Maria Leitner
Eine Frau reist durch die Welt
Maria Leitner

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VIII Petroleumland

Curaçao, die Insel der einstigen Sklavenhändler

Aus der Ferne wirken die Forts, die Häuser der Insel, wie holländische Spielzeuge, lieb und nett. Auch die unzähligen Segelboote, die von den Nachbarinseln Lebensmittel nach dem unfruchtbaren Curaçao bringen, lassen an das Mutterland denken. Freilich, die Sonne ist greller und die feilschende Menge auf dem Markt ein Gemisch von allen Rassen.

Nachts aber verwandelt sich die farbige Idylle. Und die schreckliche Fratze, zu der alle Kolonialländer verurteilt sind, wird offen sichtbar. Auf den Segelbooten kauern als schlafende Bündel die Neger, die tagelang stürmische Fahrten hinter sich haben. Sie haben nicht einmal Geld für eine Hängematte. Brot ist für sie ein unbekannter Luxus. Auf den Straßen liegen Schlafende ohne Unterschlupf. Die Geschäftsviertel haben sich in Schluchten des Lasters verwandelt. Die Neger-, chinesischen und europäischen Dirnen stehen gespenstisch geweißt, mit rotgepuderten Wangen vor den schmutzigen Spelunken, aus denen die abgestandenen Schlager Europas und Amerikas kreischen.

Nur die Viertel der Patrizier haben ihre Vornehmheit bewahrt, die kristallenen Leuchter werfen dämmriges Licht auf die alten Seidenmöbel, die venezianischen Spiegel, die Ölgemälde, die zwischen dicken, goldenen Rahmen die Züge der Ahnen bewahren.

Die Patrizier, die sich stolz Curaçaoer nennen und deren holländisches Blut reichlich mit portugiesischem, aber auch mit dunklem, afrikanischem gemischt ist, sind stolz auf diese Ahnen. Sie waren die geschicktesten Sklavenhändler, die mit unzähligen 173 Schiffsladungen die neue Welt mit Menschenmaterial versorgten. Auch als solches Tun schon gesetzlich als unmoralisch gebrandmarkt wurde, haben sie weiter ihr Gewerbe, das viel Gold nach der Insel brachte, ausgeübt. Ihre »Tüchtigkeit«, die ihnen erlaubte, den Gesetzen ein Schnippchen zu schlagen und Sklaven in großen Mengen weiter zu schmuggeln, wurde reich belohnt, wie ihre schön ausgestatteten Häuser beweisen.

Heute aber ist es ihnen nicht mehr gelungen, sich auf die neuen Formen des Sklavenhandels umzustellen, ihre Macht wankt, und sie müssen neuen Herren weichen.

Auf diese neuen Herren der Insel sind die alten schlecht zu sprechen. Sie sind gezwungen, alle Macht ihnen auszuliefern. Nur die regieren noch die Insel, während die Patrizier haßerfüllt nach den dicken Rauchschwaden blicken, die sogar bis in die Viertel der Vornehmen eindringen und die Sauberkeit der weiß- und blaugekachelten Häuser mit dicken Schichten von Öl verschmieren.

Denn die neuen Herren sind die Gebieter des Petroleums. Die neuen Herren, das ist die Royal-Dutch-Shell-Company, das sind Deterding und seine Aktionäre.

Die ganze Insel, auch in jenem Teil, wo sie nur Wüste ist, wird von Rohren, die aussehen, als wären sie dicke Adern, durchzogen.

Diese Rohre schlucken Petroleum, Petroleum, das aus dem südamerikanischen Kontinent in flachen Tanks in riesigen Mengen herbeigeschafft wird. Sie leiten es in die gefräßigen Maschinenbäuche einer der größten Petroleumraffinerien der Welt. Wenn das Rohöl in Benzin und Heizöl geschieden wird, speien sie es in die Schiffsräume aus aller Welt, die im Hafen von Curaçao Petroleum tanken.

Besuch auf der Isla

Nach der Isla, so werden die riesigen Anlagen des Royal-Dutch-Shellschen Unternehmens genannt, benutzt man die Fähre, aber das ist gar nicht so einfach. Zu zahlen braucht man zwar nicht, aber wenn man sich nicht als Angestellter oder Arbeiter der Shell ausweisen kann, braucht man eine besondere Erlaubnis der Zentrale; eine Erlaubnis benötigt man auch, wenn man die 174 Stacheldrähte, die die Isla eingrenzen, als wäre es Kriegsgebiet, passieren will. Keine Grenzfestung wird schärfer bewacht als die Ölraffinerien. Mit Karabinern bewaffnete Werkpolizei steht vor den Eingängen, man trifft sie überall vor den Betrieben, vor den silberhellen Tanks, die Benzin, und vor den dunklen, die das Heizöl bergen.

Welche Geheimnisse werden hier gehütet? Es sind wirklich Geheimnisse, denn das Verfahren, wie man Benzin und Rohöl auf das wirtschaftlichste scheidet, ist Patent und Kampfobjekt der miteinander konkurrierenden Petroleumgesellschaften.

Anscheinend befürchtet man auch in mir eine Spionin der Amerikaner. Bei jedem Schritt mußte ich mich legitimieren, und als ich beim Ausgang meinen Photoapparat zurückbekam und die Arbeiterhäuser der Isla zu photographieren versuchte, erschienen vor mir, wie aus der Erde gestampft, zwei handfeste, mit Gewehren ausgestattete Neger und wollten mich verhaften. Obgleich ich ihnen eine Unmenge gestempelter Papiere zeigte, sämtliche ärztlichen Atteste, die ich unterwegs gebraucht hatte, wollten sie mir nicht glauben, daß ich die Erlaubnis zum Photographieren hätte, denn eine solche Erlaubnis gebe es überhaupt nicht.

Die Direktion aber erklärte, daß ihr nichts unerwünschter sei als irgendeine Art von Publizität, sie wünschte nicht, daß man über sie schreibe, nicht einmal über die neue Angestellten- und Arbeiterstadt, die sie errichtet habe, obgleich sie doch so komfortabel ist, mit Klubs und Tennisplätzen, die nachts taghell erleuchtet werden. So privat sie sich selbst betrachten, das Leben, das ihre Angestellten führen, ist keineswegs deren eigene Angelegenheit. Auch über Freunde oder Bekannte, die sie auf der Isla besuchen, wünscht die Leitung Genaues zu erfahren. Niemand kann unbemerkt ein Arbeiterhaus betreten. Kein Angestellter hat das Recht, Besuche ohne Erlaubnis zu erhalten, auch nicht nach der Arbeitszeit.

Die Arbeiter aus Deutschland, aus den Staaten, aus Italien, aus Holland oder Schweden, sie wiederholen so ziemlich wörtlich immer die gleiche Geschichte:

»Da hat mir mein Freund (es kann auch der Bruder oder Vater, Vetter oder Sohn sein) geschrieben, daß man hier Arbeit bekommen kann. Arbeit – da überlegt man nicht mehr lange, wie es sonst noch werden kann, auf Arbeit kommt es an. Mit solcher 175 Aussicht ist es auch mit Mühe und Not möglich, Reisegeld geliehen zu bekommen. Wie ich gehört habe, ich soll nach Curaçao, den Tropen, schien mir das noch ganz besonders wunderbar, das wird etwas ganz anderes werden als die alte Knochenmühle zu Hause. Aber ist man einmal hier, dann merkt man schnell, daß es genau der gleiche Dreh ist, den man schon so gut kennt. Die Maschinen, der Lärm, der Dreck, der Gestank und die Aufseher, für die man nie schnell genug arbeiten kann.

Tag und Nacht wird gearbeitet. Jede Stunde ist Schichtwechsel. Viele von uns haben einen Zehnstundentag, sogar wenn sie nachts arbeiten, obwohl auch hier abgebaut wird und Arbeiter entlassen werden. Tropisch sind nur die ewige Hitze und die vielen Moskitos. In der Lohntüte haben wir zwar etwas mehr Geld als zu Hause, aber das Leben ist auch teurer, und wenn man krank wird oder keine Arbeit mehr hat, kann man betteln gehen. Der Arbeiter kann hier überhaupt nicht den Mund aufmachen. Wir haben zweihundert schwerbewaffnete Werkpolizisten, die tun, was die Direktion ihnen befiehlt; ob es gesetzlich ist oder nicht, danach fragt keiner. Die Regierung hat auf der Isla überhaupt nichts zu sagen.

Man redet uns weißen Arbeitern ein, daß wir mehr sind als die Neger, und es gibt unter uns so manchen, der das auch gern glaubt. Aber die Werkpolizei besteht aus lauter Negern, und obgleich uns die Werkleitung für soviel höher hält, läßt sie die weißen Arbeiter ohne Skrupel von den Negern verprügeln, weil sie es vielleicht gewagt haben, allzu laut ihre Rechte zu fordern. So leben wir in der großen Freiheit, fern von der Kultur.«

Abenteuer und Abenteurer auf Curaçao

Es gibt nicht nur Gegensätze zwischen Arbeiter und »Arbeitgeber«, sondern auch zwischen den Konkurrenzgesellschaften. Auf Curaçao nahmen diese Intrigen besonders abenteuerliche Formen an. Dazu gehörte die »Delgado-Falke-Rebellion«. Wie man sich vielleicht noch erinnert, spielte das deutsche Schiff »Falke« in dieser Tragikomödie eine besondere Rolle.

Eingezwängt zwischen den Stacheldrahtzäunen der Shell 176 Company und den Kreidebergen Curaçaos, liegt ein armseliges Proletarierviertel, ein Gewirr primitivster Holzhäuser.

Hier lebte unter anderen venezolanischen Emigranten einer der Hauptakteure des »Falke«-Abenteuers, ein früherer General namens Urbano. Er schien es darauf abgesehen zu haben, die Polizei zu reizen. Er führte so lange beleidigende Reden über den holländischen Gouverneur, bis man ihn als Gefangenen in die Festung Curaçao einlieferte.

Diese Festung liegt am Eingangspunkt des Hafens. Sie gibt vor, die holländischen Häuser Willemstads, aber auch die Ölraffinerien der Shell Co. und den Hafen zu schützen. Aber trotz Zugbrücken, Wachen und Munitionslager wirkt sie nicht übertrieben seriös.

Dem General Urbano schien die Festungshaft gut zu gefallen; er freundete sich mit den Soldaten, mit den Wachen und Gefangenenwärtern an. Freilich war diese Freundschaft nicht ganz billig, denn auch hier mußte sie durch kleine Geschenke erhalten bleiben. Aber der General hatte Geld wie Heu, er hatte Lebensmittel, Zigaretten, Getränke. Auffallend war nur, daß ein scheinbar so einflußreicher Mann nichts unternahm, um seine Strafe abzukürzen.

Aber wahrscheinlich interessierte ihn das Leben auf der Festung, denn er fragte nach allen Details, und auf Grund seiner sachverständigen Fragen wußte er bald besser Bescheid als selbst der Festungskommandant. Er kannte die Aufbewahrungsstellen der Munition, die Aufstellung der Maschinengewehre, er wußte, wieviel Gewehre sich in der Festung befanden, aus wieviel Personen die Wache bestand und wann sie abgelöst wurde.

Und so geschieht an einem schönen Augustabend folgendes:

Bei einbrechender Dunkelheit nähert sich ein Schiff dem Hafen von Curaçao (später hatte sich herausgestellt, daß es einer amerikanischen Gesellschaft gehörte) und wirft ganz in der Nähe der Festung Anker. Die Hafenpolizei fand nichts Auffälliges daran.

Um Mitternacht wurden auf den Wällen die Wachen abgelöst, gleichzeitig brechen General Urbano und seine Freunde aus ihren Zellen. Es bleibt bis heute rätselhaft, wie es Urbano und seinen paar Anhängern gelang, alle Soldaten und Gefängniswärter der Festung zu entwaffnen und sich selbst und seine Getreuen zu bewaffnen. Zwei Schüsse und zwei Tote als Ergebnis des ersten 177 Widerstandes gegen Urbano mögen den Soldaten gezeigt haben, daß es nicht geraten sei, gegen ihren »Freund« Urbano zu kämpfen. Der Weg zu den Munitionslagern ist plötzlich frei.

Mittlerweile kommt das Schiff, das in der Nähe ankerte, dicht an die Festung heran. In aller Ruhe und ohne Übereilung wird Munition geladen. Urbano dampft nach ein paar Stunden schnurstracks auf Cumana zu, um zusammen mit dem »Falken« den Kampf gegen die venezolanische Regierung aufzunehmen. Seine »Getreuen«, kein halbes Dutzend Mann, halten die Festung Curaçao besetzt.

Aber in Cumana stellt sich der genial angelegte Überfall als völlig nutzlos heraus, denn die geraubte Munition knallt zwar heftig, aber sie schadet niemandem. Was Urbano und seine Leute stahlen, waren – Platzpatronen und leere Übungskartuschen. Die holländische Regierung gab später eine Erklärung heraus: Die von Urbano geraubte Munition wäre nur für Manöverzwecke bestimmt gewesen, die echte Munition hätte wohlbewahrt im Geheimlager geruht. Aber es gibt böse Zungen auf Curaçao, die davon munkeln, daß es überhaupt keine brauchbaren Waffen auf der Festung gab außer dem Revolver, den sich der General Urbano ins Gefängnis schmuggeln ließ.

General Urbano aber gelang es, mit den Überlebenden der Cumanaschlacht nach Kolumbien zu fliehen. Er lebt jetzt mit seinen Mannen in den Urwäldern, die an Venezuela grenzen, und beunruhigt von dort aus öfter die Grenzposten. Ein letzter Abenteurer alten Stils, ein »Bukanier«, ein Nachfahr der Seeräuber, die Amerika nach seiner Entdeckung heimsuchten.

Interessanter aber als dieser Abenteurer sind die Hintergründe dieser Revolte, die nur scheinbar an eine Operette erinnern.

Wer hatte Urbano und Delgado die sehr bedeutenden Geldmittel, die sie für ihre Unternehmungen brauchten, zur Verfügung gestellt? Wer hatte ein Interesse daran, Curaçao, diesen wichtigen strategischen Stützpunkt, diesen bedeutendsten Ölhafen des tropischen Amerikas, in anderen Besitz zu bringen?

Eine klare Antwort konnte die Untersuchung um so weniger bringen, weil sehr vorsichtig untersucht wurde. Aber das Mißtrauen der Shell Co. wird dem großen Konkurrenten, der Standard Oil, gegenüber einigermaßen begreiflich.

»Sie müssen nach Maracaibo fahren, dort können Sie die 178 größten Ölfelder Südamerikas sehen, dort haben die amerikanischen und englischen Gesellschaften dicht nebeneinander ihre Interessensphären, dort kann man am besten sehen, wie sie miteinander arbeiten und wie sie sich bekämpfen.«

Sankt Bürokratius in Venezuela

Jede Reise beginnt, sofern man die sträfliche Absicht hat, eine Grenze zu überschreiten, auf der Polizei, auf Ämtern und Konsulaten, und das ist gut so, das gibt Gelegenheit, Leute und Sitten eines Landes kennenzulernen, bevor man es noch betreten hat.

Da ist zum Beispiel Venezuela. Von Curaçao fahren täglich Dampfer nach Maracaibo, eine Reise dorthin scheint also ganz einfach zu sein. Aber bald muß man merken, daß auch eine tropische Republik in Erfindung bürokratischer Schikanen Unübertreffliches leisten kann.

Zunächst: Ein Paß genügt nicht, man muß auch einen Heimat- und Geburtsschein haben, dann eine Bescheinigung der Polizeibehörde des Wohnortes, daß der Reisende keinerlei Verbrechen begangen hat, die das venezolanische Gesetz als solche ansieht und bestraft, und ist schließlich eine Strafe verbüßt, aufgeschoben oder erlassen worden, so ist eine Bescheinigung über die moralische Rehabilitierung beizubringen.

Noch nicht genug? O nein, bei weitem nicht. Daß man das Zeugnis eines Amtsarztes beibringen muß des Inhalts, daß der Reisende nicht an Lepra, Trachom, Geisteskrankheit, epileptischen Anfällen oder anderen gefährlichen Krankheiten leidet, ist in Ordnung. Auch eine neuerliche Pockenimpfung könnte man über sich ergehen lassen.

Aber Venezuela will noch mehr. Der Paß, der Geburts- und Heimatschein, die ärztlichen Atteste genügen noch nicht, man muß auch einen Identitätsschein beibringen, auf dem millimetergenau die Größe und Breite des Delinquenten, Pardon, Reisenden, angegeben ist.

Immer noch nicht genug? Nein. Man muß auch noch ein beglaubigtes Zeugnis von dem Geschäftsführer, Direktor oder Prinzipal des Betriebes beibringen, in dem man die letzten sechs Monate gearbeitet hat. Das Zeugnis soll über die Führung, 179 Ehrlichkeit, guten Sitten und das Verhalten gegen die Vorgesetzten Auskunft geben.

Aber jetzt ist's genug? Mehr kann nicht einmal Venezuela verlangen? Ein Irrtum, denn zu guter Letzt müssen auch zwei Zeugen vor Gericht unter Eid folgendes beschwören: 1. daß der Reisende während seines Aufenthaltes in Venezuela nicht die öffentliche Ordnung stören oder die internationalen Beziehungen der Republik gefährden wird, 2. daß er keiner Vereinigung angehört, die der öffentlichen und bürgerlichen Ordnung entgegengesetzte Zwecke verfolgt, und 3. daß er nicht die gewaltsame Zerstörung der konstitutionellen Regierung oder die Ermordung von Staatsbeamten oder Fremden im Lande plant.

Ist das nicht erstaunlich? Zeugen müssen unter Eid aussagen, was du in Zukunft zu tun und zu lassen gedenkst. Die Zeugen müssen dem Konsulat bekannt sein. Weniger wichtig ist es, daß sie dich kennen, denn es kommt ja nur auf die Formalität an, auf die Formalität und auf die Gebühren. Genügende Geldmittel sind fähig, die Strenge des Gesetzes zu mildern.

Zwischen Curaçao und Venezuela

Es ist merkwürdig, die größten Schwierigkeiten können die Erwerbslosen, die noch etwas Geld für eine Reise haben, nicht davon abhalten, ihr Glück dort zu versuchen, wo sich ihnen noch irgendeine Arbeitsmöglichkeit bietet. Wie finden es Leute in einem Dorf in Thüringen oder Bayern, in New York oder in Tokio heraus, daß irgendwo am anderen Ende der Welt Arbeitskräfte benötigt werden? Nirgends braucht die Industrie zu befürchten, ohne Arbeiter zu bleiben. Mitten im Ozean wird auf einer Wüsteninsel mit größter Eile eine Stadt, ein großes Industriewerk errichtet, und schon strömen die Arbeiter aus aller Welt herbei, um an dem Aufbau teilzunehmen.

Da ist die Insel Aruba, sie liegt zwischen Curaçao und Maracaibo. Vor kurzem war sie nur von einigen Negern bewohnt, die kaum ihr Unterkommen fanden. Die Insel ist dürr, nur wenn es regnet, gibt es Wasser; aber es regnet fast nie, und die Zisternen und Regentonnen warten mit trockenen Mäulern vergeblich auf Feuchtigkeit. Der Hafen, soweit man von Hafen überhaupt 180 sprechen kann, wird nur im seltensten Fall von einem Schiff angelaufen. So war es noch vor wenigen Jahren.

Dann aber kam die plötzliche Wendung: Die Amerikaner, die zusehen müssen, wie sich die Shell Co. auf Curaçao vergrößert und ihnen selbst die Möglichkeit nimmt, sich dort niederzulassen, ließen sich von den Holländern für die Insel Aruba eine Konzession geben. Man lachte nur darüber. Das war sicher nichts weiter als ein verrückter Einfall eines amerikanischen Millionärs.

Doch bald stellte sich heraus, daß die Amerikaner ganz genau wußten, was sie wollten. Mit größter Beschleunigung begannen sie die Arbeit auf Aruba. Ein ganzes Arbeiterheer erbaute eine Stadt aus dem Nichts und errichtete Petroleumraffinerien, die an Vollkommenheit und rationalisierten Methoden noch die Shell Co. übertrafen.

Der Hafen wurde ausgebaut für die Öltanks, die nun aus Maracaibo kamen. Der große Coup war gelungen, die Amerikaner konnten ihr Petroleum aus Venezuela noch nutzbringender verwerten als die Shell Co.

Es gab nichts zu essen auf der Insel? Man brachte Lebensmittel in Hülle und Fülle aus Amerika. Der Küchenzettel der Angestellten und Arbeiter wird im Marine-Department New Yorks auf das genaueste zusammengestellt, und die nötigen Zutaten schwimmen jede Woche auf mächtigen Schiffen zur Insel. Es gab kein Wasser? Man brachte eben dann das Trinkwasser aus New York. Ein bißchen teuer? Die Angestellten und Arbeiter bezahlen ja die Lebensmittel und das Wasser. Auf die Weise freilich lösen sich die Löhne und Gehälter, die so verlockend aussahen, schnell in nichts auf. Und genau wie überall verdienen sie auf der Wüsteninsel trotz schwerster Arbeit nur soviel, um das nackte Leben zu erhalten.

Jetzt ist die Stadt fertig, eine sehr zweckmäßig gebaute Stadt; doch da ihr Zweck, den Menschen nur schlecht und recht Unterkunft zu geben, so mäßig ist, wirkt sie alles eher, nur nicht schön.

Schlimmer aber, nachdem der Aufbau der Stadt beendet war, blieb ein großer Teil der Arbeitermassen, die Erbauer, ohne Arbeit.

Diese Arbeitslosen fahren nun trotz aller Paßschikanen und trotz der Kosten, solange sie noch den kleinsten Betrag besitzen, von einer Insel zur anderen, von einem Land zum anderen, um 181 Arbeit zu suchen. Eine Reise von vier oder fünf Tagen ist eine Kleinigkeit, kaum erwähnenswert. Ist sie mißlungen, um so schlimmer. Ist auch der letzte Rest der Ersparnisse verbraucht, bleibt nichts übrig als die Bettelei bei den Schiffsgesellschaften, sich hinüber arbeiten zu dürfen. Die Schar der Ausgewanderten, die auf eine solche Gelegenheit warten, die immer seltener wird, vergrößert sich ständig. Sie warten auf ein Schiff oder den Tod, denn die meisten haben, bis sie soweit sind, ihre Gesundheit vollständig eingebüßt.

Unter den Passagieren unseres Schiffes ist einer, der durch seinen merkwürdigen Tropenanzug die Heiterkeit der Mitreisenden erregt. Er stammt aus einem württembergischen Dorf, spricht schwäbisch, und er wäre sehr gemütlich, sähe er nicht aus wie ein Gespenst. Blaß, mit fiebrigen Augen, ragt sein Gesicht aus den alten Leinentüchern, die wahrscheinlich seine Mutter mit viel Liebe, aber wenig Fachkenntnis in einen Anzug verwandelt hat. »Er hat nichts gekostet« – das heißt, er kostete Kopfzerbrechen und unverhältnismäßig viel Arbeit. »Seine ganze Reise sollte nichts kosten.« Seine Konstitution fragte aber nicht danach, ob er sparen wollte, er wurde krank, und so »reist« er nun nach Arbeit.

Maracaibo, eine neue Hauptstadt im Petroleumreich

Noch vor einem Jahrzehnt war Maracaibo eine verschlafene, altspanische kleine Stadt, am Ufer des sumpfigen Maracaibosees, einer Bucht des Atlantischen Ozeans.

Heute ist sie eine der wichtigsten Zentralen des Weltölgeschäftes, sie wäre vielleicht die wichtigste überhaupt, wenn der verschlammte Hafen nicht das Befahren durch größere Schiffe unmöglich machen würde. So müssen die flachen Öltanks erst nach Curaçao und Aruba fahren. Doch die Zukunftsmöglichkeiten Maracaibos sind noch sehr groß.

In den letzten Jahren wurde hier ungeheuer viel gebaut. Zu dem Altspanischen kam das Neuamerikanische, es waren Flugzeuge, Autos, Wege wurden angelegt, der Urwald, der bis an die Stadt heranreichte, mußte amerikanisierten Siedlungen weichen. An Stelle der Urwaldriesen erheben sich nun Bohrtürme, 182 Bohrtürme ragen auch aus dem See, aus den Sümpfen, denn Petroleum quillt weit und breit im Wald und aus dem Wasser, überall in der ganzen Umgebung von Maracaibo.

Die Luft ist ölig, eine schwere, fettige Luft, das Thermometer zeigt im Schatten vierzig Grad, Moskitoschwärme entsteigen den Sümpfen, und nur die feinen teuren Drahtnetze, die die Wohnhäuser der höheren Angestellten schützen, können sie ausschließen. Zu den anderen, wo nur leichte Mullnetze die Menschen zu schützen vorgeben, gelangen sie mit Leichtigkeit.

Besonders am Anfang der Arbeiten blühte hier das gelbe Fieber, aber es gibt wohl wenig Menschen in Maracaibo, die von Malaria verschont bleiben.

In den Klubräumen der verschiedensten Nationen, in allen Speisehäusern steht auf den Tischen wie Zucker Chinin. Alle schlucken sie Chinin, aber es nützt ihnen nichts, das Fieber ergreift von ihnen Besitz und läßt sie nie wieder ganz frei atmen.

Aber die Kranken räumen nicht freiwillig das Feld, den Abbau fürchten sie mehr als den Tod. Auch hier wird, obgleich die Produktion noch steigend ist, rationalisiert. In diesen Methoden sind sich beide Petroleummächte, die Standard genau wie die englisch-holländische Gruppe, trotz aller anderen Gegensätze einig.

Die Amerikaner zeigen offen das, was sie geschafft haben; sie sind stolz auf die neuen Häuser und Wege, auf die Kinos und Bordelle im Urwald von gestern, auf ihre Polizei, die sogar mit Maschinengewehren ausgestattet ist.

Auch die Engländer haben alle diese Errungenschaften, sie sind nur weniger stolz auf sie und hüten sie wie Geheimnisse.

Man kann sich schwer vorstellen, mit welcher Genauigkeit die Büros der Petroleumgesellschaften jede Nachricht, die sich auf das Öl bezieht, registrieren. Farbige Tabellen werden jeden Tag, jede Stunde umgeändert, um die momentane Lage augenfällig zu zeigen.

In Maracaibo und seiner Umgebung wird etwa soviel Petroleum erzeugt wie in Sowjetrußland. 1930 stand Venezuela an zweiter Stelle unter den Petroleum erzeugenden Ländern. Erst 1931 wurde es von Sowjetrußland überflügelt.

Aus allen Börsen der Welt kommen die Nachrichten über die Kurse der Petroleumpapiere, jede Schwankung wird auf das genaueste verfolgt.

183 Jede Petroleumquelle, sei sie auf den Nachbarpetroleumfeldern Lagunillas, in Baku, in Mexiko oder Kolumbien in Betrieb gesetzt, steht sofort auf der Weltkarte aller Bohrtürme.

Auf einem Atlas sieht man die Petroleumerzeugung der Welt graphisch dargestellt. Die Vereinigten Staaten führen bei weitem, sie liefern 65 bis 70 Prozent der gesamten Weltproduktion, in weitem Abstand folgen Sowjetrußland mit 10 bis 12 Prozent und Venezuela ungefähr mit gleichfalls soviel.

Auch bei dem Verbrauch des Petroleums besetzen die Staaten einen besonderen Platz. Sechzig Prozent des Weltbedarfs wird von ihnen in Anspruch genommen.

Wie anders aber sieht jene Karte aus, auf der die Petroleumvorräte abgebildet sind. Der riesige Punkt, der die Produktion der Staaten anzeigte, ist ganz zusammengeschrumpft, nur zehn Prozent der Weltvorräte befinden sich in den Staaten, fünfunddreißig Prozent in Südamerika und Mittelamerika, fünfzehn Prozent in Sowjetrußland.

Gespräch mit einem amerikanischen Petroleum-Sachverständigen

»Ja, kann man denn überhaupt die Vorräte feststellen?« fragte ich ihn.

»Ganz genau nicht, nur ungefähr. Die Schätzungen ändern sich auch sehr oft. Aber es ist nicht wahrscheinlich, daß das Verhältnis für die Staaten viel günstiger sein könnte. In Südamerika gibt es noch viele unentdeckte Quellen.«

»Auch in Paraguay?«

»Wahrscheinlich auch dort. Auch die Bohrungen in Peru, Kolumbien und in den Guayanas stehen erst in ihren Anfängen.«

»Wie aber ist es in Nordamerika? Wenn trotz der geringen Vorräte so viel produziert wird, können dann nicht die Petroleumquellen langsam versiegen?«

»Viele sehen das in Amerika voraus. Man macht Propaganda für die Streckung der Vorräte. Schon seit Jahren wird darüber geschrieben, daß Amerika schlimmen Schwierigkeiten entgegengeht, wenn sich die Petroleumpolitik nicht ändert. Der Erfolg war: 184 Die Produktion stieg ständig weiter. In diesem Jahr wird sie gering fallen, aber nur aus rein finanziellen Gründen, weil man die Preise halten will. Da sehen Sie zum Beispiel Mexiko. Im Jahre 1925 war es nach den Staaten noch das wichtigste Petroleum erzeugende Land. Seit diesem Höhepunkt fällt die Produktion rapide. Keineswegs, weil man sie einschränken will, sondern weil bald kein Öl mehr da ist. Der rücksichtslose Raubbau beginnt sich zu rächen. Tampico, noch vor einigen Jahren eine der wichtigsten Petroleumquellen, sinkt langsam zu vollkommener Bedeutungslosigkeit herab. Der aufsteigende Stern ist Maracaibo.«

»Ist das Versickern der mexikanischen Ölfelder nicht auch für die kalifornischen und jene in Texas ein schlechtes Vorzeichen?«

»Beim Petroleum kann man nichts prophezeien, aber es gibt ja genug Schwarzseher in Amerika, die behaupten, es sei sogar möglich, daß es schon in fünf Jahren mit den Petroleumvorräten zu Ende ginge.«

»Was würde dann aber geschehen?«

»Nun, man muß ja nicht ein unverbesserlicher Pessimist sein und gleich an das Schlimmste denken. Die Quellen können natürlich nicht so plötzlich versiegen. Man malt die Lage mehr aus propagandistischen Gründen so dunkel aus, gerade, weil schon ein verhältnismäßiges Fallen der Produktion fühlbar werden müßte, denn die Vereinigten Staaten sind nicht Mexiko, und sie könnten nicht tatenlos zusehen. In Mexiko fällt die Währung, verschlechtert sich die Handelsbilanz, aber das starke Fallen der Petroleumerzeugung übt doch keine entscheidende Wirkung aus. Für die Staaten aber ist das Petroleum eine Lebensnotwendigkeit. Die Industrie, der Verkehr brauchen Benzin, die ganze Kriegsflotte wird mit Öl geheizt. Zum größten Teil verdankt Amerika seinen industriellen Aufschwung dem Petroleum.«

»Gibt es denn einen Ausweg für die Staaten?«

»Sicher. Sie haben ja die wichtigsten Petroleum-Konzessionen in Südamerika. In Peru besitzen sie einundachtzig Prozent der Petroleumfelder, in Venezuela vierzig Prozent, in Kolumbien sogar hundert Prozent.« (Die Geschichte dieser hundert Prozent wäre auch ein Roman für sich, der ölsachverständige Amerikaner enthüllte sie nicht.) »Die amerikanischen Gesellschaften haben mit Bohrungen in Brasilien, in Argentinien, in den Guayanas und Paraguay begonnen und schon bedeutende Funde gemacht. Amerika 185 braucht also einen Mangel an Petroleum auch im schlimmsten Fall nicht zu befürchten.«

Das sagte der Amerikaner. Über die Befürchtungen der südamerikanischen Völker sprach er nicht. Über die Gefahren, die die Rivalität zwischen Amerika und England um die Petroleumschätze hervorrufen muß. Denn die restlichen Prozente der Ölkonzessionen in Südamerika besitzt ja zum größten Teil England. Der Hintergrund der blutigen Revolutionen und Kriege in Südamerika sind zum größten Teil noch unsichtbare Petroleumfelder.

Doch wie kämpft man hier in Maracaibo?

Indianer, o wie romantisch!

In Maracaibo gibt es auch echte Indianer. Ihre Kleidung besteht aus farbigen Tüchern, und ihre Gesichter sind mit roten und lila Strichen bemalt. Freilich wirken sie bei weitem nicht so echt und wild wie Indianer in einem besseren Knabenroman, obgleich manche von ihnen sogar lange Pfeile bei sich tragen, die wirklich so aussehen, als wären sie von Karl May erfunden.

Aber mit diesen Pfeilen durchbohren sie nicht die fremden Eindringlinge, sie tragen sie vielmehr in Geschäfte, in denen Grammophone von früh morgens bis spät abends ununterbrochen spielen. Sie sind feste Bestandteile jedes besseren Kaufladens, und während der Marsch aus den drei Musketieren, die Marguita, die Señorita oder ähnliche Meisterwerke heruntergeschnarrt werden, tauschen die Indianer die Pfeile gegen Sardinen oder Büchsenkonserven.

Die Pfeile schmücken dann später die Quartiere der amerikanischen, englischen und deutschen Angestellten und geben ihnen einen gewissen romantischen Beigeschmack und die Illusion, in einem wilden Land zu leben.

Leider aber ist der Bedarf an Pfeilen doch nicht so groß, daß die Indianer, die durch die Ölgesellschaften aus ihren Wäldern vertrieben wurden, nun davon leben könnten.

Was tun sie nun, die Abkömmlinge des »großen Adlers«? Sie stellen sich vor den »employment offices«, den Personalbüros der großen Ölgesellschaften, auf, und wenn sie besonderes Glück 186 haben, dürfen sie ihre Wälder roden, Baumaterial schleppen oder nach Öl bohren. Wenn die Ölgesellschaften besonderes Glück haben und die Petroleumquelle ergiebiger wird, als man erwartet hatte, wird das oft ihr Ende, denn sie können leicht mit zerschmetterten Gliedern in die Luft fliegen.

Ein Deutscher, der seit sechs Jahren in Maracaibo arbeitet, kann allerlei erzählen.

»Wieviel Menschenleben die Ölfelder in Maracaibo gekostet haben, niemand könnte es sagen, darüber führt man keine Statistik, es ist ja auch nicht so wichtig. Ich habe mich schon so an Verunglückte, an Leichen, an Brand, an Katastrophen gewöhnt, daß ich gar nicht mehr aufmerke, wenn ich einen Toten in den Ölfeldern sehe. Das alles gehört einfach zu dem Betriebe. Am schlimmsten sind jene dran, die in den Sümpfen arbeiten müssen und die Öltürme im Meer errichten. Sehen Sie dort die ›Käseglocken‹, das sind besondere Vorrichtungen für die Bohrarbeiten unter Wasser.«

Ingenieure haben ein wunderbares Meisterstück der Technik erschaffen, um die Ölschätze im Meeresgrund zu heben. Die Arbeiter mit ihren Werkzeugen setzen sich auf die Bänke, die in der Glasglocke angebracht sind, und die durch Kräne und Hebel hinabbefördert wird. Sie verdrängt das Wasser und schafft so einen luftleeren Raum. Von oben wird wie bei den Tauchern den Arbeitern Sauerstoff zugeführt. Wenn alles glattgeht, ragen bald die Öltürme aus dem Wasser wie durch ein Wunder hingezaubert.

An der Hinzauberung dieser Wunder beteiligten sich auch die »wilden Indianer«.

Wehren sie sich?

Es werden auch einige gruselige Geschichten über die Indianer im Urwald kolportiert.

Da ging ein amerikanischer Ingenieur mit seinem Mitarbeiterstab auf der Suche nach Petroleum tief in den Busch. Plötzlich erschienen Indianer und begannen giftige Pfeile gegen sie zu schleudern, als wären sie wirklich einem Indianerbuch entsprungen (und als gingen die Amerikaner ohne Waffen in den Urwald). In dieser Geschichte schien das aber tatsächlich der Fall zu sein, sie haben nicht auf die Indianer geschossen, sondern liefen fort. Der Führer der Amerikaner blieb aber stehen, und schon durchbohrte ein giftiger Pfeil seine Brust, und er fiel tot um. Dann 187 zogen die Indianer einen Kreis um seinen Leichnam und schrieben eine furchtbare Warnung an jeden, der es wagen würde, noch einmal zu ihnen vorzudringen.

Dieser Vorfall wurde in der Öffentlichkeit, mit immer neuen Einzelheiten geschmückt, besprochen, und der Angestellte, der für ein mäßig hohes Dollargehalt wie ein Karl-May-Held starb, bekam einen Ehrenplatz auf dem Friedhof von Maracaibo. Natürlich will seitdem kein Angestellter mehr diesen gefährlichen Ausflug wagen.

Böse Zungen aber behaupten, daß hinter der giftigen Pfeilgeschichte nicht die Indianer, sondern die Konkurrenzgesellschaft steckt. Man stritt um die Konzession dieses Gebietes, und der kleine Trick sollte ein Abschreckungsmittel sein. Den Tod verursachte kein giftiger Pfeil, sondern eine ganz gewöhnliche Revolverkugel. Räubergeschichten? Ja, Räubergeschichten.

Sankt Gomez

Die Ölfelder gehören den Amerikanern und den Engländern, das mag wenig günstig sein für Venezuelas Untertanen, aber Gomez, der Präsident Venezuelas, wird für den reichsten Mann Südamerikas gehalten. Sein nachweisbares Eigentum schätzt man auf einen Wert von 40 Millionen Dollar. Dieses 75 Jahre alte Staatsoberhaupt versteht Propaganda für sich zu machen. Gomez läßt Photographen, Maler, Bildhauer (ich bin verschiedenen von ihnen unterwegs begegnet) auf seinen Landsitz nach Maracay kommen, damit sie ihn würdig darstellen.

Es wird von ihm erzählt, daß er seine Karriere als Viehtreiber begann. Aber man muß ein Stratege von besonderem Rang sein, wenn man die Herde von den Savannen durch Urwälder und Wasserkatarakte erfolgreich heimführen kann.

Diese Begabung erkennen auch seine Feinde an, sie sind nicht wenig zahlreich. Aber ihre Versuche, ihn zu stürzen, blieben immer erfolglos.

Auf dem Schiff, das uns nach La Guaira bringt, dem Hafen in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt Caracas, fällt bald eine mollige, hübsche Passagierin auf, die sich besonders fromm gebärdet. Sie schlägt bei jeder Gelegenheit Kreuze, ruft Heilige an, und 188 neben den bekannten Namen taucht auch ein neuer auf, nämlich Sankt Gomez.

Mehrere Passagiere haben es deutlich gehört, und da man auf dem Schiff doch nichts Wichtigeres zu tun hat, befragte man den Kapitän um diesen sonderbaren Heiligen. War er eine venezolanische Besonderheit und etwa identisch mit dem bekannten Staatsmann?

Der Kapitän, ein Mann von Humor, freute sich nicht wenig über diesen neuen Heiligen, und er gab gleich eine kleine Geschichte von der molligen Dame zum besten. Auf der Hinfahrt war er mit ebendieser Dame nach New York gefahren. Damals hatte sie ihre vier Kinder, sämtlich unehelich, mit.

Der Kapitän kennt die Gesetze der Vereinigten Staaten, und aus diesem Grunde weigerte er sich, die Dame samt Kindern mitzunehmen.

»Nicht etwa, weil ich so borniert wäre oder weil ich auch nur das Geringste gegen Sie einzuwenden hätte«, erklärt er ihr. »Aber gegen die sogenannten moralischen Einwände der Einwanderungsbehörden ist bestimmt nichts zu machen, man würde Sie auf keinen Fall landen lassen.«

Darauf griff die Dame in ihren Busen und holte ein Bündelchen heraus. Dieses entpuppte sich vor den erstaunten Augen des Kapitäns als ein ansehnliches Paket voller Tausenddollarscheine. Mit der selbstverständlichsten Miene der Welt entnahm die Dame der Rolle einen Tausenddollarschein und überreichte ihn dem Kapitän.

»Genügt Ihnen das als Sicherheit, als Kaution?«

»Wie sollte das nicht genügen.«

Der Kapitän hatte, wie alle gewöhnlichen Sterblichen, wenn sie nicht gerade Bankangestellte sind, noch überhaupt nie im Leben einen ganzen Tausenddollarschein in der Hand gehabt. Aber an die Landung der Frau glaubte er doch nicht.

Doch wer waren die ersten, die den Boden New Yorks betraten? Es war die Mollige mit den vier Unehelichen. Noch nie vorher hatte der Kapitän so ehrfürchtige Mienen von Angestellten der Einwanderungsbehörde gesehen.

»Ja, aber was soll das alles mit Sankt Gomez zu tun haben«, fragten wir den Kapitän.

189 »Ist die Sache nicht klar? Gomez hat den nicht übel verdienten Ruf, buchstäblich der Vater seiner Nation zu sein.«

Von der Zahl der Gomezschen Kinder werden wahre Legenden erzählt. Er hat über hundert anerkannte uneheliche Kinder und eine noch stattlichere Anzahl solcher, die er zwar offiziell nicht anerkannt hat, die er aber unterstützt.

Wie es bei reichen Leuten geht, bringt ihm letzten Endes auch die Kinderschar nur Nutzen. Sobald sie erwachsen sind, werden sie in einflußreiche Ämter eingesetzt, und Vater Gomez hat die beste Kontrolle über alle Unternehmungen des Landes, nicht zu seinem Schaden.

Trotz allem Reichtum des Landes sind die meisten seiner Einwohner genau so arm, wie Gomez reich ist. Nur an Kindern sind sie auch reich. Von Geburtenregelung weiß man in Venezuela nichts, teils weil die Macht der katholischen Kirche sehr stark ist, teils weil es den Venezolanern auf ein paar Familienmitglieder mehr nicht ankommt. Man schläft in Hängematten, und es ist ganz unglaubhaft, wie viele Hängematten auch in der kleinsten Hütte Platz haben.

Die jungen Mädchen aus den sogenannten guten Kreisen werden ganz nach spanischen Sitten behütet, nie dürfen sie mit einem jungen Mann allein ausgehen. Die Fenster der vornehmeren Häuser sind sorgfältig vergittert, und das junge Mädchen darf sich mit dem Freund nur getrennt durch diese Gitterwand unterhalten. Und doch passiert es oft, daß vierzehn-, fünfzehnjährige wohlbehütete Mädchen zum Mißvergnügen ihrer Eltern ohne vorherigen kirchlichen Segen Mütter werden. Man geht dann in die Kirche, betet für die Sünderin, aber da die anerkannten unehelichen Kinder dieselben Rechte wie die ehelichen haben, ist bald wieder alles in Ordnung.

Dieses Gemisch von Religiösität und Sinnlichkeit ist überhaupt charakteristisch für Venezuela. Auf dem Markt von Caracas werden Heiligenbilder und die »pikantesten« Postkarten, Gebetbücher und erotische Literatur, bunt durcheinandergewürfelt, zusammen verkauft.

Bei dem mondänen Tanztee von Caracas werden Fächer an die tanzenden Damen verteilt mit dem Bild der heiligen Jungfrau, damit sie gleich Absolution erbitten können für die Sünden, die sie möglicherweise begehen werden. 190

Polizei, Kasematten und Rekrutenfang

Die Polizei in Venezuela ist ein Kapitel für sich. In La Guaira strömen ihre Vertreter mit Reitpeitschen in der Hand auf das Schiff. Reitet man hier noch? Nein, das nicht, sie sind im Auto gekommen. Diese Ausrüstung gehört nur zur Unterstreichung der Schneidigkeit. Auf dem Wege von La Guaira nach Caracas wird das Auto, in dem ich fahre, dreimal von der Polizei angehalten. Aber das ist keine Ausnahme, das gehört zu jeder Autofahrt, Legitimationen werden verlangt, die Nummer wird aufgeschrieben, alles mit großer Wichtigtuerei. Ein deutsches Ehepaar, das in der Nähe von Maracay diese Sache nicht genug ernst nahm, konnte einige Wochen lang in den wenig komfortablen Gefängnissen über die speziellen venezolanischen Verkehrsvorschriften nachdenken.

Übrigens sind die Wege im allgemeinen sehr gut, und der zwischen Caracas und La Guaira gehört sicher zu den schönsten der Welt. Die Serpentinenwege schlängeln sich über unergründliche, schwindelerregende Abgründe. Der Weg wendet sich abwechselnd gegen die menschenleere, ungeheure Steinwüste, über die nur hochfliegende Adler ihre Schatten werfen, um dann wieder den Blick auf den Ozean freizugeben, der hier von wahrhaft südlicher Bläue ist, und auf die tropische Vegetation, auf Kokospalmen, Bananenplantagen und rot aufglühende Bougainvilles.

Was für ein reiches, schönes Land ist dieses Venezuela. Man findet hier nicht nur Petroleum, sondern auch die üppigsten, reichsten Kakao- und Kokospalmenplantagen, unübersehbare Kaffeefincas. In den Urwäldern gibt es Gold und Gummi, und auf den unendlichen Savannen, den Almen des Urwalds, findet das Vieh die beste Weide.

Auf dem Markt von Caracas werden die herrlichsten Früchte ausgebreitet. Duftende Berge von Ananas, Hunderte Arten von Mangos, Melonen, Papajas, Avocados, zuckersüße Mispelarten, Saphodilas genannt.

Aber trotz des Reichtums sieht man überall furchtbarste Armut. In der Kakaofabrik, die ich besuchte, waren die meisten »Arbeiter« acht- bis zwölfjährige Kinder, deren magerer, ausgezehrter Körper nur mit einem Badehöschen bekleidet war und die 191 Kakaokörner sortierten. Bei den Wegearbeiten klopfen vielfach Frauen in der glühenden Sonne Steine.

Die Hütten der ärmeren Bevölkerung bestehen nur aus einigen Holzlatten.

Um so prunkvoller sind allerdings verschiedene Klubs und die öffentlichen Gebäude Caracas'.

In Porto Cabello fällt das große Gefängnis, das mitten im Meer liegt, auf.

In Venezuela gibt es keine politischen Prozesse. Die Todesstrafe ist schon seit vielen Jahren abgeschafft, und man wagt es nicht, sie wieder einzuführen, also werden alle unbequemen politischen Gefangenen nach Porto Cabello gebracht. Mittelalterliche Grausamkeiten gehören zur Gefängnisordnung. In Zellen ohne Fenster, in Zellen halb unter Wasser werden die Unbequemen verbannt, nicht auf bestimmte Jahre, denn es gibt ja keine Verurteilungen, nein, man wartet ab, wie lange sie es aushalten.

Das Gefängnis ist nur einige Ruderschläge weit vom Ufer, es kommen und gehen Boote mit Gefangenen und ihren Wächtern, die Soldaten sind.

Die Gefangenen arbeiten in verschiedenen Plantagen und bei dem Wegebau unter Aufsicht. Es ist leicht, sie anzureden.

»Sind Sie ein Politischer?« fragt der Argentinier unseres Schiffes einen Gefangenen, der uns freundlich zulächelt.

»Gott sei Dank, nein«, erwidert er ganz verletzt.

»Er ist ein Raubmörder«, sagt der Soldat, der ihn beaufsichtigt. »Die Politischen dürfen gar nicht heraus, sie arbeiten nicht, aber sie kommen auch nicht an die Luft. Alle die Gefangenen, die Sie hier sehen, sind gewöhnliche Verbrecher.«

»Ja, wir wollen nichts mit Politik zu tun haben«, erklärt noch der beleidigte Raubmörder.

Auf jeden Gefangenen, der arbeitet, kommt ein Soldat, der zusieht.

Man braucht so viele Soldaten in Venezuela. Der Rekrutenfang ist eine komplizierte Sache trotz der strengen Polizeikontrolle und des Meldungssystems. Venezuela ist zweimal so groß wie Deutschland, und von seinen drei Millionen Einwohnern kann es so manchem gelingen, außerhalb der Städte, wo gleich die Urwälder beginnen, unangemeldet zu leben. Doch die Obrigkeit kennt den Zauber der Zivilisation, der früher oder später die versteckt 192 Lebenden in Kinos und Spielstuben lockt. Es kommt deshalb oft vor, daß die Kinos von der Polizei umstellt werden und dann sämtliche jungen Männer in militärpflichtigem Alter, die nicht ein bestimmtes Einkommen nachweisen können, als Soldaten eingezogen werden.

Schuhe haben weder die Gefangenen noch die Soldaten, und die Soldaten sind auch Gefangene, nur daß sie dafür das Bewußtsein haben können, eine hohe Aufgabe zu erfüllen.

Cumana, ein Kriegsschauplatz aus der neueren Geschichte

Kein größeres Schiff fährt nach dem Hafen von Cumana, aber auch unser Dampfer von wenig ansehnlichem Format ankert vorsichtigerweise weit draußen im Hafen. Die Landungsbrücke ist so morsch, daß jede stärkere Schiffsbewegung sie zersplittern könnte.

»Gerade darauf warten sie«, sagte der Kapitän, »dann müßte die Schiffsgesellschaft die Brücke neu bauen lassen.«

Vorläufig aber erfüllt sich noch nicht diese Hoffnung der Hafenbehörden. Der Molo von Cumana ist noch der gleiche wie zu jenen Zeiten, als Delgado mit seinen Truppen hier landete.

»Der ›Falke‹ ankerte ungefähr auf derselben Stelle wie wir«, sagte der Kapitän.

Die indianischen Schiffer, die uns an Land bringen, wissen sie überhaupt, was sich hier vor einigen Jahren abspielte?

Ja, sie wissen es, sie sind bereit, gegen Eintrittsgeld den Kriegsschauplatz von Cumana zu zeigen.

In Cumana sieht man einige »bessere« Häuser und sehr viele armselige Hütten. Die Stadt hat inzwischen auch durch ein Erdbeben gelitten.

Der Kriegsschauplatz liegt weit draußen zwischen Kokospalmenplantagen. Diese Palmen, die scheinbar kaum die schwere Frucht tragen können, sehen sehr tropisch, sehr üppig aus, aber die Plantagen sind mit Stacheldraht umzäunt und zeigen so an, daß sie nur für einen bestimmten Besitzer Früchte tragen, genau so, als wären sie ein gewöhnlicher Obstgarten irgendwo.

Es wird sehr eifrig gearbeitet. Die Arbeiter der Plantagen sind 193 Kinder, Männer, alte Frauen, es arbeiten ganze Familien zusammen.

Nur so können sie irgendwie ihr Leben fristen.

»Zwei Bolivas am Tage, wie soll man davon leben?« sagte uns ein altes Weibchen, eine Indianerin, die Kokosnüsse sammelt und zu einem Wägelchen trägt, das von einem Maulesel gezogen wird.

»Ob ein General oder der andere, für die Armen bleibt es gleich schlecht«, sagt der Indianer, der uns führt.

»Was verdienen die Kokosabschneider?« Diese müssen wahre Akrobatenkunststücke vollführen. Junge Indianer klettern mit Affengeschicklichkeit die Bäume hinauf, während sie zwischen den Zehen riesige scharfe Messer festhalten, aber ganz ohne kriegerische Absicht. Wenn sie oben in der Baumkrone angelangt sind, schwingen sie kunstvoll das Messer und hauen die Kokosnüsse hinunter vom Baum.

»Nicht mehr wie die anderen. Alle verdienen kaum so viel, daß sie sich sattessen können.«

Die Nationalspeise der südamerikanischen Armen ist Reis, zusammengekocht mit roten Bohnen, viele leben von nichts anderem. Schuhe und Betten sind ein Luxus, den nur die wenigsten kennen, auch die Arbeiter in der Fabrik, in der Kopra und Kokosöl hergestellt werden, stehen sich nicht besser. Wahlrecht haben sie nicht. Eine große Anzahl von ihnen sind Analphabeten. Das ist der Hintergrund der Schlachtfelder von Cumana, auf denen gekämpft wurde für die heiligen Interessen der Petroleummagnaten.

Trinidad, die Insel des Asphalts und Petroleums

Trinidad, die Karibische Insel, wirkt mit ihren blumenprächtigen Tälern, mit den von Urwäldern durchzogenen Höhen so paradiesisch, daß man sich erst schwer vorstellen kann, daß auch hier das Petroleum Herrscher sein soll. Aber bald merkt man, daß in dieser britischen Kolonie das Paradies ganz neuzeitlich und der Urwald ein hochkapitalistischer, industrialisierter ist.

Die Mahagoni- und Zedernbäume werden von einer Edelholzverwertungs-Gesellschaft ausgebeutet. Die Kakaowälder mit den 194 Früchten, die riesigen Erdnüssen ähneln, gehören der amerikanischen Schokoladenfabrik Hershey (in New York habe ich in seiner Fabrik einmal einige Tage lang Schokolade in Stanniol gewickelt, so klein ist die Welt). Die Kokoshaine sind Eigentum einer englischen Copra-GmbH. Die saftig strotzenden Zuckerrohrfelder, auf denen indische Kulis arbeiten, sind Besitz javanisch-holländischer, englischer und amerikanischer Aktiengesellschaften.

Hinter der Hecke der rotglühenden Hibiskussträucher tauchen Bohrtürme auf, englische und amerikanische Bohrtürme. Den Amerikanern ist es gelungen, auch auf dieser Insel wichtige Konzessionen zu erhalten. Auch hier stehen die beiden größten Petroleuminteressenten der Welt neben- und gegeneinander.

Nur der Asphalt ist noch ganz englisch, obgleich er auch Öl enthält.

Der »Asphaltsee« ist die Hauptsehenswürdigkeit Trinidads, eine Sehenswürdigkeit, an der man überhaupt zunächst nichts Sehenswertes entdeckt. Er ist ein ungeheurer Tümpel, ein seichter Sumpf, von Wasser leicht bedeckt.

Aber mitten auf dem Tümpel stehen Gestalten, bücken sich, tragen Lasten, und eine kleine Feldbahn rollt sicher über die scheinbar weiche, dunkle Masse.

»Wollen wir hingehen und sehen, wie sie den Asphalt gewinnen?«

Es ist ein merkwürdiges Gefühl, buchstäblich über einen Vulkan zu wandern, denn der Asphaltsee füllt einen Krater aus. Die Sohlen spüren das leichte Schaukeln, das Brodeln unter der dünnen Kruste.

Die Arbeiter sind in der Nähe der Feldbahn postiert. Neger, Inder, Chinesen, halb nackt, stechen mit gleichmäßigen, genau berechneten Bewegungen den Asphalt, als wäre er Torf. Die Asphaltblöcke werden zu den Waggons getragen, die, sobald sie gefüllt sind, in Lagerräume rollen, in Fässer gefüllt werden und auf einer Schwebebahn, direkt zum Transport bereit, zum Hafen gleiten.

Plötzlich kommt ein Schauer. Auf Trinidad regnet es mindestens ein dutzendmal täglich, der Regen ist jedesmal eine Flut. Schon in den ersten Augenblicken ist man vollkommen durchnäßt. Das Wasser trieft von den Arbeitern, aber sie blicken überhaupt nicht auf. Die Arbeit geht trotzdem am laufenden Band 195 weiter, sie ist schwer und schlecht bezahlt, diese Arbeit über dem Krater, mit dem Blick auf Urwälder, Bohrtürme und Petroleumtanks. Die Arbeiter leben in Abgeschiedenheit, in armseligen Hütten, in einer Luft, die schwer ist von Pech- und Petroleumgestank.

Vor den Arbeitern stehen immer nur wenig leere Waggons.

»Sie sollen nicht das Gefühl haben, gehetzt zu werden«, sagte der Aufseher, »eine lange Reihe von leeren Wagen läßt die Arbeit, die noch vor ihnen liegt, schwerer erscheinen.«

Aber dieses liebevolle Eingehen auf die Psychologie der Arbeiter schließt die Berechnung der Möglichkeit der Arbeitsleistung nicht aus. Es ist genau festgestellt, wieviel Asphalt ein Arbeiter stechen kann, jede Armbewegung wird genau gemessen und berechnet.

Das Merkwürdige nur bei diesem Asphaltsee ist, daß hier die Natur trotz aller Kontrolle nach Gesetzen waltet, die die Wissenschaft noch immer nicht lösen konnte. Auch sie arbeitet am laufenden Band, nur konnte man nicht herausfinden, wie sie das macht.

Abends nach Sonnenuntergang beginnt die Oberfläche an den Stellen, wo gearbeitet wurde, leicht zu brodeln, und bis zum nächsten Morgen füllt sich der Boden, der noch abends Lücken aufwies, mit neuer Asphaltmasse. Wenn die Arbeiter antreten, ist der See wieder ein gleichmäßiger Tümpel, der aussieht, als hätte ihn noch nie Menschenhand berührt.

So ist der Asphalt, obgleich Sinnbild der Überkultiviertheit in den Augen der Schollenliebhaber, unveränderte und immer noch unerklärliche Natur in diesem sonst so zivilisierten Urwald.

Ein deutscher Angestellter dieser Asphalt-Gesellschaft erzählte von den »Falke«-Abenteurern, die hier auf der Insel in Port of Spain gefangengehalten wurden.

»Ja, den Engländern gefiel diese ganze Geschichte nicht. Nachdem die Besatzung freigelassen wurde, ist es einem der Offiziere gelungen, hier auf den englischen Petroleumfeldern eine Stellung zu finden. Aber als man erfuhr, daß er zu den ›Falke‹-Leuten gehörte, wurde er fristlos entlassen. Allerdings hat er später doch sein Glück gemacht, er kam nach Amerika und hat jetzt bei einer großen amerikanischen Ölgesellschaft einen einträglichen Posten.«

Im Hafen liegt der »Falke«, etwas ramponiert und umgetauft auf 196 einen unverdächtigen Mädchennamen (inzwischen allerdings hatte er bei der Revolution in Havanna neue Abenteuer bestanden).

Ein kleiner Ausschnitt aus den Rebellionen und Revolten in Südamerika. Die Feuerfunken, die aus den Petroleumfeldern immer wieder Kriege entfachen müssen, können nur durch eine Wirtschaftsordnung im Keime erstickt werden, die solche Konkurrenzkämpfe von vornherein ausschaltet.

Helle Lichter durchzucken den dunklen tropischen Himmel. Es wetterleuchtet.

 


 


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