Maria Leitner
Eine Frau reist durch die Welt
Maria Leitner

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II Im Lande des Schreckens

Cayenne, ein unerwünschtes Reiseziel

Der Angestellte des französischen Konsulats will gerade meinen Paß visieren, da bleibt plötzlich sein Stempel in der Luft hängen, und er sieht mich entgeistert an: »Wohin wollen Sie fahren? Nach Cayenne? Aber das geht doch nicht so ohne weiteres.«

Ich muß warten. Nach einer Weile kommt ein anderer Angestellter auf mich zu: »Sagen Sie der Dame, es ist unmöglich, wir können kein Visum nach Französisch-Guayana geben.«

»Ich bin die Reisende. Ich fahre nach Westindien und nach dem nördlichen Südamerika und möchte auch nach Cayenne, da ich in der Nähe sein werde.«

»Haben Sie denn keine Angst? Dort gibt es noch richtige Wilde, Menschenfresser, und das mörderische Klima, davon haben Sie doch gehört?«

Es half nichts, daß ich ihn beruhigte, daß ich weder so dumm noch so ängstlich bin, wie ich offenbar ausschaue. Die Angestellten des Konsulats blieben dabei, sie könnten kein Visum nach Französisch-Guayana geben.

Aber sie setzten mir ein Telegramm auf für das Ministerium des Innern in Paris. Die Antwort kam bald. Die Einreise nach Französisch-Guayana wird verweigert, da die Möglichkeit bestünde, ich könnte von dort Artikel schreiben.

Nun, diese Gefahr war wirklich nicht unbegründet, aber warum sollte das Schreiben darüber eine Gefahr sein, wenn sich die 39 Verhältnisse in den letzten Jahren angeblich so sehr gebessert haben?

Die Angestellten des Konsulats zuckten nur die Achseln.

Aber man kann nach Paramaribo fahren, nach Holländisch-Guayana. Dort, schon ganz in der Nähe Französisch-Guayanas, wird es nicht mehr so merkwürdig und verdächtig erscheinen, wenn man erklärt, man beabsichtige, nach Cayenne zu reisen.

Ohne weiteres erhalte ich auch das Visum, das Schiffsbillett. Ja, ich werde noch weniger nach meinen Personalien und dem Reisezweck gefragt, als auf anderen Schiffsagenturen. Hier, in der Nähe des Äquators, erreicht die Hitze schon einen solchen Grad, daß der Bürokratismus etwas gemildert werden muß.

Als ich mich endlich auf der »Biskra« befinde, dem Schiff, das jeden Monat einmal nach Französisch-Guayana fährt, bin ich selbst überrascht, daß keine weiteren Hindernisse bestehen.

Wir sind schon in voller Fahrt, als ich mir meine Kabine ansehe. Auf dem Korridor ist es keineswegs kühl, wir haben 35 Grad im Schatten, aber als ich meine Kabine betrete, scheint es mir, daß ich aus angenehmer Atmosphäre in einen Backofen trete. Ich entdecke, daß sich in der Nähe die Heizkessel befinden.

Das Badezimmer am anderen Ende des Korridors ist so schmutzig, daß man trotz der Hitze kaum in Versuchung kommen könnte, es zu benutzen. Zum Glück funktionierte die Wasserleitung ohnehin nicht. Die Toilette ist ein echt englisches WC, aber zieht man an der Kette, gibt es sofort eine gefährliche Überschwemmung, die auf keinen Fall beabsichtigt war.

Ein Steward zeigt sich endlich, und ich zeige ihm mein schönes Billett erster Klasse. Auf der Agentur hatte man mir erklärt, daß weiße Frauen nur erster Klasse fahren dürften (damit die weiße Rasse ihr Prestige nicht verliere).

»Es scheint ein Irrtum zu sein, meine Kabine«, sie ist übrigens für vier Personen berechnet. »Das kann doch unmöglich erster Klasse sein.«

»Natürlich ist es erster Klasse.«

»Ich bin neugierig, wie hier die dritte Klasse aussehen muß.«

»Möchten Sie sie sehen?«

»Ja, allerdings.«

In einem dunklen Raum, der noch heißer ist als meine Kabine und in dem noch alle Gerüche nisten, die seit dreißig Jahren nicht 40 ausgelüftet werden konnten, türmen sich dicht übereinander schmale Kojen. Das ist die dritte Klasse, die Betten der dritten Klasse. Die Passagiere nehmen gerade ihre Mahlzeit ein, eine verdächtig aussehende Suppe aus verbeulten Blechnäpfen. Wer sind diese Passagiere? Was suchen sie in dem berüchtigten Land des Elends?

Sie suchen wie überall in der Welt die Passagiere der dritten Klasse: Arbeit.

Gibt es denn überhaupt Arbeit in Französisch-Guayana, wenn man nicht ein Verbrecher oder Gefängniswärter ist? Jedenfalls gibt es hier eine Reihe Optimisten, die auch dort ein Vorwärtskommen erhoffen.

Hier ist ein Chinese, der nach Cayenne fährt, weil er nicht wußte, daß ein Chinese nur dann in Britisch-Guayana landen darf, wenn er den Behörden zweitausend Dollar vorzuweisen imstande ist.

»Zweitausend Dollar, wo sollte ich die hernehmen«, jammerte er noch jetzt, »immer machen sie neue verrückte Gesetze. Die Leute scheinen wirklich nicht zu wissen, was zweitausend Dollar bedeuten.« Der Chinese wollte nach Britisch-Guayana, um dort ein Geschäft anzufangen. Nun fährt er, die Paßbeamten haben sein Schicksal gelenkt, nach Französisch-Guayana, von welchem Lande er nur soviel weiß, daß es grauenhaft sein muß. Nun wird er dort ein Geschäft anfangen, weil er sich vorgenommen hatte, unbedingt selbständig zu werden, sobald er sich einige hundert Dollar zusammengespart hat. Wird er Glück haben, oder wird er zugrunde gehen?

Die Gesellschaft von einem halben Dutzend Negern, die immer zusammenhocken, sind Goldgräber. In Surinam hatte die französische Gesellschaft, die die Goldkonzessionen besaß, ihren Betrieb wegen Überproduktion eingestellt. Die Goldgräber wollten jetzt in Französisch-Guayana Arbeit suchen, obgleich sie wissen, daß dort die Bedingungen noch schlechter sind, als sie in Surinam waren.

Einige Javaner in bunten Kleidern mit verschlossenen Gesichtern kommen aus den Zuckerplantagen von Marienburg. Die Javaner sind vor fünf Jahren von der holländischen Regierung nach Surinam importiert worden. Nachdem sie ihre vertraglichen fünf Jahre bei niedrigsten Löhnen abgearbeitet haben, können sie 41 keine Arbeit finden, die normal bezahlt wird, denn es kommen ja immer neue Ladungen mit Menschenimport aus Java. Geld aber, um in ihre Heimat zurückzukehren, haben sie nicht.

Einige Inder, die Frauen in weite bunte Tücher gehüllt, mit unzähligen silbernen Armbändern, besuchen ihre Verwandten in Cayenne, die vor einigen Jahren aus Britisch-Guayana geflohen sind, weil sie nicht länger als Kulis arbeiten wollten.

Aber diese Passagiere, die Passagiere der dritten Klasse, sind noch Aristokraten im Vergleich zu der untersten Klasse. Die Deckpassagiere haben kein Bett, auch nicht das primitivste, sie müssen sich selbst beköstigen, aber es steht ihnen so wenig Platz zur Verfügung, daß sie sich nicht drehen können, ohne ihre Nachbarn zu stören. Sie haben keinen Schutz vor dem Regen, aber auch nicht vor den Ratten, die an ihren mitgebrachten Lebensmitteln nagen oder lustig um sie herumspringen, wenn sie schlafen.

Übrigens besuchen die Ratten ungestört auch die wirkliche Aristokratie des Schiffes, die erste Klasse. Schon am ersten Tage hatte ich bei hellichtem Tage das Vergnügen, sie auf Deck herumspringen zu sehen.

Unter den Passagieren war ich die einzige, die sich aufregte. Ich beschwerte mich bei dem Zahlmeister, der gerade vorbeiging.

»Wissen Sie, daß hier die Ratten ganz ungestört herumspazieren?«

»Wirklich? Sie haben sicher Susette gesehen, unsere Maskotte.«

Auf die ausgewachsenen Exemplare, die ich das Vergnügen hatte zu sehen, paßte bestimmt nicht dieser graziöse Name.

»Sollte es Susette so arg treiben, hat sie sich vielleicht Männer angeschafft? Aber Sie werden sich auch noch an unsere Lieblinge gewöhnen, Sie werden darauf kommen, daß unser Schiff mit allem Komfort ausgestattet ist. Sie werden sich noch nach der ›Biskra‹ sehnen.«

Tatsächlich, als am nächsten Tag, gerade während wir aßen, eine Ratte vorbeihuschte, sah ich mich, wie die anderen, auch nicht mehr nach ihr um. Ich hätte mich über eine so hysterische Person gewundert, die wegen so einer Kleinigkeit Aufhebens macht. Man gewöhnt sich zu schnell an alles. 42

 


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