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XII.

Am Dreikönigstage begann Schnee zu fallen, ein feiner, puderartiger Schnee, wie gesiebtes Mehl. Das wäre ein prächtiger Hermelinkragen für Kas Onkelaer geworden, hätte dieser im Mantel eines Magierkönigs ausgehen können. Sein Gärtchen mit den weiß überzogenen Birn- und Buchsbäumchen glich den kleinen mit Watte beklebten Tannenwäldchen aus den Spielzeugschachteln der Schäferfiguren. Seit dem Vorabende von Epiphanias arbeitete er an einer Rattenfalle. Seitdem die kleinen Häuschen rings um den alten Kirchhof niedergelegt worden waren, überschwemmten die Ratten die Stadt in hellen Haufen. Onkelaer hatte einen eigentümlichen Zughaken erdacht, der ein Messer zum Herabfallen brachte; dieses schnitt ihnen dann glattweg den Hals ab. Dies war wiederum eine prächtige Gelegenheit, seinen Besuchern zu erzählen, wie sein Oheim das Haupt des Königs hatte fallen sehen. Er verließ seine Arbeit nur, um vor seiner Haustüre eine Pfeife zu rauchen und dabei dem Wirbel der Flocken zuzusehen, die wie ein Schwärm weißer Daunenfederchen tanzten.

Gegen Abend holte ihn Badilon wie gewöhnlich ab. Da aber das Glatteis ihnen ihren gewohnten Spaziergang dem Kanäle entlang unmöglich machte, beschlossen sie, im Wirtshause » Zu den drei Königen« eine Kanne heißen Würzbieres zu nehmen, zur Erinnerung an die Gewürze, die die Magier dereinst aus dem Morgenlande mitgebracht hatten.

Bald lief das süße, klebrige Bier durch ihre Kehlen. Badilon sagte, sie dürften sich heute getrost einen Tropfen mehr gestatten zu Ehren des Jahrestages ihres Königtums. Gleichzeitig erhoben beide ihre irdenen Krüge, stießen miteinander an und taten einen kräftigen Zug. Dann begannen sie wieder ihre Pfeifen zu schmauchen.

So mochten sie schon etwa eine halbe Stunde gesessen sein, als der Prophet Jeremias eintrat.

»Der dritte geht soeben draußen vorüber«, rief er lachend.

Sie begriffen, daß er von dem Magier Floris sprach, seines Berufes Klempner.

»He, Mädchen, man laufe ihm nach und schleppe ihn herbei«, befahl der einstmalige Gendarm mit einem Faustschlag auf den Tisch.

So kam es, daß zur Feier des Dreikönigtages sich bald darauf die drei Magier von Furnes in einer der ältesten Kneipen der Stadt vor ein paar großen Bierkrügen zusammenfanden. So sind auch immer die drei Könige aus dem Morgenlande auf alten Stichen abgebildet zu sehen, ihre gelben Stulpenstiefel am Herdfeuer einer Herberge trocknend, krumme Türkensäbel an der Seite und die gekrausten Federn der Inselvögel auf ihren Turbanen, während man durch das offene Fenster den Schnee sich von dem himmlischen Rocken abhaspeln sieht. Steif und gravitätisch saßen sie da, vor den dampfenden Bierkrügen, denen angenehm berauschende Düfte entstiegen: Floris, Onkelaer und Badilon, richtigen Heiligenbildern auf den Glasmalereien der Kirchenfenster gleich. Ein Traum führte sie auf die Landstraße; vor ihnen im Tabaksqualm, wanderte der Stern einher, ein funkelndes Kleeblättchen von Gold. Plötzlich murmelte Floris mit einer Stimme, die lange geschwiegen zu haben schien:

»Um diese Stunde waren wir bereits angekommen …«

Ohne daß man eigentlich so recht wußte, was er damit sagen wollte.

Wenn die Stimmen lauter wurden, so schmetterte ein Kanarienvogel in einem Bauer seine hellen Triller hinaus, ganz so wie bei Cordula.

Der »Baes« der »Drei Könige« bot nun ebenfalls eine Runde an, an der er sich beteiligte. Draußen senkte sich mit dem Schnee ein tiefes Schweigen auf die Straßen: es war so traulich in dem kleinen Städtchen, als versänke es nach und nach in molligen Federbetten. Bisweilen schwiegen alle Wirtshausgäste auf einmal; dann aber begann wieder irgendeiner zu reden. Plötzlich ließen sich draußen auf der Straße ein paar dünne Stimmchen vernehmen: es waren Kinder, die die »Königslitanei« sangen. Die Stimmen tönten, als kämen sie aus einer anderen Welt. Jeden Augenblick setzte einer von den dreien aus, um sich die dicken Tröpfchen, die ihm aus der Nase herabliefen, wegzuwischen. Das Lied lautete:

»Drei Könige kommen gezogen
Mit Affen und Kamelen,
Mit Turbanen voll Juwelen
Von fernher über die Wogen.«

Floris, der sehr dünkelhaft und ein wenig einfältigen Geistes war, glaubte, es hätte sich alles wahrhaftig so begeben, wie sie es hier sangen, und goß sich schäumende Ströme Bieres in den Magen, voll Stolz darüber, daß er selbst ein König war. Der Neger Balthasar aber grinste, an seiner holländischen Pfeife saugend.

Es schlug neun Uhr. Floris, der Weib und Kinder besaß, brach als erster auf. Eine wohlige Wärme weitete ihm die Brust. Schweren Schrittes stapfte er durch den Schnee, mit lauter Stimme vor sich hinredend, angeheitert durch das Bier, das seine Gedanken wie kleine Vögel zwitschern machte. Er überschritt den Hauptplatz, bog um eine Straßenecke und gewahrte einen rosigen Lichtschein, der vor der weißen Schwelle eines Hauses von einer Laterne ausstrahlte. Daneben bewegten sich drei längliche Schatten an der Mauer. Der größte der Schatten hielt einen Binsenkorb in der Hand; der kleinere trug die Laterne; der dritte, mit einer blechernen Krone auf dem Kopfe, trug einen Stab mit einem Sterne an der Spitze. Es waren die drei kleinen Jungen, die Floris vorhin singen gehört hatte. Hin und wieder versetzte einer von ihnen der Tür mit seinen Holzschuhen einen heftigen Tritt, ein anderer schnaubte sich in die Finger; dann begannen alle drei mit eingefrorenen Stimmen und zähneklappernd vor Frost das Lied von den Drei Königen abzuleiern. Im Laternenscheine tanzten die Flocken um sie herum.

Wer weiß, was nun in Floris schlichtem Gemüte vorging, während er wie versteinert stehen blieb und mit kleinen Äuglein wie ein alter Hahn die Knaben unverwandt anstarrte. Er zog einige Sous aus der Tasche, entwand die Laterne den Händen des Kleinsten, und schritt, in den Gesang einstimmend den Knaben voran. So führte er sie bis an sein Haus. Hier rief er seine Frau, seine Kinder und seinen Lehrjungen herbei; und alle kamen sie, das wunderbare Abenteuer der Heiligen Drei Könige anzuhören. Und selbst die Katze hatte sich auf der Schwelle neben ihnen niedergelassen. Es schneite noch ein wenig stärker als früher. Und endlich schickte Floris die kleinen Jungen wieder fort, nachdem er sie mit Makronen, Äpfeln und Nüssen reichlich beschenkt hatte.

Alles war so traumhaft in diesem kleinen, alten Städtchen Furnes, so sanft, so gedämpft, daß ein Wanderer, der aus einer anderen Stadt dorthin gekommen wäre, sicherlich das Zeichen des Kreuzes gemacht hätte, wie beim Anblick einer übernatürlichen Erscheinung. Der Schnee wirbelte hier nicht wie anderwärts: er war so leicht und flockig wie das Fell des mystischen Lammes. Es war der gleiche Schnee, der fiel, als Jesus in der Krippe geboren ward.

Indessen bestellte Onkelaer in der Schenke zu den »Drei Königen« einen neuen Krug. Er behauptete, immer so weiter trinken zu können bis zum Paradiese. Badilon mit den dicken, bläulichen Lippen war darob nicht wenig erstaunt. Dann und wann trat ein Apostel oder einer der hohen Herren von Herodes' Hof herein, nicht ohne sich vorher fein säuberlich die Schuhe auf der Matte vor der Türe gereinigt zu haben. Er grüßte und setzte sich neben den Ofen mit dem langen Rohre.

»Ein wahres Dreikönigswetter!« hieß es dann.

Nicht immer wurde ihm gleich geantwortet. Die Wanduhr in ihrem Gehäuse tickte in das lauschige, durchsichtige, dämmerige Schweigen. Auch sie schien zu ahnen, daß irgend ein Mysterium über dem Städtchen lag.

Einmal war es Simon von Kyrene, der die Türe aufstieß. Er hatte, wie gewöhnlich, schon viel getrunken, und war mit Bier und Branntwein bis oben angefüllt. In diesem Zustande liebte er es, allerhand Geschichten zum besten zu geben, unterbrach sich aber immer wieder, um seine Pfeife in Brand zu stecken.

»Es ist, wie ich euch sage; in der Nacht vom letzten Sonntag ist es Christus passiert. Er hatte sich in die verrufenen Gassen hinein verirrt, ohne daß jemand weiß wieso und warum. In einem Hause war ein Betrunkener, der alles krumm und klein schlug. Sie versuchten ihn zu viert an Armen und Beinen festzuhalten. Und trotzdem hätte er wahrscheinlich, besoffen wie er war, das ganze Haus demoliert. Der ›lange‹ Brad war's, wie man ihn nennt. – Also – als Christus vorübergeht, sieht er da drinnen die Leute sich balgen und geht gleich hinein. In einem Winkel lehnt die Ilje, das Mädel des langen Brad, mit einem Loch im Kopfe. Und da spricht Christus mit seinem bleichen Gesichte:

›Lasset diesen Mann los.‹

Aber bei dem großen Geschrei hört ihn niemand, und noch zweimal wiederholt er:

›Lasset diesen Mann los.‹

Da plötzlich sinken ihnen allen die Arme herab, und sie sehen, wie Christus sich Brad nähert und ihm die Schulter berührt.

›Brad … Brad … mein Bruder, erkennt Ihr mich?‹ fragt er. Der antwortet ihm, wenn er nicht platter als eine Scholle gedrückt werden wolle, so möge er schleunigst abziehen. Aber Christus schließt ihn in seine Arme und spricht abermals:

›Brad … Brad, mein armer Bruder …‹

Da lachen die anderen und schreien:

›Das ist ja der Christus!‹

Jetzt blickt auch Brad ihn eine Zeitlang an, dann sagt er:

›Verdammt! Das ist wirklich Christus!‹

Seine ganze Wut war verraucht; er war plötzlich so sanft wie ein Lamm geworden und sagte nur zu dem Gesindel:

›Wenn jetzt einer von euch ihm auch nur ein Härchen krümmt, dann bekommt er's mit mir zu tun.‹

Die Weiber flüsterten untereinander:

›Der wirkliche Christus hätte es geradeso gemacht; ein Wunder ist's!‹

Und dann zog ihn Christus an sich und flüsterte ihm allerlei Dinge ins Ohr, die niemand hörte. Und der lange Brad zuckte mit den Schultern wie ein kleines Kind. Endlich ging er zur Türe und rief:

›Höret ihr alle! Dieser da ist unser Christus; es gibt deren nicht zwei. Dies hier ist der wahre Christus für die armen Leute. Einen Menschen wie ich hat er in seine Arme genommen und seinen Bruder genannt. Ist derlei jemals schon vorgekommen?‹

Und die Weiber wunderten sich:

›Eben haben sie sich noch geprügelt, aber jetzt, seit Christus hinzugekommen ist, sind sie lauter gute Freunde. Weder die Polizei noch der Friedensrichter wären so bald mit ihnen fertig geworden.‹

Nun drängten die Leute Christus vor sich her und zogen ihn ins Wirtshaus ›Zum zerbrochenen Krug.‹ Dort stießen sie auf sein Wohl an und riefen:

›Unser Christus lebe hoch!‹

Ilje war auch dabei.

»Ist das nicht eine drollige Geschichte, he?«

Simon von Kyrene steckte abermals seine Pfeife in Brand und goß sich hierauf ein Gläschen Ingwer in die Kehle. Der »Baes« der »Drei Könige« sprach bedeutungsvoll:

»Der Ivo Mabbe ist nicht wie andere Leute.«

Da ließ Kas Onkelaer in Erinnerung an seine einstmalige Gendarmenwürde die Bemerkung fallen, daß Christus, genau genommen, nicht recht daran getan hätte, der Obrigkeit ins Handwerk zu pfuschen, und daß er, zu seiner Zeit, mit dem Säbel in den Haufen dreingefahren wäre.

Es kamen noch drei neue Gäste hinzu: Herodes, der Schlächter, Joseph, der Zimmermann und ein Dritter, der nichts war. Alle waren darüber einig, daß Christus eine tadelnswerte Handlung begangen und seiner Würde arg vergeben hätte, als er sich in die Raufhändel dieser kleinen Leute einmengte. Wenn sie im Falle einer Seuche auch nur den Daumen nach innen zu drehen brauchten, um zu verhindern, daß jenes Gesindel krepierte, so würden sie es doch nicht tun, beteuerten sie einstimmig. Und hierauf tippte sich Herodes mit dem Daumen auf seine Stirn und sprach kopfschüttelnd:

»Bei Christus ist da etwas nicht in Ordnung.«

Der Ofen dröhnte wie eine Trommel; von neuem schwieg alles. Um zehn Uhr erhob Kas Onkelaer zwei Finger seiner Hand und sprach geheimnisvoll:

»Ich habe drei Weihnachtsröslein in meinem Garten.«

Niemand begriff, warum er das gerade in diesem Augenblick sagte. Hierauf bezahlte er seine Zeche ohne eine weitere Erklärung und ging. Es war, als hätten ihm die drei Rosen ein Zeichen gegeben.


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