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Dreiundzwanzigstes Kapitel

1

Er stand jetzt nicht am Altar, emporgehoben durch ein Gelöbnis, gut und demütig zu sein. Er sah aus wie der neue Generaldirektor einer Fabrik, als er das erstemal durch die Wellspring-Methodistenkirche, Zenith, eilte, und seine erste Bemerkung war: »Die Einrichtung ist verwahrlost – ich werd' alles auffrischen müssen.«

Er war auf dieser Inspektionstour von seinem Stab begleitet: von Miss Bündle, seiner Kirchen- und Privatsekretärin, einer verblühten, jammernden Dame, die auf betrübliche Weise frei von allem Verführerischen war; von Miss Weezeger, der Diakonissin, die dicken, guten Werken ergeben war; und von A.F. Cherry, dem Organisten und Musikdirektor, der nur stundenweise engagiert war.

Er war enttäuscht, weil die Kirche ihm nicht einen Hilfspastor oder einen Direktor für religiöse Erziehung geben konnte. Er würde sie haben, ziemlich bald – und sie rumkommandieren! Großartig!

Er fand ein Auditorium vor, das sechzehnhundert Menschen fassen konnte, aber mit seinen gestreiften Fenstern, braungetünchten Wänden und Gußeisensäulen einen niederdrückend düsteren Eindruck machte. Die Wand hinter der Kanzel war in kläglichem Blau ausgemalt, mit Sternen darauf, die nicht mehr funkelten; und die Kanzel war aus dunkler Eiche, gekrönt von einem läppischen verschossenen grünen Samtkissen mit Quasten. Das ganze Auditorium war schwer und häßlich; die Reihe leerer braungemaserter Kirchenstühle starrte ihn trübselig an.

»Muß ja 'ne feine Blase von lustigen Christenmenschen gewesen sein, die so 'ne Sache hergebaut hat! In fünf Jahren werd ich 'ne neue Kirche hier haben – eine, die Schmiß hat, mit gotischen Verzierungen und 'ner modernen Unterrichts- und Festeinrichtung«, dachte der neue Priester.

Die Sonntagsschulräume waren ziemlich groß, aber verschmutzt, überall lagen zerrissene Gesangbücher herum; in der Küche im Souterrain für die Kirchensoupers stand ein verrosteter alter Herd und Stapel zerschlagenen Geschirrs. Elmers Arbeitszimmer und Kanzlei war dumpfig und sah auf einen Garagenhof hinaus, auf dem minderwertige Vehikel herumstanden. Außerdem sagte Mr. Cherry, daß die Orgel ziemlich asthmatisch sei.

»Na von mir aus«, meinte Elmer nachher bei sich, »was liegt mir schon daran! Auf jeden Fall ist 'ne Menge Platz für viele Menschen da, und, da kann jeder Gift draufnehmen, ich bin der Mensch, der sie reinbringen wird! … Herrgott, was ist diese Bundle für eine Schachtel! Früher oder später muß ich mir 'n nettes Mädel als Sekretärin anschaffen – eine hübsche. Also, hurra, fertig zum großen Werk. Ich werd' der Stadt schon zeigen, was erstklassiges Predigen ist!«

Erst nach drei Tagen fiel ihm ein, daß Cleo die Kirche vielleicht auch gern sehen möchte.

2

Obgleich Zenith vierhunderttausend Einwohner und Banjo Crossing nur neunhundert hatte, war der Empfang im Kirchensouterrain dem Empfang in Banjo überaus ähnlich. Die gleichen derben Brüder mit schwieligen Händen waten da, die gleichen umfangreichen Schwestern mit dem Ruf, gute Pfannkuchen zu backen, die gleichen flotten kleinen Männer, die gern lachten und fromme Spaße machten. Es gab das gleiche hausgemachte Gefrorene und die gleiche hausgemachte Beredsamkeit. Aber es waren fünfmal so viel Leute da als beim Empfang in Banjo, und Elmer war immer ein Freund der Quantität. Und unter den verpflanzten Landleuten befanden sich etliche in ihrem Fach erfolgreiche Männer, etliche gut angezogene Frauen und einige hübsche Mädchen, die aussahen, als gingen sie tanzen, Kirchenzucht oder nicht.

Er hegte freundliche und liebevolle Gefühle gegen sie – gegen seine, wie er ihnen sagte, »Mitkreuzfahrer auf dem Marsch zur Eroberung des Reiches Gottes auf Erden.«

Es war leicht dahinter zu kommen, welche von den anwesenden Kollegialausschuß-Mitgliedern seine Aufmerksamkeiten am meisten verdienten. Mr. Ernest Apfelmus, einer von den Schatzmeistern, war der Eigentümer der Pasteten- und Kuchengesellschaft »Perle des Ozeans«. Er sah wie ein angeschwollener und entsetzter Wechselbalg aus, den man zu ungeheurer Größe aufgeblasen hat; er sei sehr reich, flüsterte Miss Bundle; und er kenne keine anderen Möglichkeiten, sein Geld auszugeben, als Diamanten für seine Frau und die Sache des Herrn. Elmer machte Mr. Apfelmus und dessen Frau, die ganz ordentlich englisch sprach, den Hof.

Nicht so reich, aber noch wichtiger, erriet Elmer, war T.J. Rigg, der berühmte Anwalt für Straffälle, einer der Kuratoren der Wellspringkirche.

Mr. Rigg war klein, hatte tiefe Falten und lustige, wissende Augen. Elmer merkte sofort, daß mit ihm gut trinken sein würde. Seine Frau hatte ein Mädchengesicht, rund, glatt und blauäugig, obgleich sie schon über fünfzig war, und ein munteres Lachen.

»Das sind Leute, bei denen ich mir kein Blatt vor den Mund nehmen muß«, war Elmers Urteil; er hielt sich in ihrer Nähe.

Rigg sagte: »Hören Sie, Reverend, kommen Sie doch mit Ihrer lieben Frau, wenn das vorüber ist, zu uns, da können wir's uns gemütlich machen und diese ganze Nähkränzchenangelegenheit verdauen.«

»Das würd' ich sehr gern tun.« Während Elmer sprach, bedachte er, wenn er sich's wirklich gemütlich machen sollte, könnte er Cleo nicht in der Nähe haben. »Nur, leider hat meine Frau Kopfweh, das arme Mädel. Wir werden sie nach Haus schicken, und ich komm' mit Ihnen.''

»Nachdem Sie noch ein paar tausend Hände gedrückt haben!«

»Ganz richtig!«

Elmer konstatierte voll Erbauung, daß Mr. Rigg eine Limousine mit Chauffeur besaß – eine der wenigen, die Elmer von innen kennengelernt hatte.

Es freute ihn, wenn seine christlichen Brüder in guten Verhältnissen lebten. Aber der Anblick der Limousine ließ ihn etwas weniger kordial mit den Riggs sein, etwas ehrfürchtiger und salbungsvoller, und als sie Cleo am Hotel abgesetzt hatten, lehnte Elmer sich im Samtsitz zurück, machte eine poetische Bewegung mit seiner großen Hand und hauchte: »Was für einen schönen Empfang die lieben Leute mir bereitet haben! Ich bin so dankbar! Welch große Ergießung des Geistes!«

»Passen Sie mal auf«, krähte Rigg, »mit uns brauchen Sie nicht fromm zu sein! Ma und ich sind ein paar alte Dragoner. Wir haben die Religion gern, wir haben die guten alten Hymnen gern – das bringt uns zurück zu dem Landflecken, aus dem wir stammen; und wir glauben, daß die Religion sehr gut dazu ist, die Leute in Ordnung zu halten – sie denken an höhere Dinge statt an Streiks, große Löhne und diese kleinen Teufeleien, die das ganze Industriesystem aus dem Leim bringen. Und ich hab' auch einen schönen, aufrechten Prediger gern, der nach was Ordentlichem aussieht. Deshalb bin ich gern Kurator. Aber wir sind nicht fromm. Und jedesmal, wenn Sie sich gehen lassen wollen – und ich glaub', es muß Zeiten geben, wenn ein Mordskerl wie Sie es satt kriegt, den heuchlerischen Schwestern zuzuhören! – dann kommen Sie ganz einfach zu uns, und wenn Sie rauchen wollen oder auch 'nen Tropfen trinken, was bei mir mal vorkommen soll, na, da werden wir uns verstehen. Was meinst du dazu, Ma?«

»Und ob!« sagte Mrs. Rigg. »Und ich werd' in die Küche hinunter gehen, wenn die Köchin nicht da ist, euch Spiegeleier machen, und wenn ihr's den anderen Brüdern nicht erzählt, es sind immer ein paar Flaschen Bier auf dem Eis. Möchten Sie eine?«

»Und ob!« strahlte Elmer. »Und ob ich möcht'! Nur – ich hab' schon seit paar Jahren ganz mit Trinken und Rauchen Schluß gemacht. Oh, ich hab' vorher schon was geleistet! Aber ich hab' aufgehört, ganz, und will meinen Rekord nicht brechen. Aber Sie, trinken Sie nur ruhig. Und ich möcht' noch sagen, daß es mir sehr angenehm sein wird, paar Leute in der Kirche zu haben, mit denen ich offen reden kann, ohne sie halb zu Tod zu entsetzen. Paar von den Leuten, die immer noch heiliger sein wollen, als man selber ist – Herrgott, wenn's nach denen ginge, dürft' ein Prediger ja gar kein Mensch sein!«

Das Rigghaus war groß, etwas vernachlässigt, mit vielen Büchern, die gelesen worden waren – Geschichte, Geographie, Reisewerke. Das kleinere Wohnzimmer mit dem Holzfeuer und den großen Polsterstühlen sah behaglich aus, aber Mrs. Rigg rief: »Ach, gehen wir in die Küche raus und machen wir Welsh Rabbit! Ich koch' rasend gern, trau' mich aber nicht, bevor die Dienstboten schlafen gegangen sind.«

So fand sein erstes Beisammensein mit T. J. Rigg, der nach Jim Lefferts der einzige wirkliche Freund Elmers werden sollte, an dem blanken, weiß gestrichenen Tisch in der großen Küche statt; Mrs. Rigg stapfte umher, brachte ihnen Welsh Rabbit, dazu Sellerie, kaltes Huhn, alles, was sie im Eiskasten fand.

»Ich brauch' Ihren Rat, Bruder Rigg«, sagte Elmer. »Ich möcht meine erste Predigt hier bißchen – also, bißchen so machen, daß die Leute sich aufsetzen und zuhören. Ich muß das Thema erst morgen für die Kircheninserate bekanntgeben. Was halten Sie nun von so'n bißchen Pazifismus?«

»Was?«

»Ich weiß, was Sie denken. Selbstverständlich war ich im Krieg genau so patriotisch wie sonst wer – Vierminutenredner, noch ein Monat, und ich hätt' Uniform getragen. Aber wirklich, paar Kirchen machen jetzt mächtig Radau mit Pazifismus, jetzt wo der Krieg sicher vorbei ist – das tun einige von den größten Predigern im Land. Aber soviel ich gehört hab', hat noch keiner hier in Zenith damit angefangen, und es könnte große Sensation machen.«

»Ja, das stimmt, und natürlich ist es auch ganz in der Ordnung, für den Pazifismus zu sprechen, solang es keine Möglichkeit für einen anderen Krieg gibt.«

»Oder meinen Sie – Sie kennen die Gemeinde hier – meinen Sie, 'ne würdigere und bißchen poetischere, könnt' man sagen, erklärende Predigt würde mehr Eindruck machen? Oder wie war's mit 'nem richtigen, guten, kräftigen, ungenierten Angriff auf das Laster? Sie wissen, Suff und Unsittlichkeit – zum Beispiel kurze Röcke – Herrgott, die Mädels tragen ja mit jedem Jahr kürzere Röcke!«

»Ja, dafür war' ich«, sagte Rigg. »Damit kriegen Sie sie. Nichts bringt die Leute so rein in die Kirche, wie 'ne gute, saftige Lasterpredigt. Jawohl, Verehrtester! Furchtloser Angriff auf das Trinken und die schreckliche sexuelle Unmoral, die sich so breit macht.« Mr. Rigg mischte sich nachdenklich einen Whisky Soda, machte ihn aber leicht, weil er am nächsten Vormittag vor Gericht eine Dame zu verteidigen hatte, die unter der Anklage gewerbsmäßiger Erpressung stand. »Na selbstverständlich. 's gibt ja Leute, die behaupten, daß solche Predigten nichts als Sensationsmache sind, aber denen sag' ich immer: sobald der Prediger die Leute mal auf die Weise in die Kirche gekriegt hat – und nur wenige wissen, wie schwer es ist, 'ne gute Lasterpredigt zu schmeißen; die Leute genug aufzurütteln und die Sache nicht zu dreckig machen – sobald man die Leute reingekriegt hat, kann man ihnen gute, solide, althergebrachte Religion geben, ihnen das Heil zeigen und beibringen, die Gesetze zu beobachten und anständige Tagesarbeit für anständige Tagesbezahlung zu leisten, statt immer auf die Uhr zu sehen, wie meine verdammten Angestellten es machen. Jawoll, wenn Sie mich fragen, probieren Sie's mit dem Laster … Ach, hör mal, Ma, meinst du, daß der Reverend die Geschichte von dem Stubenmädel und dem Reisenden, die Mark uns erzählt hat, übelnehmen würde?«

Elmer nahm sie nicht übel. Er wußte sogar selbst eine andere komische Geschichte zu erzählen.

Um ein Uhr ging er nach Hause.

»Mit den Leuten werd ich mich gut amüsieren«, überlegte er, während er den seltenen Luxus einer Droschke genoß. »Nur wird's besser sein, mit dem alten Rigg vorsichtig umzugehen. Er ist ein schlauer Kerl und weiß Bescheid bei mir … Na, was soll denn das heißen?« voll Unwillen. »Was soll das heißen ›Bescheid wissen‹? Ist gar nichts zum Einstecken! Ich hab' doch nicht getrunken und geraucht, was? Ich fluch' nie, außer wenn ich die Geduld verlier, oder? Ich führ' ein völlig christliches Leben. Und ich bring' 'ne ganze Schiffsladung mehr Seelen in die Kirche als irgendeiner von den kleinen Heiligen mit Samtpfötchen, die Angst davor haben, zu lachen und nett zu den Leuten zu sein.

Nichts mit ›Bescheid wissen‹!«

3

Am Sonnabendmorgen war auf der Seite mit den religiösen Inseraten der Zenither Zeitungen das vielversprechende Thema von Elmers erster Predigt zweispaltig angekündigt: »Können Fremde Stätten des Lasters in Zenith finden?«

Sie könnten es, und zwar herrlich leicht, sagte Elmer in seiner Predigt. Er sagte es vor mindestens vierhundert Leuten – statt der hundert, die gewöhnlich zur Kirche gekommen waren.

Er selbst sei ein Fremder in Zenith, er habe sich auf den Weg gemacht und sei »erschrocken – entsetzt – niedergebrochen« gewesen, beim Anblick von so viel Laster, so interessanten und anziehendem Laster. Er habe Brauns Island erforscht, einen wüsten Strand mit einem Tanzsaal und Restaurant in Südzenith, und sei auf ein Familienbad gestoßen. Er beschrieb die Beine der Damen; er beschrieb die beiden liebenswürdigen jungen Frauen, die sich an ihn herangemacht hatten. Er erzählte von dem Kellner, der, obgleich er leugnete, daß in Brauns Restaurant selbst Alkohol verkauft werde, bereit gewesen sei, ihm mitzuteilen, wo welcher zu haben wäre, und wo man die ganze Nacht Poker spielen könnte – »und, wohlgemerkt, Poker für Geld, müssen Sie wissen«, erläuterte Elmer.

In der Washington Avenue in Norden habe er zwei Kinos entdeckt, in denen die »fürchterlich bemalten Kupplerinnen des faulenden Lasters« – er meinte die Filmschauspielerinnen – auf dem Parkett »Schritte von einer Deutlichkeit, die in die Wangen jeder anständigen Frau die Schamröte getrieben hätte,« getanzt, und wo dieselben Kupplerinnen Getränke zu sich genommen hätten, die er für giftige Cocktails habe halten müssen. Auf dem Weg von diesen Kinos zu seinem Hotel hätten ihn drei Damen der Nacht angesprochen, direkt im hellen Laternenlicht. Bummler an Straßenecken – er war anscheinend sehr freundlich zu ihnen gewesen – hätten ihm von schwarzen Kneipen, von Kokshändlern und unerhörten Wollüsten erzählt.

»Das ist es,« rief er, »was ein Fremder in eurer Stadt – jetzt auch meiner, sehr geliebten Stadt – finden konnte! Aber konnte er ebenso leicht Tugend finden, konnte er das, konnte er? Oder nur zahlreiche leichtfertige Kirchengemeinden, die sich treiben lassen, während der gerechte Gott dieser Stadt mit dem Feuer und brennenden Schwefel droht, der die stolzen Städte Sodom und Gomorrha in ihren Greueln zerstört hat! Höret! Mit der Hilfe Gottes des Allmächtigen wollen wir hier in dieser Kirche ein Muster der Tugend erreichen, das kein Fremder übersehen kann! Wir sind träge. Wir brennen nicht im Fieber nach der Rechtfertigung. Auf die Knie, ihr Säumigen, und betet zu Gott dem Allmächtigen, er möge euch vergeben, und euch und mir helfen, eine Brüderschaft hilfreicher, freudiger, leidenschaftlich rechtschaffener Jünger aller Gebote des Herrn, unseres Gottes zu bilden!«

Die Zeitungen brachten fast die ganze Predigt … Ganz zufällig waren Reporter dagewesen – ganz zufällig hatte Elmer am Sonnabend einen Besuch in den Advocate-Times gemacht – ganz zufällig hatte er sich erinnert, daß er Bill Kingdom, den Advocate-Reporter in Sparta kennengelernt hatte – ganz zufällig hatte er dem guten Bill mit der Nachricht dienen können, daß es am nächsten Sonntag in der Kirche etwas Sensationelles geben würde.

Am nächsten Sonnabend lautete Elmers Inserat: »Gibt es einen wirklichen Teufel, der mit Hörnern und Klumpfuß herumschleicht?« Am Sonntag waren siebenhundert in der Kirche. Nach zwei Monaten predigte Elmer, immer zuversichtlicher und dramatischer, vor größeren Mengen, als alle anderen Kirchen in Zenith außer vier oder fünf anlocken konnten.

Aber: »Ach, er ist ganz einfach eine neue Sensation auf die Dauer kann er sich nicht halten – dazu fehlt es ihm an Gelehrsamkeit und Ausdauer. Überdies, die Altstadt ist erledigt«, sprachen Elmers Mitweingärtner – insbesondere seine geärgerten Mitmethodisten.

4

Cleo und er hatten ein hübsches altes Haus in der Altstadt gefunden, das wegen der schlechten Umgebung billig zu haben war. Er hatte ihr zu verstehen gegeben, daß ihr Vater ihnen jetzt, da er das geistige Opfer brächte, mit einem niedrigeren Gehalt nach Zenith zu gehen, als eifriger Christ aushelfen müßte; und wenn sie nicht imstande sein sollte, das ihrem Vater beizubringen, so würde Elmer zu seinem Bedauern böse mit ihr sein müssen.

Sie kehrte von einem Besuch in Banjo Crossing mit zweitausend Dollars zurück.

Cleo hatte einen Sinn für behagliche Einrichtung. Sie ließ für das alte Haus mit seiner weißen Mahagonitäfelung Nachbildungen alter neuenglischer Stühle, Kommoden und Tische anfertigen. Im Wohnzimmer waren ein weiß eingerahmter Kamin und ein schöner alter Kristallkronleuchter.

»Klasse! Wir können die feine Gesellschaft hier empfangen, und, verlaß dich drauf, ich werd' bald soweit sein, daß viele von denen in die Kirche kommen! … Manchmal allerdings wollt' ich, ich wär' zur anglikanischen Kirche gegangen. Viel mehr Klasse dort, und dann regen sie sich auch nicht so auf, wenn 'n Geistlicher mal 'n Tropfen trinkt«, sagte er zu Cleo.

»Aber, Elmer, wie kannst du! Wenn der Methodismus sich doch für –«

»Herrgott, ich wollte, daß du mich wenigstens einmal nicht absichtlich mißverstehen würdest! Ich hab' jetzt eben eine philosophische Betrachtung angestellt, nicht persönlich gesprochen, und du gehst her und –«

Sobald sein Haus in Ordnung war, nahm er sich seiner Garderobe an. Er kleidete sich so berechnend wie ein Schauspieler. Für die Kanzel trug er weiter Gehröcke. Für sein Arbeitszimmer in der Kirche zog er aufdringlich unaufdringliche Straßenanzüge an, grau, braun und blaugestreift, dazu steife Kragen und ruhige blaue Krawatten. Für Ansprachen vor einigermaßen unruhigen Lunchklubs wählte er männliche rauhstoffige Anzüge mit männlichen weichen Kragen, dazu seine männliche Stimme und männliches Scherzen.

Er kämmte sein dickes schwarzes Haar aus dem starken, viereckigen Gesicht und ließ es wie eine Mähne hinunterhängen, ein ganz klein wenig über dem Kragen. Aber noch war er zu schwarz, um ganz prophetenhaft zu wirken. Die zweitausend waren verbraucht, noch bevor sie einen ganzen Monat in Zenith waren.

»Aber es ist alles 'ne gute Anlage«, sagte er. »Wenn ich die großen Tiere kennen lern', werden sie sehen, daß ich vielleicht 'nen Misthaufen von Kirche in einem Dreckviertel hab', aber genau so gut aussehen kann, als ob ich in der Chickasaw Road predigen würde.«

5

War Elmer in Banjo Crossing von seiner Untätigkeit gelangweilt worden, so gingen in Zenith die an ihn gestellten Anforderungen fast über seine Kräfte.

Die Wellspringkirche hatte sich mit vielen Stiftungsangelegenheiten beschäftigt, und diese führte Elmer fort, weil nichts mehr Sympathie, Publizität und Sammelgelder einbrachte. Reiche alte Hyänen, die nie zur Kirche kamen, rückten langsam mit hundert oder sogar fünfhundert Dollars heraus, wenn man die in Tücher gehüllten Mütterchen schilderte, die weinend zur Milchverteilungsstelle kamen.

Es gab Kurse für Handfertigkeit, Haushaltung, Gymnastik und Vogelkunde für die armen Knaben und Mädchen der Altstadt. Es gab Pfadfinder- und Wandervogelmädchengruppen. Es gab Sitzungen der Frauenhilfe, Sitzungen der Frauenmissionsgesellschaft, regelmäßige Kirchensoupers vor Gebetsandachten, eine Bibelübungsschule für Sonntagsschullehrer, eine Nähgesellschaft, Pflege und kostenloses Essen für die Kranken und Armen, ein halbes Dutzend Clubs für junge Männer und Frauen, ein halbes Dutzend Zirkel für Matronen und einen Männerclub mit monatlichen Dinners, für die der Pastor kostenlose prominente Redner einfangen mußte. Die Sonntagsschule war wie eine kleine Universität. Und jeden Tag kamen Dutzende von Besuchern, die den Pastor um Trost, Rat und Geld baten – junge Männer, die unter Anfechtungen litten, Witwen, die Stellungen haben wollten, alte Witwen, die der Unsterblichkeit versichert werden wollten, Vagabunden, die etwas zu essen haben wollten, und beredte Bücherreisende. In Banjo hatten die Dörfler Scheu davor empfunden, ihre beschämenden Sorgen einzugestehen, in der Stadt aber gab es immer einsame Leute, denen es Freude machte, ein wenig verdreht, ein wenig absonderlich, ein wenig schändlich zu erscheinen; die sich danach sehnten, über sich selbst sprechen zu können, und erwarteten, daß der Pastor immer dafür Interesse habe.

Elmer hatte kaum Zeit zur Vorbereitung seiner Predigten, obgleich er jetzt wirklich den Wunsch hatte, sie originell und schön zu machen. Er war es nicht mehr zufrieden, sich auf seinen Vorrat zu verlassen. Er wollte seinen Wortschatz vermehren; er war sogar willens, neue Gedanken zu haben, die der Biologie, der Biographie und politischen Leitartikeln entnommen werden sollten.

Er ging täglich um acht Uhr morgens aus dem Haus – gewöhnlich nach einem Frühstück, bei dem er von Cleo zu wissen wünschte, warum zum Teufel sie Nat und Bunny nicht zur Ruhe bringen könne, solange er die Zeitung lese – und kehrte nicht vor sechs Uhr abends zurück, völlig erschöpft. Er mußte am Abend studieren. Er war immer mürrisch … Seine Kinder hatten Angst vor ihm, auch wenn er sich geräuschvoll entschloß, für einen Abend den freundlichen Vater zu spielen und sie Huckepack reiten zu lassen, ob sie nun Huckepack reiten wollten oder nicht. Nat und Bunny fürchteten Gott, wie sich's gehört, und hielten seine Gebote, weil ihr Vater Gott so bewundernswert und vorbildlich darstellte.

Wenn Cleo bei Versammlungen und Clubs in der Kirche zu tun hatte, tadelte Elmer sie wegen Vernachlässigung des Haushalts; wenn sie in ihrer Kirchenarbeit nachließ, war er wieder in der Lage, ihr vorzuwerfen, daß sie ihm im Beruf nicht helfe. Und offenbar lag es an ihrer schlechten Einrichtung des Haushaltes, daß er nie Zeit für die morgendliche Familienandacht hatte … Doch das machte er wieder durch die Heftigkeit seines Tischgebetes vor dem Essen gut, bei dem er dann die Kinder anstarrte, wenn sie sich auf ihren Stühlen nur rührten.

Und immer klingelte das Telephon, nicht nur in seiner Kanzlei, sondern auch abends daheim.

Was sollte Miss Weezeger, die Diakonissin, mit der alten Miss Mally tun, die ein neues Nachthemd haben wollte? Könnte der Reverend Gantry am nächsten Donnerstag nachmittag im Reklameclub eine kurze Ansprache über »Reklame und Kirche« halten? Könnte er am nächsten Donnerstag um vier Uhr – gerade um die Zeit, da er eine Verabredung mit dem Kollegialausschuß hatte – im Musik- und Literaturclub Laetitia über »Religion und Poesie« sprechen? Der Kirchenpförtner wollte zu heizen anfangen, aber die Kohlen waren noch nicht geliefert. Was für einen Rat würde der Reverend Mr. Gantry einem jungen Mann geben, der das College besuchen wollte und kein Geld hatte? Aus welchem Buch war das Zitat »Mit achtzig lernte Cato Griechisch, schrieb Sophokles«, das er in der Predigt am letzten Sonntag verwendet hatte? Würde Mr. Gantry so freundlich sein und am nächsten Freitag vormittag um neun Uhr fünfzehn in der Lincolnschule sprechen – die lieben Kinder würden sich so über jede Botschaft freuen, die er ihnen zu geben hätte, und der reguläre Redner könne nicht kommen. Wäre es recht, wenn die Mädchen-Basketballmannschaft heute abend das Souterrain benützen würde? Könnte der Reverend, gleich jetzt, zum Haus von Ben T. Evers hinauskommen, 2616 Appleby Street – fünf Meilen weit – weil Großmutter sehr krank sei und Trost brauche? Was, bitte, hätte der Reverend sich denn eigentlich gedacht, als er am letzten Sonntag sagte, daß das höllische Feuer vielleicht nur geistig und bildlich gemeint sei – wüßte er denn nicht, daß das gegen Matthäus V, 29 gehe: »… der ganze Leib in die Hölle geworfen werde.« Könnte er den Bürstenabzug der Kirchennachrichten sofort zum Drucker zurückschicken? Könnten die Vorstandsdamen des Frauenzirkels Südwest morgen in Mr. Gantry Arbeitszimmer zusammenkommen? Würde Mr. Gantry beim Bankett des Verbandes zur Erneuerung der Altstadt sprechen? Wollte der Reverend ein altes Automobil in 1 A Zustand kaufen? Könnte der Reverend –

»Herrgott!« sagte der Reverend; und: »Na? Wieso, nein, natürlich konntest du nicht für mich antworten, Cleo. Aber wenigstens könntest du versuchen, mit dem Trällern aufzuhören, wenn ich mich ganz einfach umbring', um für alle diese verdammten Narren zu sorgen und mich aufzuopfern und so weiter!«

Und die Briefe.

Nach jeder Predigt bekam er Botschaften, in denen ihm erzählt wurde, daß er die strahlende Hoffnung des Protestantismus', und daß er ein pferdefüßiger Teufel sei; daß er ein begeisternder Redner und ein Saxophon in Menschengestalt sei. Eine Predigt über die Wonnen des Himmels, den er als ewig währenden Sommernachmittag in einer Sommerfrische am See schilderte, brachte mit einer Post vier Kommentare:

 

Ich habe eine sehr wichtige Idee für sie seitdem ich ihr wertes vom letzten Sonntag abend gehört hab warum halten sie nicht jeden Abend Andachten ab um den Leuten etc. vom Himmel und der Höllengefahr zu erzählen und wir müssen eilen eilen eilen, die Kirche ist auf falschem Weg und macht sich über uns her die viele unfehlbare Beweise vom Himmel und der Hölle haben ja wir müssen schnell das Kirchspiel retten, überall den Ruf des Herrn rufen, die Kirchen füllen und diese gottslästerlichen Theater leeren.

In Erwartung SEINER Ankunft ihr

James C. Wiekes
2113 A, McGrew Street.

 

Schreiber dieses ist ein ehrenhafter unerschütterlicher Christ, und ich möchte Ihnen sagen, Gantry, daß die einzige hilfreiche und erfreuliche Sache in Ihrer Predigt am letzten Sonntag vorm. Ihre Schlußworte waren: »Lasset uns beten«; nur hätten Sie sagen sollen: »Lasset mich beten.« Mit Ihrer labbrigen Wortmacherei über den Himmel und Ihrer Angst, die Schrecken der Hölle richtig zu schildern, bringen Sie die Leute in eine leichtfertige, selbstzufriedene Verfassung, in der sie leicht in Sünde fallen, und während Sie vorgeben, ernsthaft und buchstabengetreu an jedes Wort der Schrift zu glauben, sind Sie ein Atheist im Schafspelz. Ich bin ein Diener des Evangeliums und weiß, wovon ich spreche.

Achtungsvoll
Almon Jewings Strafe.

 

Ich habe Ihre miserable altmodische Predigt am letzten Sonntag gehört. Sie geben vor, liberal zu sein, sind aber nichts weiter als ein verbohrter Stockkonservativer. Kein Mensch glaubt mehr an einen materiellen Himmel oder Hölle, und Sie machen sich nur lächerlich, wenn Sie davon reden. Wachen Sie auf und studieren Sie moderne Sachen.

Ein Student.

 

Lieber Bruder, Ihre reizende Predigt am letzten Sonntag über den Himmel war das Schönste, was ich in meinem Leben gehört habe. Ich bin eine recht alte Dame und fühle mich nicht gerade zu wohl mit meinen Schmerzen und Sorgen, besonders über meinen Enkel, der trinkt. Ihre wundervolle Predigt war mir eine solche Tröstung, ich kann gar nicht sagen wie

Ihre Sie bewundernde
Mrs. R.R. Gommerie.

 

Und, von den bösartigen anonymen Briefen abgesehen, es wurde von ihm erwartet, daß er alles beantworte … In seinem stickigen Büro, ein Regal mit schwarz gebundenen Büchern vor Augen, der jammernden Miss Bundle diktierend, die nie eine Adresse verstand, die immer die Briefe, die sie zweizeilig schreiben sollte, einzeilig schrieb, die wunderschön nachzukommen schien, bis man entdeckte, daß sie das durch Auslassung der meisten Verben und Adjektiven erreichte.

6

Ob er an Wochentagen reizbar war oder nicht, die Sonntage waren für seine nervöse Familie eine Hölle des ihm aus dem Weg Gehens; für ihn selbst hatten sie die Erregung eines Premierenabends.

Um sieben war er auf, sah seine Predigtnotizen durch, bereitete seine Ansprache in der Sonntagsschule vor und fuhr Cleo an: »Du lieber Gott, du könntest doch wenigstens heute das Frühstück rechtzeitig fertig haben, und, um Himmels willen, warum kommt den der Ofenmensch nicht, damit mich nicht immer friert, während ich arbeite?«

Um dreiviertel Zehn war er in der Sonntagsschule, und oft mußte er sich die große Bibelklasse der Männer vornehmen und ihnen auf Grund seiner Kenntnisse der hebräischen und griechischen Originaltexte, die der Laienwelt versagt waren, die mehr verborgenen Bedeutungen der Bibel erklären.

Die Vormittagsandacht begann um elf Uhr. Jetzt, da er oft tausend Leute im Auditorium hatte, litt er an Lampenfieber, wenn er aus seinem Arbeitszimmer hinaussah. Würde er sie packen können? Was zum Teufel hatte er denn über Kommunion sagen wollen? Nicht ein Wort davon fiel ihm mehr ein.

Es war nicht leicht, unausgesetzt die noch nicht Bekehrten zum Vorkommen zu mahnen, als ob er wirklich glaubte, daß sie es tun würden, und als läge ihm auch nur das geringste daran, ob sie es tun würden oder nicht. Es war nicht leicht, an Kommunionssonntagen, wenn die Leute am Altar niederknieten, ein Lachen zu unterdrücken, wenn er die scheinheiligen Augen und züchtigen Lippen der Brüder sah, die er im Privatleben als Gauner kannte.

Es war nicht leicht, unausgesetzt mit der gehörigen Überzeugung zu sagen, daß, wer immer ein Weib voll Gelüsten anblicke, geradenwegs in die Hölle hinunterplumpsen werde – besonders wenn ein hübsches, bewunderndes Mädchen in der vordersten Reihe saß. Und am allerschwierigsten war es, wenn er seine öffentliche Arbeit getan hatte, wenn er müde war und ausspannen wollte, nach der Predigt herumzustehen und die Händedrucke heiliger alter Jungfern entgegenzunehmen, die erwarteten, er müsse ohne zu grinsen zuhören, während sie ihm vorschwatzten, daß er ein silberplattierter Engel sei, und daß sie ganz genau so seien wie er.

Daß er etwas Neues, Strahlendes, Frommes für jede einzelne von ihnen erfinden mußte! Daß er ansehen mußte, wie große, gesunde, kräftige Männer ihn unterdessen musterten, als ob er ein altes Weib in Hosen wäre!

Wenn er zum Sonntagslunch nach Hause kam, suchte er eine Gelegenheit, sich beleidigt und benachteiligt, geplagt und gemißhandelt vorzukommen, und gewöhnlich fand er die Gelegenheit dazu.

Immer stand ihm für den Rest des Tages noch die Sonntagsabendandacht bevor, häufig die Epworth Liga, öfters Spezialmeetings um vier Uhr. Sooft die Kinder ihn in seinem Sonntagnachmittagschläfchen störten, lieferte Elmer eine Personifizierung der Propheten. Du lieber Himmel! Alles, was er von Nat und Bunny verlangte, war, daß sie, als Kinder eines Methodistengeistlichen, sich am geheiligten Sabbathnachmittag nicht auf den Straßen oder in den Parken sehen, und im Haus nicht hören lassen sollten. Er sagte ihnen oft, daß sie eine beispiellose Sünde begingen, indem sie ihn in schlechte Laune brächten, was sich für einen Gottesmann nicht gehörte.

Doch durch alle diese Arbeiten und diesen Mangel an Mitfühlen im Hause kämpfte er sich erfolgreich hindurch.

7

Mit Bischof Toomis stellte Elmer sich so freundschaftlich, wie er nur konnte.

Er hatte sich sehr bald mit dem Bischof und T. J. Rigg beraten, welche geistlichen Kollegen in Zenith er kennenlernen müßte.

Unter den Geistlichen außerhalb der Methodistenkirche empfahlen sie ihm Dr. G. Prosper Edwards, den hochgebildeten Pastor der Pilger-Kongregationalistenkirche; Dr. John Jennison Drew, den rührigen, aber heiligen Führer der Chatham Road Presbyterianerkirche; jenen ernsten Baptisten, den Reverend Hosea Jessup; und Willis Fortune Tate, der, obgleich er Episkopalist und hinsichtlich Alkohol und Hölle nicht ganz zuverlässig war, eine der angenehmsten und kostbarsten Herden der Stadt hatte. Und wenn man die grinsende Überzeugung der Christian Science-Anhänger, daß sie allein im Besitze der Wahrheit seien, ertragen konnte, war noch der berühmte Führer der Ersten Christian Science-Kirche da, Mr. Irving Tillish.

Die Methodistengeistlichen Zeniths traf und studierte Elmer bei ihren regelmäßigen Montagvormittagszusammenkünften in der Begräbnis- und Hochzeitskapelle der Zentralkirche. Sie sahen aus wie eine Gruppe erfolgreicher und tatkräftiger Geschäftsleute. Nur zwei von ihnen trugen Pfarrerwesten, und von diesen sympathisierte nur einer mit der römischen Kirche und den Irrtümern von Canterbury, indem er seinen Kragen umgedreht trug. Einige sahen aus wie Farmer, einige wie Steinmetze, aber die meisten von ihnen sahen aus wie kleine Geschäftsleute. Der Reverend Mr. Chatterton Weeks hatte eine Schwäche für bordeauxrote »Phantasiesocken«, seidene Taschentücher und einen ungeheuren Smaragdring, und erinnerte angenehm an Operetten. Auch waren sie nicht allzu frömmelnd. Sie schlugen einander auf den Rücken, sie riefen einander bei den Vornamen, sie schrien: »Ich hab' gehört, daß Sie sich alle Leute aus der Stadt holen, Sie alter Gauner!« und für die Männlicheren und Erfolgreicheren unter ihnen war es ganz selbstverständlich, ab und zu ein kühnes »verdammt« hinzuwerfen.

Es wäre einem unschuldigen Laien etwas sonderbar vorgekommen, sie wie Schuljungen in Reihen sitzen zu sehen, zu beobachten, daß sie nicht Ansprachen über Kredit und Kurzwarenexpedition lauschten, sondern kurzen praktischen Ansprachen über den Glauben. Das Gleichgewicht wurde aber wieder durch eine angemessene Anzahl von Vorträgen über Handelsgegenstände hergestellt: über die Art von Kirchenstühlen, die dem Rücken am angenehmsten ist; über den Wert des Verschickens von Postkarten, auf denen steht: »Wo waren Sie am letzten Sonntag, alter Junge? Sie haben uns in der Bibelklasse für Männer sehr gefehlt«; über die unterschiedlichen Vorzüge eines riesigen Thermometers, einer riesigen Uhr und eines riesigen Automobiltachometers als Messer für das bei besonderen Gelegenheiten hereinkommende Sammelgeld; über Gold- und Silbersterne als Belohnung für Sonntagsschulbesuch; über den Nutzen von Sparbüchsen in Gestalt netter kleiner Kirchen für die Kinder, damit sie zum Sparen ihrer Pfennige für christliche Werke angestachelt würden; und über den sittlichen Wert von Violinsolos.

Auch war die versammelte Geistlichkeit nicht allzu unmenschlich bescheiden in ihren Berichten über die Zunahme des Kirchenbesuchs und der Sammlungen.

Elmer sah, daß der Bezirkssuperintendent von Zenith, ein gewisser Fred Orr, als schleichender, stiller Mensch vernachlässigt werden konnte, der wohl beim Beten ganz an seinem Platz war und ein fast aufreizend reines Leben zu führen schien, aber keine nützlichen Winke für die Vergrößerung der Sammlungen zu geben hatte.

Vier Methodistenprediger gab es, die er als Rivalen ernst nehmen mußte.

Da war Chester Brown, der Ritualist, von der neuen supergotischen Asburykirche. Er war fast ebenso schlimm, hieß es, wie ein Anglikaner. Er trug eine bis zum Hals zugeknöpfte Pfarrerweste; er hatte einen Chor in Chorröcken und arbeitete mit Prozessionshymnen; man erzählte sich, er habe einmal Kerzen auf etwas gehabt – ja, eigentlich sei es schon wirklich ein richtiger Altar gewesen. Auf Elmer wirkte er unangenehm literarisch und dramatisch. Man sagte, daß er literarische Talente habe; seine Artikel erschienen nicht nur im Advocate, sondern auch im Christian Century und der New Republic – etwas absonderliche Aufsätze, ganz entschieden christlich, aber recht freimütig hinsichtlich des Müßiggangs, des Reichtums und der Blindheit der Kirche. Er war Professor für englische Literatur und Kirchengeschichte am Luccock College gewesen und hielt Predigten über Bücher, an die Elmer, mit seiner erschöpfenden Kenntnis Longfellows und George Eliots, nie herankommen konnte.

Dr. Otto Hickenlooper von der Zentralkirche war ein noch unangenehmerer Rivale. Er hatte die rührigste Stiftungskirche im ganzen Staat. Bei ihm gab es nicht nur Handfertigkeit und Gymnastik, sondern auch religiöse Puppenspiele, Malkurse (nie nach Aktmodellen), Kurse für Französisch, Batiken, Sexualhygiene, Buchhaltung und Kurzgeschichtenschreiben. Er hatte Clubs für Eisenbahner, für Stenographen, für Hotelboys; und nach den Kirchensoupers wurden die jungen Leute ermutigt, in Nischen herumzusitzen, von denen die Zeitungen vorlaut als »Poussierecken« sprachen.

Dr. Hickenlooper hatte sich sehr für den sozialen Hilfsdienst eingesetzt. Er sympathisierte mit der American Federation of Labor, den I. W. W., den Sozialisten, den Kommunisten und der Unparteiischen Liga, was alle diese untereinander nicht taten. Er hielt Sonntagabendvorträge über die Torheit der Kriege, den Minimallohn, die Notwendigkeit reiner Milch; und einmal im Monat hatte er eine freie Diskussion, zu der die gefährlichsten radikalen Sprecher eingeladen wurden, mit der Erlaubnis, alles zu sagen, was sie wollten, nur durften sie nicht fluchen, von Ehebruch reden oder an der Führerschaft Christi Kritik üben.

Dr. Mahlon Potts von der Ersten Methodistenkirche schien Elmer auf den ersten Blick weniger gefährlich zu sein. Er war dick, wichtigtuerisch und murmelte immer etwas Frommes vor sich hin. Er war ein Bühnenpfarrer. Er rief: »Ah, mein lieber Bruder!« und: »Wie geht's uns heute morgen, mein lieber Doktor, und wie geht's der entzückenden kleinen Frau?« Doch Dr. Potts hatte die größte Gemeinde von allen Kirchen aller Konfessionen in Zenith. Er war so wohlanständig. Er war so sicher. Die Leute wußten, wie sie bei ihm dran waren. Er war auch sehr blumenreich in seiner Sprache – er konnte mit einem Berg, einem Sonnenuntergang, einer Märtyrerverbrennung, einer Aufnahme des gleichen Märtyrers durch die Heiligen im Himmel ebenso gut fertig werden, wie alle anderen Prediger in der Stadt. Aber er zweifelte nie daran, noch ließ er andere daran zweifeln, daß jedermann durch regulären Besuch der Methodistenkirche und durch Beobachtung der Gesetze der Reue, des Heils, der Taufe, der Kommunion und des Gabenspendens ein Minimum von Krebs, Tuberkulose und Sünden haben, und unweigerlich im Himmel landen müßte.

Diese drei beneidete, aber achtete Elmer; einen Mann beneidete und verabscheute er.

Das war Philip McGarry von der Arbor Methodistenkirche.

Philip McGarry, Ph. D. der Universität Chicago in Nationalökonomie und Philosophie – aber alle, die ihn gern hatten, Laien und Mitpfarrer, schienen ihn »Phil« zu nennen – war im Alter von fünfunddreißig Jahren in der ganzen amerikanischen Methodistenkirche als enfant terrible bekannt. Die einzelnen Lokalausgaben des Advocate bewunderten ihn, gluckten aber wie närrische, entsetzte Hennen über seine häufigen Entgleisungen. Er wurde aller Ketzereien angeklagt. Er leugnete keine, und das einzige Dogma, von dem man wußte, daß er sich strikt daran hielt, war die Führerschaft Jesu – doch über Jesu Göttlichkeit sprach er nie ganz klar und eindeutig.

Er war ein stämmiger, lächelnder Mann, ein Freund des Boxens, er konnte es nicht einmal bei einem Begräbnis über sich bringen, zu hauchen: »Ach, Schwester!«

Er übte an allem Kritik. Er übte sogar an Bischöfen Kritik – weil sie zu dick seien, weil sie zu ehrgeizig seien, weil sie während eines mörderisch ernsten Streiks von Wohltätigkeit faselten. Er übte, in aller Liebenswürdigkeit, Kritik an dem sozialen, stiftungsliebenden und prinzipiell philanthropischen Dr. Otto Hickenlooper mit seinen Clubs zum Studium Karl Marx' und seinem Sonntagsnachmittagsempfang für einsame Reisende.

»Sie sind ein guter Junge, Otto«, sagte Dr. McGarry – und öffentlich, bei den montäglichen Predigerzusammenkünften: »Sie meinen's gut, aber Sie sind einer von den verdammten Philanthropen.«

»Nettes Wort zum öffentlichen Gebrauch – ›verdammt‹!« dachte der schockierte Reverend Elmer Gantry.

»Ihr ganzes Zeug in der Zentrale, Otto«, sagte Dr. McGarry, »ist paternalistisch. Sie geben dem guten Volk zu essen und halten es in Gehorsam. Sie reden von Sozialismus und Pazifismus und sagen 'ne Menge nette Sachen darüber, aber Sie erklären immer, daß Reformen erst mit der Zeit kommen können – das heißt nie – und auch dann nur unter der freundlichen Oberaufsicht von Rockefeller und Henry Ford. Ich hab' auch immer den Verdacht, daß alles, was Sie tun, nur den hinterlistigen Zweck hat, die armen Kerle zur Religion zu locken – sogar zum Methodismus!«

Die ganze geistliche Versammlung brach in Schreie aus.

»Na, natürlich ist das der Zweck –«

»Also, bitte, haben Sie die Freundlichkeit, mir zu sagen, warum Sie in der Methodistenkirche bleiben, wenn Sie's für so unwichtig halten, zu –«

»Ja, was suchen Sie denn, als Diener des Evangeliums, wenn nicht Religion –«

An einem solchen Vormittag konnte die Versammlung sicher sein, von Betrachtungen über die Verwendung von Koks in Kirchenöfen abzukommen und sich mit der Frage zu beschäftigen, was sie wirklich von der ganzen Sache glaubten, wenn sie nicht vor ihren Gemeinden standen und protokolliert wurden.

Das sei eine sehr gefährliche und dumme Sache, reflektierte Elmer Gantry. Gar nicht abzusehen, wohin man geraten würde, wenn man herumginge und über eine Menge von diesen blöden Problemen schwatzte. Nichts als das reine Bibelevangelium predigen und die Leute gut machen, und diese kitzligen Fragen von Theologie und sozialem Hilfsdienst den Profs überlassen.

Als Elmer Philip McGarry das erstemal sah und verabscheuen lernte, beendete dieser seinen fröhlichen Angriff auf Dr. Hickenlooper mit den Worten: »Sehen Sie, Otto, Ihre Reformen können gar nichts zu bedeuten haben, sonst wären Sie ja nicht imstande, soviel erfolgreiche, Geld zusammenscharrende Pfarrkinder zu behalten. Solange Sie den filzigen Joe Hanley unter Ihren Kuratoren haben, besteht keine Gefahr, daß die Arbeiter in Ihrer Kirche gefährlich werden können! Dem Himmel sei Dank, ich hab' keinen einzigen angesehenen Menschen in meiner schönen Herde!«

(»Ja, und jetzt hast du dich verquatscht, McGarry«, kicherte Elmer bei sich. »Das ist das erste wahre Wort, das du gesagt hast!«)

Philip McGarrys Kirche lag in einem Viertel, das noch viel verwahrloster war als Elmers Altstadt. Es hieß »The Arbor«; in den Tagen des Pioniertums war es der von Weingärten umgebene Flecken am Chaloosa River gewesen, aus dem sich das moderne Zenith entwickelt hatte. Nun bestand es ganz aus Spelunken, Bordellen, armseligen Mietskasernen und Marktschreierbuden. Doch hier wohnte McGarry als Junggeselle, anscheinend wohlzufrieden, beriet Taschendiebe und Scheuerfrauen und hielt an den Freitagen eine Serie von Vorträgen ab, zu denen die Hörer in Scharen kamen – eifrige jüdische Studentinnen, radikale Arbeiter, alte Sonderlinge und ernste reiche Mädchen, die in Limousinen von den großen Gärten Royal Ridges herausfuhren.

»Mit dem McGarry werd' ich noch zu tun kriegen, wenn wir beide hier in der Stadt bleiben. Wir zwei werden nie miteinander auskommen«, dachte Elmer. »Na, ich werd' ihm aus dem Weg gehen; ich werd' ihn mit der christlichen Barmherzigkeit behandeln, über die er so verdammt viel rumredet, und von der er die wirkliche Bedeutung gar nicht verstehen kann! Na, wir werden ihn ganz einfach laufen lassen – ihn und die meisten anderen. Aber die großen Drei – wie werd ich mit denen fertig?«

Unmöglich konnte er, selbst wenn er eine neue Kirche haben sollte, in kirchlicher Eleganz oder literarischen Kundgebungen mehr leisten als Chester Brown. Unmöglich konnte er im Stiftungswesen und sozialen Hilfsdienst an Otto Hickenlooper herankommen. Unmöglich konnte er Mahlon Potts' Beliebtheit bei den Wohlhabenden und Vornehmen übertreffen.

Aber alle drei zusammen konnte er schlagen!

Als er so bei der Predigerzusammenkunft, auf dem Heimweg und dann abends am Kamin seine Pläne schmiedete, sah er, daß jede dieser Leuchten so spezialisiert war, daß sie die guten, Publizität bringenden Besonderheiten der anderen vernachlässigte. Elmer würde diese kombinieren; er würde fast so erbauend sein wie Chester Brown, fast so rührig in Stiftungsangelegenheiten und betriebsam wie Otto Hickenlooper, fast so solid, sicher und moralisch wie Mahlon Potts. Und alle drei, ja, alle Prediger in der Stadt außer einem Presbyterianer, vernachlässigten die – na ja, ein paar Leute sagten sensationell, aber das war nichts als Neid; das richtige Wort, überlegte Elmer, war machtvoll, oder vielleicht furchtlos, oder anspornend – sie alle vernachlässigten die machtvolle, furchtlose, anspornende und den Teufel herausfordernde Konzentration auf das Laster. Saufen. Beine. Bridge. Na klar!

Nicht übertreiben, natürlich, aber die Stadt sollte bald wissen, daß es in den Predigten des Reverend Elmer Gantry immer etwas Pikantes und doch Heilsames gebe.

»Ho, ich kann mit der ganzen Blase fertig werden!« Elmer reckte seine mächtigen Arme in froher Kraft. »Ich werd' 'ne neue Kirche bauen. Ich werd' ihnen allen die Leute abspenstig machen. Ich werd' der große Prediger in Zenith sein. Und dann – Chicago? New York? 'n Bistum? Was ich will! Donnerwetter ja!«


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