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XXIII.

Es war der Brauch, daß die Christusse, die heiligen drei Könige, die Propheten, Herodes' Hofstaat und alle anderen hohen Würdenträger der Prozession sich unmittelbar vor dem Festtage einer achtundvierzigstündigen Bußübung unterwarfen. Ivo beobachtete ein strenges Fasten, zwang sich, jede Stunde fünf Vaterunser und ebenso viele Ave herzusagen und verließ sein Haus nur, um sich zur Messe zu begeben; Daheim übte er noch vor einem Spiegel, seine Hand unbeweglich erhoben zu halten, so wie er es draußen im Sonnenglanze der Düne getan. Dann glitt sein Blick über seine Gestalt hinab, und andächtig bewunderte er seine merkwürdige Ähnlichkeit mit Jesus von Nazareth.

So kam der letzte Tag heran. Vor den Haustüren standen die Bürger und hielten erwartungsvoll Ausschau. Kleine Mädchen gingen vorüber, allerlei klägliche Grimassen schneidend; das war wegen der vielen Papilloten, die sie an ihrer Kopfhaut schmerzlich rissen. Esperitz, der Coiffeur, hatte alle Hände voll zu tun, um den zahllosen Engeln die Haare zu stutzen und die spröden Bärte der Schriftgelehrten zu scheren. Aus dem Innern der Häuser drang der feierliche Rhythmus salbungsvoller Stimmen. Als der Tag seinem Ende zuging, erschien allerlei verdächtig aussehendes Gesindel in der Sakristei. Das waren die römischen Soldaten. Man begriff, was der Heiland von solchen groben, rohen Gesellen, die wie die Landsknechte in der Kapelle aussahen, zu erdulden haben würde. Jene waren Söldlinge: ein jeder von ihnen erhielt einen Franken für sein finsteres Amt. Sie hatten Trompeten zu blasen, die Knarren zu schwingen und den kreuztragenden Christus mit ihren Lanzen zu stechen. Es kostete alle Mühe, sie davon abzubringen, daß sie nicht wie die Heiden fluchten.

Im Vorbeigehen konnte man die Sakristei und die kleinen Seitenkapellen der Kirche mit abenteuerlichen Kostümen und allerlei Flittertand angefüllt wie eine Rüstkammer der heiligen Schrift sehen. Während der langen Winterabende hatten die Klosterschwestern, die Greisinnen aus dem Asyl, die Stadtdamen und Schneiderinnen emsig genäht und geschneidert, schadhafte Stellen ausgebessert und manche unbrauchbar gewordenen Stücke erneuert. In einem Winkel türmte sich ein schier unübersehbarer Berg von Schuhwerk, Mokassins, Kothurnen, Sandalen und Schuhen aus Ziegenfell. Falsche Bärte, Perücken und Engelsfittiche lagen verstreut auf den einzelnen Altären umher, wie Opfergaben oder Überreste von Märtyrern. Da gab es Barette, Hauben, Helme und Käppchen und Sammethüte mit Federbüschen und zwei Kronen für die Könige David und Herodes. Und dem ganzen Plunder entströmte ein seltsames Gemisch von Kampfer-, Weihrauch- und Schimmelgerüchen. Außerdem befand sich in einer Ecke der Sakristei ein ganzer Berg von Kreuzen für die Büßer und Büßerinnen. Christi Kreuz war das allerschwerste von allen; wenn es umfiel, meinte man, daß die Erde bebte.

Ein Trost war Christus an diesem Tage beschieden: seine Schwester Barbara wollte ihm am Abend eigenhändig die Füße waschen, um ihm ihre Liebe zu beweisen. Sie sprach leise, mit gedämpfter Stimme, wie in einem Sterbegemach, allwo der Priester mit der letzten Ölung erscheint, Sie war sichtlich bemüht, auf seinen tiefen Seelenfrieden nicht den leisesten Schatten zu werfen.

Eine wohltuende Stille, ein frommes Schweigen erfüllte das ganze Haus, gleich einer geweihten Stätte. Jenseits des Hofes, in dem dumpf dröhnenden Kirchenschiff pochte Gottes lebendiges Herze.

Zum Schlusse wickelte ihm Barbara noch die Haare in Papilotten. Nun glich er wahrhaftig einem Christus mit der Dornenkrone. Während er geduldig ihre geschäftigen Hände gewähren ließ, erfuhr er von ihr, daß der Sattler eine achtundvierzigstündige Buße geleistet und sich seit drei Tagen aller geistigen Getränke enthalten hatte. Und Ivo freute sich darüber, als wäre ihm selbst ein Glück widerfahren.


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