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Dreißigstes Kapitel

1

Der Reverend Elmer Gantry saß in seiner Eichen- und Lederkanzlei in der großen neuen Wellspringkirche.

Es war ein munterer Rohziegelbau, mit Verblendsteinen verziert. Sie hatte gotische Fenster, ein Glockenspiel in dem viereckigen Steinturm, Dutzende von Sonntagsschulräumen, eine Turnhalle, einen Gesellschaftssaal mit Bühne und Kinoeinrichtung, einen elektrischen Herd in der Küche, und über allem ein sich drehendes elektrisches Kreuz und Schulden.

Aber gegen die Schulden wurde gekämpft. Elmer behielt den professionellen Kirchengeldeintreiber, den er während der Campaign für den Baufond beschäftigt hatte. Dieser finanzielle Kreuzfahrer hieß Emmanuel Navitsky; es hieß, er stamme von einer vornehmen polnischen Katholikenfamilie ab, die sich zum Protestantismus bekehrt hätte; und er war auch ganz entschieden ein sehr begeisterter Christ – außer vielleicht am Abend vor dem Passahfest. Er hatte Geld eingetrieben für Presbyterianerkirchen, Y.M.C.A.-Bauten, Kongregationalisten-Colleges und Dutzende anderer heiliger Zwecke. Er tat Wunder mit Zettelkatalogen, in denen reiche Leute aufgeführt waren; und er soll der erste Kirchenacquisiteur gewesen sein, der daran dachte, Juden zu Beiträgen für christliche Gotteshäuser einzuladen.

Ja, Emmanuel würde sich schon um die Schulden kümmern, und Elmer konnte sich rein geistlichen Angelegenheiten widmen.

Er saß jetzt in seinem Arbeitszimmer und diktierte Miss Bundle. Er hatte mit dieser altmodischen Dame Glück; ihr Bruder nämlich, einer der Kirchenschatzmeister, war kürzlich gestorben, und er konnte sie bald ohne allzuviel Gezänk loswerden.

Man brachte ihm die Karte von Loren Latimer Dodd, M. A., D. D., LL. D., Rektor des Abernathy Colleges, herein, eines Instituts methodistischer Gelehrsamkeit.

»Hm«, brummte Elmer. »Der will sicher Geld haben. Nichts zu machen! Was zum Teufel glaubt er denn, daß wir sind!« und laut: »Gehen Sie hinaus, Miss Bundle, und führen Sie Dr. Dodd sofort herein. Ein großer Mann! Ein wunderbarer Erzieher! Sie wissen – Rektor vom Abernathy College!«

Dr. Dodd war ein blumenreicher Mann mit Stimme, Vereinsabzeichen und Händedruck.

»Ja, ja, ja, Bruder Gantry, ich habe soviel von Ihrer prächtigen Arbeit hier gehört, daß ich mir erlaubt habe, zu Ihnen zu kommen und Sie eine Minute zu langweilen. Was für eine prächtige Kirche haben Sie geschaffen! Das muß eine Befriedigung, ein Stolz sein! Sie ist – prächtig!«

»Danke, Doktor. Freut mich sehr, Sie kennen zu lernen. Äh. Äh. Äh. Auf Besuch in Zenith?«

»Ja, ich bin, gleichsam, auf meiner Ronde.«

(»Nicht einen Cent, du alter Räuber!«) »Nach Ihren Zöglingen sehen, nehme ich an.«

»Gewissermaßen. Ja, also, ich –«

(»Nicht einen lausigen Cent. Mein Gehalt wird demnächst erhöht!«)

»– hätte gern gewußt, ob Sie sich bereit erklären könnten, mir ein kleines Weilchen bei Ihren Sonntagabendandachten einzuräumen, um die Aufmerksamkeit Ihrer prächtigen Gemeinde auf die große Arbeit und die schrecklichen Bedürfnisse Abernathys hinzuweisen. Wir haben eine große Anzahl ernster junger Männer und Frauen – und nicht wenige von den Jungen gehen in den Methodistendienst. Aber unsere Dotierung ist so klein, und mit den Kosten für den neuen Sportplatz obgleich ich entzückt bin, sagen zu können, daß unsere Freunde es möglich gemacht haben, einen wirklich prächtigen Platz zu schaffen, mit einem schönen Betonstadion – aber die Sache hat uns einem herzzerreißenden Defizit gegenübergestellt. Ja, die ganze chemische Fakultät ist in zwei Räumen in einem Etwas untergebracht, das ein Kuhstall war! Und –«

»Das kann ich nicht machen Doktor. Unmöglich. Wir haben noch nicht einmal angefangen, für diese Kirche zu bezahlen. Es könnte mich fast geradezu mein Leben kosten, wenn ich mit einer Bitte um einen Extracent zu meinen Leuten ginge. Aber vielleicht in zwei Jahren – obwohl ich, offen gestanden,« und Elmer lachte strahlend, »nicht weiß, warum die Leute von Wellspring einem College etwas stiften sollen, das noch nicht einmal soviel an den Pastor von Wellspring gedacht hat, um ihm einen Doktor der Theologie zu verleihen!«

Die beiden frommen Geistlichen sahen einander bieder an, mit Pokergesichtern.

»Mir ist natürlich«, sagte Elmer, »der Titel schon etliche Male angeboten worden, Doktor, aber von kleinen, unbedeutenden Colleges, und mir lag nichts daran, ihn zu akzeptieren. Daraus können Sie sehen, daß das keineswegs eine Andeutung ist, daß ich einen solchen Titel möchte. Da sei der Himmel vor! Aber ich weiß, daß es meiner Gemeinde Freude machen würde, daß es gewissermaßen das Gefühl in ihnen erzeugen würde, Abernathy sei ihr eigenes College.«

Dr. Dodd bemerkte heiter: »Verzeihen Sie, daß ich lächle! Sie müssen wissen, ich hatte bei meinem Besuch eine zweifache Mission. Der zweite Teil sollte sein, daß ich Sie frage, ob Sie Abernathy die Ehre machen würden, einen D. D. anzunehmen!«

Sie blinzelten einander nicht zu.

Elmer freute sich innerlich: »Und den alten Mahlon Potts soll sein D. D. sechshundert Dollars gekostet haben! O ja, Rektorchen, in zwei Jahren werden wir anfangen, Geld für Abernathy zu erheben – werden wir anfangen

2

Die Kapelle des Abernathy Colleges war voll. Vorne saßen die Senioren in Talaren; sie sahen aus wie eine Reihe mit Staubhüllen bedeckter Lehnstühle. Auf der Tribüne, bei dem Rektor und den älteren Mitgliedern des Lehrkörpers, waren die Berühmtheiten, deren Großtaten durch Ehrentitel anerkannt werden sollten.

Außer dem Reverend Elmer Gantry waren diese erlesenen Gäste: der Gouverneur des Staates – der als Ehescheidungsanwalt begonnen sich aber gebessert und es der Elektrizitäts- und Straßenbahngesellschaft ermöglicht hatte, die ganze Wasserkraft im Staate zu stehlen; Mr. B. D. Swanson, der Automobilfabrikant, der das meiste Geld für den Bau des Fußballstadions in Abernathy hergegeben hatte; und die berühmte Eva Evaline Murphy, Schriftstellerin, Rezitatorin, Malerin, Musikerin und Autorität im Blumenzüchten, die einen Litt. D. bekam, weil sie (gratis) das neue Abernathy College-Lied geschrieben hatte:

Wo wir auch sind, wir wollen denken dein,
Im Tal, auf Bergeshöh, zu Land, zur See
Laßt singen uns, wie stets um uns wird sein,
Lieb Abernathy, das Gedeeeeen-ken – dein.

Rektor Dodd faßte Elmer ins Auge und rief:

»– und nun haben wir den Vorzug, den Titel eines Doktors der Theologie einem Mann aus unserem Nachbarstaat Winnemac zu verleihen, der mehr als sonst jemand dazu beigetragen hat, die wahre Glaubenslehre zu verbreiten, die Macht der Kirche zu vergrößern, ein hohes Niveau von Beredsamkeit und Gelehrsamkeit aufrecht zu erhalten, und mit seinem eigenen Leben ein Beispiel des Eifers gegeben hat, das uns allen begeisterndes Vorbild ist!«

Sie riefen hurra – und Elmer war der Reverend Dr. Gantry geworden.

3

Es war eine große Beruhigung für den Rotary Club. Seit langem war es ihnen schon unangenehm gewesen, eine so gewichtige Persönlichkeit »Elmer« zu nennen, und jetzt riefen sie ihn, dank seiner Würde stolz auf sich selbst, »Doc«.

Die Kirche gab ihm einen Empfang und erhöhte sein Gehalt auf siebentausendfünfhundert Dollars.

4

Der Reverend Dr. Gantry war der erste Geistliche im Staate Winnemac, fast der erste im ganzen Lande, der seine Predigten durch das Radio verbreiten ließ. Er schlug es selbst vor. Um jene Zeit bot die einzige Sendestation Zeniths, die der Celebes Gummi und Kautschuk Company, nur Jazzorchester und abgedankte Soprane, die für den berühmten Jolly Jack-Kaugummi Reklame machten. Für fünfzig Dollars wöchentlich war die Wellspringkirche in der Lage, das Radio an Sonntagvormittagen von elf bis zwölf Uhr dreißig zu benutzen. Auf diese Weise erhöhte Elmer die Anzahl seiner Zuhörer von zweitausend auf zehntausend – und nach einigen weiteren Jahren sollten es hunderttausend werden.

Achttausend Radiobesitzer lauschen Elmer Gantry –

Ein Schnapspanscher in seinem möblierten Zimmer, ohne Rock, in rosa Seidenhemd, die Füße auf dem Tisch … Das Haus eines Kleinstadtarztes, die Nachbarn sind zuhören gekommen – der Apotheker, seine dicke Frau, der bärtige Schulinspektor … Mrs. Sherman Reeves in Royal Ridge, die Frau eines der reichsten jungen Männer in Zenith, in schwarzgoldenem Schlafrock zuhörend, die Zigarette im Mund … Der Kapitän eines Schooners, draußen auf dem Michigansee, einige hundert Meilen weit, in seiner Kabine … Die Frau eines Farmers in einem Indiana-Tal, zuhörend, während ihr Mann den Sears-Roebuck-Katalog liest und die Nase rümpft … Ein pensionierter Eisenbahnschaffner, sehr schwach, sehr fromm … Ein katholischer Priester, in einem Spital, ein wenig kichernd … Eine altjüngferliche Schullehrerin, wahnsinnig vor Einsamkeit, Dr. Gantrys männliche Stimme anbetend … Ein Schauspieler auf der Tournée in seiner Garderobe, abgerackert von den allabendlichen Vorstellungen.

Sie alle lauschen dem Reverenden Dr. Elmer Gantry, während er schreit:

»– und ich muß Euch sagen, daß der Mensch, der von Ehrgeiz verzehrt wird, die Herrlichkeit dieser Welt vor die Herrlichkeit des Himmels setzt! Oh, könnte ich Euch nur helfen zu begreifen, daß es Demut ist, daß es einfache liebevolle Freundlichkeit, daß es zärtliche Treue allein ist, die das Herz erfreut! Und jetzt möchte ich Euch ein Geschichtchen erzählen: Mir fallen zwei Iren namens Mike und Pat ein –«

5

Seit Jahren wurde Elmer von einem Tagtraum gemartert: Jim Lefferts vor sich unter den Zuhörern sitzen und höhnisch grinsen zu sehen. Es würde eine tragische Begegnung und entsetzlich sein; er war nicht ganz sicher, ob Jim nicht zu sprechen beginnen und ihn durch irgendeinen Zaubertrick von der Kanzel schleudern würde.

Aber als er an diesem Sonntagvormittag Jim in der dritten Reihe sah, dachte er: »Ach Gott, da ist Jim Lefferts! Ziemlich grau ist er geworden. Ich werd' wohl nett zu ihm sein müssen.«

Jim kam nachher, um ihm die Hand zu drücken. Er sah nicht zynisch aus; er sah müde aus; und als er mit tönender Prairiestimme sprach, kam Elmer sich großstädtisch, zivilisiert und überlegen vor.

»Hallo, Höllenhund«, sagte Jim.

»Nanu, nanu, nanu! Alter Jim Lefferts! Na, Herrgott! weißt du, es ist wirklich 'n ganz kolossales Vergnügen, dich wiederzusehen, mein Junge! Was machst du in diesem Winkel?«

»Ich bin wegen einer Forderung für einen Klienten da.«

»Was treibst du jetzt, Jim?«

»Ich bin Anwalt in Topeka.«

»Geht's gut?«

»Ach, ich kann nicht klagen. Ach, nichts besonderes. Immerhin war ich eine Wahlperiode lang im Senat.«

»Das ist schön! Das ist schön! Sag mal, wie lang bleibst du hier?«

»Ach, so drei Tage.«

»Weißt du, ich möcht' ja gern, daß du zu uns essen kommst; aber, verflucht und zugenäht, Cleo – das ist meine Frau – ich bin jetzt verheiratet – die hat mich bis über den Hals in Verabredungen begraben – du weißt ja, wie die Frauen sind – ich, ich würd' lieber daheim sitzen und lesen. Aber selbstverständlich muß ich dich nochmal sehen. Hör mal, ruf mich doch an, ja? – zu Hause (steht im Telephonbuch) oder in meiner Kanzlei in der Kirche.«

»Ja, freilich, selbstverständlich. Na, es hat mich gefreut, dich zu sehen.«

»Klar. Kolossale Freude, dich gesehen zu haben, alter Jim!«

Elmer sah Jim schwerfällig davongehen, mit gebeugten Schultern, einen verzagten Mann.

»Und das«, frohlockte er, »ist das armselige Huhn, das mich davon abhalten wollte, in den Dienst zu gehen!« Er sah sich in seinem Auditorium um, in dem die Orgelpfeifen eine riesige goldene Pyramide bildeten, in dem das Chubbuck-Gedächtnisfenster rubinrot, golden und amethystblau leuchtete. »Anwalt sollt' ich werden wie er, in einem dreckigen, stinkenden kleinen Bureau! Hu! Und er hat sich wirklich lustig über mich gemacht und mich zurückhalten wollen, wie ich einen klaren und deutlichen Ruf von Gott bekommen hab'! Ach, ich werd' saftig zu tun haben, wenn er anruft, das ist mal sicher!«

Jim telephonierte nicht.

Am dritten Tag empfand Elmer Sehnsucht, ihn zu sprechen, Sehnsucht, seine Freundschaft wiederzugewinnen. Aber er wußte nicht, wo Jim wohnte; in den größeren Hotels konnte er ihn nicht erreichen.

Er sah Jim Lefferts nie wieder, und nach einer Woche hatte er ihn vergessen, abgesehen davon, daß es eine Erleichterung war, das Verlegenheitsgefühl vor Jims Spott verloren zu haben – die letzte Barriere zwischen ihm und selbstvertrauender Größe.

6

Im Sommer 1924 wurde Elmer ein dreimonatlicher Urlaub gewährt; das erstemal besuchten Cleo und er Europa.

Er hatte den Rev. Dr. G. Prosper Edwards sagen gehört: »Ich teile die amerikanischen Geistlichen in nur zwei Klassen – diejenigen, die man auffordern könnte, in einer Londoner Kirche zu predigen, und diejenigen, bei denen das nicht möglich wäre.« Dr. Edwards gehörte zu der ersten ehrenwerten Kaste, und Elmer hatte gesehen, daß es ihm großen Ruhm eingebracht hatte, im Londoner City Temple zu predigen. Die Zenither Zeitungen, sogar die religiösen Wochen- und Monatsschriften in der ganzen Union hatten davon gesprochen, daß bei Dr. Edwards' Aufenthalt in London die ganze Bevölkerung vom König bis zu den Erdarbeitern sich beeilt habe, unter ihm anzubeten, und der Schluß daraus war, daß Zenith und New York vernünftig daran täten, das nachzuahmen.

Elmer sorgte eifrig dafür, daß er gleichfalls eingeladen wurde. Er ließ Bischof Toomis an seine Wesleyaner Kollegen schreiben, er ließ Rigg und William Dollinger Styles an ihre nonkonformistischen Geschäftsfreunde in London schreiben, und einen Monat vor seiner Abreise wurde er aufgefordert, in der berühmten Brompton Road Chapel zu sprechen, so daß er nicht nur in Erregung über das neue Erlebnis, sondern auch mit der Glut des Verkünders abfuhr.

7

Dr. Elmer Gantry schritt auf dem Verdeck der Scythia einher, eine prächtige, zuversichtliche, mannhafte Gestalt in blauem Anzug, Seglermütze und weißen Leinenschuhen, schlenkerte mit den Armen und strahlte seine Brüder in der Sportnarrheit freundlich an.

Er blieb vor den Korbstühlen eines alten Paares stehen – einer zierlichen blauadrigen alten Dame, und ihres Gatten, der kleine Hände und einen kleinen weißen Bart hatte.

»Na, Herrschaften, ihr scheint ja die Fahrt recht gut zu überstehen, für alte Leute!« brüllte er.

»Ja, danke schön«, sagte die alte Dame.

Er tätschelte ihr Knie und schrie: »Wenn ich irgendwas tun kann, um's nett und behaglich für Sie zu machen, Mutter, dann lassen Sie mich ganz einfach holen! Haben Sie keine Angst davor, mich zu rufen. Ich hab's nicht bekanntgegeben – es macht bißchen Spaß, wie man sagt, inkognito zu reisen – aber Tatsache ist, ich bin Diener des Evangeliums, auch wenn ich 'n kräftiger Kerl bin, und es ist mir geradeso Vergnügen wie Pflicht, den Leuten zu helfen, wo ich nur kann. Sagen Sie mal, finden Sie nicht auch, daß es zu den reizendsten Sachen bei so 'ner Ozeanfahrt gehört, daß die Leute Zeit haben, miteinander zusammenzukommen und Gedanken auszutauschen? Sind Sie schon mal übergefahren?«

»Ach ja, aber ich glaube, ich werd' es nie wieder tun«, sagte die alte Dame.

»Das ist recht – das ist recht! Ich will Ihnen mal sagen, wie ich drüber denk', Mutter.« Elmer tätschelte ihre Hand. »Wir Amerikaner, und wenn's auch 'ne schöne Sache ist, ein oder zweimal ins Ausland zu gehen – es gibt nichts, was den Horizont so erweitert wie Reisen, was! – trotzdem, wir haben in Amerika 'nen Standard von Anständigkeit und Tüchtigkeit, von dem diese armen alten europäischen Länder ja gar keine Ahnung haben, und auf die Dauer bleiben ja doch die guten alten U. S. A. der Platz, wo man sein größtes Glück findet – besonders für Leute wie wir, die nicht dicke Millionäre sind, die 'n Haufen Schlösser und so Zeugs zusammenkratzen können und Dutzende von Hausmeistern haben. Na klar! Also, lassen Sie mich nur holen, wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann. Bis dahin, Herrschaften! Ich muß meine drei Meilen machen!«

Als er gegangen war, sagte die kleine, zierliche alte Dame zu ihrem Mann:

»Fabian, wenn dieses Schwein noch einmal mit mir spricht, spring' ich über Bord! Er ist so ziemlich das widerwärtigste Subjekt, das mit je vor Augen gekommen ist! Liebster – wie oft sind wir schon übergefahren?«

»Ach, ich weiß nicht mehr. Vor zwei Jahren waren es hundertzehnmal.«

»Nicht mehr?«

»Liebling, sei nicht so schnippisch.«

»Aber gibt es denn nicht ein Gesetz, das einem erlaubt, Leute, die ›Mutter‹ zu einem sagen, umzubringen?«

»Liebling, der Herzog nennt dich auch so!«

»Ich weiß. Das macht er. Das ist es ja auch, was ich an ihm hasse! Schatz, glaubst du, frische Luft ist es wert, daß man für sie damit bezahlt, sich ›Mutter‹ nennen zu lassen? Wenn dieses Tier das nächste Mal kommt, wird er dir ›Vater‹ sagen!«

»Nur einmal, meine Liebe!«

8

Elmer dachte: »Na, ich hab' den armen alten Hühnern was Nettes gesagt, das ihnen bißchen weiter hilft. Weiß Gott, es gibt nichts Wichtigeres, als den Leuten ein bißchen Glückseligkeit und Glauben zu geben, damit ihnen der dunkle Pfad des Lebens leichter wird.«

Er kam am Deckcafé vorbei. An einem hellgrünen Tisch saß ein Mann, der Elmers Tischnachbar im Speisesaal war. Bei ihm waren drei Unbekannte, jeder von ihnen hatte ein Glas Whiskysoda vor sich stehen.

»Na, ich seh', ihr pulvert euch bißchen auf!« sagte Elmer vergebungsvoll.

»Freilich, klar«, sagte sein Freund vom Speisesaal. »Wollen Sie sich nicht auch hersetzen und 'n Schluck mit uns trinken?«

Elmer setzte sich, und als der Steward in frischer, britisch strammer Positur dastand, ließ er verlauten:

»Also, wo ich Prediger bin, kann ich natürlich nicht so 'n großer starker Athlet sein wir ihr, Jungs, und deshalb kann ich auch nicht mehr vertragen als Ingwerbier.« Zum Steward: »Führt ihr auch irgend so was, Jungchen, oder habt ihr nur Schnaps für große starke Männer?«

Als Elmer dem Zahlmeister erklärte, er würde bereit sein, das Protektorat beim Konzert zu übernehmen, sagte der Zahlmeister unter reichlich schwitzendem Bedauern, der Rt. Hon. Lionel Smith sei unglückseligerweise bereits gebeten worden, das Protektorat zu übernehmen.

9

Cleo war nicht unangenehmer farblos gewesen als sonst, aber sie hatte unter Seekrankheit gelitten, und Elmer sah ein, daß es ein Fehler gewesen war, sie mitzunehmen. Er hatte während der ganzen Überfahrt nicht eine Stunde mit ihr gesprochen. Es hatte so viele interessante und den Horizont erweiternde neue Bekanntschaften gegeben; den Mann aus China, der ihm Ideen genug für ein Dutzend Missionspredigten geliefert hatte; den Professor vom Higgins Presbyterian Institute, der erläuterte, daß kein wirklich moderner Wissenschaftler die Evolutionslehre akzeptiere; die hübsche Journalistin, die Trost brauchte.

Aber jetzt, da er mit Cleo allein im Abteil des Zugs von Liverpool nach London saß, machte Elmer wieder gut, was sie für Vernachlässigung gehalten haben mochte, indem er die schwierigen Erscheinungen eines fremden Landes erklärte:

»He! England ist aber hinter der Zeit zurückgeblieben! Denk bloß mal, diese schmutzigen Affenkäfige statt 'nem Pullmanwagen, in dem man die Mitreisenden sehen und Bekanntschaften machen kann. Da kann man wieder mal sehen, wie dieses Land noch unter dem Kastengeist leidet.

»Machen mir nicht viel Eindruck, die Ortschaften da. Ganz nette Häuschen mit wildem Wein und so, aber man hat gar nicht das Gefühl, daß sie auf der Höhe sind und mitkommen und vorwärtsschauen, wie amerikanische Flecken. Ich will dir bloß das eine sagen – und ich weiß nicht, ob ich schon wen gesehn hab', der da drauf gekommen ist – vielleicht mach ich 'ne Predigt draus – einer der großen Vorteile von Auslandreisen ist, daß man auf ihnen viel mehr Freude dran gewinnt, Amerikaner zu sein!

»Da sind wir, wir kommen nach London, glaub' ich. Das ist aber rauchig, was.

»Also, du lieber Gott, also das nennen sie Bahnhof in London! Na, imponiert mir nicht sehr! Sieh dir bloß mal alle die kleinwinzigen Zügelchen an. Na hör mal, 'n amerikanischer Lokomotivführer würde sich ja schämen, so'ne Kinderzüge zu mißbrauchen! Und gar kein Marmor, nirgends auf 'm Bahnhof!«

10

Der Page, der ihnen das Gepäck in ihr Zimmer im Savoy brachte, war ein flotter, lächelnder Junge mit fabelhaft rosigen Wangen.

»Sag mal, Jungchen,« erkundigte der Rev. Dr. Gantry, »was holst du hier raus?«

»Verzeihung, Sir, ich glaube, ich verstehe nicht ganz, Sir.«

»Was machst du? Wieviel bezahlen sie dir?«

»Oh, oh, man bezahlt mich sehr anständig, Sir. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun, Sir? Danke sehr, Sir.«

Als der Page gegangen war, klagte Elmer: »Na, 'ne nette, freundliche Nummer ist das, der Boy, und die englische Sprache kann er kaum verstehen! Also, ich freu' mich ja, daß wir das Alte Land sehen, aber wenn die Leute nicht bißchen freundlicher sein werden als der, weiß ich schon jetzt, daß wir lausig froh sein werden, wieder zurückzukommen. Ja, weißt du, wenn das 'n amerikanischer Hotelboy gewesen wär', hätten wir 'ne Stunde weitergequatscht, und ich hätt' was lernen können. Also, los, los! Setz den Hut auf, wir wollen raus und schnell mal schauen, was in der Stadt zu sehen ist.«

Sie gingen den Strand entlang.

»Sag mal,« fragte Elmer in düsteren Tönen, »hast du das bemerkt? Die Polizisten haben Riemen unter dem Kinn! Ja, ja, das ist mal ganz anders als bei uns!«

»Ja, nicht wahr!« sagte Cleo.

»Aber die Straße da macht mir gar nicht viel Eindruck. Ich hab' immer gehört, daß sie berühmt ist, aber die Läden – na weißt du, wir haben paar Dutzend Straßen in Zenith, von N'York gar nicht zu reden, die bessere Läden haben. Haben keinen Schmiß und nichts, die Ausländer. Ja, da freut man sich wieder mal, daß man Amerikaner ist!«

Sie kamen, nachdem sie das Kaufhaus Swan & Edgar erforscht hatten, zum St. Jamespalast.

»Also,« sagte Elmer wissend, das ist mal 'n altes Ding. Was das wohl ist? So 'ne Art Schloß, glaub' ich.«

Zu einem vorüberkommenden Polizisten: »Hören Sie, entschuldigen Sie, Cap'n, aber könnten Sie mir sagen, was das für'n Ziegelbau ist?«

»St. Jamespalast, Sir. Sie sind Amerikaner? Der Prinz von Wales wohnt hier, Sir.«

»Was Sie nicht sagen! Hast du gehört, Cleo? Ja, das ist mal was, das man sich merken muß!«

11

Als Elmer die kärgliche Zuhörerschar in der Brompton Road Chapel betrachtete, bekam er eine Eingebung.

Während der ganzen Reise hatte er daran gedacht, in seiner ersten Londoner Predigt poetisch zu sein. Er wollte sagen, daß es der starke Mann sei, der Ritter in der Rüstung, der die größte Bereitschaft zeige, sich vor Gott zu erniedrigen; er wollte auch sagen, daß die Liebe der Regenbogen auf der dunklen Wolke des Lebens sei, und der Morgen- sowohl wie der Abendstern. Doch in einer genialen Sekunde warf er diesen Plan von sich und überlegte: »Nein! Was die brauchen, ist ein guter, derber Pionieramerikaner!«

Und das war er, auf großartige Weise.

»Herrschaften,« sagte er, »es ist kolossal nett von Ihnen, daß Sie einen schlichten Amerikaner zu Ihnen kommen und seine Botschaft bringen lassen. Aber hoffentlich erwarten Sie keinen Oxfordcollege-Mann. Alles, was ich Ihnen geben kann – und möge der teure Herr mir in meiner Schwäche beistehen, daß ich Ihnen auch nur das bringen kann ist die Botschaft, daß Gott unter den grimmigen Grenzern Amerikas in Hütten und pfadloser Wildnis ebenso herrscht, wie er hier in Ihrer prächtigen, ragenden Stadt herrscht.

»Wohl bin ich gerade jetzt, nicht dank irgendwelcher eigenen Tugend, Pastor einer Kirche, die sogar noch größer ist, als Ihr schönes Gotteshaus hier. Aber, oh, ich sehne mich nach dem Tag, da der Generalsuperintendent mich an meine geliebte Grenze zurückschickt, zu – Lassen Sie mich in aller Demut versuchen, Ihnen ein Bild von der Arbeit zu geben, die ich als junger Mensch getan habe, damit Sie sehen können, wie nahe die Gnade Gottes Ihre weltbezwingende Stadt mit der demütigsten Wüste verbindet.

»Ich war Pastor – als ganz junger Mensch, der von nichts wußte als von der Tatsache, daß die einzige wichtige Pflicht des Predigers darin besteht, überallhin die frohe Botschaft von dem Sühnopfer zu bringen – Pastor eines Blockkirchleins in einer Grenzsiedlung namens Schoenheim. Ich kam bei Einbruch der Nacht, müde und verhungert, ein armer Methodistenwanderprediger, zum Haus Barney Bains', eines Pioniers, der allein in seiner Blockhütte lebte. ›Ich bin Bruder Gantry, der Wesleyanerprediger‹, sagte ich. Nun, er starrte mich an, einen wilden Blick in seinen Augen unter dem wirren Haar, und langsam sprach er:

»›Bruder‹, sagte er, ›seit bald einem Jahr hab' ich keinen Fremden gesehen, und es freut mich kolossal, Sie zu sehen.‹

»›Sie müssen schrecklich einsam gewesen sein, mein Freund‹, sagte ich.

»›Nein, keine Spur!‹ sagte er.

»›Wie denn das?‹ sagte ich.

»›Weil Jesus die ganze Zeit bei mir gewesen ist!‹«

12

Sie applaudierten fast.

Sie sagten ihm nachher, daß er fabelhaft sei, und luden ihn ein, bei ihnen zu sprechen, sooft er wieder nach London komme.

»Na wartet nur,« reflektierte er, »bis ich wieder in Zenith bin und das dem alten Potts und Hickenlooper erzähl'!«

Als sie im Bus zum Hotel zurückfuhren, seufzte Cleo: »Oh, du warst wunderbar! Aber ich hab' noch gar nicht gewußt, daß es in deinem ersten Pastorat so wild gewesen ist.«

»Ach, also, es war nichts. Ein Mann, der wirklich ein Mann ist, muß das Böse wie das Gute hinnehmen.«

»Das ist richtig!«

13

Er stand ungeduldig an einer Ecke der Rue de la Paix, während Cleo das Schaufenster einer Parfümerie betrachtete. (Sie war zu wohlerzogen, um auch nur im Traum daran zu denken, ihn um ein teures Parfüm zu bitten.) Er sah sich die Fassaden auf dem Place Vendôme an.

»Nicht grade Klasse – bißchen zu einfach«, war sein Urteil.

Ein kleiner schmieriger Mensch drängte sich an ihn heran, drückte ihm heimlich ein Päckchen Ansichtskarten in die Hand und flüsterte: »Entzückende Karten nur zwei Franks das Stück.«

»Oh,« sagte Elmer intelligent, »Sie sprechen Englisch.«

»Freilich. Alle Sprachen.«

Dann sah Elmer die oberste Karte und wurde elektrisiert.

»Je! Herrgott! Zwei Franks das Stück?« Er griff gierig nach dem Päckchen – aber Cleo war plötzlich bei ihm, er gab die Karten zurück und brüllte: »Sie schauen, daß Sie hier weiterkommen, oder ich hol 'nen Polizisten! Obszöne Bilder verkaufen zu wollen – und noch dazu an einen Diener des Evangeliums! Cleo, diese Europäer sind dreckige Burschen!«

14

Auf der Rückfahrt hatte er Gelegenheit, J. E. North näher kennen zu lernen, den berühmten Lastertöter, ersten Sekretär des Nationalverbands zur Bekämpfung von Schund und Schmutz in Kunst und Literatur – in der ganzen evangelischen Welt unter dem Namen »Schuschmu« bekannt. Mr. North war nicht Geistlicher (obgleich eifriger Presbyterianerlaie); aber kein Geistlicher im ganzen Lande hatte mit mehr Furor das Laster verfolgt, mit mehr Geschick Kongreßmitglieder durch Drohungen in ihren Heimatbezirken dazu gezwungen, die Gesetze so vernünftig zu interpretieren, wie er selbst. Einige Kongreßsitzungen hindurch hatte er einen Antrag unterstützt, der für eine Bundeszensurstelle für alle Belletristik, Theater und Film eintrat und Zuchthausstrafe für jeden Autor vorsah, der, und sei es auch indirekt, von Ehebruch redete, die Prohibition lächerlich machte oder irgendeine christliche Sekte oder Geistliche herabsetzte.

Der Antrag war immer zurückgewiesen worden, gewann aber in jeder Sitzung mehr Stimmen …

Mr. North war ein magerer Herr mit verkniffenen Lippen. Er fand Gefallen an der Ernsthaftigkeit, Aufrechtheit und Kraft des Reverend Dr. Gantry, und den ganzen Tag gingen sie auf dem Deck umher oder saßen und sprachen – überall, nur nicht im Rauchzimmer, wo Narren sich den Verstand mit Bier benebelten. Er gab Elmer einen Einblick in die große neue Welt des organisierten Widerstands gegen die Unsittlichkeit; er sprach vertraulich von den Führern dieser Welt – den Leitern der Antisaloon-Liga, der »Vereinigung Tag des Herrn«, der Gesellschaft »Wache und Wehre«, des Methodistenausschusses für Abstinenz, Prohibition und öffentliche Sittlichkeit – lauter moderne St. Johannesse, bewaffnet mit Zettelkatalogen.

Er lud Elmer ein, für ihn Vorträge zu halten.

»Wir brauchen Männer wie Sie, Dr. Gantry,« sagte Mr. North, »Männer, die unbeugsame Begriffe von Anständigkeit haben und doch mit einer physischen Kraft ausgestattet sind, welche die arme mißleitete Jugend dieses Säuferzeitalters darauf hinweisen wird, daß Sittlichkeit nicht weniger männlich, sondern männlicher ist als Unsittlichkeit. Und ich glaube, Ihre Pfarrkinder werden es anzuerkennen wissen, wenn Sie aufgefordert werden, ab und zu vor Versammlungen in Städten wie New York und Chicago zu sprechen.«

»Oh, ich suche nicht Anerkennung. Es ist nur, daß es mir, wenn ich alles tun kann, was in meiner Kraft liegt, um einen Schlag gegen die Mächte des Bösen zu führen,« sagte Elmer, »ein großes Vergnügen sein wird, Ihnen zu helfen.«

»Glauben Sie, Sie könnten es möglich machen, am vierten Oktober für die Detroiter Y.M.C.A. zu sprechen?«

»Na, das ist der Geburtstag meiner Frau, den wir immer so ziemlich zu einem Feiertag gemacht haben wir sind stolz darauf, eine altmodische, gemütliche Familie zu sein – aber ich weiß, daß Cleo mir nicht im Weg stehen will, wenn ich etwas tun kann, um das Reich zu fördern.«

15

So kam Elmer, wenn auch spät, auf den großen Gedanken, der sein ganzes Leben revolutionieren, ihm ewigen, leuchtenden Ruhm bringen sollte.

Jener schäbige korsische Artillerieleutnant und Schriftsteller, Bonaparte, als er das erstemal begriff, er könnte der Herrscher Europas sein – Darwin, als er undeutlich das System der Evolution vor sich sah – Paolo, als er erfaßte, daß das ganze Leben ein Abglanz Francescas sei – Newton, als er beim Fall des Apfels nachsann – Paulus von Tarsus, als er erkannte, daß eine gewisse kleine jüdische Sekte zur neuen Religion der zweifelnden Griechen und Römer werden könnte – Keats, als er »The Eve of St. Agnes« zu schreiben begann – keiner dieser Männer, die ein großer Gedanke aus Mittelmäßigkeit zu Genies gemacht hatte, war bedeutender als Elmer Gantry aus Paris, Kansas, als er das Ziel erschaute, für das ihn die himmlischen Mächte vorgebildet hatten.

Er schritt auf dem Verdeck auf und nieder – aber nur im Leibe, denn seine Seele schwebte bei den Sternen er schritt allein auf dem Verdeck auf und nieder, spät in der Nacht, er ballte die Fäuste und wollte schreien, als er alles klar sah.

Er wollte alle sittlichen Organisationen Amerikas – später, vielleicht, der ganzen Welt – zu einem Verband vereinigen. Er würde der Leiter dieser Vereinigung sein; er würde Oberpräsident der Vereinigten Staaten, eines Tages Diktator der Welt sein.

Sie alle vereinigen. Die Antisaloon-Liga, die W.C.T.U. und die anderen Organisationen, die den Alkohol bekämpften. Den Schuschmu und die anderen Lastergesellschaften, die so großartige Arbeit im Zensurieren unsterblicher Romane und Gemälde, von Filmen und Theaterstücken leisteten. Die Antizigarettenliga. Die Verbände, welche auf Antirevolutions-Staatsgesetze hinarbeiteten. Die Verbände, die einen so wackeren Kampf führten gegen Sonntagsbaseball, Sonntagskino, Sonntagsgolf, Sonntagsautomobilfahren und die anderen Greuel, durch welche der Sabbath entheiligt und den Gemeinden und Sammlungen der Prediger Abbruch getan wurde. Die Brüderschaften, die gegen den Romanismus opponierten. Die Gesellschaften, die mutvoll zu einem Verbrechen stempeln wollten, den Namen des Herrn eitel zu nennen oder in nicht sehr gewählten Ausdrücken von Organen und Handlungen zu sprechen, die der Zeugung und Fortpflanzung dienen. Und alle anderen.

Alle vereinigen. Sie verfolgten den gleichen Zweck das Leben den Idealen anzupassen, die den wichtigsten christlich-protestantischen Kirchen gemeinsam waren. Geteilt waren sie verhältnismäßig schwach; vereint würden sie dreißig Millionen protestantischer Kirchenbesucher repräsentieren. Sie würden so reich sein und so viele Mitglieder haben, daß sie dem Kongreß und den Staatsregierungen nicht mehr würden schmeicheln müssen, um eine moralische Gesetzgebung zu erreichen, sondern viel mehr in der Lage sein würden, den Volksvertretern in aller Ruhe zu sagen, was sie wünschten, und es auch erreichen könnten.

Und das Haupt dieser vereinigten Organisation würde der Warwick Amerikas sein, der Mann hinter dem Thron, der Mann, der die Präsidenten, von welcher Partei immer sie auch sein möchten, zu sich kommen lassen, und Befehle geben würde … Und dieser Mann, vielleicht der mächtigste Mann in allen geschichtlichen Zeiten würde Elmer Gantry sein. Nicht einmal Napoleon oder Alexander hatte vorschreiben können, was eine ganze Nation anziehen und essen, sagen und denken sollte. Das würde Elmer Gantry tun.

» Bischof? Ich? Ein Wes Toomis? Teufel, nur keine Dummheiten! Ich werd' der Kaiser von Amerika sein – vielleicht von der Welt. Ich bin froh, daß ich schon jetzt auf die Idee gekommen bin, mit erst dreiundvierzig Jahren. Ich tu's! Ich tu's!« jubelte Elmer. »Jetzt wollen wir mal überlegen: der erste Schritt ist, daß ich mich mit dem J. E. North gut stell' und tu', was er will – bis es so weit ist, daß ich ihn rausschmeißen kann – und daß ich eine Kirche in New York krieg, damit man weiß, daß ich IA bin … Mein Gott, und Jim Lefferts wollte mich davon abhalten, Prediger zu werden!«

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»– und ich stand«, erklärte Elmer auf der Kanzel der Wellspringkirche, »dort in der Rue de la Paix in Paris, und bewunderte mit fast unerträglicher Innigkeit jene alten historischen Bauwerke, als ganz plötzlich ein Mensch, der offenbar Franzose war, zu mir herankam.

»Nun ist natürlich für mich jeder, der ein Landsmann der Jungfrau von Orleans und des Marschalls Foch ist, ein Freund. Als also dieser Mann zu mir sagte: ›Bruder, würden Sie sich heute abend gern amüsiern?‹ antwortete ich – obwohl mir, wenn ich die Wahrheit sagen soll, sein Aussehen durchaus nicht gefallen hat – ich sagte: ›Bruder, das hängt ganz davon ab, was Sie unter Amüsieren verstehen‹ – er sprach Englisch.

»›Also‹ sagte er, ›ich kann Sie in Lokale führen, wo Sie viel hübsche Mädels finden und feinen Schnaps zu trinken bekommen können.‹

»Nun, ich mußte lachen. Ich glaube, ich habe ihn mehr bedauert, als sonst etwas. Ich legte ihm die Hand auf die Schulter, und ich sagte: ›Bruder, es tut mir leid, ich kann nicht mit Ihnen gehen. Ich habe bereits eine Verabredung für ein Amüsement heute abend.‹

»›Wie das?‹ fragte er. ›Und was werden Sie denn tun?‹

»›Ich werde‹, sagte ich, ›in mein Hotel zurückgehen, um mit meiner lieben Frau zu dinieren, und dann‹, sagte ich, ›werde ich etwas tun, was Sie vielleicht nicht für interessant halten, was aber meiner Vorstellung von einer schönen Unterhaltung entspricht! Ich werde laut einige Kapitel aus der Bibel lesen und meine Gebete sprechen und zu Bett gehen! Und jetzt‹, sagte ich, ›will ich Ihnen genau drei Sekunden geben, damit Sie von hier verschwinden, und wenn ich Sie dann noch sehen kann – also, dann werden Sie es sein, über den ich die Gebete spreche!‹

»Ich sehe, daß meine Zeit fast zu Ende ist, aber bevor ich schließe, möchte ich noch ein Wort über den Schuschmu sagen – diese großartige Organisation, den Nationalverband zur Bekämpfung von Schund und Schmutz in Kunst und Literatur. Es ist mir eine Freude, mitteilen zu können, daß sein erster Sekretär, mein lieber Freund Dr. J.E. North, im nächsten Monat bei uns sein wird, und ich wünsche, daß Sie alle ihm einen begeisterten Willkomm bereiten.«


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