Maria Leitner
Eine Frau reist durch die Welt
Maria Leitner

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Noch einmal Saint Laurent

Erfinder und Gräber

Als ich von Saint Laurent abfuhr, hatte ich verschiedenen Gefangenen versprochen, Briefe für sie zu befördern. Keiner hat es vergessen. Es gibt ungelenke Schriften, aber mancher merkt man auch an, daß für ihre Verfasser das Schreiben nichts Ungewohntes ist.

Werden je diese Briefe ihre Adressaten erreichen? Der Deutsche, der mir einen Brief für seine Verwandten in Kanada mitgab, gestand mir, seit zehn Jahren nichts von ihnen gehört zu haben. Ein Militärsträfling übergibt mir seine Erfindung, »das fliegende Maschinengewehr«, und wünscht von mir, daß ich sie an die amerikanische Regierung verkaufe, weil er mich für eine Amerikanerin hält. Sie haben alle die phantastischsten Ideen, wie sie zu Geld kommen könnten. Damit hätten sie die Möglichkeit zu fliehen. Und die Flucht ist die Sehnsucht aller, auch wenn sie wissen, es könnte die Flucht sein in den Tod.

Jetzt bietet sich ein Anblick auf der Straße, der diese Sehnsucht mehr als begreiflich macht. Sträflinge kommen heim von der Arbeit im Urwald, doch in welchem Zustand. In einem Karren, der von den Gefangenen gezogen wird, die sich noch aufrecht halten können, liegen jene, die nicht mehr weiterkönnen. Blutlose Körper durcheinander-, übereinandergeworfen, als wären sie Gegenstände. Sie sind kaum noch am Leben, schon halbe Tote. Der Karren wird hinten von zwei Torkelnden mit verbundenen Köpfen geschoben.

»Aber das ist ja grausig, unmenschlich. Kommt das öfter vor?«

»Ja, das kommt alle Tage vor.«

Jetzt kreuzt zufällig ein Leichenwagen den Weg, geschmückt mit tropischen Blumen. Auch seine Gefolgschaft ist seltsam. 79 Ministrantenkinder und bärtige Priester in roten Gewändern. Sie alle sind Neger, und sie beten und singen laut nach katholischem Ritus, aber mit tropischem Temperament. Auch Buschneger, Sträflinge und laut weinende Frauen folgen dem Sarg.

»Ein Sträfling?« frage ich.

»Es ist ein junger Negerknabe, der starb. Sträflinge werden anders begraben. Wenn Sie mitkommen auf den Friedhof, können Sie es vielleicht sehen.«

Bambus, das klingt so poetisch. In jedem exotischen Gedicht werden durch dieses Wort die anmutigsten Vorstellungen erzeugt. Bambus, das ist ein schlimmes Wort in Französisch-Guayana, denn Bambusse umzäunen die Friedhöfe, und unter Bambussen ruhen bedeutet den Tod.

»Hier, das ist der Friedhof der Sträflinge, die Gräber sind alle frisch. Es ruhen hier nur Tote der letzten Monate und die anderen, die früher gestorben sind. Nach einem Jahr werden alle Gräber vollkommen abgebrannt, dann gibt es wieder neue Begräbnisstätten, man hat nicht soviel Platz, um die Toten allzu lange ruhen zu lassen.«

Wie die Holzstäbe in den botanischen Gärten, auf denen die Pflanzenart verzeichnet ist, so sehen die Wahrzeichen der Gräber aus. Nur das Datum des Todes und der Familienname stehen darauf, ein internationales Namenverzeichnis: Landfried, Armand, Laifaoui, Slimi, Cavallet, Lheurenz, es gibt auch längere Namen, Lebli Rabah, Jahia ben Seghir.

Es gibt aber auch Gräber, die gepflegt sind, mit Blumen geschmückt, mit bemalten Kreuzen, mit Kränzen. Diese Toten hatten einen Freund. Da ist ein Grab mit einem großen, schwarzen Kreuz und zwei Kränzen aus künstlichen Blumen, deren Anschaffung für einen Sträfling ein Vermögen bedeuten mußte. Auf das schwarze Kreuz ist mit weißen Buchstaben die Widmung gepinselt: Meinem unvergeßlichen Freund George, dem besten Kameraden.

Dann ist noch da die Reihe offener Gräber. Die Sträflinge schaufeln sie im voraus, wahrscheinlich aus administrativen Gründen. Es kann sein, daß der Gräber selber von dem Grab, das er gegraben hat, verschlungen wird. Diese offenen Gräber, sie gleichen sich vollkommen, sie sind genau abgezirkelt. Nichts habe ich in ganz Französisch-Guayana gesehen, das so peinlich ordentlich gehalten worden wäre wie sie. 80

 


 


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