Maria Leitner
Eine Frau reist durch die Welt
Maria Leitner

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I Als Arbeiterin im Schatten der Wolkenkratzer

Als Scheuerfrau im größten Hotel der Welt

Das ging eigentlich ganz gut – dachte ich, während ich das Formular mit den vielen neugierigen Fragen der Hotelleitung ausfüllte. Wo ich schon überall angestellt war, ob ich die Absicht habe, falls ich nicht Amerikanerin sein sollte, eine zu werden. Und vor allem, wen man verständigen solle für den Fall, daß ich erkranke. Daß man gleich auf das Schlimmste gefaßt ist, klingt zwar nicht gerade ermutigend, aber sonst scheine ich es gar nicht so schlecht getroffen zu haben. Ich hätte zwar nicht verraten sollen, daß ich erst seit einigen Tagen in Amerika bin. Es wäre vielleicht doch besser gewesen, Stubenmädchen zu werden, obgleich zwanzig Zimmer und zwanzig Badezimmer in sieben Stunden zu reinigen keine Kleinigkeit ist. Ob ich das fertiggebracht hätte? Und die Beruhigung, daß ich später fünfundzwanzig Zimmer und fünfundzwanzig Badezimmer in Ordnung zu bringen hätte? Nun werde ich wenigstens leichte Arbeit haben, nur die Ordinationszimmer des Zahnarztes reinigen, die Nickelinstrumente putzen, was kann daran schon schwer sein? Viel verdiene ich gerade nicht. Täglich einen Dollar. – Aber ich habe volle Verpflegung und »Zimmer mit Bad«, sagte die freundliche alte Dame, die mich aufgenommen hat.

6 Auf dem Löschpapier, auf dem Formular, überhaupt wohin man nur blickt, steht zu lesen, daß man sich in dem größten Hotel der Welt befindet mit zweitausendundzweihundert Zimmern und zweitausendundzweihundert Badezimmern, und ich bin nicht wenig stolz, daß es mir gelungen ist, hier eine, wenn auch bescheidene Stellung zu finden.

Ich erscheine deshalb sehr erwartungsvoll am nächsten Morgen um acht Uhr. Es dauerte eine Weile, bis wieder alle Formalitäten erledigt sind und ich aufs Zimmer geführt werde.

Das »Zimmer mit Bad« ist ein langer, stockfinsterer Raum, in dem acht Betten stehen. Ich bekomme das Fach eines langen Blechkastens als Kleiderschrank zugewiesen. Dann gibt man mir eine Nummer, ich bin Nummer 952, eine Eßkarte, eine blauweißgestreifte Uniform und eine Karte, die ich bei Beginn und Ende meiner Arbeit abstempeln lassen muß.

Schließlich erhalte ich einen Eimer, Seife, Tücher, eine Scheuerbürste und einen kleinen Teppich (wozu dies alles?), während die freundliche alte Dame, die mir heute schon weniger freundlich erscheint, mich in einen etwas geräumigen Vorraum führt und mir erklärt, daß ich diesen aufwischen muß. (Aber wie ist es mit den Ordinationszimmern des Zahnarztes?)

Der kleine Teppich und seine Berufung

Wie wischt man eigentlich einen Fußboden auf? Ich frage jedenfalls vorsichtigerweise, wie man dies in Amerika beziehungsweise im Hotel »Pennsylvania« zu machen gewohnt ist. Aber ich merke, daß diese Frage keinen guten Eindruck hervorgerufen hat. »Also seifen Sie doch endlich die Bürste ein und fürchten Sie sich nicht so vor dem Wasser. – So, und dann mit dem nassen Tuch aufwischen. – Und knien Sie sich doch hin!«

Auch das noch. Adieu, Schuhe und Strümpfe. Muß ich aber meine Knie auch noch kaputt machen? Ich dachte, die Amerikaner sind so praktisch und machen alles mit der Maschine. Zum Glück fällt mir der kleine Teppich ein. Bisher ist er in keiner Weise in Erscheinung getreten, aber da man ihn mir gegeben hat, muß er doch irgendeine Berufung haben. Ich nehme ihn also, und während ich aufwische, knie ich mich auf ihn. (Scheint so eine Art 7 Gebetteppich zu sein.) Wenn ich mit einem Stück fertig bin, ziehe ich mit ihm weiter. Es ist ein bißchen umständlich, aber es geht doch besser so als vorhin. Nur an dem Ausdruck der alten Dame merke ich, daß irgend etwas nicht ganz stimmt. Endlich erklärt sie mir mit einer Stimme, die zwar sanft ist, aber deren Sanftheit man anhört, daß sie nicht geringe Selbstbeherrschung gekostet hat, daß der kleine Teppich keineswegs dazu da sei, meine Knie zu schützen, sondern die Umgebung, die im gegebenen Fall aus feinen Teppichen bestehen kann, vor den Spuren des Eimers.

Ich stand beschämt auf, während ich mir gestehen mußte, daß an dem Boden nach dem Schrubben nur geringe Veränderungen zu entdecken waren.

Perspektiven und Plakate

Zum Glück wurde es bald elf, was den Beginn des Lunches bedeutet.

Im Speisesaal mußte ich meine Eßkarte, die gelocht wurde, vorweisen. Auf ihr stand zu lesen, daß es für die Nachtschicht auch während der Nacht drei Mahlzeiten gebe, daß sie unübertragbar sei und daß sie nur zu täglich drei Mahlzeiten berechtige.

Ich nahm wie die anderen vom Büfett der Reihe nach, was man mir reichte, Suppe, Fleisch, Speise, Kaffee und Milch.

Das Essen war genießbar, wenn man auch anerkennen mußte, daß dem Koch ein überaus scharfes Messer zur Verfügung stehen mußte. Ich habe noch nie ein ähnlich dünnes Stück Fleisch gesehen.

Aber schwere Arbeit trägt nicht zur Hebung des Appetits bei, und so ließen die meisten trotz der kleinen Portionen den größten Teil stehen.

Die Frau, die mit mir am selben Tisch saß, war mit dem Essen sehr zufrieden. Sie erzählte, daß sie bisher im Hotel »Plaza« gearbeitet hat.

»Oh«, sagte ich, »das ist wirklich ein entzückendes Hotel.« (Es ist wirklich eines der schönsten und vornehmsten Hotels der Welt, dicht am Zentralpark gelegen, mit allem erdenklichen Komfort und Luxus.)

Die Frau mir gegenüber sah mich mit kugelrunden Augen an, als wäre ich nicht ganz bei Verstand.

8 »Das sagen Sie doch nicht im Ernst. Oder Sie haben wohl da nie gearbeitet. Entzückend mag es vielleicht für die Gäste sein, aber nicht für unsereinen, der dort arbeitet. Wir bekamen ganz ungenießbares Essen und mußten fast alles, was wir verdienten, für Lebensmittel ausgeben, und Arbeit gab es nicht zu knapp.«

(Es kommt eben auf die Perspektive an, ob man ein Hotel schön finden kann oder nicht.)

Hier in unserem Speisesaal saßen die Stubenmädchen, die Reinemache- und Badefrauen, alle in verschiedenen Uniformen, man konnte ihre Beschäftigung an ihren Kleidern erkennen. Die Angestellten, die schon eine höhere Stellung einnahmen, saßen im Nebenraum, von dieser niederen Stufe getrennt.

Während es um ihr leibliches Wohl besser bestellt war als um unseres, legte die Hotelleitung größeren Wert auf Hebung unserer moralischen Kräfte.

In unserem Speisesaal befand sich ein großes Plakat, auf dem ein Orchester abgebildet war und ein eigenmächtiger Bläser, der den Dirigenten und die Zuhörerschaft zur Verzweiflung brachte. Darunter aber war zu lesen: »Ich, mir, mich, mein gibt keine Harmonie, nur wer sich dem Ganzen fügt, kann den Menschen Freude bringen.«

Wir können also die Genugtuung haben, die Menschen zu erfreuen, denn fügen tun wir uns ja, ob wir wollen oder nicht.

Die Plakate wechselten jeden zweiten, dritten Tag. Einmal war eins ausgestellt, das weniger die Interessen eines Hotelkonzerns seinen Angestellten gegenüber wahrzunehmen schien; ein Mann grub mit bloßer Hand Erde. Die Aufschrift lautete: »Scheue keine Mühe, grabe nach der Wahrheit. Was du selbst erfahren hast, nur daran glaube.« Eine gefährliche und seltsame Aufforderung in dieser Umgebung.

Während uns die Plakate versicherten, daß wir auch in niedriger Stellung nützliche Mitglieder der Gesellschaft sein können, zeigte uns eine Photographie, daß uns auch die Wege, die nach oben führen, offenstehen. Auf der Photographie waren Männer und Frauen in Overalls, d. h. in Arbeitskleidern, abgebildet. Darunter stand der vielversprechende Satz »Diese Delegation hat in Overalls verschiedene Fabriken und Bergwerke im Auftrage der Regierung inspiziert. Mehrere Mitglieder der Delegation haben ihre Karriere selbst in Overalls begonnen.« 9

Der Ballsaal auf dem Dach und die Marmorsäulen

Den Ballsaal lernte ich nach dem Lunch kennen. Es war ein Riesensaal, zweiundzwanzig Stockwerke hoch über New York, umgeben von Säulen, die mir sofort, bevor ich mein zukünftiges Verhältnis zu ihnen ahnte, unsympathisch waren. Sie sahen aus, als wären sie aus Papiermaché und imitiertem Marmor, sie waren aber aus Marmor und imitierten nur Papiermaché. Diese Säulen aber sollte ich reinigen. Nur die unteren Teile, beruhigte man mich, ich brauchte nicht hinaufzuklettern. »Und wenn Sie fertig sind, bekommen Sie neue Arbeit.« Darauf verließ man mich, und ich blieb allein mit den Säulen, zur Säule erstarrt. Wenn ich fertig bin! Ich versprach mir, nie fertig zu werden. Ich versuchte die Säulen abzustauben, aber es war vergeblich, ich rieb sie mit einem nassen Tuch, es half nichts. Und was ging mich überhaupt eine so blöde, überflüssige Arbeit an? Wenn die Leute zwischen reinen Säulen tanzen wollen, sollen sie sie gefälligst selbst putzen. Soll ich mich zu Tode arbeiten, damit einige gelangweilte Leute in ihnen entsprechender Umgebung irgendwie ihre Zeit totschlagen? Wäre ich zufällig Simson gewesen, so hätte jetzt leicht ein Unglück im Hotel »Pennsylvania« geschehen können.

Endlich kamen Leute, um die Marmorfliesen aufzuwischen. Sie begrüßten mich mit Hallos. Ich mußte gleich erzählen, seit wann ich in New York lebe, welcher Nationalität ich bin, wo ich früher gearbeitet habe und ob ich die Arbeit liebe. Diese Frage: »How do you like it?«, die sich immer auf den »job« bezieht, ist unter den Arbeitern genauso allgemein wie das »How do you do?« in der Gesellschaft. Wird sie von dem »boss« gestellt – »boss« heißt nicht nur der eigentliche »Arbeitgeber«, sondern jeder, der einem übergeordnet ist –, muß man sie mit einem fröhlichen »Yes, I like it« beantworten, andernfalls bedeutet es, daß man einen Bruch der Beziehungen wünsche.

Diesmal durfte ich bekennen, daß ich sie nur wenig liebe. Meine Arbeitskollegen zeigten mir dann, wie man die Säulen mit einer Bürste behandeln muß. Sie halfen mir redlich. Ich erfuhr auch, daß meine Vorgängerin acht bis zehn Tage sich für diese Arbeit nahm, nach einer anderen Version sogar zwei Wochen. »Nur immer langsam«, klärten sie mich auf, »wenn Sie in dem Tempo arbeiten, wie man es von Ihnen verlangt, können Sie sich halb zu 10 Tode arbeiten.« Und es ist wirklich notwendig, das Tempo »nur immer langsam« dem »schnell, schnell« der Gegenseite entgegenzustellen.

Wolkenkratzer ringsherum – und der Dichter im Lehnsessel

Meine Hand schmerzte, ich war müde, am liebsten hätte ich geheult. Oder habe ich wirklich geheult?

Denn ein alter Ire, der auch oben arbeitete, kam auf mich zu und sagte mir: »Kommen Sie doch, schauen Sie.« Er wies hinunter auf New York. Die Stadt zeigte sich uns ganz: dort, wo sie festlich gepflegt war, am oberen Hudson, und dort, wo dichte Fabrikschlote den Himmel verdunkelten. Und von allen Seiten sahen Wolkenkratzer zu uns herein. »Dear old New York«, sagte der Ire, liebes, altes New York. Das konnte ich nicht gerade finden.

Ja, es ist ungeheuer, dieses gigantische Durcheinander von Warenhäusern, Fabriken, Banken, Bürohäusern, alles voll Arbeit, Menschen, Hast. Und tief unten rasen die Autos, Menschen, Hochbahnen, rasen, halten, rasen, halten, ohne Pause.

Die Wolkenkratzer sind zum Teil so nahe, daß wir in sie hineinsehen können. Überall sitzen, stehen, gehen Menschen, ein wahrer Schwarm von Menschen. Sie hantieren alle sehr geschäftig. Vielleicht packen sie Kaugummi, oder sie machen Seidenkleider, jeder täglich ein Dutzend, oder Kunstblumen oder Fransen.

Ist hier nicht Leere, das Nichts in höchster Potenz, fieberhafte Zwecklosigkeit?

Aber wie sie aufleuchten, die Wolkenkratzer, und unten welches Leben, welche Bewegung, welches Tempo! Die Leere, das Nichts können nicht groß sein. Und sicher bereitet sich auch hier die Zukunft vor.

Später kommen immer mehr Leute hinauf. Sie bewundern, in Begleitung des Hotelführers, die Aussicht.

In der Mitte des Saales sitzt sehr bequem ein junger Mann. Vielleicht würde ich es nicht bemerken, wie sehr bequem er sitzt, wenn ich nicht so müde wäre. Er sitzt in einem bequemen Lehnsessel, der jedenfalls sehr bequem aussieht. Vielleicht ist er ein Dichter, denn er hält einen Füllhalter in der Hand und schreibt in ein Büchlein. Es könnte natürlich auch sein, daß er seine 11 Ausgaben zusammenrechnet. Aber wenn man das tut, blickt man nicht so versonnen, so gedankenvoll auf die Wolkenkratzer ringsherum. Auch schaut er sich angelegentlich immer nach uns um, die hier arbeiten. Ich weiß nicht, ich habe die feste Überzeugung: Der junge Mann im Lehnsessel ist ein Dichter, eine Hymne auf die Arbeit.

Die Zufriedene und die anderen

Das Zimmer sah jetzt aus wie ein Hospitalsaal für Schwerkranke. Die Frauen lagen da wie Tote, vollkommen unbeweglich. Es waren außer meinem nur noch vier Betten besetzt. Mein Kommen erregte nicht die geringste Aufmerksamkeit.

Das Zimmer war denkbar einfach: die Betten rein, aber wie waren sie schmal und leicht. Überdies standen sie auf Rädern, so daß man, wenn man sich umdrehte, in die Mitte des Zimmers rollte. Außer dem Blechschrank waren noch zwei Kommoden im Zimmer; die eine war mit Heiligenbildern und dem Bildnis des Papstes geziert, außerdem gab es noch zwei winzige Schaukelstühle als Belohnung für diejenigen, die schon lange hier waren. Das »Bad« existierte zufällig wirklich, man konnte jederzeit baden, und die Badezimmer waren rein und modern.

Meine Nachbarin war die Zufriedene, am Anfang war sie mir unheimlich. Sie zog sich nie aus; sie lag mit Schuhen und Kleidern in ihrem Bett. Unter der Uniform trug sie noch ein schwarzes Kleid. Ihr Gesicht war erschreckend mager und gelb, und ihre Hände schienen nur aus Adern zu bestehen. Nachts schlief sie nicht, sie saß unbeweglich und starrte ins Dunkle, oder sie stand auf und ging zum Fenster und blickte hinaus, unbeweglich, stundenlang, aber draußen war nur der dunkle Schacht und nichts zu sehen.

Als ich sie fragte, warum sie nicht schläft, war sie überrascht. Wieso? Sie schliefe doch immer ausgezeichnet. Ich fragte sie, ob sie nicht müde sei. Ein bißchen war sie schon müde, aber das wäre nicht der Rede wert. Sie hätte überhaupt immer Glück im Leben gehabt, immer wäre es ihr gut ergangen. Sie war vor einem Jahr aus Irland herübergekommen. Es gefällt ihr hier sehr gut. New York ist eine sehr schöne Stadt. Während ich dort war, ging sie nie aus. Wenn man aus unserem Zimmer blickte, sah man nur 12 Wände. Sie war Badefrau und arbeitete im Dampfbad. Viel konnte sie von der Außenwelt auch hier nicht sehen. Ich erkundigte mich, ob sie sonst öfter ausging. Ach nein, das nicht. Was sollte sie draußen in den Straßen umherlaufen. Nein, nicht wegen der Müdigkeit, aber hier war es doch nett. Anfangs mochte sie nicht so gern hier sein, aber jetzt gefiel es ihr. Später würde es mir auch sehr gefallen, versicherte sie. Sie hatte hier eine Schwester, aber sie wohnte leider so weit. Aber sie besuche sie doch manchmal, das wäre dann immer sehr nett. Sie verdiene hier im Monat dreißig Dollar, das wäre doch schön. Mit den Trinkgeldern sei nicht viel los. Sie sei seit vier Monaten hier und habe im ganzen nicht mehr bekommen als drei Dollar. Aber sie erinnert sich genau an das Datum, wann sie ein »tip« bekommen hat, wieviel und von wem. Besonders ausführlich beschreibt sie eine Frau, die ihr fünfzig Cent gegeben hat.

»Ja, die Reichen«, sagt sie, »ich habe mein ganzes Leben lang für die Reichen gearbeitet, aber ich habe mich dabei immer gut gestanden.« Und sie sieht auf sich herab, auf ihre Magerkeit, auf ihre abgearbeiteten Hände, und lächelt zufrieden und heiter. Ist sie ironisch? Sie ist es auf ganz ahnungslose Weise. Oder ist auch diese Ahnungslosigkeit Ironie?

Das Gegenspiel der Irländerin ist die »Dame«. Sie kleidet sich immerfort um. In der Arbeitspause von einer halben Stunde wechselt sie zweimal die Kleider. Wenn sie ihre Freundin besucht, die einige Zimmer weiter wohnt, zieht sie ihr Jackenkleid an, Hut, Handschuhe und Pelzboa. Sie sagt, wenn ich nicht arbeite, bin ich keine Badefrau, sondern eine »lady«.

Zum Abendessen, um fünf, kommen die meisten in Zivil, in Seidenkleidern, und vergessen nicht das Eitelkeitstäschchen, »the vanity case«, mit Schminke und Puder. Sie gehen nicht jeden Tag aus, sie sind zu müde, und das kostet auch zuviel; wenn sie eingeladen werden von dem »fellow«, das ist was anderes. Sie gehen gern zum »dancing«, doch das kann man nicht alle Tage. »Aber«, sagt die eine, »wir sind keine Fabrikmädchen. Wir haben es nicht nötig, uns einladen zu lassen. Wir haben doch unser Essen!« Ob sie gern hier ist, frage ich die Deutsche. Sie ist schon in Amerika geboren, war noch nie in Deutschland, sagt aber, sie sei eine Deutsche. Sie kam zu mir, weil sie gehört hatte, ich sei vor kurzem aus Deutschland gekommen. Sie arbeitet schon seit sechs 13 Jahren in diesem Hotel. Nun, meint sie, man darf vom Leben nicht zuviel erwarten. Man hat jeden zweiten Sonntag frei, aber erst, wenn man einen vollen Monat hier gearbeitet hat, und nach einem Jahr bekommt man sogar eine Woche frei, und es gibt einen Arzt frei für die Angestellten, Trinkgeld bekommt sie auch hie und da. Sie hat schon viel Schlimmeres erlebt. Aber wie gesagt, man darf vom Leben nicht zuviel erwarten.

Wir sitzen jetzt im »Salon der Dienstmädchen«, der genau, aber haarscharf genauso aussieht, wie man sich ein »drawingroom for maids« in dem »größten Hotel der Welt« vorstellt. Mit ebensolchen abgenutzten, schiefen, zerdrückten, billigen Möbeln, mit so schmutzig farblosen Wänden, mit so grauer, abgestandener Luft! Die Mädchen kauern in ihren Seidenkleidern todmüde auf den Stühlen. »Keinen Schritt mehr könnte ich weitergehen«, sagt eine, die Pantoffeln anhat. »Ich habe morgen frei«, sagte ihre Freundin. »Ach, wie ich mich freue. Ich werde den ganzen Tag einkaufen, die Schaufenster angucken.«

Zwei Neue kommen herein. Sie sind sehr gut angezogen und sehr hübsch. Sie sind eingeladen. Müde? Das wird schon beim Tanzen vergehen. Man muß doch auch etwas vom Leben haben.

Die mit den Pantoffeln schüttelt mißbilligend den Kopf: »Wenn das nur nicht schlecht endet.« Und auch die anderen, die müde auf den Stühlen kauern, schütteln die Köpfe.

Die Irländerin sitzt angezogen im Bett. Auf der Kommode stehen die Heiligenbilder und das Bildnis des Papstes und sehen mich an. Die Wecker ticken sehr laut. Links von der Kommode schläft die Besitzerin der Heiligenbilder, rechts die des Papstes.

Die Besitzerin der Heiligenbilder ist sehr gutmütig und still, aber sie schnarcht sehr laut. Wenn sie nachts erwacht, kniet sie sich hin vor ihrem Bett und betet flüsternd. Sie steht um halb sechs Uhr auf. Jeden Tag geht sie vor dem Frühstück in die Kirche.

Die Besitzerin des Papstes ist weniger gutmütig, aber auch sie schnarcht.

Die Luft ist sehr schlecht. Und es ist schwer, einzuschlafen. 14

Die Hotelgalerie

Ich kann mir etwas Amüsanteres vorstellen, als künstliche Blumen abzuwaschen. Aber die Hotelgalerie, wo das geschieht, ist ganz amüsant. Man kann von ihr hinunterblicken auf die Hotelhalle. Unten kommen Reisende an, Telegraphenjungen schreien Namen, Koffer werden gebracht, Boys laufen mit Zeitungen umher. Die Hotelgalerie erinnert an die Galerie eines Konzertsaales, nur ist sie viel breiter, und Teppiche und künstliche Blumen »schmücken« sie. Von hier führen die Wege zur Kunstausstellung, zur Bibliothek, zu den Schreibzimmern, zur Hotelbank und zum Zahnarzt. (Es stellte sich übrigens heraus, daß die Ordinationszimmer des Zahnarztes existierten. Nur mußte ich die Arbeit, von der mir allein etwas gesagt wurde, von acht bis neun Uhr in der Früh erledigen.)

In der Hotelgalerie ist ein ständiges Kommen und Gehen. Leider muß auch ich ständig kommen und gehen, mit einem Eimer Wasser, das abwechselnd rein oder schmutzig ist.

Die Leute sitzen ringsumher. Sie langweilen sich und rekeln sich in den Sesseln. Sie sehen zu, wie ich arbeite. Wahrscheinlich denken sie: Die strengt sich aber auch nicht sehr an. Und die Frauen: Die Perle möchte ich auch nicht zu Hause haben. Denn ich beeile mich nicht. Ich gebe mir das Tempo an: sehr langsam, und befolge es auf das gewissenhafteste. Ich hätte nicht übel Lust, wenn ich mit dem Eimer voll schmutzigem Wasser vorbeigehe, »zufällig« einige Leute abzuschütten. Es gelang mir nur einmal, und da dachte ich gar nicht daran. Oh, die Lackschuhe, und die wütenden Augen, und obendrein mußte ich auch noch lachen.

Vincent Lopez spielt Jazz

Sie sitzen im Grillroom, gesittet, gelangweilt, gut angezogen, wie es sich ziemt.

Vincent Lopez aber, berühmtester Jazzbandspieler der Welt, läßt eine quiekende, heulende Meute von exotischen Tieren in den Saal springen, wilde Afrikaner zu Kriegstrommeln tanzen, eine besoffene Bauernhochzeitsgesellschaft vorbeigrölen.

Wenn ich im Grillroom säße, würde diese Musik 15 wahrscheinlich auch meine Magennerven wohltuend beeinflussen, denn sie essen sehr ausgiebig, die Gesitteten. Ihr Gesicht bleibt zwar gelangweilt, aber die wilden Naturinstinkte zeigen sich im Vertilgen von lebendem und totem Getier.

Wenn man aber im Vorraum dieses Grillrooms Nickel reinigt, befeuert die wilde Musik der Neger nur wenig zur Tat, wenn diese Tat Nickelputzen sein soll. Man möchte schon eher eine richtige, quiekende, heulende Meute von exotischen Tieren in den Grillroom springen lassen und sehen, ob auch dann die Gesitteten so gelangweilt blieben.

Ein ganz kleiner Dialog zwischen zwei Stubenmädchen

Szene: Ein Ordinationszimmer des Zahnarztes. Auf dem Schreibtisch stehen in einer Vase sehr zarte Teerosen.

Das eine Stubenmädchen: »Hast du die schönen Rosen gesehen, die der Doktor wieder bekommen hat?«

Das andere Stubenmädchen (es ist seit vier Jahren im Hotel »Pennsylvania«): »Hast du sie schon abgestaubt?« –

Wenn man ein Hotel, in dem man Angestellte war, für immer verläßt, so ist das umständlich wie ein Grenzübertritt.

Man wird von mehreren Damen einem wahren Kreuzverhör unterworfen. Wie? Warum? Wieso? Man bleibt doch nicht so kurze Zeit in einer »guten« Stellung.

Ich erkläre ihnen, daß ich die Dame, die mich aufgenommen hatte, mißverstanden habe.

Aber ich scheine doch etwas verdächtig zu sein. Ich muß meine Nummer, meine Eßkarte, meine Uniform, meine Arbeitskarte übergeben, dann meinen Koffer herunterholen, dann warten. Das alles nimmt fast einen ganzen Tag in Anspruch. Endlich kommt eine Dame, läßt mich den Koffer öffnen, schaut in ihn hinein. Ich schließe ihn, denke, die Sache ist erledigt. Eine andere Dame kommt aber, läßt mich den Koffer wieder öffnen, untersucht ihn. Erinnerungen an Reisen in der Nachkriegszeit erwachen. Endlich erscheint eine dritte Dame mit Bindfaden und Blei und plombiert den Koffer. Es ist Vorschrift, daß Angestellte nur mit plombierten Paketen oder Koffern das Hotel verlassen dürfen, obgleich man sich nicht recht vorstellen kann, daß jemand auf die Idee verfiele, 16 einen Topf künstlicher Palmen in seinen Koffer einzupacken, und die Juwelen, um die es sich schon eher lohnen würde, hätte man schon längst jederzeit in der Tasche wegtragen können. Draußen sieht der Portier die Plombe an und schneidet den Bindfaden ab.

Ich stehe draußen vor der Pennsylvania-Station. Ganz so, als hätte ich eben die Grenze eines fremden Landes überschritten.

 


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