. Herr Gott noch einmal! Seine erste Predigt in einer richtigen Stadt! Das konnte zu etwas führen. Am besten, ihnen was Tüchtiges, Rührendes zu geben. Mal sehen: Es dürfte nichts sein mit diesem Christ-ist-erstanden-Zeugs; es müßte natürlich erwähnt, gerade noch reingebracht werden, aber das Thema müßte ein anderes sein. Mal sehen: Glaube. Hoffnung. Reue nein, besser langsam mit dem Reuegedanken; der Diakon Eversley, der Rechtsanwalt, könnte ziemlich wohlhabend sein und bös werden, wenn man andeutete, daß er vielleicht etwas zu bereuen hätte. Mal sehen: Mut. Keuschheit. Liebe – das war's – Liebe!

Und er machte hastig Notizen, direkt aus dem eigenen Kopf, auf die Rückseite eines Briefumschlages:

Liebe:
ein Regenbogen
M.- & A.-Stern
von der Wiege bis zum Grab
inspiriert Kunst usw. Musik, Stimme der Liebe
den Atheisten usw. eins auswischen, die die Liebe nicht würdigen.

»Sie sind wohl Zeitungsmensch«, sagte eine Stimme neben ihm.

Elmer sah sich um und erblickte einen kleinen Mann mit einer Whiskynase und vielen Lachfältchen um die Augen, einen ziemlich auffällig angezogenen Mann mit der roten Krawatte, die man 1906 noch als Attribut der Sozialisten und Trinker ansah.

Mit so einem kleinen Mann würde er sich eigentlich recht gut amüsieren können, überlegte Elmer. Ein Reisender. Was würde mehr Spaß machen: ganz einfach natürlich mit ihm zu sein, oder ihn zu fragen, ob er gerettet wäre, und zuzuschauen, wie er sich krümmte? Teufel auch, er hatte genug frommes Zeug in Monarch zu tun. Er setzte also sein bestes Prachtkerlslächeln auf und antwortete:

»Na, nicht ganz. Ziemlich warm für so früh am Tag, was?«

»Ja, kann man wohl sagen. Längere Zeit in Babylon gewesen?«

»Nein, nicht sehr lang.«

»Schöne Stadt. Menge Geschäfte dort.«

»Und ob. Und auch paar nette kleine Dämchen.«

Der kleine Mann kicherte. »So, so? Na, hören Sie, Sie könnten mir paar Adressen geben. Ich hab' die Stadt jeden Monat einmal auf der Tour, und, weiß der liebe Himmel, noch keinen einzigen Unterrock bis jetzt aufgegabelt. Aber es ist 'ne gute Stadt. 'Ne Menge Geld dort.«

»Jawoll, das ist Tatsache. 'Ne gute, betriebsame Stadt. Schneller Umsatz dort, recht ordentlich. 'Ne Menge Geld in Babylon.«

»Obwohl man mir erzählt hat,« sagte der kleine Mann, »daß dort eine von den Predigerfabriken ist.«

»Was Sie nicht sagen!«

»Ja, ja. Hören Sie, Bruder, jetzt werden Sie lachen, Wissen Sie, wofür ich Sie auf den ersten Blick gehalten hab' – mit Ihrem schwarzen Anzug und dem Notizen machen? Ich hab' gemeint, vielleicht wären Sie selber 'n Prediger!«

»Na –«

Herr Gott, das war nicht auszuhalten! Wo er jeden Sonntag in Schoenheim so anständig sein mußte – Diakon Bains fragte unaufhörlich diese blöden Sachen über die Prädestination oder so vermaledeites Zeug. Sicherlich hätte er sich bißchen Ferien verdient. Und ein Junge wie der Mensch, der würde ja richtig auf einen runterschauen, wenn man sagte, daß man Geistlicher sei.

Im Zug war es lärmend. Wenn irgendein Hahn in der Nachbarschaft dreimal krähte, hörte Elmer es nicht, während er polterte:

»Na, weiß der liebe Himmel! Obwohl –« So düster er nur konnte: »Dieser schwarze Anzug bedeutet zufällig Trauer für jemand, der mir sehr lieb war.«

»Ach, hören Sie, Bruder, jetzt müssen Sie mich aber entschuldigen, mir geht immer das Maulwerk durch!«

»Oh, das hat nichts zu bedeuten.«

»Na, drücken wir uns die Hand, und ich werd wissen, daß Sie mir nicht bös sind.«

»Aber gewiß nicht.«

Von dem kleinen Mann kam ein Whiskyduft, der Elmer gewaltig aufregte. Es war schon so lange her, seitdem er das letztemal etwas getrunken hatte! Seit zwei Monaten nichts außer ein paar Schlückchen Apfelmost im »Stadium«, die Lulu pflichteifrig aus dem Faß ihres Vaters für ihn gestohlen hatte.

»Also, in was machen Sie, Bruder?« fragte der kleine Mann.

»Ich bin in der Schuhbranche.«

»Na, das ist ja eine recht hübsche Branche. Jawohl Verehrtester, Schuhe muß man tragen, ob man bei Pinke ist oder nicht. Ich heiße Ad Locust – Jesus, wenn ich dran denk', daß man mich Adney getauft hat – können Sie das begreifen – ist das nicht ein höllischer Name für einen, der sich gern mit den Jungs hinsetzt und amüsiert! Aber Sie können mich ganz einfach Ad nennen. Ich reise für die Pequot Farmgerät Company. Großartige Organisation! Großartige Blase! Jawohl, Verehrtester, Prachtburschen arbeiten für die, sie leisten aber auch was, herrje! der Verkaufsdirektor kann mehr guten Schnaps trinken als einer von uns, und wir sind auch nicht grade faul! Jawohl, Verehrtester, diese blödsinnige Idee, von der jetzt so viel von diesen Schwindelfirmen herumschreien, daß man auf die Dauer beim Saufen mit den Kaufleuten nicht mehr erreicht – alles verdammter Blödsinn. Es heißt, daß dieser Ford, der die Automobile macht, so redet. Merken Sie sich, was ich Ihnen sage: 1910 wird der pleite sein, aus mit seinem Geschäft, das wird ihm passieren; merken Sie sich, was ich Ihnen sage! Jawohl, Verehrtester, das ist ein großartiger Konzern, die Pequot-Blase. Tatsache, wir haben in der nächsten Woche in Monarch 'ne Verkäuferversammlung.«

»Was Sie nicht sagen!«

»Jawohl, Verehrtester, bei Gott, so was machen wir. Sie wissen ja – Vorträge darüber, wie man aus 'nem Maschinenhändler Geld rausholen kann, wenn er gar keins hat. Ha! Verdammt gut werden die meisten von uns auf den Dreck aufpassen! Wir werden uns amüsieren und 'ne kleine, schöne, tüchtige Trinkerei anfangen, und Sie können sich drauf verlassen, daß der Verkaufsdirektor bei uns sein wird! Hören Sie, Bruder – ich hab' den Namen nicht ganz verstanden –«

»Elmer Gantry ist mein Name – freut mich außerordentlich, Sie kennenzulernen.«

»Freut mich außerordentlich, Sie kennenzulernen, Elmer. Hören Sie, Elmer, ich hab' bißchen von dem besten Bourbon-Whisky, den Sie oder sonst wer in seinem Leben gesehen hat, hier bei mir in meiner Hüftentasche. Sie sind ja in einem so piekfeinen Geschäft wie's Schuhgeschäft, und da werden Sie ja wohl ganz einfach ohnmächtig werden, wenn ich Ihnen 'ne Kleinigkeit gegen Ihren Husten anbieten würde.«

»Ich glaub' schon, klar; jawohl, Verehrtester, ich würde ganz einfach ohnmächtig werden.«

»Na, Sie sind 'n ziemlich großer Kerl und sollten versuchen, sich zusammenzunehmen.«

»Ich werd' tun, was ich kann, Ad, wenn Sie mich bei der Hand halten wollen.«

»Und ob ich will!« Ad zog aus seiner ständig herunterhängenden Tasche eine Literflasche Green River, und andachtsvoll tranken sie beide.

»Sagen Sie, haben Sie schon mal den Matrosentrinkspruch gehört?« fragte Elmer. Er fühlte sich sehr glücklich, wieder daheim bei den Seinen nach langen und trostlosen Irrfahrten.

»Weiß nicht, ob ich ihn schon mal gehört hab'. Schießen Sie los!«

»Auf den Schatz in einem jeden Port,
Und auf den Portwein in einem jeden Schatz,
Doch, Denken und Reden ist für die Katz,
Füll mir das Glas, wir trinken noch fort!«

Der kleine Mann wand sich. »Nein, mein Bester, das hab' ich noch nicht gehört! Das ist mal 'n Schlager! Herr Gott, ist das 'n Schlager! Sagen Sie, Elm, was machen Sie in Monarch? Ich möcht', daß Sie paar von den Jungs kennenlernen. Die Pequotkonferenz fängt ja eigentlich erst am Montag an, aber paar von uns dachten, wir könnten schon heute zusammenkommen und 'ne kleine Gebetsandacht abhalten und miteinander fasten, bevor sich die anderen Burschen versammeln. Es wär' mir lieb, wenn Sie sie kennenlernen würden. Die lustigste Blase von feschen Jungs, die Sie in Ihrem ganzen Leben gesehen haben, das können Sie mir glauben! Ich möcht' Ihretwegen, daß Sie sie kennenlernen. Und ich möcht auch, daß sie den Toast hören. ›Auf den Portwein in einem jeden Schatz.‹ Großartig, das, jawohl! Was machen Sie in Monarch? Können Sie nicht mit rüber zum Ishawonga-Hotel und die Jungs kennenlernen, gleich wenn wir ankommen?«

Mr. Ad Locust war nicht betrunken; nicht gerade betrunken; aber er hatte sich ernsthaft mit dem Bourbon beschäftigt und war in einem Zustand köstlichster Menschenfreundlichkeit. Elmer hatte genug getrunken, um es zu spüren. Es hungerte ihn außerdem nicht nur nach Alkohol, sondern auch nach nicht frömmelnder Gesellschaft.

»Ich will Ihnen was sagen, Ad«, meinte er. »Ich würde nichts lieber machen, aber ich muß mich mit jemand treffen – 'nem sehr wichtigen Kunden – heute nachmittag, und der kann das Trinken auf den Tod nicht leiden. Tatsache – ich weiß bestimmt Ihr Tröpfchen zu schätzen, aber ich glaub', ich hätt' nicht einen Schluck trinken sollen.«

»Ach, Teufel noch einmal, Elm, ich hab' Pastillen bei mir, die absolut garantiert den Geruch wegnehmen – absolut. Schnaps ist gut für Cholera! Ich möcht wirklich, daß die Jungs den Trinkspruch von Ihnen hören!«

»Na schön, ich werd' auf 'ne Sekunde reinschauen, und vielleicht kann ich auch gleich mit Ihnen was für spät am Sonntag abend oder für Montag vormittag ausmachen, aber –«

»Ach, Sie werden mich doch nicht sitzenlassen, Elm?«

»Schön, ich werd' mal mit dem Menschen telephonieren und mich so verabreden, daß ich nicht vor drei Uhr mit ihm zusammenkommen muß.«

»Das ist fein!«

3

Vom Ishawonga Hotel telephonierte Elmer mit dem Bureau Mr. Eversleys, des strahlendsten Lichtes der Flowerdale-Baptistenkirche. Er bekam keine Antwort.

»Alles aus seinem Bureau beim Essen. Na, ich hab' ja gemacht, was ich bis jetzt machen konnte«, überlegte Elmer tugendhaft und ging zu den Pequot-Kreuzfahrern in der Ishawonga Bar … Elf Menschen in einer Bude, die Platz für acht hatte. Alle redeten auf einmal. Alle brüllten: »Sie, Kellner, fragen Sie den verdammten Mixer, ob er den Stoff erst machen muß!«

Nach siebzehn Minuten nannte Elmer alle elf bei ihren Vornamen – meistens bei den falschen Vornamen – und trug zu ihren literarischen Kenntnissen bei, indem er dreimal seinen Trinkspruch aufsagte und die besten Geschichten erzählte, die er kannte. Er gefiel ihnen. In seiner Freude darüber, daß er alle Frömmigkeit und das drohende Leben mit Lulu los war, kam er in schäumende Laune. Sechsmal sagten die Pequotreisenden zueinander: »Da haben wir mal 'nen Kerl, der bei uns in der Firma sein sollte«, und die übrigen nickten dazu.

Er kam auf die Idee, eine Predigtparodie zu liefern.

»Ad hat mir ja 'n Riesenspaß gemacht!« donnerte er. »Wißt ihr, wofür er mich zuerst gehalten hat? Für 'nen Prediger!«

»Nanu, das ist aber gut!« kicherten sie.

»Na, er hat sich übrigens nicht gar so sehr geirrt. Wie ich noch 'n Junge war, hab' ich bißchen dran gedacht, Geistlicher zu werden. Also, jetzt paßt mal auf, hört zu und sagt, ob ich nicht 'n blendender Prediger geworden wär'!«

Während sie den Mund aufrissen, kicherten und ihn bewunderten, erhob er sich feierlich, blickte sie feierlich an und dröhnte:

»Brüder und Schwestern, in dem Hasten und Jagen des Alltagslebens vergeßt ihr sicherlich der höheren und schöneren Dinge. Worin, in allen höheren und schöneren Dingen, worin und wodurch finden wir unsere Leitung, wenn nicht in der Liebe? Was ist Liebe?«

»Bleiben Sie über Nacht da, dann werd' ich's Ihnen zeigen!« brüllte Ad Locust.

»Halten Sie jetzt die Klappe, Ad! Wirklich – hören Sie zu. Passen Sie auf, ob ich nicht 'n Prediger sein könnte – IA – ich könnt' bestimmt 'ne große Menge in die Hand kriegen wie irgendeiner von denen. Passen Sie auf … Was ist Liebe? Was ist die göttliche Liebe? Sie ist der Regenbogen, der mit seinen funkelnden Farben die fürchterlichen Wüsten übermalt, über denen jüngst das fürchterliche Unwetter seine rasende Wut ausgelassen hat – der Regenbogen mit seiner zarten Verheißung darauf, daß das Toben, der Aufruhr und die Entsetzen des gräßlichen Sturms ihr Ende finden werden! Was ist Liebe – die göttliche Liebe, meine ich, nicht die fleischliche, sondern die göttliche Liebe, wie sie von der Kirche gelehrt wird? Was ist –«

»Hören Sie!« protestierte der Gottloseste von den elf. »Sie sollten sich nicht über die Kirche lustig machen, mein ich. Ich selber geh' ja nie in die Kirche, aber vielleicht war' ich 'n besserer Mensch, wenn ich's täte, und auf jeden Fall hab' ich Respekt vor den Leuten, die in die Kirche gehen, und meine Kleinen schick' ich in die Sonntagsschule. Gott verdammt noch einmal, und ob!«

»Teufel, ich mach' mich nicht über die Kirche lustig«, protestierte Elmer.

»Teufel, er macht sich nicht über die Kirche lustig. Er verhohnepipelt nur die Prediger«, versicherte Ad Locust. »Prediger sind genau so gewöhnliche Menschen wie wir auch.«

»Freilich; Prediger können fluchen und lieben genau so wie jeder andere. Ich weiß Bescheid! Was sie alles ausfressen, während sie so tun, als ob sie anders wären,« sagte Elmer in traurigem Ton, »davor würde Ihnen grausen, meine Herren, wenn Sie es wüßten.«

»Also, auf jeden Fall bin ich der Ansicht, daß Sie sich nicht über die Kirche lustig machen sollten.«

»Teufel, er macht sich nicht lustig über die Kirche.«

»Natürlich, ich mach' mich nicht lustig über die Kirche. Aber laßt mich doch mit meiner Predigt zu Ende kommen.«

»Natürlich, laßt ihn mit seiner Predigt zu Ende kommen.«

»Wo war ich? … Was ist Liebe? Sie ist der Abend- und der Morgenstern – diese ungeheuren Himmelskörper, die während ihrer Fahrt durch die purpurnen Abgründe des riesigen Firmaments in ihrem goldenen Glanz die Verheißung bergen auf höhere und schönere Dinge, die – die – na, sagt mal, ihr gescheiten Affenschwänze, würd' ich 'nen großartigen Prediger abgeben oder nicht?«

Der Beifall war derartig, daß der Mixer kam und sie düster betrachtete; und Elmer mußte mit allen trinken. Das heißt, er trank mit vieren von ihnen.

Doch er war außer Übung. Außerdem hatte er zu Mittag nichts gegessen.

Er wurde kreideweiß; Schweiß stand auf seiner Stirn und in zwei Tropfenreihen auf seiner Oberlippe, seine Augen wurden plötzlich leer.

Ad Locust schrie: »Paßt auf! Elm macht schlapp!«

Sie führten ihn hinauf in Ads Zimmer, auf jeder Seite stützte ihn ein Mann, und einer schob von hinten nach, gerade bevor er bewußtlos umfiel, und diesen ganzen Nachmittag, an dem er mit dem Flowerdale-Baptisten-Ausschuß hätte zusammenkommen sollen, schnarchte er auf Ads Bett, bis auf die Schuhe und den Rock völlig angezogen. Um sechs Uhr kam er zu sich, als Ad sich besorgt über ihn beugte.

»Gott, ist mir schrecklich!« ächzte Elmer.

»Hier. Was Sie brauchen, ist ein ordentlicher Schluck.«

»Ach du lieber Gott, ich darf nichts mehr trinken,« sagte Elmer, danach greifend. Seine Hand zitterte so, daß Ad genötigt war, ihm das Glas an den Mund zu halten. Er wußte, daß er Diakon Eversley sofort anrufen mußte. Nach zwei weiteren Schlucken fühlte er sich besser, seine Hand wurde fest. Die Pequotleute begannen hereinzukommen und redeten vom Dinner. Er verschob sein Telephongespräch mit Eversley bis nach dem Dinner; er verschob es weiter; dann fand er sich, um zehn Uhr morgens am Ostersonntag, bei einem völlig fremden jungen Weib in einer völlig fremden Wohnung und hörte Ad Locust im Nebenzimmer singen: »Hab' ich 'nen Durst.«

Elmer bereute und stöhnte fleißig vor seinem ersten Morgentrunk, dann tröstete er sich: »Herr Gott, jetzt kann ich unmöglich in diese Kirche. Na, ich werd' dem Ausschuß erzählen, daß ich krank war. He, Ad! Wie sind wir bloß daher gekommen? Können wir in dem Loch irgendwas zum Frühstück kriegen?«

Er trank zwei Flaschen Bier, sprach voller Güte mit der jungen Dame im Kimono und den roten Pantoffeln und kam sich im ganzen wie ein Prachtkerl vor. Mit Ad, denjenigen von den Elf, die noch nicht tot waren, und einem Häufchen kreischender junger Damen fuhr er am Ostersonntag nachmittag zu einem Tanzlokal am See hinaus, dann kehrten sie wieder zu Hummern und Lustbarkeiten nach Monarch zurück.

»Jetzt ist aber Schluß damit. Morgen früh mach' ich mich an die Arbeit, such' den Eversley auf und verabred' alles«, gelobte sich Elmer.

4

Um jene Zeit waren Ferngespräche noch ungewöhnliche Ereignisse, doch Eversley, Diakon und Rechtsanwalt, war ein rühriger Mensch. Als der neue Prediger am Sonnabend bis sechs Uhr nachmittag nicht erschienen war, telephonierte Eversley nach Babylon, wartete, bis Dekan Trosper dort an die Zentrale gerufen wurde, und sprach in merklicher Erregung über das Fehlen des geistlichen Angestellten.

»Ich werde Ihnen Bruder Hudkins schicken – einen ausgezeichneten Prediger, der jetzt hier lebt, pensioniert. Er wird mit dem Mitternachtszug fahren«, sagte Dekan Trosper.

Zu Mr. Hudkins sagte der Dekan: »Und sehen Sie sich auch um, schauen Sie, ob Sie irgend was über Bruder Gantry in Erfahrung bringen können. Ich mach' mir Sorgen um ihn. Der arme Junge war ganz einfach wie erschlagen wegen einer höchst unglückseligen Privatsache … anscheinend.«

Nun hatte Mr. Hudkins einige Jahre lang eine Mission in der South Clark Street in Chicago geführt und wußte allerlei von unheiligen Dingen. Er hatte Elmer Gantry bei Vorlesungen in Mizpah gesehen. Als er mit der Ostermorgenandacht in Monarch fertig war, ging er nicht nur auf die Polizei und in Spitäler, sondern unternahm auch eine Runde durch die Hotels, Restaurants und Bars. So kam es, daß Elmer, während er fröhlich Hummern mit kalifornischem Rotwein herunterspülte, hier und da pausierte, um die Blondine an seiner Seite zu küssen und (auf Verlangen) seinen Trinkspruch zu wiederholen, vom Reverend Mr. Hudkins, der die angenehme Rolle des Racheengels spielte, von der Cafétür aus beobachtet wurde.

5

Als Elmer Montag vormittag Eversley anrief, um von seiner Krankheit zu erzählen, fauchte der Diakon: »Ist gut. Ich hab' schon jemand anderen.«

»Ja, aber, hören Sie doch, Dekan Trosper dachte, Sie und der Ausschuß könnten vielleicht über eine halbständige Vereinbarung mit mir sprechen –«

»Nein, nein, nein.«

Wieder in Babylon, ging Elmer sofort ins Bureau des Dekans.

Ein Blick auf dessen Miene genügte.

Der Dekan beschloß eine zweiminütliche fließende Ansprache mit den Worten:

»Der Lehrkörper ist heute früh zusammengetreten, Sie sind aus Mizpah relegiert. Selbstverständlich bleiben Sie ordinierter Baptistengeistlicher. Ich könnte von Ihrer Heimatgemeinde erreichen, daß Ihre Vollmachten anulliert werden, aber es würde ihnen großen Kummer bereiten, zu erfahren, bei was für einem verlogenen Ungeheuer sie Gevatter gestanden sind. Außerdem möchte ich Mizaph nicht in einen derartigen Skandal verwickeln. Aber wenn ich jemals hören sollte, daß Sie eine Baptistenkanzel besteigen, werd' ich Sie entlarven. Ich glaube ja nicht, daß Sie Verstand genug haben, um Saloonwirt zu werden, aber Sie könnten einen einigermaßen guten Mixer abgeben. Ihre Strafe will ich Ihren Mitternachtsgedanken überlassen.«

Elmer winselte: »Sie hätten nicht – Sie hätten nicht so mit mir sprechen dürfen! Heißt es nicht in der Bibel, du sollst siebenzig mal siebenmal vergeben –«

»Das war schon achtzig mal siebenmal. Schauen Sie, daß Sie hinauskommen!«

So hörte der Reverend Mr. Gantry überraschenderweise auf, praktisch überhaupt ein Reverend zu sein.

Er dachte daran, zu seiner Mutter zu flüchten, doch er schämte sich; zu Lulu zu flüchten, wagte es aber nicht.

Er hörte, daß Eddie Fislinger eiligst nach Schoenheim gerufen worden war, um Lulu und Floyd Naylor zu trauen – eine einsame, düstere Angelegenheit bei Lampenlicht.

»Sie hätten mich mindestens einladen können«, knurrte Elmer, während er packte.

Er kehrte zurück nach Monarch, zum wohlwollenden Ad Locust. Er bekannte, daß er Geistlicher gewesen sei, und erlangte Vergebung. Schon am Freitag dieser Woche war Elmer Reisender für die Pequot Farmgerät Company.


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