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Einundzwanzigstes Kapitel.

1

Bei Frauen hatte Elmer sich immer für das gehalten, was er einen »schnellen Arbeiter« nannte, aber das Drum und Dran des geistlichen Amts, der entzückte Argwohn, mit dem die Klatschmäuler einen Prediger auf Freiersfüßen beobachteten, behinderten ihn in seinem Fortschritt mit Cleo. Er konnte nicht, wie die schneidigen jungen Leute im Ort, mit Cleo die Eisenbahnstrecke entlang oder über die weidenbeschatteten Auen am Banjo River gehen. Er hörte zehntausend Methodistenpresbyter krächzen: »Vermeide auch den Anschein des Bösen.«

Er wußte, daß sie in ihn verliebt war – es war, seitdem sie ihn das erstemal gesehen hatte, einen frommen, doch männlichen Führer, der im Licht des sommerlichen Spätnachmittags an der Kanzel stand. Er war gewiß, daß sie sich ihm ergeben würde, wann immer er es verlangen sollte. Er war gewiß, daß sie alle wünschenswerten Eigenschaften hatte. Und doch –

Ja, irgendwie reizte sie ihn nicht. Hatte er Angst davor, zu heiraten, gesetzt und monogam zu werden? War es ganz einfach, daß sie geweckt werden mußte? Wie konnte er sie erwecken, wenn ihr Vater immer im Weg war?

Sooft er sie besuchte, blieb der alte Benham beharrlich im Wohnzimmer. Er war, außerhalb den Geschäftsstunden, ein Freund der Religion und sprach gern darüber. Gerade wenn Elmer, vom Klavier gedeckt, Cleos Hand drücken wollte, sprang Benham immer auf und schnarrte: »Was meinen Sie, Bruder? Glauben Sie, daß die Gnade durch den Glauben oder durch die Werke kommt?«

Elmer machte ihm alles klar – bei sich brummend: »Na, du, du alter Teufel mit deinem Halsabschneiderladen, für dich wär's besser durch den Glauben in den Himmel zu kommen, denn Gott weiß, daß dir's durch die Werke nie gelingen wird!«

Und wenn Elmer mit ihr in die Küche hinausschlüpfen wollte, um mit ihr Limonade zu machen, hielt Benham ihn zurück, indem er fragte: »Was halten Sie von John Wesleys Lehre von der Vollkommenheit?«

»Ach, sie ist ganz richtig und bewiesen«, meinte Elmer, während er darüber nachdachte, was zum Teufel Mr. Wesleys Lehre von der Vollkommenheit sein könnte.

Es ist möglich, daß ihn die Anwesenheit der älteren Benhams, die eine zu nahe Vereinigung Elmers mit Cleo hintanhielt, daran verhinderte, zu erkennen, warum er keine große Sehnsucht danach verspürte, sie zu umarmen. Er übersetzte seinen Mangel an Begehren in Tugend und redete sich ein, in der Tat ein gebesserter und vollkommener Charakter zu sein … ging so nach Hause und stand mit der kleinen Jane Clark in pastoraler Spaßhaftigkeit plaudernd in der Küche herum.

Sogar wenn er mit Cleo allein war, wenn sie ihn im stolzen Benhamautomobil zu seinen Besuchen über Land fuhr, sogar während er sich voll Eifer sagte, wie hübsch sie sei, war er nie ganz natürlich in ihrer Gegenwart.

2

An einem Abend im Spätnovember machte er einen Besuch, beide Eltern waren nicht zu Hause. Sie sah bekümmert aus und hatte rote Augen. Während sie noch an der Tür zum Wohnzimmer standen, fragte er voll Güte: »Nanu, Schwester Cleo, was ist denn los? Sie sehen ja so traurig aus.«

»Ach, es ist nichts –«

»Also hören Sie! Sagen Sie mir's! Ich werd' für Sie beten, oder jemand verprügeln – was Sie lieber wollen.«

»Ach, Sie sollten wirklich nicht darüber scherzen – auf jeden Fall, es ist wirklich nichts.«

Sie starrte zu Boden. Er fühlte sich heiter und erhaben, so köstlich stärker als sie. Er drückte ihr Kinn mit dem Zeigefinger hoch und verlangte: »Sehen Sie jetzt zu mir rauf!«

In ihren offenen Augen stand so schamvolle, schamlose Sehnsucht nach ihm, daß er erschüttert wurde. Er konnte nichts anderes tun als seinen Arm um sie legen; sie ließ ihren Kopf auf seine Schulter sinken und weinte, ihr ganzer Stolz hatte sie verlassen. Er war von der Erkenntnis seiner Gewalt so entzückt, daß er sie für Leidenschaft hielt, und plötzlich küßte er sie, sich der bleichen Feinheit ihrer Haut, ihres schmeichelhaften Begehrens nach ihm bewußt; plötzlich platzte er heraus: »Ich hab' dich geliebt, ach, schrecklich geliebt, seit der allerersten Sekunde, in der ich dich gesehen hab'!«

Als sie auf seinem Knie saß, als sie sich widerstandslos an ihn sinken ließ, war er überzeugt, daß sie sehr schön, durchaus begehrenswert sei.

Die Benhams kamen heim – Mrs. Benham weinte vor Glückseligkeit und Freude über die Verlobung, und Mr. Benham begann ihm herzlich auf den Rücken zu klopfen und Späße zu machen, wie: »Na, weiß Gott, jetzt, wo ich 'nen richtigen lebendigen Prediger in der Familie hab', werd' ich wohl so verflixt anständig sein müssen, daß der Laden kaum gehen wird!«

3

Seine Mutter kam zur Hochzeit im Januar aus Kansas. Ihr Glück, ihn auf seiner Kanzel zu sehen, die Schönheit und Reinheit Cleos zu sehen – und die Wohlhabenheit von Cleos Vater – war so groß, daß sie ihren lang getragenen Kummer über seine vielen Treulosigkeiten gegen den Gott, den sie ihm gegeben hatte, über sein Abschwenken vom Baptistenheiligtum zum zweifelhaften, fast agnostischen Liberalismus der Methodistenkirche – daß sie all diesen Kummer vergaß.

Als seine Mutter da war, als Cleo in rosiger Freude umherging, als Mrs. Benham jedermann bemutterte und rasend kochte, als Mr. Benham ihn auf die Hinterveranda hinausnahm und ihm einen Scheck auf fünftausend Dollars überreichte, hatte Elmer das Gefühl, eine Familie zu besitzen, verwurzelt, solid und sicher zu sein.

Zur Hochzeit gab es Unmengen von Kokosnußkuchen und Hunderte von Orangenblüten, Rosen von einem richtigen Stadtblumenhändler in Sparta, neue Photographien für das Familienalbum, eine Bowle streng temperenzlerischen Punsches und schöne, aber züchtige Wäsche für Cleo. Es war fabelhaft. Doch Elmer war ein wenig betrübt, weil niemand da war, den er sich zum Brautführer gewünscht hätte, niemand, der seit Jim Lefferts sein Freund gewesen war.

Er bat Ray Faucett, den Butterhersteller in der Molkerei und Chorsänger in der Kirche, und das Dorf fühlte sich geschmeichelt, daß Elmer nicht einen von den Hunderten intimer Freunde, die er in der großen Welt draußen haben mußte, auserwählt hatte, sondern einen der Ihren.

Sie wurden während eines Sturms, der fast ein Orkan war, vom Bezirkssuperintendenten getraut. Sie nahmen den Zug nach Zenith, wo sie auf ihrer Reise nach Chicago die Nacht verbringen wollten.

Erst als er im Zug saß, als das Gerufe und der Reisregen vorüber war, stöhnte Elmer, während er Cleos so ziemlich immer gleichbleibendes Lächeln betrachtete, sich zu: »Du mein guter Gott, jetzt hab' ich mich fest gebunden und kann nie wieder Spaß haben!«

Aber er war ganz Mann, sogar Kavalier; er verbarg ihr seine Abneigung und unterhielt sie mit einer Aufzählung der Schönheiten Longfellows.

4

Cleo sah müde aus, und gegen Ende der Reise am Winterabend, in dem trostlosen Sturm, schien sie kaum auf seine Ausführungen über klassenweisen Sonntagsschulunterricht, die Behandlung von Hühneraugen, seine Triumphe bei Schwester Falconer Meetings und die Inferiorität des Reverend Clyde Tippey zu hören.

»Na, du könntest mir wenigstens ein bißchen Aufmerksamkeit schenken!« schnaufte er.

»Oh, entschuldige! Ich hab' wirklich achtgegeben. Ich bin nur müde – alle Hochzeitsvorbereitungen und so weiter.« Sie blickte ihn beschwörend an. »Ach, Elmer, du mußt achtgeben auf mich! Ich geb' mich dir ganz – ach, ganz und gar.«

» Hu! du hältst es also für ein Opfer, mich zu heiraten, nicht wahr!«

»O nein, so hab' ich's nicht gemeint –«

»Und du scheinst zu glauben, daß ich nicht die Absicht habe, auf dich achtzugeben! Na freilich! Wahrscheinlich werd' ich bis spät in die Nacht ausbleiben und Karten spielen, trinken und Weibern nachlaufen! Selbstverständlich! Ich bin kein Diener des Evangeliums – ich bin ein Kneipenwirt!«

»Ach, Lieber, Lieber, Lieber, ach, mein Liebster, ich wollte dir nicht weh tun! Ich hab' nur gemeint – du bist so stark und groß, und ich bin – ach natürlich bin ich nicht ein winzig kleines Ding, aber ich hab' doch nicht deine Stärke.«

Es freute ihn, den Beleidigten zu spielen, aber er warnte sich: »Halt die Klappe, du Rindvieh! Du wirst sie nie zum Lieben erziehen, wenn du sie anschnauzt.«

Großmütig tröstete er sie: »Oh, ich weiß. Natürlich, du liebes armes Ding. Es ist aber 'ne dumme Sache, daß deine Mutter diese große Hochzeit haben wollte, und die ganze Esserei und die vielen Verwandten und so weiter.«

Und trotz alledem schien sie noch immer bekümmert zu sein.

Aber er tätschelte ihre Hand und redete von dem Häuschen, das sie in Banjo Crossing möblieren wollten; und als er an Zenith dachte, an ihr Zimmer im O'Hearnhotel (es bestand keine Notwendigkeit für eine ganze Flucht, wie früher, als er seinen Erfolgschülern imponieren mußte) wurde er glühender, flüsterte ihr zu, sie sei schön, streichelte ihren Arm, bis sie zitterte.

5

Der Hotelboy hatte kaum die Tür ihres Zimmers mit dem Doppelbett geschlossen, da hatte er sie schon gepackt, ihr den Mantel mit dem schneenassen Kragen abgerissen und zu Boden geschleudert. Er küßte sie auf den Hals. Als er seinen Griff lockerte, fuhr sie zurück, den Handrücken voller Angst auf die Lippen gelegt, und bat mit erschrockener Stimme: »Oh, nicht! Nicht jetzt! Ich hab' Angst!«

»Das ist verdammter Blödsinn!« raste er, nach ihr greifend, als sie zurückwich.

»Ach, nicht, bitte!«

»Sag' mal, was zum Teufel, glaubst du, ist die Ehe?«

»Oh, bis jetzt hab' ich dich noch nie fluchen gehört!«

»Mein Gott, wenn du dich nicht so benehmen würdest, daß es die Geduld eines Säulenheiligen auf die Probe stellen würde, tät' ich's ja nicht!« Er beherrschte sich. »Na, na, na! Entschuldige! Ich glaub', ich bin auch ein bißchen müde. No, no, mein kleines Mädel. Ich wollte dich nicht erschrecken. Verzeih mir. Ich hab' dir nur gezeigt, wie verrückt ich vor Liebe zu dir bin, begreifst du das denn nicht?«

Auf sein breites apostolisches Grinsen antwortete sie mit einem schwachen Lächeln, und er nahm sie wieder, legte seine plumpe Hand auf ihre Brust. Zwischen seinen langen Umarmungen suchte er sie, obgleich sein Ärger über ihre Zaghaftigkeit wuchs, zu ermutigen, indem er laut rief: »Also, los, Cleo, bißchen Mut jetzt!«

Sie hielt ihn nicht wieder zurück; sie war ganz bleiche Ergebenheit – nur einmal errötete sie unglücklich, als er über das altmodische Nachthemd mit langen Ärmeln witzelte, das sie schüchtern in der neutralen Atmosphäre des Badezimmers anlegte.

»Herrje, da könntest du ja genau so gut 'nen Sack anziehn«, brüllte er mit ausgestreckten Armen. Sie versuchte zutraulich auszusehen, als sie sich langsam auf ihn zu bewegte. Es gelang ihr nicht.

»Man muß ja brutal sein, um ihrer selbst willen«, sagte er sich und packte sie an den Schultern.

Als er neben ihr aufwachte und sie weinen sah, mußte er ihr tatsächlich die Leviten lesen.

»Jetzt sieh mich mal an! Die Tatsache, daß du die Frau eines Geistlichen bist, hindert dich nicht, ein Mensch zu sein! Du bist mir ja die Richtige, um die Bälger in der Sonntagsschule zu unterrichten!« sagte er, und noch viele andere starke, geistvolle Worte, während sie weinte, mit verwirrtem Haar um das sanfte Gesicht, das er haßte.

6

Die Entdeckung, daß Cleo nie eine flotte Geliebte sein würde, vermehrte seinen Ehrgeiz nur, als sie nach Banjo Crossing zurückgekehrt waren.

Obgleich Cleo von seinen Wutanfällen immer wieder entsetzt war, fand sie ein wenig Glück im Möblieren ihres kleinen Hauses, im Aufstellen der Bücher, in der Bewunderung seiner Kanzelberedsamkeit und in den Huldigungen, die ihr, als der Pastorenfrau, auch von ihren alten Freunden dargebracht wurden. Er war imstande, sie zu vergessen, und alle seine Gedanken waren seiner heiligen Karriere zugewendet. Er war voller Eifer für die Jahresversammlung im Frühling; er mußte weiterkommen, in eine größere Stadt, an eine größere Kirche.

Banjo Crossing langweilte ihn. Das Leben eines Dorfpastors, der nicht einmal an den ländlichen Vergnügungen teilnehmen darf, ist fast noch öder als das eines Bahnwärters an einer Eisenbahnkreuzung.

Elmer hatte tatsächlich nicht genug zu tun. Wohl stand es ihm bevor, später, an »Stiftungskirchen«, ebenso betriebsam zu sein wie jeder andere Geschäftsmann, aber jetzt hatte er nicht mehr als zwanzig Stunden in der Woche mit wirklicher Tätigkeit angefüllt. Es gab vier Meetings an jedem Sonntag, wenn er nicht nur in der Kirche, sondern auch in der Sonntagsschule und der Epworth Liga Dienst machte; es gab die Gebetsandacht am Dienstagabend, Chorprobe am Freitag, alle vierzehn Tage ungefähr die Frauenhilfe und die Missionsgesellschaft, und vielleicht alle zwei Wochen eine Hochzeit, ein Begräbnis. Seelsorgerbesuche nahmen nicht mehr als sechs Stunden wöchentlich in Anspruch. Mit Hilfe seiner Nachschlagebücher konnte er seine zwei Predigten in fünf Stunden präparieren – und in den Wochen, in denen er träger Stimmung war, brauchte er sogar nur zwei Stunden dazu.

Die nüchterne Bibliothek liebte Elmer nicht, aber er lief gern herum, traf Leute, glänzte gern mit Bildung. Es war nicht möglich, in Banjo viel mit Bildung anzufangen. Die guten Dörfler waren mit ihrer Sonntag- und Dienstagabendfrömmigkeit zufrieden.

Aber er begann Inserate für seine wöchentlichen Andachten zu schreiben – das war der Anfang jenes Händlertums des Heils, das ihm später in allen Reklameclubs und vorausblickenden Kirchen des Landes Namen und Anerkennung verschaffen sollte. Die Leute, welche die Notizen über stattfindende Andachten wie gewöhnlich im Banjotal-Pionier lasen, zuckten erstaunt zusammen, als sie unter den Anzeigen der Presbyterianerkirche, der Jüngerkirche, der Böhmischen Brüderkirche, der Baptistenkirche folgendes Inserat fanden:

 

WACH AUF, MR. TEUFEL!

Wenn der alte Satan ebenso träge wäre, wie manche Scheinchristen in unserem Ort, würden wir alle sicher sein. Aber er ist es nicht! Kommt am nächsten Sonntag 10.30 Uhr vorm. und hört Euch eine glutvolle Predigt des Rev. Gantry an über das Thema

WÜRDE JESUS POKER SPIELEN?

M. B. Kirche.

Er vervollkommnete sich auf der Schreibmaschine, und das war eine wunderschöne Sache. Die mächtige Natur des Reverend Elmer Gantry war durch die Langsamkeit, zu der die Feder zwingt, gehemmt gewesen; sie verlangte den Tastengalopp; und aus seiner Schreibmaschine strömten stets anschwellend Fluten neuer Moral und sozialer Evangelien.

Im Februar hielt er zwei Wochen hindurch intensive evangelistische Meetings ab. Er hatte einen Reisemissionar, der weinte, und dessen Frau, die sang. Keiner von diesen beiden, kicherte Elmer insgeheim, konnte sich mit ihm vergleichen, der mit Sharon Falconer gearbeitet hatte. Aber sie waren jetzt in Banjo Crossing, und er sorgte dafür, daß er selbst, wenn die Hysterie ihren Höhepunkt erreicht hatte, sich auf die entsetzte Menge stürzen und sie darauf aufmerksam machen konnte, daß sie noch vor dem Frühstück vielleicht in die Hölle geschleudert würden, wenn sie nicht heraufkämen und in Unterwürfigkeit niederknieten.

Es kam zu zwölf Neuerwerbungen für die Kirche und fünf Glaubenserneuerungen bei Abtrünnigen, und Elmer war imstande, im Western Christian Advocate eine Notiz erscheinen zu lassen, die seinen Ruhm durch alle heiligen Kreise trug:

 

Die Kirche in Banjo Crossing hatte eine bedeutsame und begeisternde Wiedererweckungsversammlung unter Bruder T. R. Feesels und Schwester Feesels, der singenden Evangelistin, unter Assistenz des Ortspastors, Reverend Gantry, der selbst früher als Mitarbeiter der verstorbenen Sharon Falconer sich als Evangelist betätigte. Großes Ausgießen des Geistes und weithin reichende Resultate werden gemeldet, außerdem viele Vereinigungen mit der Kirche.

 

Er rief auch, nachdem er dem Ort zu verstehen gegeben hatte, wie sehr seine Lasten dadurch vermehrt würden, eine Jugend-Epworth-Liga wieder ins Leben und visitierte sie alle zwei Wochen persönlich.

Er bekam einen Brief von Bischof Toomis, aus dem zu entnehmen war, daß der Bischof höchst befriedigende Berichte vom Bezirkssuperintendenten über Elmers »eifrige und wirklich schöpferische Anstrengungen« erhalten hatte, und daß Elmer bei der kommenden Jahresversammlung an eine erheblich größere Kirche versetzt werden sollte.

»Fein!« strahlte Elmer. »Herrgott, werd' ich froh sein, hier wegzukommen. Diese Bauernschädel da kapieren von erstklassiger Religion, wie ich sie ihnen geb', genau so viel wie ein Haufen Maulesel!«

7

Ishuah Rogers war tot, sein Begräbnis wurde in der Methodistenkirche abgehalten. Als Farmer, als Krämer als Postmeister hatte er sein ganzes neunundsiebzig Jahre währendes Leben in Banjo Crossing verbracht.

Der alte J. F. Whittlesey war von Ishuahs Tod erschüttert. Sie waren zusammen Knaben, zusammen junge Männer und Farmnachbarn gewesen, und in den letzten Jahren, als Ishuah nahezu blind war und bei seiner Tochter Jenny lebte, war J. F. Whittlesey jeden Tag in den Ort hereingekommen, um einige Stunden bei ihm auf der Veranda zu sitzen und über Blaine und Grover Cleveland zu debattieren. Daß er jetzt bei Jenny vorbeifahren und den alten Ishuah nicht sehen sollte, ließ die Welt leer erscheinen.

Er saß in der vordersten Reihe in der Kirche; er konnte das Gesicht seines Freundes im offenen Sarg sehen. Alles, was an Ishuah niedrig, kleinlich und unruhig gewesen war, war ausgelöscht; nur die stumme Größe war noch da, mit der er den Schneestürmen und der Augusthitze, der Arbeit und dem Kummer die Stirn geboten hatte; nur das Heroische, das Whittlesey in ihm geliebt hatte.

Und nie wieder würde er Ishuah sehen.

Er hörte Elmer zu, der (vor Rührung über die vielen Leute in der Kirche, die ihren toten Freund beklagten, standen ihm fast Tränen in den Augen) die Gemeinde mit dem triumphierenden Sang aus der Offenbarung tröstete:

Diese sind's, die kommen sind, aus großer Trübsal,
und haben ihre Kleider gewaschen, und haben ihre
Kleider helle gemacht im Blut des Lamms.

Darum sind sie vor dem Stuhl Gottes, und dienen ihm
Tag und Nacht in seinem Tempel; und der auf dem
Stuhl sitzt, wird über ihnen wohnen.

Sie wird nicht mehr hungern, noch dürsten; es
wird auch nicht fallen auf sie die Sonne oder irgendeine
Hitze;

Denn das Lamm mitten im Stuhl wird sie weiden,
und leiten zu den lebendigen Wasserbrunnen, und
Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.

Sie sangen: »O Gott, unsere Hilfe von altersher«, und Elmer sang vor, während der alte Whittlesey sich Mühe gab, mitzukrächzen.

Sie gingen am Sarg vorbei. Als Whittlesey diesen letzten Blick auf Ishuahs eingefallenes Gesicht warf, wurden seine trockenen Augen blind, er taumelte.

Elmer faßte ihn mit seinen großen Armen und flüsterte: »Er ist zu seiner Herrlichkeit eingegangen, zu seinem schönen Lohn! Trauern wir nicht um ihn!«

In Elmers zuversichtlicher Stärke fand der alte Whittlesey wieder ein wenig Sicherheit. Er klammerte sich an ihn und murmelte: »Gott segne Sie, Bruder«, bevor er hinaushumpelte.

8

»Du warst wunderbar bei dem Begräbnis heute! Ich habe dich noch nie so sicher der Unsterblichkeit gesehen«, sagte Cleo voll Bewunderung auf dem Heimweg.

»Ja, ja, aber sie wissen's nicht zu schätzen – nicht einmal, wie ich gesagt hab', was für ein Held der alte Kerl war. Wir müssen schauen, daß wir in 'nen größeren Ort kommen, wo ich Chancen hab'.«

»Glaubst du nicht, daß Gott ebenso in Banjo Crossing ist wie in einer Stadt?«

»Na, hör' mal, Cleo, fang' jetzt nicht an, mir mit Frömmigkeit zu kommen! Du kannst ganz einfach nicht begreifen, wie es einen hernimmt, ein Begräbnis richtig zu schaffen und die Leute alle getröstet nach Haus zu schicken. Gott kannst du hier finden, aber Gehalt nicht!«

Er war jetzt nicht böse mit Cleo, noch polterte er. In diesen zwei Monaten war er gleichgültig gegen sie geworden; gleichgültig genug, um sie nicht mehr zu hassen, ihr Benehmen in der Sonntagsschule und ihre taktvolle Behandlung der guten Kirchenschwestern zu bewundern, wenn diese schnüffelnd ins Pfarrhaus kamen.

»Ich glaub', ich werd 'nen kleinen Spaziergang machen«, murmelte er, als sie zu Hause angelangt waren.

Er kam zum Haus der Witwe Clark, in dem er als Junggeselle gewohnt hatte.

Jane war draußen im Hof, der Märzwind legte sich in ihren Rock; ihr rosiges Gesicht wurde dunkler, ihr Blick weicher, als sie sah, daß der Pastor sie grüßte, großartig den Hut schwingend.

»Geh' ich Euch manchmal ab? Ihr seid wohl froh, den armen alten Prediger los zu sein, der immer im ganzen Haus Unordnung gemacht hat!«

»Sie fehlen uns schrecklich!«

Er fühlte, wie sein ganzer Körper zu ihr hin gezogen wurde. Hastig verließ er sie, wünschte, er hätte sie nicht verlassen, und eilig entfernte er sich aus der Gefahr für sein Ansehen.

Jetzt haßte er Cleo wieder, beleidigt, verwirrt.

»Ich mein', ich werd' in der Woche mal nach Sparta rüber«, schnaubte er, dann: »Nein! In zehn Tagen ist die Versammlung; bis die vorbei ist, darf ich nichts riskieren.«

9

Die Jahresversammlung in Sparta, im Spätmärz. Die große Zeit des Jahres, da die Methodistenprediger aus einem halben Dutzend Bezirke einander zu Gebet und Freude treffen, um vom Fortschritt des Gottesreiches zu hören und ganz nebenbei zu erfahren, ob sie in diesem kommenden Jahr bessere Posten erhalten würden.

Der vorsitzende Bischof – Wesley R. Toomis selbst – mit seinem Bezirkssuperintendenten, ernst und geschäftig.

Die Prediger, die sich Mühe geben, auszusehen, als ob die Aussicht auf höhere Gehälter ihrer Aufmerksamkeit unwürdig wäre.

Zwischen den Meetings drehten sie sich in dem großen Auditorium der Preston-Gedächtnis-Methodistenkirche herum: schaulustige Laien und nahezu dreihundert Geistliche.

Altgediente Landpfarrer mit Backenbärten und Brillen, in verschossenen Röcken, gebeugt, noch immer zwei Landkirchen bedienend, oder drei oder vier; ihre fünfzig Meilen in einer Woche fahrend; zufrieden mit der Schrift und dem wöchentlich erscheinenden Advocate als Lektüre.

Eben flügge gewordene Landprediger, die großen Hände noch schwielig vom Pflugsterz und den Zügeln, sich für alle Gelehrsamkeit mit ihren zwei Jahren Hochschule begnügend, zufrieden mit dem Alten Testament als historischem und geologischem Lehrbuch.

Die Prediger der größeren Städte; die meisten davon kaum als Kleriker zu erkennen, in den adretten Geschäftsanzügen, mit bescheiden herunterhängenden Schleifen; schrecklich herzlich zueinander; zum vierten Teil vielleicht als Modernisten bekannt, die populärwissenschaftliche Leitfäden der Biologie und Psychologie lesen; die anderen drei Viertel noch immer gelegentlich der Genesis auf die Kanzel schlagend.

Doch durch diese Massen bewegten sich, leicht erkennbar, die unaufhaltsamen Erfolge: die Bezirkssuperintendenten, die Pastoren großer Stadtgemeinden, die vermutlichen Anwärter auf College-Rektorate, Missionsausschüsse, Ausschüsse für Schrifttum, Bistümer.

Sie waren nicht alle löwenhaft und komödiantisch, diese Stabsoffiziere. Nicht wenige waren hager, oder klein, sehnig, bebrillt und ernsthaft; aber sie alle waren bewunderungswürdige Politiker mit gutem Namensgedächtnis, rasch im Ersinnen schmeichelhafter Antworten. Sie glaubten, daß der Herr alles regiere, daß es aber nur freundlich sei, ihm auszuhelfen; und daß das Anwerben politischer Verbündeter fast ebenso wie Beten dazu dienlich sei, als geeignetes Material für einträgliche Pastorate bekannt zu werden.

Unter diesen Führern waren die Savonarolas, düstere Gesellen, die mürrisch dem Fortschritt der technischen Zivilisation zusahen; die fähig waren, Tausende von Zuhörern durch ihre gewürzten, doch züchtigen Brandmarkungen des Einbrechertums, des Tanzens und der mit Damenwäsche angefüllten Schaufenster anzulocken.

Dann die anerkannten Liberalen, Prediger, die Stadtheiligtümer oder Kirchen in Universitätsorten füllten, indem sie zeigten, daß das Überspringen aller Stellen, die in der Bibel unvernünftig erschienen, nichts gegen ihre göttliche Offenbarung im ganzen beweise, und daß große moralische Lehren in den Gemälden von Landseer und Rosa Bonheur zu finden seien.

Am ansehnlichsten unter diesen Aristokraten war eine gewisse Anzahl großer, glatter, mit tiefen Stimmen ausgerüsteter, unentrinnbar herzlicher geistlicher Herren, die in Shakespearevorstellungen oder als Abteilungschefs gute Figur gemacht hätten. Und unter diesen war bald der Reverend Elmer Gantry zu finden.

Er war ein Neuer, er hoffte lediglich, daß die Versammlung seine Zeugnisse anerkennen und ihn als Mitglied aufnehmen würde, und er hatte nur eine winzige Kirche; doch irgendwoher kam das Gerücht, er sei ein Mann, den man im Auge behalten, in seine eigene politische Maschinerie einfügen müsse; er wurde von einem Pastor, dessen heiliger Wert auf nicht weniger als zehntausend jährlich geschätzt wurde, »Bruder« genannt. Sie beobachteten ihn; sie unterhielten sich mit ihm, nicht nur über die Sakramente, sondern auch über Automobile und den Nutzen von Sammlungskuverts; und als sie die Wärme seines Händedrucks empfanden, als sie das liebliche Bim-Bam seiner Stimme hörten, seine männlichen Augen sahen, die von keinen Zweifeln oder Skrupeln geplagt waren, und bemerkten, daß er seine Gehröcke ebenso gut trug wie jeder geistliche Magnat unter ihnen, begrüßten sie ihn, suchten sie ihn und erkannten ihn als künftigen Kapitän der Heerscharen des Allmächtigen an.

Cleos Anmut trug zu seinem Ansehen bei.

Bevor Elmer sie zur Versammlung mitnahm, hatte er sich drei ganze Tage lang besondere Mühe gegeben, sie zu besänftigen, ihr zu schmeicheln, ihr zu versichern, was für Mißverständnisse immer es auch gegeben haben möge, jetzt sei alles warme, behagliche häusliche Wonne, so daß sie eifrig war, voll freundlicher Ehrerbietung gegen die Frauen älterer Pastoren, die sie bei den Empfängen in Hotels kennenlernte.

Ihre offenbare Bewunderung für Elmer überzeugte die besseren geistlichen Politiker von seiner ehelichen Zuverlässigkeit.

Und sie wußten, daß der Bischof ihn hatte zu sich kommen lassen – oh, sie wußten es! Nichts, was der Bischof in diesen kritischen Tagen tat, blieb unbekannt. Es waren viele unter den Geistlichen in mittleren Jahren, denen ihr verlängerter Aufenthalt in kleinen Städten Kummer bereitet hatte, die dem Bischof zuflüstern wollten, wie sehr sie sich für größere Stellungen eigneten. (Die Postenliste war vom Bischof und seiner Synode schon gemacht, aber ganz bestimmt könnte sie etwas geändert werden – nur ein ganz klein wenig.) Aber sie konnten nicht in seine Nähe gelangen. Den größten Teil der Zeit war ihnen der Bischof im Hause des Rektors der Winnemac-Wesleyaner-Universität verborgen.

Doch er ließ Elmer zu sich kommen, er nannte ihn sogar beim Vornamen.

»Sie sehen, Bruder Elmer, daß ich recht hatte! Die Methodistenkirche ist gerade das Richtige für Sie«, sagte der Bischof, seine Augen strahlten unter seinen furchteinjagenden Augenbrauen hervor. »Schon bin ich imstande, Ihnen eine größere Kirche zu geben. Es wäre nicht »cricket«, wie der Engländer sagt – ah, England! was für Freude wird es Ihnen bereiten, einmal dorthin zu kommen; die Reise wird Ihnen eine fruchtbare Quelle größer angelegter Predigten sein; ich weiß, daß Sie und Ihre entzückende junge Frau – ich hatte das Vergnügen, sie mir zeigen zu lassen – daß Sie beide in nicht allzu ferner Zeit die romantische Freude des Reisens kennenlernen werden. Aber, was ich sagen wollte: ich kann Ihnen jetzt eine einigermaßen größere Stadt geben, aber es wäre nicht in der Ordnung, Ihnen zu sagen, welche, bevor ich die Postenliste bei der Versammlung verlese. Schon in der allernächsten Zukunft, wenn Sie wie bisher in Ihren Studien und der Beachtung der Bedürfnisse Ihrer Herde und in Ihrem mustergültigen täglichen Leben fortfahren, was alles der Bezirkssuperintendent beobachtet hat, ja, dann werden Sie für ein bedeutend größeres Feld des Dienstes in Betracht kommen. Gott sei mit Ihnen!«

10

Elmer wurde von der Versammlung examiniert und unverzüglich zur Mitgliedschaft zugelassen.

Unter den Fragen aus der Disziplin, die er mit einem herzlichen »ja« zu beantworten in der Lage war, befanden sich auch folgende:

Sind Sie auf dem Wege zur Vollkommenheit?

Erwarten Sie, noch in diesem Leben vollkommen gemacht zu werden?

Streben Sie ernsthaft danach?

Sind Sie entschlossen, sich ganz Gott und seinem Werk zu weihen?

Haben Sie die Vorschriften für Prediger beachtet, besonders jene, die sich auf Eifer, Pünktlichkeit und die Arbeit am Werk beziehen, zu dem Sie bestimmt sind?

Wollen Sie fasten und Eifer empfehlen, beides durch Vorschrift und Beispiel?

*

Es war, sagten die Versammlungsteilnehmer zu einander, ein Vergnügen, einen Kandidaten zu examinieren, der die Fragen mit so strahlender Gewißheit beantworten konnte.

*

Während Elmer seinen Verzicht auf alle fleischlichen Gedanken und Lüste feierte, indem er ein Steak, geröstete Zwiebeln, Bratkartoffeln, Mais, drei Tassen Kaffee und zwei Stück Apfelkuchen mit Eiscrême verschlang, teilte er Cleo herablassend mit: »Die Sache ist blendend gegangen! Ich möcht' bloß sehen, ob einer von den armseligen Kaffern, mit denen ich im Seminar war, so geantwortet hätte, wie ich!«

11

Sie lauschten den Berichten über Missionssammlungen, über die Schaffung neuer Schulen und Kirchen; sie hörten so manches Gebet; sie waren höflich während der Reden des Bischofs und des Rev. Dr. S. Palmer Shootz, die als »Erleuchtungsansprachen« bekannt waren. Aber sie warteten auf den Augenblick, da der Bischof die Postenliste verlesen sollte.

Sie sahen so gleichgültig aus, wie sie nur konnten, doch ihre Fingernägel bohrten sich ins Fleisch der Handflächen, als der Bischof sich erhob. Sie versuchten, ihrer Herde getreu zu sein, aber dieser magere Pastor dachte an seinen Jungen, der ins College ging, dieser bekümmert aussehende junge Geistliche dachte an die Operation seiner Frau, und dieser Veteran, dessen Stimme zu versagen begonnen hatte, war gespannt, ob man ihn in seiner gut wattierten Kirche lassen würde.

Die energische Stimme des Bischofs knallte:

 

Bezirk Sparta:
Albee Center, W. A. Vance
Ardmore, Abraham Mundon –

 

Und Elmer lauschte mit ihnen in plötzlichem Schrecken.

Was meinte der Bischof mit einer »einigermaßen größeren Stadt«? Irgendein schreckliches Loch mit zwölfhundert Einwohnern?

Dann zuckte er zusammen und wurde rot, seine Priesterkollegen nickten ihm gratulierend zu, als der Bischof las: »Rudd Center, Elmer Gantry.«

Denn in Rudd Center wohnten viertausendeinhundert Menschen; es war bekannt wegen seiner guten Werke und einer Fabrik alkoholfreier Getränke. Und er war auf seinem Weg zur Größe, zur Erleuchtung der Welt und Erlangung seines Bistums.


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