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XXI.

Nun wehte schon der Meerwind über die Gärten. Der Himmel guckte durch die Bäume mit leicht violettem Hauch, wie wenn ein Kindermund seinen Atem auf die Scheiben hauchte. Die alten Mütterchen rückten ihre Stühle vor die Türen.

»Nun kommt bald seine Zeit«, sprachen sie zu den Vorübergehenden. Und sie blickten den Weg zu den Dünen hinab. Ein ganzes Volk hatte dereinst vom Herannahen des Messias also gesprochen. Aber vielleicht auch hatten diese alten Leute damit nur den Sommer gemeint.

Ivo Mabbes Samenhandel war glänzend gediehen. Die kleinen Fischer vom Strande hatten sich reichlich mit Samen für Sonnenblumen, Duftnelken, Stockrosen und alle sonstigen Pflanzen, die in Flandern sprießen, versehen. Und wenn er Gottes Segen zu verkaufen gehabt hätte, so hätte er auch kaum mehr Zulauf haben können als jetzt. Er setzte ganze Felder seiner Ware ab. Die kleinen Fischer pilgerten zu ihm wie zu einem Heiligen, sie nannten ihn Christus und grüßten ihn voll Artigkeit und Demut. Dafür hatten die anderen Händler reichlich Zeit, vor ihrer Ladentüre Pfeifen zu rauchen: die ganze Kundschaft strömte Ivo zu. Wenn er an ihnen vorüberging, so spritzten sie vor Wut einen langen Strahl Speichel aufs Pflaster.

Der Seilhandel ging auch nicht schlecht. Die plumpen Sous und Silberstücke rieselten reichlich ins Schubfach. Ivo war auf den Einfall gekommen, in den Ladentisch einen Schlitz zu machen, durch den dann das Geld geräuschlos auf ein Häufchen Kleie fiel, wo Barbara es gewiß nicht suchte. Doch noch viel lautloser entglitt es wieder Christus' Händen. Die abscheulichen Bengel aus den Gäßchen lauerten ihm ständig auf: kaum wurde er von weitem gesichtet, als eine Schar Gesichter des Lasters und Elends aus dem Dunkel der Hausflure auftauchten. Er zog eine Handvoll Kleingeld aus der Tasche und händigte es ihnen nebst einigen guten Worten ein. Abermals hatte er den Schimpf, den er durch diese Leute erlitten, wieder ganz vergessen.

Sein Leben glich einem einzigen Werke der Barmherzigkeit, einer ununterbrochenen Kette heiliger Weihemünzen, einem Rosenkranze geweihter Perlen. Und so regelmäßig wie eine Uhr lief es ab, zwischen Messen, Geschäften, Betrachtungen über das Evangelium und einem kleinen Nachmittagspaziergange. Er wandelte die Gärten entlang um den Stadtwall; unterwegs begegneten ihm ehrbare Bürger, die zum Kegelspiel unter die Lauben gingen, oder die Hauben der Klosterfrauen wie große weiße Mohnblumen, oder die Soutanen der Geistlichen, die eifrig in ihrem Breviere lasen. Eine purpurschimmernde Wolke von Bienchen und Fliegen surrte in der Luft; die Vögel zwitscherten und heimkehrende Schulkinder spielten mit Murmeln.

Hierher verirrten sich kaum mehr die Geräusche der Stadt: hier war er viel mehr mit sich allein als da drunten. Traumverloren wandelte er dahin, halblaut zu sich selbst sprechend; sein Schatten warf allerlei Gesten vor ihn auf den Weg. Er liebte es, das leichtsalzige Meerlüftchen auf seinen Lippen zu spüren. Bei einer Kreuzung der Straßen sah er eine Reihe niedriger, altertümlicher, verwitterter Häuschen in eine Flut goldenen Sonnenlichtes getaucht. Ein feuchtschwüler Dunst, von den Rauchkringeln der Schornsteine durchblaut, verwischte die Konturen. Der hohe rosige Pfeiler von Sankt Nikolaus und Sankt Walburgis' riesenhafte Spitzbogen beherrschten die Stadt.

Endlich bog Ivo in eine Querstraße ab, die ihn in das Herz der Stadt zurückführte. Unwillkürlich schlug er denselben Weg ein, den die Prozession nahm; er wurde nicht immer gewahr, daß er genau an denselben Stellen haltmachte, wo auch sein Eselchen stehen zu bleiben pflegte.

Da und dort waren ungeheuere Nägel in den Hausmauern an den Straßenecken zu sehen: während der Karwoche wurden an jenen Stellen jämmerlich gesudelte Christusbildnisse aufgehängt. Dann wurden wieder die Erinnerungen in ihm wach; er gedachte der Tochter Brads, die in einer Nacht plötzlich zu Boden gestürzt war; er hatte seine Hände über sie gebreitet und ein inbrünstiges Gebet zu Gott emporgesandt; und das Leben war ihr wiedergeschenkt worden. Einige von den kleineren Leuten waren fest überzeugt, daß er Ilje in der Tat vom Tode auferweckt hatte. Andere zuckten die Achseln; und der Arzt, ein Freigeist, hatte die Begebenheit als einen einfachen Fall von Suggestion erklärt. Christus selbst ließ sich lieber, nicht über die Sache aus: innerlich war er nämlich auch nicht so felsenfest von dem Wunder überzeugt. Er hätte es am liebsten gesehen, wenn sich über ihrer beider Leben tiefes Schweigen herabgesenkt hätte. Ein anderes, wichtiges Ereignis zog übrigens jetzt die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich.

Eines Abends nach der Vesper traf Ivo unter dem Kirchenplatze mit Simon von Kyrene zusammen, der ihm die große Neuigkeit erzählte. Zufälligerweise war der Sattler an diesem Tage noch ganz nüchtern. So erfuhr denn Ivo durch ihn, daß der Papierhändler abermals an einer Rippenfellentzündung daniederliege, die er sich in der Karfreitagsnacht zugezogen hatte. Selbst wenn er bis zum Tage der Prozession genesen würde, so war es doch höchst unwahrscheinlich, daß er sein schweres Kreuz würde schleppen können. Auf diese Weise drohte also der Stadt der Verlust ihres wichtigsten Christus, worüber allgemeine Bestürzung herrschte. Selbst der Trunkenbold Simon, der den armen Mann schon seit mehreren Jahren bei der Besteigung des Kalvarienberges unterstützte, litt ersichtlich unter dem Gedanken, daß er ihm diesmal so gar nicht helfen konnte. Ja, das Bedürfnis nach Trost wurde mit einem Male so stark in ihm, daß er plötzlich in einer der kleinen Kneipen am Platze verschwand. Erst nachdem er seine zehn bis zwölf Gläschen Schnaps im Magen hatte, begann das Leben für ihn wieder behaglicher zu werden.

Ivo zeigte sieh weniger aufgeregt. Bestand doch zwischen jenem anderen Christus und ihm eine solch tiefe Kluft! Ja, er war der schöne Palmsonntagchristus, der wie ein König auf seinem Esel in Jerusalem seinen Einzug hielt. Der andere war ein armseliger Jammerchristus, der mit Blut und Staub besudelt an jeder Straßenecke zusammenbrach. Im Vertrauen gesagt, mißfiel's ihm durchaus nicht, daß sein eigener Erfolg bei der Prozession nicht mehr von der durch den außerordentlichen Glaubenseifer des Papierhändlers verursachten Konkurrenz in den Schatten gestellt werden konnte.

Ruhig und kühl lag die Straße rings um ihn da wie sein Gemüt. Unter der milden Regenbrise, die vom Meere her wehte, schwitzte das Pflaster eine leichte Feuchtigkeitschicht aus. Langsam ging er nach Hause, im Frieden mit sich selbst, bloß ein wenig verdrießlich, daß er aus Unbescheidenheit gesündiget hatte.

In dem durchsichtigen Abendschimmer hatte der Laden mit seinen vielerlei Stricken und Sämereien etwas ungemein Gemütliches an sich. Der Dämmerschatten umflorte die Fensterscheiben; am Fuße der Kirche, die einem Hochwald aus Gesteinen glich, grünte das winzige Gärtchen. Es war Nachtmahlzeit; in allen Häusern dampfte bereits die Kaffeekanne neben der Butterdose und der Kugel holländischen Käse auf dem Tische. Als Ivo die Türe öffnete, gewahrte er nicht alsogleich seine Schwester, die im Lehnstuhl saß und ihren Pantoffel voll Ungeduld auf der großen Zehenspitze hin und wider wippte. Der Tisch war so kahl wie an einem Tage der Hungersnot.

»He, Barbara!« rief er schüchtern.

Mit einem Ruck war sie auf den Beinen und rief ihm zu, sie wisse jetzt, wohin all das schöne Geld gewandert sei. Die Herumtreiber und Dirnen seien es, die nun ihr Spargeld, ihre armseligen Ersparnisse, die sie sich Pfennig um Pfennig abgedarbt, verjubelten. So klein sie war, in ihrem unbändigen Zorn schien sie bis an die Decke zu reichen. Bei jedem Worte, das sie ihm mit einer heftigen Kopfbewegung zuschleuderte, tanzte ihr Haarschopf wie der Klöppel in den Händen der Spitzenarbeiterinnen. Nun wäre endlich der geeignete Augenblick für Christus gewesen, um gleich seinem himmlischen Meister zu sagen, daß zwischen diesem Weibe und ihm nichts Gemeinsames sei; hierauf hätte er sich ruhig nach der Straße wenden können. Aber seine Fersen schienen am Boden wie festgenagelt; er wagte nicht, sie anzusehen und schwieg, wie zur Zeit, da er als Knabe beim Naschen von Konfitüren ertappt worden war.

Barbara brummte und raste umher wie ein Kreisel. Schließlich eröffnete sie ihm, daß sie entschlossen sei, ihm so lange Zucker, Kaffee und Käse vorzuenthalten, bis ihre Ersparnisse wieder eingebracht seien. Während einer ganzen Woche mußte sich also der arme Christus im eigenen Heim mit trockenem Brote begnügen, das er mit Wasser begoß. Dafür aber hielt er sich bei Cordula schadlos. Noch nie hatte er so viele Makronen und Brügger Biskotten vertilgt wie in diesen Tagen. Überdies tröstete ihn Cordula noch mit gutem Kaffee und feinstem Anisettelikör.

Eines Abends erzählte er ihr mit einer merkwürdigen Miene, daß man daran denke, den Papierhändler durch Simon von Kyrene vertreten zu lassen. Er lachte ein wenig spöttisch und zuckte die Achseln. Der Sattler hatte sich selbst in Vorschlag gebracht. Die Leute in Furnes wollten mit ihrer Meinung nicht klar herausrücken. Es ließe sich ja nicht leugnen, daß Simon an der Leidensgeschichte des Heilands so eng beteiligt war, daß davon auch etwas auf seine eigene Person zurückfiel. Er wußte, wie man das Kreuz tragen mußte, mit der rechten Schulter es unterstützend und mit beiden Händen in der Mitte anfassend. Er wußte auch, wo und wie Christus in die Knie zu fallen hatte, mit den Händen auf den Boden gestützt. Andererseits aber schien es ein wenig unehrerbietig, einem solchen Trunkenbolde das heilige Kreuz anzuvertrauen. War es doch einmal vorgekommen, daß dieser saubere Kumpan in dem Momente, da er Jesus zu Hilfe kommen sollte, selbst von einem Söldner gestützt werden mußte, so sehr hatte er auf seinem Untergestelle geschwankt!

Wirklich, die guten Christusse wurden immer seltener und seltener: die Überlieferung schwand dahin. Es gab allerdings in einer benachbarten Stadt noch einen wohlhabenden Mann, der zu der Zeit als er noch arm gewesen, das Kreuz recht geschickt zu tragen verstanden hatte. Als aber der vom Vikar entsandte Küster dort eintraf, wurde ihm der Bescheid, daß der betreffende Mann gerade am vorhergehenden Abende verschieden sei. Alle Leute fühlten, daß die Sache ernst werde.

In der »Sodalität« namentlich ging es besonders lebhaft zu. Wenn sich nur ein bereitwilliger Mann hätte melden wollen, so würde man ihm mit Gottes Hilfe vielleicht doch beigebracht haben, das Kreuz mit einigem Anstand zu tragen. Aber fast alle, von denen solch ein Akt der Aufopferung zu erwarten gewesen wäre, waren bereits mit einer Rolle versehen, die ihnen mühelos die Früchte für ihr Bußwerk zu tragen versprach. Es waren zumeist brave, gesetzte Bürger, kleine Kaufleute, Gewerbetreibende oder bescheidene Rentner mit zwölfhundert Franken Jahreseinkommen, deren Leben zwischen Kegelspiel, Kartenpartien, Gottesdienst und Taubenwettflügen ruhig verlief. Wenn man das ganze liebe Jahr hindurch nichts anderes zu tun hat als Kaffee oder Zucker abzuwägen, die Bücher zu führen, Baumwolle abzumessen oder seine kleinen Sparpfennige in Papierröllchen einzuwickeln, so empfindet man es bereits als hohe Auszeichnung, als einer der Fürsten von Herodes' Hof ein Wörtchen mitreden oder als einfacher Bürger Jerusalems Christus die Palmwedel vorantragen zu dürfen. Keiner von ihnen dachte an ein Avancement. Und überdies gab's auch immer einige überängstliche Gemüter, die, bedeutungsvoll die Achseln zuckend, zu verstehen gaben, daß die Geschichte weder dem Papierhändler noch seinen Vorgängern, dem Maurer und dem Tapezierer, so sonderlich bekommen wäre, die denselben Christus wie er dargestellt und sozusagen fast unter dem Kreuze den Tod gefunden hatten.

Selbst die Schöffen im Rathause und der Herr Bürgermeister schüttelten bedenklich das Haupt, als stünde Furnes' Ehre auf dem Spiele. Gerne hätte man die Zudringlichkeit des Sattlers abgewehrt, der gar nicht mehr aufhörte, den Herrn Pfarrer und Oberpfarrer und sogar die Stadtväter selbst zu überlaufen. Da er mit einem der Schöffen verschwägert war, so war man in arger Verlegenheit, wie man sich seiner entledigen könnte. Es hieß lavieren, Ausflüchte gebrauchen, Hoffnungen geben ohne Bestimmtes zu versprechen. Man konnte ihn jeden Morgen erwartungsvoll auf dem Hauptplatze aufgepflanzt sehen, in der Hoffnung, es würde jemand auf ihn zutreten und ihm seine Ernennung verkünden.

Die bedeutungschweren Ereignisse wurden aber von einer tückischen Ironie verfolgt. Nach einiger Zeit fieberhafter Spannung verlautete es, daß man endlich einen brauchbaren Christus gefunden habe. Ein junger Mann aus Haerlebeke, der dort bereits bei einem Passionsspiele in einem Wirtshause mitgewirkt hatte, ließ bekanntgeben, daß er sich herbeilassen würde, den Papierhändler zu vertreten, unter der Bedingung, daß ihm für drei Tage Kost und freies Quartier zugesichert würde. Da er vermied, die Lohnfrage zu berühren, was bei einem Christus sicherlich einen schlechten Eindruck gemacht hätte, so flößte er den Leuten Zutrauen ein. Schon wollte man mit ihm einig werden, als der Vikar noch rechtzeitig in Erfahrung brachte, wie wenig vertrauenswürdig der Bursche sei, der, eine Art neumodischer Tyl Uylenspiegel, abwechselnd bald Müllergehilfe, Bauernknecht, Hausierer, Barbier, Schauspieler bei einer Schmiere, Photograph und endlich in der Fremdenlegion gewesen, von wo er desertiert war. Die Leute hatten ein Gefühl, wie wenn sie am Rande eines Abgrundes erwachten: wenn es Gott aus unerforschlichen Gründen gefallen hätte, einen Soldaten, einen mit allen erdenklichen Missetaten beschwerten Taugenichts bei der Feierlichkeit, die zur Buße für die Schandtat eines anderen Söldlings veranstaltet wurde, in der Gestalt des Heilands mitwirken zu lassen – fürwahr! dann wäre das heilige Drama zu einer Posse ausgeartet.

Man durfte entschieden sagen, daß die Stadt vom Pech verfolgt wurde. Die Zeit verrann; in drei Wochen kam der Tag der Prozession. Ab und zu erschienen ein paar der armseligen Fischer von der Küste und erkundigten sich bescheiden, wie denn die Angelegenheit mit dem Christus stünde.

Abends, beim Wirtstische, wo die Magier, Propheten und Schriftgelehrten zu Proben versammelt waren, wurde einstimmig festgestellt, daß das Interregnum schon ein wenig allzu lange dauere. Ribosias Ansehen begann zu wanken. Man hätte gerne gewußt, wie der Auferstehungschristus, Maene Daele, der die reichen Leute der Stadt kleidete, über die Angelegenheit dachte. Der aber beschränkte sich darauf, augenblinzelnd die Spitzen seines schönen Bartes zu streicheln und die Achseln zu zucken, wie jemand, der etwas sehr wohl weiß und nur nicht darüber reden will. Und Ivo richtete bloß die Augen fromm zum Himmel empor und äußerte sich ebenfalls nicht.

Erst bei Cordula, nach Anbruch des Abends, wagte er es, seine Meinung zu äußern. Verächtlich schürzten sich seine Lippen über den ein wenig schadhaften Zähnen, und nach einem leisen, kurzen Auflachen sagte er:

»Sehet Ihr wohl, Cordula? Sie haben getrachtet, mir zu schaden, mir, dem Christus, der nichts anderes wollte, als demütig dem Beispiele unseres Heilands folgen, und nun ist das die Strafe für sie.«

Sprach's und biß in eine Makrone, die er abwechselnd mit Zuckerbretzeln naschte. Sie saßen hinter geschlossenen Vorhängen und sahen in dem ungewissen Dämmerlichte bald eine der Geißeln, bald einen Propheten oder einen Engel draußen vorüberhuschen. Abermals fühlte sich Christus neben seiner Magdalena vollkommen glücklich. Ihr blühendes Leben strömte ihm solch herzerquickende Daseinslust entgegen, daß er für all die Bitternisse der Außenwelt sich reichlich entschädigt fühlte. Wie schön das war, ihre kleine Hand leise zu kitzeln! Auf diese Weise konnte er wenigstens für kurze Zeit noch sich dem holden Wahn hingeben, der simple, kleine Seilhändler von dazumal zu sein, der seine traute Freundin besuchte, um mit ihr zu lachen und zu scherzen.

Er suchte nun Cordula viel häufiger als früher auf. Er hatte ihr seine schönsten Samen gebracht, und fast alle waren aufgegangen. Er ließ es sich nicht nehmen, bei Abendanbruch alle Blumen eigenhändig zu wässern, über ihre zarten Triebe die Gießkanne neigend, deren Sieb ein dünner Strahlenregen entquoll.

Der Garten, den eine dicke, uralte Mauer umschloß, besaß einen Rasenplatz, wo Cordula ihre Wäsche bleichte, und eine Laube, darunter sie saßen und gemeinsam das Wachsen der Dämmerung beobachteten. Ein Sternlein blinkte von oben herab. Der Kirchturm kündete die Stunde. Und allmählich fühlten sie sich von Schlummermüdigkeit übermannt.

Eines Abends, als er gerade, über die jungen Pflänzchen gebeugt, Unkraut ausjätete, überbrachte die aus der Stadt heimkehrende Magd ihnen eine verblüffende Neuigkeit: Simon von Kyrene sei endlich gewählt worden – nun aber wolle er nicht mehr! Ivo sprang in die Höhe, die Hände zusammenschlagend, Cordula schüttelte den Kopf und lachte aus vollem Halse:

»Man wird schließlich auf den lieben Heiland ganz verzichten müssen!«

Nach ein paar Augenblicken aber ward Ivo mit Bestürzung gewahr, daß sie sich über die Angelegenheit unterhalten hatten, als ob dabei gar nicht von Christus' heiliger Person die Rede sei, und er bekreuzigte sich. Betroffen sah ihn Cordula an und hielt mitten im Lachen inne.

Während jenes ganzen Abends blieb dann Ivo sehr nachdenklich. Er hörte nur zerstreut auf die Geschichten, die ihm Cordula über ihre Bekannten erzählte. Einmal erhob er die Hand und sprach ganz unvermittelt:

»Siehe, Weib, man glaubt nicht mehr daran, daß sich das alles wahrhaftig ereignet hat: daher kommt das ganze Unglück!«

Ihm war es jetzt klar, daß der große Mangel an Christussen mit dem Nachlassen des allgemeinen Glaubenseifers zusammenhing. Ivo wußte nicht, daß die ehrsamen Bürger der Stadt zum größten Teile ihn für diese Kalamität verantwortlich machten, da er in seiner Eigenschaft als Armeleutechristus sehr leicht bei den kleinen Leuten etwas hätte ausrichten können. Aber hatte er sich's nicht just in den Kopf gesetzt, dem echten Christus nachzutun und Umsturzideen zu predigen? Im übrigen hatte die Prozession selbst im Laufe der Zeiten von ihrem grauenvoll erschütternden Charakter viel eingebüßt, der noch von dem zelotischen Glaubenseifer des Mittelalters herrührte, und ihr in den Augen des Ewigen ein so seltenes Verdienst verlieh. Ehemals war sie tatsächlich eine Prozession des Todes, ein Autodaféumzug gewesen. Die älteren Einwohner Furnes' erinnerten sich noch sehr wohl aus früheren Zeiten an den von einigen Büßern getragenen Sarg, dessen Deckel sich in regelmäßigen Intervallen hob, um ein Skelett hervorgucken zu lassen. Nach und nach hatte man aber darüber zu spötteln angefangen und die Sache für einen plumpen, kindischen Scherz erklärt. Und so war denn das Skelett der ewigen Nacht anheimgefallen.


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