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Drittes Kapitel

1

Anfangs Januar fand die jährliche College Y.M.C.A.-Gebetswoche statt. Es war ein Ereignis für das ganze Land, aber im Terwillinger-College hatte sie in diesem Jahr ganz besondere Bedeutung, weil man den Vorzug genoß, auf drei Tage keinen Geringeren als Judson Roberts bei sich zu haben, den Landessekretär der Y.M.C.A., einen Mann, der sowohl als Mensch wie als Beamter groß war.

Er war jung, dieser Mr. Roberts, erst vierunddreißig, aber schon im ganzen Land bekannt. Er war immer bekannt gewesen. Er hatte einer erstklassigen Chicagoer Fußballmannschaft angehört, Hochschul-Baseball gespielt, er war Kapitän der Debattiermannschaft gewesen, und gleichzeitig hatte er die Y.M.C.A. geführt. Er war als Der Predigende Fullback bekannt gewesen. Er setzte seine sportlichen Übungen noch immer fort – es hieß, daß er heimlich mit Jim Jeffries geboxt hätte – und predigte noch viel mehr als früher. Er war ein sehr freundlicher Führer, der immer Hilfe wußte; Hunderte von Studenten in ganz Kansas nannten ihn »Old Jud«.

Zwischen den Gebetsmeetings in Terwillinger saß Judson Roberts im Seminar für Bibelgeschichte, an einem langen Tisch, unter einer Karte des Heiligen Landes, und hatte Privatunterredungen mit den männlichen Studenten. Überraschend viele kamen zu ihm herein, zitternd, mit abgewendeten Augen, um sich seinen Rat wegen einer heimlichen Gewohnheit zu erbitten, und der alte Jud schien ihre Sorgen erstaunlich gut erraten zu können, noch bevor sie recht zu reden angefangen hatten.

Er war sehr männlich und forsch:

»Also jetzt, alter Junge, hören Sie mir mal zu. 'ne schreckliche Sache, ganz entschieden, aber mir sind schon so ziemlich einige Fälle untergekommen, Sie müssen nur Widerstand leisten wollen und es dem Herrn im Gebet unterbreiten. Bedenken Sie, daß er immer, und auch in den bösesten Fällen, helfen kann. Jetzt wollen Sie natürlich zu allererst Ihre schlechte Gewohnheit loswerden, zu – ich fürchte, Sie haben ein paar ziemlich dreckige Bilder und vielleicht ein saftiges Buch versteckt, na, oder vielleicht nicht, alter Junge?«

Wie konnte der alte Jud das nur erraten haben? Ein phänomenaler Kerl!

»Na also. Ich hab' einen feinen Plan, alter Junge. Stellen Sie Betrachtungen über das Missionswesen an und denken Sie daran, wie rein und sauber und männlich Sie sein wollten, wenn Sie daran gingen, die Freuden des Christentums zu vielen armen Teufeln zu bringen, die im bösen Bann des Buddhismus und einer ganzen Menge dieser heidnischen Religionen stehen. Würden Sie nicht wünschen, ihnen ins Auge schauen und sie beschämen zu können? Das nächste, was Sie tun müssen, ist tüchtige Bewegung. Gehen Sie ins Freie und rennen Sie wie der Teufel! Und dann kalte Bäder. Hundsgemein kalt. So wird's schon gehen!« Im Aufstehen mit einem höchst männlichen Händedruck: ›Also jetzt ab, und denken Sie daran‹ – mit einem großartigen, gewinnenden und herzhaftem Lachen – »immer rennen wie der Teufel!«

Jim und Elmer hörten Old Jud bei der Andacht. Er war gewaltig. Er erzählte ihnen einen netten Witz von einem Mann, der ein Mädchen küßte, erhob sich aber in schwindelnde Höhen, als er die Seligkeiten des ernsthaft willigen Gebetes schilderte, in dem man groß genug wäre, um wie ein Kind zu sein. Die Sanftheit, mit der er vom Jesuskind sprach, das einsam, von seinen Eltern verloren, umherirrte, trieb ihnen die Tränen in die Augen, doch im nächsten Augenblick erweckte er wieder ihre höchste Bewunderung, als er seine großen Schultermuskeln anspannte und erklärte, daß er jedem grinsenden, gemeinen, verlogenen, biersaufenden, aufgeblasenen Großmaul das Hirn aus dem Schädel schlagen würde, der es wagen sollte, sich während eines Meetings an ihn heranzumachen, und probieren, durch das Vorbringen eines Haufens jämmerlicher, sophistischer, atheistischer, superkluger Zweifel einen Universalschraubenschlüssel in den Mechanismus zu schmeißen! (Er gebrauchte wirklich zur Wonne der jungen Leute die Ausdrücke »das Hirn aus dem Schädel schlagen« und »einen Universalschraubenschlüssel schmeißen.« Oh, er war eine Nummer, ein richtiger ganzer Kerl mit rotem Blut in den Adern!)

Jim erkrankte an der Grippe. Er konnte nicht einmal ein einziges Wort des Hohns hervorbringen. Zusammengeklappt saß er da, das Kinn ganz nah an den Knien, und Elmer durfte in Heldenverehrung schwelgen. Herr Gott noch einmal! Er hatte geglaubt, ordentliche Muskeln zu haben, aber der Judson Roberts – verflixt, der konnte Elmer, ohne sich lang anzustrengen, auf den Teppich bringen. Was mußte das für ein Fußballspieler gewesen sein! Verflucht und zugenäht!

Diese homerische Verehrung versuchte er Jim zu erklären, als sie wieder in ihrem Zimmer waren, aber Jim nieste und legte sich ins Bett. Der ungestüme Barde blieb ohne Zuhörer und freute sich geradezu, als Eddie Fislinger an der Tür kratzte und sich hereinschob.

»Ich will euch nicht anöden, aber ich hab' gesehen, daß ihr heute nachmittag beim Meeting vom alten Jud wart, und, wißt ihr, ihr müßt morgen abend wieder hinkommen, um ihn anzuhören. Der große Abend von der Woche. Sag mal, ehrlich, Höllenhund, meinst du nicht, daß Jud ein richtiger Mordskerl ist?«

»Ja, da kann ich nichts sagen, er ist ein blendender Bursche.«

»Was, das ist er, nicht wahr! Freilich ist er ein blendender Kerl, nicht! Das ist mal 'n Bulle!«

»Ja, freilich ist er 'n Bulle – für so einen Religionsnarren!«

»Na, Höllenhund, fang jetzt nicht an, ihn zu beschimpfen! Du kannst nicht ableugnen, daß er aussieht wie 'n Fußballstier.«

»Ja, das glaub' ich schon. Ich hätt' gern mal mit ihm gespielt.«

»Möchtest du ihn nicht kennenlernen?«

»Na –«

In diesem Augenblick der Gefahr erhob Jim seinen benommenen Kopf, um zu protestieren: »Er ist ein heiliger Streikbrecher! Einer von diesen Stiernacken, die als Athleten auf die Welt gekommen sind und einem einreden wollen, daß sie sich selber durch Beten und Fasten dazu gemacht haben. Mir würde davor grausen, dem alten Jud auch nur einen einzigen armseligen kleinen Tropfen Bourbon vor die Augen zu bringen! Ha! Der Prahlhans! ›Warum könnt ihr Hundertpfundknirpse keine großen männlichen Christen sein wie ich!‹

Gemeinsam protestierten sie gegen dieser Verunglimpfung ihres Helden, und Eddie gestand ein, daß er sich erlaubt hätte, Elmer vor dem alten Jud zu loben; daß der alte Jud entzückt gewesen zu sein scheine; daß der alte Jud höchstwahrscheinlich – ein so freundlicher Großer Mann war er – Elmer heute nachmittag aufsuchen würde.

Bevor Elmer sich klar darüber werden konnte, ob er erfreut oder entrüstet sein solle, bevor der geschwächte Jim die Kraft aufbringen konnte, für ihn Klarheit zu schaffen, wurde die Tür von einem gewaltigen heldischen Schlag erschüttert, und herein schritt Judson Roberts, groß wie ein Grizzlybär, munter wie ein junges Wachtelhündchen, strahlend wie zehn Sonnen.

Sofort stürzte er sich auf Elmer. Er hatte noch sechs andere zweifelnde Thomasse und des Rauchens Verdächtige vor sechs Uhr zu erledigen.

Er war ein blonder junger Riese mit Locken, mit einem Grinsen und mit einer Stimme wie die Zuchtstiere von Baschan, so oft seine Politik Mannhaftigkeit erforderte. Bei irrenden Schwestern aber – vorausgesetzt, daß sie nicht zu irrend waren – konnte er säuseln wie ein Waldveilchen, das von einem duftenden Lüftchen bewegt wird.

»Hallo, Höllenhund!« rief er dröhnend. »Lassen Sie sich die Hand drücken!«

Elmer pflegte den Leuten die Hände spielerisch zu drücken, bis sie knackten. Das erstemal in seinem Leben wurde seine eigene Tatze schlaff und heiß. Er rieb sie und sah einfältig drein.

»Hab' schon eine Menge von Ihnen gehört, Höllenhund, und von Ihnen auch, Jim. Auf der Nase, Jim? Soll ich mal raus und den Doktor holen?« Der alte Jud saß ohne Umstände auf Jims Bettkante, und im Schein dieses Lächelns konnte nicht einmal Jim Lefferts allzu mürrisch sein, als er versuchte zu schnauzen: »Nein, danke.«

Roberts wandte sich wieder Elmer zu und freute sich:

»Ja, mein Lieber, ich hab' wirklich schon eine ganze Menge von Ihnen gehört. Herrje, muß das ein großartiges Spiel gewesen sein, das Ihr gegen das Thorvilsen-College gespielt habt! Man hat mir erzählt, wie Sie dort in die Linie gekommen sind, hat sie nachgegeben wie ein Schwamm, und als Sie den starken langen Schweden packten, ging er zu Boden, als hätt' ihn der Blitz getroffen.«

»Ja, das war – das war ein gutes Spiel.«

»Natürlich hab' ich damals davon gelesen –«

»Wirklich, das haben Sie?«

»– und natürlich wollt' ich mehr davon hören und Sie kennenlernen, Höllenhund, und da hab' ich die Jungens über Sie ausgefragt, und, wissen Sie, die halten wirklich allerhand von Ihnen! Ich wollte, ich hätte Sie in meiner Universitätsmannschaft in Chicago gehabt – wir hätten 'nen Stürmer wie Sie brauchen können.«

Elmer sonnte sich.

»Jawohl, mein Lieber, die Jungens haben mir alle erzählt, was für ein blendend feiner Kerl Sie sind, und was für ein fabelhafter Athlet, und was für ein 1A Gentleman. Sie alle sagen, daß nur eines bei Ihnen nicht stimmt, mein lieber Elmer.«

»Was?«

»Sie sagen, daß Sie ein Feigling sind.«

»Was? Wer sagt, daß ich ein Feigling bin?«

Judson Roberts marschierte vom Bett zu Elmer hinüber und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Alle sagen das, Höllenhund! Ja, man muß ein ganz waschechter tüchtiger Kerl sein, wenn man groß genug sein will, Jesus zum Schuß auf sich kommen zu lassen und zuzugeben, daß man Keile bezieht, wenn man probiert mit Gott zu kämpfen! Man muß ein Mann sein, der's in sich hat, wenn man niederknien und seine Unwürdigkeit eingestehen soll, obwohl die ganze Welt einen verhöhnt! Und die Art Mut haben Sie nicht, Elmer. Ach, Sie glauben, Sie sind so ein Prachtbursche –«

Old Jud drehte ihn herum; die Hand des alten Jud zerquetschte seine Schulter. »Sie glauben, Sie sind zu stark und zu gut, um sich mit den armseligen kleinen, erbärmlichen Evangeliums-Hausierern einzulassen, was! Also, ich bin auch einer. Wollen Sie mich knock out schlagen?«

Mit einem schnellen Ruck hatte Roberts seinen Rock unten und stand in einem gestreiften Seidenhemd da, das seinen riesigen Oberleib zeigte.

»Sie können sich drauf verlassen, Höllenhund! Ich bin bereit, mit Ihnen zur Ehre Gottes zu kämpfen! Gott braucht Sie! Können Sie sich was Schöneres für einen großmächtigen Kerl wie Sie denken, als sein Leben damit zu verbringen, daß man den Armen, Schwachen, Kranken, Furchtsamen die Seligkeit bringt? Können Sie nicht sehen, wie die armen kleinen mageren Leutchen und alle Kinderchen Ihnen folgen, Sie lobpreisen und bewundern würden, Sie alter Gauner? Bin ich ein kleiner heuchlerischer Christ? Können Sie mich versohlen? Wollen Sie rangehen?«

»Nein, wissen Sie, Mr. Roberts –«

»Judson, Sie riesiges Trumm Käs', alter Jud!«

»Nein, wissen Sie, Judson, ich glaube, Sie legen mich um! Ich vertrag' ja eine recht hübsche Portion, aber mit Ihnen will ich lieber nichts riskieren!«

»Schön, mein Alter. Glauben Sie noch immer, daß alle frommen Leute Jammerlappen sind?«

»Nein.«

»Und Lügner?«

»O nein.«

»Schön, alter Knabe. Wollen Sie mich als Freund annehmen, wenn ich mich nicht in Ihre Angelegenheiten misch'?«

»Oh, freilich, selbstverständlich.«

»Dann möcht' ich Sie nur um einen Gefallen bitten. Wollen Sie morgen abend zu unserem großen Meeting kommen? Sie brauchen gar nichts zu tun. Wenn Sie glauben, daß hinter unserem Reden nichts steckt gut; das ist Ihr Recht. Sie werden nur kommen und nicht schon die Meinung mitbringen, daß wir alle schlecht sind, sondern wirklich Ihren großen schönen scharfen Verstand gebrauchen und über uns nachdenken, wie wir sind? Werden Sie kommen?«

»Oh ja, sicher, ganz bestimmt.«

»Schön, Alter. Ich bin kolossal stolz drauf, daß Sie mich so ohne alle Formalitäten hier haben hereinplatzen lassen. Denken Sie dran: wenn Sie wirklich das Gefühl haben, daß ich die Jungens ungehörig beeinflusse, dann kommen Sie ganz einfach zu mir und sagen mir's, und ich werde kolossal stolz drauf sein, daß Sie mir das Vertrauen schenken, mir die Leviten zu lesen. Bis dahin, alter Elm! Bis dahin, Jim. Gott befohlen!«

»Bis dahin, Jud.«

Er war gegangen, ein Wirbelwind, der das unansehnliche Pflänzchen Eddie Fislinger hinter sich hinaussog.

Und dann sprach Jim Lefferts.

Eine Zeitlang nach Judson Roberts' Abgang stand Elmer glühend da und ließ sich die ihm zuteil gewordene Anerkennung schmecken. Er fühlte Jims Blicke auf seinem Rücken und drehte sich trotzig zum Bett um.

Voll Kampfeswut starrten sie einander an. Elmer eröffnete mit einem grimmigen:

»Also, na, warum hast du nichts gesagt, solang er da war?«

»Zu ihm? Mit einem Wolf reden, wenn er Fleisch wittert? Übrigens, er ist intelligent, der Bursche.«

»Na weißt du, es freut mich ja, daß du das sagst, weil – na ja, sieh mal – ich werd' dir erklären, wie mir zumut ist.«

»O nein, das wirst du nicht, Schätzchen! Du bist noch nicht so weit, daß du Wunder fabrizieren könntest. Freilich ist er intelligent. Ich hab' noch nie in meinem Leben besser leere Phrasen dreschen hören. Freilich! Er ist ja ganz verrückt danach, daß du hinaufkommst und ihn hinters Ohr schlägst und ihm sagst, daß du ihm für seine Vorstellung nicht dein Imprimatur geben kannst –«

»Mein was

»– und daß er's aufgeben und wieder von unten anfangen muß. Freilich. Er hat alles von deinem großen Spiel gegen Thorvilson gelesen. Hat extra nach New York geschickt, um die Review of Reviews zu kriegen und mehr darüber lesen zu können. Eddie Fislinger hat ihm nicht ein Wort davon erzählt. Er hat von deinem Angriff in der London Times gelesen. Ganz sicher. Hat er's nicht gesagt? Und er ist eine gerettete Seele – er könnte nie lügen. Und er könnt's ganz einfach nicht aushalten, wenn er nicht dein Freund würde. Er kann unmöglich mehr davon verstehen als ein paar tausend Collegejungs, wie man so eine Kiste aufzieht … Jetzt glaub' ich freilich an den alten Judengott mit dem Bart! Kein anderer als er hätte alle Idioten erschaffen können, die 's in der Welt gibt!«

»Hör mal, Jim, wirklich, du verstehst Jud nicht.«

»Nein. Kann ich auch nicht. Wo er doch ein ordentlicher Preisboxer sein könnte und nicht Tag um Tag mit solchen Regenwürmern wie Eddie Fislinger herumziehen müßte!«

Und so ging es weiter bis Mitternacht, trotz allem Fieber, das Jim hatte.

Aber am nächsten Abend war Elmer bei Judson Roberts' Meeting, ohne das schützende Geleit Jims, der in so wüster Laune zu Hause blieb, daß Elmer um einen Arzt geschickt und sich schon am Nachmittag aus dem Zimmer geschlichen hatte.

2

Zweifellos war es Eddie, der Mrs. Gantry schrieb oder telegraphierte, daß sie gut daran tun würde, zu dem Meeting zu kommen. Paris war nur vierzig Meilen von Gritzmacher-Springs entfernt.

Elmer stahl sich um sechs in sein Zimmer, noch immer sehnsüchtig hoffend, daß er Jims Erlaubnis bekommen würde, noch immer bereit, darauf zu bestehen, daß er nicht in Gefahr sei bekehrt zu werden, wenn er zum Meeting gehe. Er war viele Meilen bekümmert durch den Kot und Schnee gewandert. Er war jetzt bereit, auf das Meeting zu verzichten, auf Judsons Freundschaft zu verzichten, wenn Jim nicht nachgeben sollte.

Als er hereinkam, stand Mrs. Gantry neben Jims Bett.

»Nanu, Ma! Was machst du da? Was ist passiert?« keuchte Elmer.

Es war unmöglich sich vorzustellen, daß sie um einer geringeren Sache als eines Begräbnisses willen eine Reise unternähme.

Gemütlich: »Kann ich nicht herüberspringen und meine zwei Jungens aufsuchen, wenn ich Lust dazu hab', Elmy? Weißt du, ich glaub', du würdest Jim umgebracht haben, mit der verstänkerten Rauchluft, wenn ich nicht hereingekommen war' und das Zimmer gelüftet hätt'. Ich hab' gemeint, Elmer Gantry, euch ist das Rauchen im Terwillinger verboten! Durch die College-Gesetze! Ich hab' gemeint, junger Mann, daß du nach denen lebst! Na, macht ja nichts.«

Unbehaglich, – denn Jim hatte ihn noch nie zum Kind herabgewürdigt gesehen, was immer sein Los in Gegenwart seiner Mutter war – knurrte Elmer: »Aber ernsthaft, Ma, weshalb bist du rübergekommen?«

»Also, ich hab' gelesen, was für eine hübsche Gebetswoche ihr haben werdet, und da dacht' ich mir, ich könnt' doch auch mal 'ne richtige große Predigt hören. Ich hab' mir auch mal Ferien gemacht. Und jetzt kümmer dich nicht ein bißchen um mich. Ich glaube, nach so viel Jahren kann ich schon selber auf mich achtgeben. Die erste Reise, die ich überhaupt mit dir gemacht hab', junger Mann – ich bin damals zu Cousine Adelines Hochzeit – ich hab' dich unter einen Arm gesteckt – und was hast du geschrien, den ganzen Weg – du barmherziger Gott, du hast schon damals deine eigene Stimme so gern gehört wie jetzt! – und unter den anderen habe ich meine alte Reisetasche gesteckt, und so bin ich losgezogen. Kümmer dich nicht ein bißchen um mich. Ich bleib' nur über Nacht da – ich hab' jetzt Resteverkauf – und fahr' morgen früh mit dem Sieben-Uhr zurück. Meine Tasche hab' ich in dem Logierhaus gegenüber vom Bahnhof gelassen. Aber eins kannst du mir schon machen, wenn's dich nicht zu sehr stört, Elmy. Du weißt, ich bin erst einmal hier im College gewesen, 's wär' mir ganz komisch, so eine Landpomeranze, wie ich bin, allein zu dem großen Meeting zu gehen, mit allen gescheiten Professoren und den Leuten da, und 's wär' mir sehr lieb, wenn du mitkommen würdest.«

»Natürlich wird er kommen, Mrs. Gantry«, sagte Jim.

Doch bevor Elmer fort war, hatte Jim noch Gelegenheit zu flüstern: »Um Gottes willen, sei vorsichtig! Denk' daran, daß ich nicht dort sein werd' und dich nicht in Schutz nehmen kann! Laß dich nicht von ihnen fassen! Tu keine einzige gottsverdammte Sache, die sie von dir verlangen, das ist die einzige Möglichkeit, daß du vielleicht sicher bleibst!«

Als Elmer hinausging, sah er zu Jim zurück. Der saß zitternd, mit beschwörenden Augen, im Bett.

3

Das Meeting, das den Höhepunkt der jährlichen Gebetswoche bildete – Rektor Quarles, vier Geistliche und ein reicher Kurator, ein Perlmutterknopf-Fabrikant, sollten sprechen, Judson Roberts war Star – wurde nicht in der Y.M.C.A. abgehalten, sondern im größten Raum der Stadt, in der Baptistenkirche, und Hunderte von Leuten aus der Stadt kamen außer den Studenten hin.

Die Kirche war ein braunes Sandstein-Stildurcheinander mit maurischen Spitzbögen und einem ungeheuren sternförmigen Fenster, in dem das gemalte Glas noch fehlte.

Elmer hoffte spät genug zu kommen, um unbemerkt hineinschleichen zu können, doch als seine Mutter und er bei dem romanischen Portal anlangten, standen noch Studenten draußen und plauderten. Er war sicher, daß sie flüsterten: »Da ist er – Höllenhund Gantry. Sagt mal, ist's wirklich wahr, daß er zerknirscht ist? Ich dachte immer, er hat mehr über die Kirche gelästert als sonst wer im College.«

So sanftmütig Elmer auch bei Jims Belehrungen, bei Eddies Drohungen und bei den Klagen seiner Mutter gewesen war, im allgemeinen wußte er wenig von Demut, und jetzt warf er seinen Kritikern trotzige Blicke zu. »Ich werd' ihnen schon zeigen! Wenn die glauben, daß ich mich hineinstehlen werd' –«

Er schritt hinunter fast bis zu der vordersten Bankreihe, zur Freude seiner Mutter, die gefürchtet hatte, er würde sich wie gewöhnlich im Hintergrund verbergen, in der Nähe des Ausgangs, für den Fall, daß der Prediger persönlich werden sollte.

Viel von der Dekoration in der Kirche hatte ein eifriger Alumne gestiftet, der in Alaska während des Goldtaumels mit Logierhäusern sein Glück gemacht hatte. Da gab es ägyptische Säulen mit vergoldeten Kapitälen, an der Decke waren goldene Sterne und Wolken, die mehr nach Wolle aussahen, als wollig waren, die Mauern waren munter in drei Farben ausgemalt – grün, wasserblau und khaki. Es war eine widerhallende, gähnende Kirche, jetzt war sie gesteckt voll, sogar in den Gängen stand man. Professoren mit gedrehten Schnurrbärten und Bibeln voller Eselsohren, Studenten in Sweatern und Flanellhemden, ernste junge Studentinnen in hausgemachtem Musselin mit bescheidenen Bändchen, übermäßig lächelnde alte Jungfern aus der Stadt, ehrwürdige Heilige aus dem Hinterland mit Bärten, die zum Teil verbargen, daß sie Kragen ohne Krawatten trugen, alte Frauen mit gebeugten Schultern, aufgeregte junge Ehepaare mit Scharen von Babies, die herumkrochen, rutschten, schrien und in verwirrter Verwunderung Baccalaureos anstarrten.

Fünf Minuten später hätte Elmer vorn keinen Sitzplatz mehr bekommen. Jetzt gab es kein Entrinnen für ihn. Er war zwischen seiner Mutter und einem schnaufenden dicken Mann eingekeilt, und im Gang neben seiner Bank standen pietistische Schneider und fromme Schullehrer.

Die Gemeinde stimmte »Wenn wir drüben aufgerufen werden« an, und Elmer gab seine wahnsinnigen und unausführbaren Fluchtpläne auf. Seine Mutter drängte sich glücklich an ihn, ihre Hand streichelte stolz seinen Ärmel; der kriegerische Marschrhythmus der Hymne rüttelte ihn auf:

Wenn die Trompete des Herrn wird erschall'n, und Ewigkeit bricht an,
Wenn der ew'ge Morgen dämmert, hell und schön …

Sie standen auf, um zu singen »Werden wir vereint am Strom?« Elmer begann undeutlich seine Gemeinschaft mit diesen demütigen, emporstrebenden Menschen zu fühlen – mit seinem eigenen Prärievolk: dieser hagere Zimmermann, ein guter Kerl, voll freundlichen Entgegenkommens; diese Bauernfrau, so tapfer, mit Runzeln von der schweren Arbeit; dieser Klassenkamerad, ein bewundernswerter Basketballspieler, der jetzt verklärt sang, den Kopf zurückgeworfen, die Augen geschlossen, mit klingender Stimme. Elmers eigene Leute. Konnte er sie verraten, konnte er dem Zug ihres vereinigten Glaubens und Sehnens widerstehen?

Ja, wir werden sein vereint am Strom,
Am schönen, am schönen Strom,
Vereint mit den Heiligen am Strom,
Der vorüberfließt an Gottes Thron.

Konnte er es ertragen, fern von ihnen zu sein, in der eisigen Leere von Jim Lefferts' Vernünfteln, an diesem Tag, da sie sich erfreuen sollten in dem warmen Morgensonnenschein beim Fluß, der zum unvergänglichen Thron rollte?

Und seine Stimme – die Worte der ersten Hymne hatte er bloß gemurmelt – dröhnte voll Freude:

Bald hat unsre Pilgerschaft ein End';
Bald werden unsre Herzen selig beben,
Wenn wir in ew'gem Frieden schweben.

Seine Mutter strich über seinen Ärmel. Es fiel ihm ein, daß sie seit jeher behauptete, er wäre der beste Sänger, den sie je gehört hätte; daß Jim Lefferts zugegeben hatte: »Allerdings, das kannst du, diesen Hymnenschleim klingen lassen, als ob's was heißen würde.« Er bemerkte, daß die Leute in der Nähe sich erfreut umsahen, als sie seine große Glocke über dem mißtönigen Plärren dominieren hörten.

Die Einleitungen bereiteten lediglich die Zuhörer für Judson Roberts vor. Old Jud war in Form. Er lachte, er schrie, er kniete und weinte echte Tränen, er liebte jedermann, er raste hinunter ins Auditorium und klopfte auf Schultern, und augenblicklich hatten alle das Gefühl, daß er ihnen näherstände als ihre nächsten Freunde.

»Er freuet sich daran, wie ein starker Mann an einem Wettlauf«, war sein Text.

Roberts war wirklich ein tüchtiger Athlet und verstand sich wirklich auf lebendige Gleichnisse. Er schilderte das Chikago-Michigan-Spiel; Elmer ging in ihm auf, erlebte mit ihm die Augenblicke des Ringens um den Ball, des langen Rennens mit dem Ball, während die Zuschauer aufspringen.

Robert's Stimme wurde sanft. Er predigte. Er spreche nicht, sagte er, zu schwachen Menschen, die in das Reich Gottes hineingehätschelt werden müßten, sondern zu starken Männern, zu wackeren Männern, zu waffenfrohen Männern. Es gebe eine andere Art des Wettlaufs, die begeisternder sei als jedes Spiel, und diese führe nicht bloß zu einem Markzeichen auf einem großen Anschlagbrett, sondern zur Erschaffung einer neuen Welt – sie führe nicht zu Zeitungsberichten, sondern zur ewigen Glorie. Gefährlich – starke Männer erfordernd! Begeisternd – voller Wonneschauer! Die Mannschaft, die von Christus geführt werde! Keinen ängstlichen Jesus predige er, sondern den Abenteurer, der sich voll Freude mit gemeinen Männern zusammengetan hätte, mit derben Fischern, mit Hauptleuten und Gouverneuren, der es gewagt hätte, den Soldaten im Garten die Stirn zu bieten, der den Myrmidonen Roms und dem Tode selbst getrotzt hätte! Kommet! Wer war tapfer? Wer hatte Mut? Wer sehnte sich nach reichem Leben? Lasset sie kommen!

Sie müßten ihre Sünden bekennen, sie müßten bereuen, sie müßten wissen, wie schwach sie ohne die Wiedergeburt in Christo seien. Aber sie dürften nicht in Schwäche, die sich den Himmel erschleichen wolle, bekennen, sondern im Training für den Kampf unter den sturmzerfetzten Bannern des allmächtigen Kapitäns. Wer wollte kommen? Wer wollte kommen? Wer war für Erschauung und für das Große Abenteuer?

Er war unter ihnen, Judson Roberts, mit ausgebreiteten Armen, mit einer Stimme wie eine Drommete. Junge Männer schluchzten und knieten, eine Frau kreischte; die Leute stießen die Stehenden in den Gängen mit den Ellbogen zur Seite und drängten sich nach vorne durch, um in gelähmter Seligkeit niederzuknien; und plötzlich fielen sie über einen kopflosen Elmer Gantry her, der sich in Selbstvergessenheit hatte locken lassen, in Sehnsucht, eins zu sein mit Judson Roberts.

Seine Mutter preßte seine Hand, bat: »Oh, willst du nicht kommen? Willst du nicht deine alte Mutter glücklich machen? Lern' doch die Freuden der Hingabe an Jesus kennen!« Sie weinte, ihre alten Augen zogen sich zusammen, und in ihrem Weinen waren alle Erinnerungen an dämmerige Wintermorgen, da sie ihn im Bett gelassen und ihm den Porridge über den eiskalten Flur gebracht hatte; an Winterabende, da er erwacht war und sie immer noch mit der Nadel in der Hand gesehen hatte; und an jene peinvolle, ängstigende Stunde, im Abgrund seiner ersten Erinnerungen, da er sie zusammengebrochen neben einem Sarg gesehen hatte, der etwas Kaltes, Unheimliches barg, etwas Rätselhaftes, das aussah wie sein Vater.

Der Basketballspieler klopfte ihm auf den anderen Arm, bat: »Guter alter Höllenhund, du hast dir nie Glücklichsein gegönnt! Du bist einsam gewesen! Sei glücklich mit uns! Du weißt, daß ich kein Schlappschwanz bin. Möchtest du nicht die Freuden des Heils mit uns kennenlernen?«

Ein fadendünner alter Mann, höchst würdig, ein Mann mit verschwiegenen Augen, die von Kämpfen und Bergtälern wußten, streckte seine Hände gegen Elmer, ihn mit einer Demut beschwörend, die ihn ganz aus der Fassung brachte: »Oh, kommen Sie, kommen Sie zu uns – stehen Sie nicht so da und lassen Sie Jesus bitten und bitten – lassen Sie Christus, der für uns am Kreuz gestorben ist, nicht vor der Tür stehen und bitten!«

Und, irgendwie, durch die Menge flitzend, war Judson Roberts bei Elmer, ihn vor der ganzen Menge auszeichnend, um seine Freundschaft flehend – Judson Roberts, der Prächtige, beschwörend:

»Wollen Sie mir weh tun, Elmer? Wollen Sie mich elend und geschlagen abziehen lassen, alter Freund? Wollen Sie mich verraten wie Judas, nachdem ich Ihnen meinen Jesus als die köstlichste Gabe geboten habe, die ich Ihnen bringen kann? Wollen Sie mir einen Schlag ins Gesicht geben, mir Schimpf antun und mich verletzen? Kommen Sie! Denken Sie an die Freude, die es sein wird, alle die garstigen kleinen Sünden los zu sein, deren Sie sich immer so geschämt haben! Wollen Sie nicht kommen und mit mir niederknien, wollen Sie nicht?«

Seine Mutter kreischte: »Willst du nicht, Elmer? Mit ihm und mit mir? Willst du uns nicht glücklich machen? Willst du nicht so groß sein, daß du die Angst verlierst? Schau, wie wir alle uns nach dir sehnen, für dich beten!«

»Ja!« rings um ihn, von Fremden; und: »Helfen Sie mir, Ihnen zu folgen, Bruder – ich werde gehen, wenn Sie gehen!« Ineinander verwobene Stimmen, dick, taubenweiß und erschreckend trauerschwarz und wie Blitze, umkreisten ihn und banden ihn – seiner Mutter Zureden, Judson Roberts Fordern –

Einen Augenblick sah er Jim Lefferts und hörte ihn sagen: »Na ja, freilich, natürlich glauben sie dran. Sie hypnotisieren sich selber. Aber laß du dich nicht von ihnen hypnotisieren!«

Er sah Jims Augen, die für ihn allein einen Schleier vor ihr hartes Strahlen legten, einsam wurden und um Kameradschaft baten. Er kämpfte; mit all der aufgeregten Verwirrtheit eines kleinen Jungen, den seine Eltern bearbeiten, erschrecken und überwältigen, verlangte er danach, ehrlich zu sein, Jim treu zu bleiben – sich selber und seinen guten ehrlichen Sünden treu zu bleiben, was für Strafen sie immer auch nach sich ziehen mochten. Dann wurden die Bilder von Stimmen verjagt, die sich über ihm schlossen wie die Brandung über einem erschöpften Schwimmer. Willenlos, voll Verwunderung über den Anblick, den er selbst als gefesselter Riese bot, wurde er vorwärts gedrängt, vorwärts gezwungen, an einem Arm seine Mutter, an dem andern Judson, eine begeisterte Menge hinterdrein.

Entsetzt. Elend … Ungetreu gegen Jim.

Doch als er zur Reihe kam, die vor dem ersten Kirchenstuhl kniete, hatte er einen Gedanken, der alles gutmachte. Ja! Er konnte beides haben! Er konnte Judson und seine Mutter behalten und doch sich Jims Achtung bewahren. Er brauchte nur Jim gleichfalls zu Jesus zu bringen, dann würden sie alle in Seligkeit beieinander sein!

Durch diese Entdeckung von allem Elend befreit, kniete er nieder, und plötzlich wurde seine Stimme laut im Bekenntnis, während die Schreie der Zuhörer, die Ausrufe Judsons und seiner Mutter ihn zu warmer Selbstanerkennung erhoben und es herrlich richtig erscheinen ließen, der mystischen Inbrunst nachzugeben.

Er hatte nur wenig zu tun mit dem, was er sagte. Das Wollen war nicht sein, sondern der Menge; die Phrasen waren nicht seine, sondern die der rührseligen Prediger und hysterischen Betenden, die er seit seiner frühesten Kindheit gehört hatte.

»O Gott, oh, ich habe gesündigt! Meine Sünden lasten schwer auf mir. Ich bin unwürdig deines Erbarmens! O Jesus, bitt für mich! Oh, laß dein Blut, das für mich vergossen worden ist, zu meinem Heile werden! O Gott, ich bereue aufrichtig meine schweren Sünden und sehne mich nach dem ewigen Frieden an deinem Busen!«

»Oh, lobe Gott,« aus der Menge, und »lobe seinen heiligen Namen! Danke Gott, danke Gott! Oh, hallelujah, Bruder, danke dem guten, liebevollen Gott!«

Er war überzeugt, daß er nie wieder Lust haben würde, zu saufen, lockeren Dirnen zu folgen, zu lästern; er hatte die Seligkeit der Errettung erfahren – ja, und die Seligkeit, das Zentrum des Interesses in der Menge zu sein.

Einige um ihn schlugen sich an die Stirn. Andere kreischten: »Herr, erbarme dich unser«, und eine Frau – er entsann sich ihrer als einer absonderlichen, verdrückten Hospitantin mit irren Augen, von der man nicht wußte, ob sie überhaupt Freunde hatte – lag ausgestreckt da, der Menschen vergessend, zuckend, mit verkrampften Gliedern, gerungenen Händen, rhythmisch keuchend. Doch Elmer war es, der Größte der Bekehrten, groß wie Judson Roberts, den alle Studenten und die meisten aus der Stadt für wichtig hielten, der sich selbst für wichtig hielt.

Seine Mutter rief: »Oh, das ist die glücklichste Stunde meines Lebens, Liebling! Das macht alles gut!«

Daß er imstande war, ihr solches Entzücken zu bereiten!

Judson packte Elmers Hand, er schrie: »Ich hätt' Sie gern in der Mannschaft in Chikago gehabt, aber ich freu' mich viel mehr, Sie bei mir in Christi Mannschaft zu haben! Wenn Sie wüßten, wie stolz ich bin!«

Auf diese Weise für immer mit Judson verbunden zu sein!

Elmers Verwirrung ging allmählich in eine robuste Selbstzufriedenheit über.

Dann umringten ihn die anderen, schüttelten ihm die Hand, gratulierten ihm: der Fußballzenter, der Lateinprofessor, der Kaufmann aus der Stadt. Rektor Quarles, dessen Fliege vibrierte, dessen rasierte Oberlippe von einer Seite zur andern zuckte, drängte: »Kommen Sie, Bruder Elmer, treten Sie auf die Tribüne und sagen Sie uns ein paar Worte, Sie müssen – wir alle brauchen es wir sind begeistert von Ihrem herrlichen Beispiel!«

Elmer wußte nicht recht, wie er durch die Bekehrten und über die Stufen zur Tribüne hinaufkam. Später nahm er an, daß Judson Roberts tüchtige trainierte Rempelarbeit geleistet hatte.

Er sah hinunter, ein wenig von seiner Furcht kam wieder. Doch man schluchzte vor Zärtlichkeit für ihn. Der Elmer Gantry, der jahrelang vorgegeben hatte, daß es ihm eine Wonne wäre, das ganze College zu Feinden zu haben, hatte sich in diesen selben Jahren nach Popularität gesehnt. Er hatte sie jetzt – Popularität, fast Liebe, fast Verehrung, und hingerissen fühlte er sich in seiner Rolle als Führender.

Er wurde zu noch flammenderem Bekenntnis erregt.

»Oh, zum ersten Male lerne ich den Frieden Gottes kennen! Nichts, was ich bisher getan habe, ist recht gewesen, weil es nicht zum Weg und zu der Wahrheit führte! Ich dachte, ich wäre ein gutes Mitglied der Kirchengemeinde, aber die ganze Zeit hatte ich nicht das wahre Licht gesehen. Ich habe nie den Willen gehabt, niederzuknien und zu bekennen, daß ich ein elender Sünder bin. Doch jetzt knie ich, und, oh, welche Seligkeit in der Erniedrigung!«

Um ganz genau zu sein: er kniete gar nicht; er stand aufrecht da, sehr groß und breit, mit ausladenden Handbewegungen; und wiewohl, was er empfand, die Seligkeit der Erniedrigung sein mochte, hörte es sich ebenso an, wie wenn er verkündete daß er imstande wäre, jedermann in jeder beliebigen Kneipe zu vertrimmen. Doch er wurde mit emporlodernden Hallelujahs begrüßt und schrie weiter, bis er rasend und ganz schweißnaß war:

»Kommet! Kommet jetzt zu ihm! Oh, es ist merkwürdig, daß ich, der ich ein so großer Sünder gewesen bin, es wagen sollte, euch in Seinem Namen einzuladen, aber Er ist allmächtig und wird den Sieg davontragen, und Er läßt uns Seine gute Botschaft durch den Mund von Kindern und Säuglingen und den Allerunwürdigsten zukommen, und, siehe, die Starken werden verdammt werden, und die Schwachen vor sein Antlitz erhoben!«

Alles das, die lichtvollen Phrasen waren den Zuhörern ebenso vertraut wie »guten Morgen« oder »wie geht's«, doch er mußte neue Gewalt hineingelegt haben, denn statt über die Frische seines Eifers zu lächeln, blickten sie ihn ernsthaft an, und plötzlich schaute man ein Wunder.

Zehn Minuten nach seiner eigenen Erweckung machte Elmer seine erste Bekehrung.

Ein pickliger junger Mensch, schon lange als Spielhöllen-Schlepper bekannt, sprang auf, sein unsauberes Gesicht arbeitete, er kreischte: »O Gott, vergib mir!« drängte sich rasend durch die Menge, lief zum Armensünderbänkchen, lag dort, mit epileptisch schäumendem Mund.

Dann stiegen die Hallelujahs auf, bis Elmers schneller und schneller werdendes Predigen darin ertrank, dann stand Judson Roberts da, mit seinem Arm um Elmers Schulter, dann kniete Elmers Mutter mit einem paradiesischen Leuchten auf dem Gesicht nieder, und sie schlossen das Meeting, indem sie mit wahnsinnigem Dröhnen sangen:

Näher ziehe mich, o Herr,
An dein köstlich Wundenmal.

Elmer fühlte sich als Sieger über das Leben und König der Rechtfertigung.

Aber nur die Eifrigen, die Leute, die früh gekommen waren und die Vordersitze eingenommen hatten, hatte er in seiner freudigen Begeisterung gesehen. Die Studenten, die im Hintergrund der Kirche geblieben waren, standen jetzt vor dem Tor in murmelnden Gruppen herum, und als Elmer mit seiner Mutter an ihnen vorüberkam, glotzten sie, sie kicherten sogar, und plötzlich war ihm kalt …

Es war schwer, den ganzen Weg zum Logierhaus auf das Freudengewinsel seiner Mutter zu hören.

»Daß du mir nur ja nicht daran denkst, früh aufzustehen und mich zum Zug zu bringen«, beharrte sie. »Ich hab' nicht mehr zu tun, als meine kleine Tasche über die Straße zu tragen. Du wirst deinen Schlaf brauchen, nach der ganzen Aufregung, die du heute abend gehabt hast – ich war so stolz – ich hab' nie einen gekannt, der wirklich mit dem Herrn gerungen hat wie du. Ach, Elmy, wirst du fest bleiben? Du hast deine alte Mutter so glücklich gemacht! Mein ganzes Leben lang hab' ich mir Sorge gemacht, ich hab' gewartet, ich hab' gebetet, und jetzt werd' ich mir nie wieder Sorgen machen! Ach, du wirst fest bleiben?«

Er warf den letzten Rest seiner Gefühlsreserve in ein klingendes »Da kannst du dich drauf verlassen, Ma!« und gab ihr einen Gutenachtkuß.

Nichts mehr von Rührung war in ihm, das ihm auf seinem einsamen Weg hätte helfen können, in einer kalten, realistischen Nacht, durch eine Straße, die nicht von schimmernden Säulen, sondern von traurigen Hütten inmitten des eiskalten Schnees gesäumt war, unfreundlich unter den erbarmungslosen Sternen.

Sein Plan, Jim Lefferts zu retten, seine Vision von einem Jim mit ehrfürchtigen und gottseligen Augen wandelte sich in eine Vision von einem Jim mit Augen voller Wut, der eine Menge zu sagen hatte. Mit dem Verschwinden jener Vision verschwand seine eigene Glorie.

»War ich«, überlegte er, »ganz einfach ein aufgelegter verdammter Trottel?

»Jim hat mich gewarnt und mir gesagt, wenn sie mich erwischen, werd' ich den Kopf verlieren.

»Jetzt werd' ich wohl nicht einmal mehr rauchen können, ohne in die Hölle zu kommen.«

Aber er wollte rauchen. Gerade jetzt!

Er rauchte.

Es tröstete ihn nur wenig, während er sich weiter ärgerte:

»Es war aber kein Schwindel dabei! Ich hab' wirklich alle diese verdammten blödsinnigen Sünden bereut. Und auch das Rauchen – ich werd' damit Schluß machen. Ich hab's gefühlt, das – den Frieden Gottes.

»Aber werd' ich auch dabei bleiben können? Herr Jesus! Ich kann's nicht! Nie einen Schluck trinken, oder sonst was –

»Ich möcht' wissen, ob der Heilige Geist wirklich da war und über mich gekommen ist? Mir war ganz anders! Wahrhaftig! Oder war das nur, weil Judson und Ma und alle diese Heiligen solchen Krach gemacht haben –

»Jud Roberts hat mich in die Sache hereingefoppt. Mit der ganzen großen Brudersache. Wahrscheinlich macht er die Tour überall wo er hinkommt. Jim wird behaupten, ich – ach, zum Teufel mit Jim auch! Ich hab' doch noch gewisse Rechte! Geht ihn gar nichts an, wenn ich meinen Glauben bekenn' und das einzig Richtige mach'! Und sie haben zu mir aufgesehen, wie ich sie eingeladen hab'! Blendend fein ist es gegangen! Und der Kaffer ist richtig raufgekommen und gerettet worden. Verflucht wenige haben so schnell nach ihrer eigenen Bekehrung eine Bekehrung hingelegt wie ich! Moody vielleicht, oder überhaupt keiner! Das ist bestimmt ein neuer Rekord! Jawohl, vielleicht haben sie recht. Vielleicht hat der Herr irgend 'ne großartige Verwendung für mich, obwohl ich nicht immer ganz so gewesen bin, wie ich hätte sein können … In manchen Dingen … Aber ich war nie gemein oder schlecht oder irgend so was wie … Ich hab' mich nur unterhalten.«

»Jim – was für ein Recht hat er denn, mir zu sagen, wohin ich gehen soll? Das Malheur mit ihm ist, daß er glaubt, er weiß alles. Ich glaub', die gescheiten alten Bonzen, die alle die Bücher über die Bibel geschrieben haben, ich glaub', die werden doch noch bißchen mehr wissen als 'n superkluger Kansas-Agnostiker!«

»Jawohl! Alle miteinander! Angeschaut haben sie mich, als ob ich 'n amerikanischer Champion-Prediger wär'!«

»Wär' gar nicht so schlecht, Prediger zu sein, wenn man 'ne große Kirche hat und – viel leichter als an Prozessen herumzupopeln und sie 'ner Jury übergeben zu müssen, und dann kann 'n anderer Anwalt geschickter sein als man selber.«

»Die Leute müssen fressen, was man ihnen von der Kanzel sagt, da gibt's keine Widerreden oder Kreuzverhöre!«

Ein zweites Mal lachte er, aber:

»Nicht hübsch, so zu reden. Auch wenn einer nicht selber tut, was recht ist, so ist das noch keine Entschuldigung dafür, Leute auszulachen, die 's tun, wie Prediger … Da liegt bei Jim der Fehler.«

»Ich bin nicht würdig, Prediger zu sein. Aber wenn Jim Lefferts auch nur eine einzige Sekunde meint, daß ich Angst davor hab', Prediger zu werden, weil er 'ne Menge Blödsinn daherredet – ich glaub', ich weiß am besten, wie mir war, wie ich aufgestanden bin und die ganzen Leute gerufen und sich gefreut haben – ich glaub', ich weiß am besten, ob ich 'ne Erweckung durchgemacht hab' oder nicht! Und ich brauch' auch gar keinen James Blaine Lefferts, der mir das sagt!«

So ging es eine ganze Stunde auf dem erschöpfenden Weg weiter; bald war ihm kälter vom Zweifeln als vom Präriewind, bald gewann er sich wieder ein wenig von der Verzückung seines geistlichen Abenteuers wieder, aber immer hatte er vor Augen, daß er einem unerbittlichen Jim Rede stehen müßte.

4

Es war nach eins. Sicherlich würde Jim schon schlafen, und am nächsten Tag konnte ein Wunder geschehen. Der Morgen verspricht immer Wunder.

Behutsam öffnete er die Tür, sie mit vorsichtiger Hand festhaltend. Auf dem Waschtisch neben Jims Bett war Licht, aber es war eine kleine, heruntergeschraubte Petroleumlampe. Er ging auf den Zehenspitzen hinein, seine Schuhe knarrten fürchterlich.

Plötzlich setzte Jim sich auf und drehte den Docht höher. Er hatte eine rote Nase und rote Augen und hustete. Er starrte, und regungslos, vom Tisch, starrte Elmer zurück.

Mit einemmal redete Jim:

»Du Lumpenhund! Du hast's also doch gemacht! Du bist gerettet worden! Du hast dich dazu bemogeln lassen, ein baptistischer Medizinmann zu werden! Ich bin fertig! Von mir aus kannst du – in den Himmel gehn!«

»Ach, geh, Jim, hör doch!«

»Ich hab' genug gehört. Ich will auch gar nichts mehr sagen. Und jetzt hör' du mich an!« sagte Jim und redete sich drei Minuten lang voll Feuer alles vom Herzen. Den größten Teil der Nacht kämpften sie um die Freiheit von Elmers Seele, wobei Jim nie ganz unterlag und doch nicht siegte. Wie Jims Gesicht bei dem Meeting zwischen ihm und dem Evangelisten geschwebt und die Vision vom Kreuze ausgelöscht hatte, so hingen jetzt seiner Mutter und Judsons Gesichter bekümmert und verschwommen vor ihm, ein Schleier vor Jims Plädieren.

Elmer schlief vier Stunden und ging dann aus, vor Müdigkeit taumelnd, um Zimtkuchen, ein Sandwich und ein Kännchen dünnen Kaffee für Jims Frühstück zu holen. Sie stritten stürmisch weiter, Jim ein wenig hartnäckiger, Elmer immer gereizter, als kein geringerer Würdenträger als der Rektor, Rev. Dr. Willoughby Quarles, Fliege, gestärktes Hemd, gerundete Weste und so weiter, unter den fetten, weichen Fittichen der Wirtin hereinkam.

Der Rektor tauschte mit allen einige Händedrucke, er winkte die Wirtin mit den Augen aus dem Zimmer und rief in seiner kehligen Kanzelstimme, mit aus dem Bauch kommenden Tönen und langgezogenen R's und L's, einer sehr tiefen, umdüsterten Stimme, die höchst heilig war und in den durch seine bloße Gegenwart geschaffenen Tempel paßte, die sich Leichtfertigkeiten, Gekicher und die kindlichen Zynismen der Jim Leffertse verbat – ein Geräusch, das irgendwo zwischen den abendlichen Glocken und dem Morgenruf des Esels lag:

»Oh, Bruder Elmer, das war wacker, was Sie getan haben! Ich habe noch nie etwas Wackereres gesehen! Daß ein großer, starker Mann mit Ihren Gladiatorenkräften keine Angst hat, sich zu demütigen! Und Ihr Beispiel wird riesig viel Gutes wirken, rrrrriesig viel Gutes! Das müssen wir ergreifen und festhalten. Sie werden heute abend in der Y.M.C.A. sprechen – in einem Spezialmeeting zur Befestigung der Resultate, die unsere wundervolle Gebetswoche gezeitigt hat.«

»Ach, je, Rektor, ich kann nicht!« greinte Elmer.

»Oh ja, Bruder, Sie müssen, Sie müssen! Es ist schon angekündigt. Wenn Sie in der nächsten Stunde auf die Straße kommen, werden Sie die Freude haben, Anschläge zu sehen, die es in der ganzen Stadt ankündigen!«

»Aber ich kann keine Rede halten!«

»Der Herr wird Ihnen die Worte eingeben, wenn Sie den guten Willen mitbringen! Ich werde Sie selbst um Viertelacht abholen. Gott befohlen!«

Er war gegangen.

Elmer war völlig erschreckt, völlig abgeneigt und vor Entzücken geschwollen, daß er nach langen dunklen Stunden, in denen Jim, ein nicht Graduierter, ihn übel behandelt und seinen Verstand mit Schmutz beworfen hatte, vom Rektor der Terwillinger-Colleges als Mitapostel an den gestärkten Busen gezogen wurde.

Während Elmer sich zu etwas entschloß, wozu er sich schon entschlossen hatte, kroch Jim ins Bett und haderte in leisen, giftigen Tönen mit dem Herrn.

Elmer ging aus, um sich die Anschläge anzusehen. Sein Name war in lieblich großen Lettern gedruckt.

Am späten Nachmittag, nach einigen Vorlesungen, bei denen ihn jedermann respektvoll betrachtet hatte, versuchte Elmer eine Stunde lang seine Ansprache für die Y.M.C.A. und die angeschlossenen Damen vorzubereiten. Jim schlief, sein Schnarchen hörte sich an wie das Fauchen eines Leoparden.

Bei seinen Übungen im öffentlichen Sprechen, einem Kurs, der dazu bestimmt war, Kongreßmitglieder, Bischöfe und Verkaufsdirektoren zu erziehen, hatte Elmer Abhandlungen vortragen müssen über das Steuerwesen, die Ziele Gottes in der Geschichte, über unseren Freund den Hund und über die Herrlichkeit der amerikanischen Verfassung. Aber seine monatlichen Redeübungen waren nicht allzu anstrengend gewesen; niemand hatte sich darum gekümmert, ob er alle seine Gedanken und den größten Teil seiner Phraseologie aus dem Lexikon stahl. Der wichtigste Teil der Vorbereitung war das Ölen seiner polierten Mahagonistimme mit Pastillen gewesen, da er ziemlich unentwegt dem verbotenen Rauchen gefröhnt hatte. Er hatte nichts gelernt, als seine Stimme nach vorne zu bringen. Es war nie wichtig erschienen, auf die neunzehn Jünger der Redekunst Eindruck zu machen, oder auf den Lehrer, einen unordinierten, zugelassenen Prediger, der früher Steuerbeamter in Oklahoma gewesen war. Er hatte im öffentlichen Sprechen nie versagt, aber nie auch nur eine Sekunde lang interessiert.

Jetzt begriff er heftig schwitzend, daß man von ihm erwartete, er solle denken, den merkwürdigen Trieben und Wünschen, durch die Elmer Gantry sich von allen anderen menschlichen Wesen ein wenig unterscheide, Ausdruck verleihen und Ideen aussprechen, die nicht von jedem Halleluja-Strom fortgeschwemmt werden könnten.

Er versuchte sich auf die Predigten zu besinnen, die er gehört hatte. Aber die Prediger waren so voll Behagen von ihrer Autorität überzeugt, so sehr mit gewichtigen Botschaften ausgerüstet gewesen, und er selbst, er konnte im Augenblick keine Klarheit darüber gewinnen, ob er ein Missionar wäre, der seine überraschenden neuen Erleuchtungen der Menge weiterzugeben hatte, oder ganz einfach ein Sünder, der –

Ganz einfach ein Sünder! Und ob! Nichts anderes! Der Teufel sollte ihn holen, wenn er dem alten Jim untreu würde! O nein! Oder Juanita untreu werden, die zu ihm hielt und nett zu ihm war, wie grob und roh und großmäulig er auch sein mochte! Sie umarmen. Die Art, wie sie immer die dämliche Tante von Nell los wurde; sie blinzelte ihm nur zu, machte Tantchen irgendwas vor und schickte sie weg, Essen holen –

Gott! Wenn nur Juanita da wäre! Sie würde das Richtige wissen. Sie würde ihn beraten, ob er dem Alten und der Y. M. sagen sollte, sie möchten sich zum Teufel scheren, oder ob er diese Gelegenheit ergreifen sollte, Eddie Fislinger und allen den Y. M.-Klugscheißern zu zeigen, daß er nicht so vernagelt war –

Nein! Hier hatte ihm der Alte gesagt, daß er die Hauptsache wäre; für ihn hatte man ein großes Meeting einberufen. Quarles und Juanita! Nein, nein! Die Beiden konnte er nie zusammenbringen! Und der Alte hatte ihn beschworen –

Angenommen, es käme in die Zeitungen! Wie er einen zähen Kunden gerettet hatte, genau so gut wie Judson Roberts. Juanita – Unterröcke wie sie waren überall zu finden, aber wo konnte man einen Kerl finden, der anfangen und auch schon Seelen retten konnte?

Weg mit diesen blödsinnigen Gedanken, jetzt wo Jim schlief, und die Sache zusammenstellen. Wie war das mit den Arbeitern im Weinberg? Irgend so was war's doch. In der Bibel … Wie oft sie es auch wiederholen mochten – und keinem armen Hund war es jemals schlechter gegangen mit dem gemeinen Eddie, der ihn von der einen Seite stieß, und Jim, der ihn von der anderen heruntermachte – was auch geschah, er mußte diesen Viechskerlen zeigen, daß er es ebensogut verstand –

Teufel! So konnte man nicht weiterkommen; das hieß nicht arbeiten. Aber –

Über welchen verdammten Dreck sollte er denn überhaupt reden?

Mal sehen. Herrje, das war ein großartiger Gedanke! Ihnen sagen, wie ein großer starker Kerl, je stärker er war, desto eher könnte er sich's leisten, zuzugeben, daß die Kraft des Heiligen Geistes ihn ganz einfach kampfunfähig gemacht hätte –

Nein. Teufel! Das hatte ja Old Jud gesagt. Er mußte was Neues haben. Bißchen neu wenigstens.

Er sollte nicht »Teufel« sagen. Schluß damit machen. Bekehrt bleiben, ganz egal, wie schwer es war. Er hatte keine Angst vor – er und der alte Jud, sie waren stark genug, um –

O nein! Es war nicht der alte Jud; seine Mutter war es. Was würde sie denken, wenn sie ihn einmal mit Juanita sehen sollte! Juanita! Das schlampige Luder! Ganz sittenlos!

Er mußte sich dahinterklemmen. Jetzt gleich!

Elmer packte die Kante seines Arbeitstisches. Es knackte. Er hatte Freude an seiner Kraft. Er zog seinen schmutzigen roten Sweater aus, streichelte seinen riesigen Biceps und ging wieder an seine apostolische Arbeit:

Mal sehen: Die Burschen in der Y. würden von ihm erwarten, daß er sagt –

Er hatte es! Niemand konnte sich jemals auch nur zu einem Fluch versteigen, wenn es nicht – wie hieß das nur? – im unerforschlichen Ratschluß der Vorsehung lag.

Höchst eifrig machte Elmer umfangreiche, formlos gekritzelte Notizen in einem Zehn-Cent-Heft, das bisher dem Deutschen gedient hatte. Er sprang auf, schaute gelehrt drein und versammelte seine Bibliothek um sich: die Bibel, die er von seiner Mutter hatte; das Neue Testament, das er von einem Sonntagsschullehrer hatte; seine Lehrbücher für die wöchentlichen Vorlesungen über Bibeltexte und Kirchengeschichte; und ein Vierzehntel einer vierzehnbändigen Sammlung »Die großen Reden der Welt«, das er in einem seltenen, unter dem Einfluß des Alkohols stehenden Augenblick um siebzehn Cents in Cato erworben hatte.

Der Impetus, den er anfangs gehabt hatte, war ganz weg.

Nun, er würde bei der Bibel Hilfe finden. Die war ganz geoffenbart, Wort für Wort, ganz egal, was Spötter wie Jim sagten. Er würde die erste Stelle nehmen, die er aufschlug, und darüber reden.

Er öffnete bei: »So haltet euch nun ferne von ihnen, du Thathnai, Landpfleger jenseit des Wassers, und Sethar-Bosnai, und ihr andern des Rats, ihr von Apharsach, die ihr jenseit des Wassers seid«, einem Gebot, das wohl geistvoll war, jetzt aber nicht die geringste Hilfe bot.

Er begann wieder an seinem üppigen Haar zu ziehen und sich zu kratzen.

Herr Gott. Irgendwas mußte sein.

Die einzige Möglichkeit, im ganzen Leben weiterzukommen, lag darin, daß man diese Mächte begriff, von denen die Wissenschaftler mit ihren Laboratorien und dem ganzen Zeugs nichts erfassen konnten, die aber für einen wahren Christen ebenso leicht waren wie –

Nein. Er hatte außer Chemie I keine Labor-Kurse genommen, deshalb konnte er nicht beweisen, daß alle diese Physiker und Biologen Trottel sind.

Unglückselig fing Elmer die netten Notizen auszustreichen an, die er in seinem Heft gemacht hatte.

Zu seinem Verdruß merkte er, daß Jim wach war und höhnte: »Alles recht heilig und lehrreich, Höllenhund? Warum nimmst du deine erste Predigt nicht von den Heiden? Du wärst nicht der erste künftige Messias, der das tut!«

Jim schleuderte ihm ein dünnes Buch zu und fiel wieder in den Schlaf des Ungläubigen. Elmer hob das Buch auf. Es war eine Auswahl der Schriften von Robert G. Ingersoll.

Elmer war empört.

Seine Ansprache von Ingersoll nehmen, dem elendigen alten Atheisten, der sagte – na also, auf jeden Fall kritisierte er die Bibel und alles! Einer, der nicht an die Bibel glaubte, sollte doch wenigstens nicht die anderen in ihrem Glauben stören. Eine hundsgemeine Schweinerei, das zu tun! So eine Unverschämtheit von Jim, ihm vorzuschlagen, er sollte sich irgendwas von Ingersoll holen! Er würde das Buch ins Feuer schmeißen!

Aber – alles war besser, als weiter sein Hirn abzustrapazieren. Er vergaß seine Schmerzen, indem er sich Hals über Kopf ins Lesen stürzte. Schläfrig verfolgte er Seite um Seite von Ingersolls Predigen und Scherzen. Plötzlich setzte er sich auf, blickte argwöhnisch zum verstummten Jim hinüber, blickte argwöhnisch gen Himmel. Er stöhnte, zauderte und begann dann rasch aus Ingersoll in sein Deutschheft abzuschreiben:

Die Liebe ist der einzige Regenbogen auf der dunklen Wolke des Lebens. Sie ist der Morgen- und der Abendstern. Sie leuchtet über der Wiege des Kindes und wirft ihre Strahlen auf das stille Grab. Sie ist die Mutter der Kunst, sie inspiriert den Dichter, den Patrioten und den Philosophen. Sie ist die Luft und das Licht eines jeden Herzens, sie erbaut jedes Heim, sie entzündet das Feuer auf jedem Herd. Sie war die erste, die von Unsterblichkeit träumte. Sie erfüllt die Welt mit Melodien, denn die Musik ist die Stimme der Liebe. Die Liebe ist die Magierin, die Zauberin, die aus wertlosen Dingen Freuden macht und erlauchte Könige und Königinnen aus gemeinem Lehm schafft. Sie ist der Duft der wundersamen Blume – das Herz – und ohne diesen heiligen Trieb, diese göttliche Schwäche, sind wir geringer als die Tiere; mit ihr aber, wird die Erde zum Himmel, sind wir Götter.

Nur einen Augenblick, während er abschrieb, sah er unsicher aus; dann:

»Dreck! Wahrscheinlich ist heute abend kein Mensch da, der Ingersoll gelesen hat. Sind alle gegen ihn Außerdem werd' ich's ein bißchen umändern.«

5

Als Rektor Quarles ihn abholte, hatte Elmer seine Ansprache fertig, er war in seinem schönsten blauen, zweireihigen Sonntagsanzug und hatte das Haar gebürstet.

Als sie gingen, rief Jim Elmer aus dem Vorzimmer zurück, um ihm zuzuflüstern: »Hör mal, Höllenhund, du wirst doch dran denken, etwas Nettes über Ingersoll zu sagen, und über mich, weil ich dir den Tip gegeben hab', nicht wahr?«

»Schau, daß du zum Teufel kommst!« sagte Elmer.

6

In der Y.M.C.A. war eine ansehnliche, reichlich neugierige Menge versammelt. Den ganzen Tag hatte man im Hof debattiert: »Ist Höllenhund wirklich ganz sicher gerettet? Wird er mit seinen Schweinereien aufhören?«

Alle, die er kannte, waren da, ihre offenen Münder sahen fragend aus, grinsten oder zweifelten. Ihr Schauen und Blinzeln verwirrte ihn, und er ärgerte sich darüber, daß er von Eddie Fislinger, dem Präsidenten der Y.M. C.A., vorgestellt wurde.

Er begann schlecht, stammelnd. Aber Ingersoll hatte den Anfang seiner Rede geliefert, und er erwärmte sich am Glanz seiner eigenen Stimme. Er sah das Auditorium im geschweiften Y.M.C.A.-Saal als strahlende Wolke, er wurde voll Zuversicht laut, er begann die ergreifenden Gedanken hinzuzufügen, die ganz und gar sein eigen waren – abgesehen davon, höchstens, daß er sie dreißig- oder vierzigmal in Predigten gehört hatte.

Es klang recht gut, wenn man die Umstände in Betracht zog. Bestimmt ließ es sich mit den mystischen Durchschnittstiraden der Kanzel vergleichen.

Trotz seinem Slang, seinem Fluchen, seiner mangelhaften Grammatik, war Elmer im College gezwungen gewesen, gewisse Bücher zu lesen und gewisse Kollegien zu hören, die alle mit prachtvollen, blühenden langen Worten erfüllt waren, mit schönen Sentenzen über Gott, den Sonnenuntergang, die moralische Nutzanwendung, die aus dem täglichen Betrachten der Berglandschaft zu ziehen sei, über Engel, das Fischen von Seelen, das Fischen von Fischen, Ideale, Patriotismus, Demokratie, die Keuschheit, den Irrtum der Vorsehung beim Erschaffen des weiblichen Beins, Mut, Demut, Gerechtigkeit, die Ackerbaumethoden in Palästina um das Jahr 4 A.D., die Schönheit der Häuslichkeit, und das Gehalt der Prediger. Diese blühenden Worte, diese orgeltönenden Sätze, diese tiefen Gedanken waren ihm eingehämmert worden, bis sie gebrauchsfertig in seinem Hirn hafteten.

Aber sogar für den schulmüden Lehrkörper, der dieses Einhämmern besorgt hatte, der die Quellen hätte kennen müssen, war es erstaunlich, daß Elmer Gantry nach vier Jahre langem Ächzen mit diesen Floskeln herausrückte, die sie ganz ernst nahmen, weil sie selbst in engherzigen Baptisten- und Campbelliten-Colleges erzogen worden waren.

Keiner von ihnen dachte daran, daß etwas Komisches daran sein könnte, wenn ein kräftiger junger Mann, der göttlich zum Kohlenschleppen geeignet war, sich hinstellte und in geschwollenen, unwahren Phrasen über die Liebe und die Seele schwelgte. Sie saßen da – junge Lehrer, die noch nicht lange von der Farm weg waren, Professoren, die das jahrelange Schlafen in ungelüfteten Pfarrerstuben bleich gemacht hatte – und blickten Elmer respektvoll an, der schwadronierte:

»Es ist schrecklich schwer für einen, der mehr daran gewöhnt ist, auf die feindliche Linie loszugehen, als öffentlich zu reden, zu sagen, wie er es meint, aber manchmal glaub' ich, man kann vielleicht doch über alles mögliche nachdenken, auch wenn man sich nicht immer so ausdrückt, wie man's meint, und ich möchte wovon ich reden möchte, das ist, daß man, wenn man tief in die Dinge sieht und wirklich seine Rechnung mit Gott ausgeglichen hat, und wenn man sich das Herz von Gott mit höheren Bestrebungen erfüllen läßt, daß man dann sieht – daß man sieht, daß die Liebe das einzige ist, was wirklich mit Sicherheit alle dunklen Wolken des Lebens erhellen kann.«

»Jawohl, nur die Liebe! Sie ist der Morgen- und der Abendstern. Sie ist – sogar im stillen Grab, ich meine die, die um das stille Grab stehen, sogar dort findet man sie. Was ist es, das alle großen Männer inspiriert, alle Dichter, alle Patrioten und alle Philosophen? Die Liebe ist es, nicht wahr? Was hat der Welt das erste Zeugnis von Unsterblichkeit gegeben? Die Liebe! Sie erfüllt die Welt mit Melodien, denn was ist Musik? Was ist Musik? Ja! Die Musik ist die Stimme der Liebe

Der große Rektor Quarles lehnte sich zurück und setzte seine Brille auf, was seinem fliegengezierten Gesicht ein leicht gelehrtes Aussehen gab. (Sonst wirkte es wie das eines Kleinstadtbankiers aus dem Jahr 1850.) Er war das Zentrum einer Reihe auf der Tribüne des Y.M.C.A.-Saals, die aus einem Dutzend Würdenträger bestand – es war eine niedrige Tribüne unter einer Stuck-Halbkuppel. Die Wand hinter ihnen war mit graphischen Darstellungen behängt, die ein wenig an anatomische Tafeln erinnerten; sie zeigten den Seelengewinn in Ägypten, die Summen, die für Whisky ausgegeben wurden, im Vergleich zu den Summen, die für Gesangbücher ausgegeben wurden, und den illustrierten Fortschritt eines Erdenpilgers von sündhaftem Reden durch Zigarettenrauchen und Bierkneipen in eine muntere Verfassung, in der er seine Frau schlug – die keinen Gefallen daran zu finden schien. Darüber war ein großes, weises Motto aufgemalt: »Lasse dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit dem Guten.«

Das ganze Lokal hatte jenen dumpfigen Strohgeruch, der den Stätten der Frömmigkeit eigen ist; Rektor Quarles schien jedoch nicht darunter zu leiden. Er hatte sein ganzes Leben in Heiligtümern verbracht, und in Zimmern, welche dünnen Kirchenzeitschriften und dicken Predigtbänden gehörten. Er hatte ein leichtes chronisches Schnüffeln, aber sein Organismus war anscheinend dem Leben ohne Luft angepaßt. Er strahlte und rieb sich die Hände, er blickte in frommer Freude auf Elmers langen, breiten Rücken, während Elmer, immer sicherer, loslegte, die Zuhörer anbrüllte – sie zerschmetterte, ihren Widerstand brach, mitten ins Tor schoß:

»Was ist es, das uns von den Tieren unterscheidet? Das Gefühl der Liebe! Ohne sie sind wir – sind wir tatsächlich nichts; mit ihr, wird die Erde zum Himmel, und sind wir, ich meine in gewissem Maße, wie Gott selbst! Nun, das ist es, was ich über die Liebe sagen wollte, und hier findet sie ihre Nutzanwendung. Wahrscheinlich ist eine ganze Menge unter Ihnen, die so sind wie ich selber – oh, ich hab's getan, ich will mich nicht schonen – ich bin herumgegangen und hab' gedacht, ich wäre zu gut, zu groß, zu gescheit für die göttliche Liebe des Heilands! Hören Sie! Ist einer unter Ihnen, der mal in sich gegangen ist und darüber nachgedacht hat, wie sehr er sich selber im Weg steht, wenn er denkt, daß er ohne göttliche Hilfe weiterkommen kann? Ich glaube, Sie sind wahrscheinlich größer als Moses, größer als der heilige Paulus, größer als Pasteur, dieser große Gelehrte –«

Rektor Quarles jubelte: »Das war eine echte Bekehrung! Aber auch noch mehr als das! Das ist eine richtige Entdeckung – meine Entdeckung! Elmer ist der geborene Prediger, sobald er sich einmal losläßt, und ich kann ihn dazu bringen! O Herr, wie wunderbar sind deine Wege! Du hast gewollt, daß unser junger Bruder hier weniger im Gebet als in den machtvollen Kämpfen des olympischen Feldes herangezogen wurde! Ich – Du, Herr, hast uns einen geborenen Prediger gezeigt. Eines Tages wird er einer unserer führenden Propheten sein!«

Die Zuhörer klatschten Beifall, als Elmer seinen Schluß hinausschrie: »– und ihr Füchse werdet euch viel von der Zeit ersparen, die ich vergeudet hab', wenn ihr gleich jetzt einseht, daß ihr, solang ihr nicht von Gott wißt – nichts wißt!«

Sie klatschten, sie zeigten ihm strahlende Gesichter. Eddie Fislinger gewann ihn, indem er seufzte: »Alter Junge, du hast mich in meinem eigenen Spiel geschlagen, genau so wie in deinem!« Es gab viel Händeschütteln. Keines war wärmer als das seines alten Feindes, des Lateinprofessors, der keuchte:

»Wo haben Sie alle die schönen Ideen und Metaphern über die göttliche Liebe her, Gantry?«

»Ach,« ganz bescheiden, »ich kann kaum sagen, daß sie von mir wären, Professor. Ich glaub', ich hab' sie im Gebet bekommen.«

7

Judson Roberts, Ex-Fußballstar, Landessekretär der Y.M.C.A., war im Zug nach Concordia, Kansas. Im Korridor zog er dreimal an einer verbotenen Zigarette und drückte sie aus.

»Nein, das war wirklich nicht so schlecht für ihn, für diesen Elmer und wie er noch heißt, daß er bekehrt wurde. Wahrscheinlich ist gar nichts dran. Kann ihm aber auf keinen Fall schaden, eine Zeitlang auf seine schlechten Gewohnheiten zu verzichten. Und was können wir wissen? Vielleicht kommt der Heilige Geist herunter. Auch nicht unwahrscheinlicher als Elektrizität. Ich wollte, ich könnte mit diesem Zweifeln fertig werden! Ich vergeß' sie, wenn ich die Leute bei einem Evangelisten-Meeting in Schuß bring', aber wenn ich einen großen Fleischer wie ihn seh', mit dem verdammt blöden Grinsen im Gesicht – dann glaub' ich doch, daß ich noch Grundstückmakler werd'. Ich glaub' nicht, daß ich den jungen Burschen auch nur das geringste antu', aber ich wollte, ich könnt' ehrlich sein. Ach Gott, Gott, Gott, ich wollte, ich hätt' einen guten Posten als Grundstückmakler!«

8

Elmer ging festen Schrittes heim. »Was für ein Recht hat denn Mr. James B. Lefferts, mir zu sagen, ich darf meine Fähigkeit, Leute in Schuß zu bringen, nicht ausnützen? Und ob ich sie in Schuß gebracht hab'! Nie hätt' ich mir gedacht, daß ich so loslegen könnt'. Leicht wie Fußball! Und der Alte sagt, ich bin ein geborener Prediger! Na!«

Entschlossen und voller Rachegelüste trat er ins Zimmer und warf seinen Hut auf den Boden.

Das weckte Jim auf. »Wie hast du's überstanden? Hast du ihnen die Evangeliums-Sauce serviert?«

»Hab' ich!« trompetete Elmer. »Ich hab's überstanden, wie du sagst, und noch dazu blendend. Hast du was dagegen?«

Er zündete die größte Lampe an und drehte sie ganz auf, mit dem Rücken zu Jim.

Keine Antwort. Als er sich umsah, schien Jim eingeschlafen zu sein.

Am nächsten Morgen um sieben Uhr sagte er vergebungsvoll, fast herablassend: »Ich bleib' bis zehn weg, soll ich dir was zum Frühstück bringen?«

Jim antwortete: »Nein, danke«, und mehr sagte er an diesem Morgen nicht.

Als Elmer um halb elf zurückkam, war Jim weg, waren seine Habseligkeiten weg. (Es war kein großer Umzug: drei Koffer mit Kleidungsstücken, ein Arm voll Bücher.) Auf dem Tisch lag ein Zettel:

 

Ich werde für den Rest des Jahrs im Konvikt wohnen. Du kannst wahrscheinlich Eddie Fislinger als Zimmerkameraden kriegen. Das würde Dir Freude machen. Es war interessant, zuzusehen, wie Du versucht hast ein ehrlicher Wüstling zu sein, aber ich glaube, es würde zu interessant sein, zuzusehen, wie Du ein geistiger Führer wirst

J.B.L.

So sehr Elmer auch raste, das Zimmer wurde dadurch nicht weniger einsam.


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