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Nachtlied

Die Nacht ist stille gekommen und Freund und Feinde ruhn,
hat noch nicht das Bittere genommen von meinem täglichen Tun,
der Haß hat die Liebe verdorben, an die wir trotz allem geglaubt,
der Glaube an Liebe gestorben – unsere Mutter ist uns geraubt.

Doch, Seele, du bist nicht verloren, du bist ja von ewigem Licht,
dich hat kein Weib geboren, und sterben kannst du nicht.
Du siehst dich schweben und fliegen, und nichts ist, was dich hält,
so, wie du dem Leben entstiegen, umfliegst du der Lebenden Welt.

Du Seele mit Trauer beladen, wann wirst du erlöset sein?
Wann leuchten dir himmlische Gnaden, wann gehst du zur Seligkeit ein?
Du kannst ja nicht sinken und sterben, wie dein geliehener Leib,
mußt seine Lasten erwerben, in Hoffnung gehn, wie ein Weib.

Und darum bangt dich die Stunde, in der du gebären mußt,
du fühlst nur die zuckende Wunde und nicht die schaffende Lust,
du siehst nur Grauen und Dunkel und fühlst nur die ringende Not,
und siehst nicht des Ewigen Gefunkel, das aus den Schmerzen loht.

Nun hörst du die Zukunft brausen und fühlst doch das ewige Muß,
die Zeiten vorübersausen, dich streifend mit glühendem Kuß.
O Seele, halte dich oben, du mußt ja einsam sein,
zu Gott wirst du erhoben, dann wirst du selig sein.


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