Maria Leitner
Eine Frau reist durch die Welt
Maria Leitner

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VII Haiti, die Insel der Neger-Republiken

Neger gegen Napoleone

Haiti, die Insel voller Geheimnisse, mit hohen, von grünen Dschungeln bewachsenen Bergen, mit Kaffeewäldern und Königspalmen am Ufergestade, entfaltet sich immer vielfältiger vor den bezauberten Augen der Schiffspassagiere.

»Ein Paradies aus der Ferne, aber in der Nähe ist es die Hölle«, sagt der Kapitän, der mindestens zweidutzendmal Haiti besucht hat.

»Wieso die Hölle?« Der Haitianer, der von einer Studienfahrt in Frankreich heimfährt, stimmt keineswegs mit der Ansicht des Kapitäns überein.

»Vierzig Grad Hitze macht auch das schönste Paradies zur Hölle.«

»Ja, für die Weißen, das ist möglicherweise gut so, das beweist unsere Vergangenheit, und vielleicht wird es auch noch die Zukunft zeigen.«

»Nichts kann man schaffen in diesem Höllenklima.«

»Nichts schaffen? Sehen Sie dort diese ungeheure weiße Zitadelle hoch oben im Gebirge. Können Sie sich überhaupt vorstellen, daß Menschenhände dieses Werk fertigbringen konnten? Neger haben es geschaffen.«

Der Himmel ist sehr klar, die Konturen der Berge erscheinen scharf gezeichnet, deutlich erheben sich über den grünen Höhen die ungeheuren gelben Quader eines der größten Baumonumente der Welt, der Festung des Negerkönigs Christoph Henri I.

161 »Viel Mühe und Arbeit, aber wofür?«

»Für unsere Selbständigkeit, dafür wäre nichts zuviel.«

»Aber als ihr eure Selbständigkeit erkämpft hattet, konntet ihr damit nichts Besseres anfangen, als Napoleon nachzuäffen. Dessalines, der Negerkaiser, der Neger-Napoleon, bewies er nicht, daß auch ein Neger die Neger tyrannisieren kann?«

»Die Neger haben mit ihm abgerechnet.«

»Sie haben ihn ermordet, dann kam ein anderer Negertyrann, König Christoph.«

»Er hat wenigstens bewiesen, daß auch Neger Großes schaffen können. Aber auch dieses Tyrannen entledigten sich die Neger. Sie schufen sich eine Republik, sie könnten sich selbst regieren, sie könnten etwas vollbringen, wenn man sie nur in Ruhe gewähren ließe. Früher kamen die Heere der Bourbonen und dann die Napoleons, heute die der Yankees. Die Franzosen haben wir in die Flucht geschlagen, wie es den Amerikanern ergehen wird, wollen wir noch abwarten. Denn hier ist ja die Hölle, die Hölle des weißen Mannes. Sehen Sie dort das längliche, schloßartige Gebäude, dort hielt Pauline, die Schwester Napoleons, Hof, dort starb am gelben Fieber Leclerc, ihr erster Mann, Napoleons Schwager. Er starb nicht allein, fast die ganze französische Armee wurde von Tropenkrankheiten hingerafft, soweit sie nicht geschlagen wurde von den verachteten Negern. Der unbesiegbare Napoleon holte sich auf Haiti eine Niederlage. Ja, die Neger gaben überhaupt erst Moskau das Beispiel. Sie glauben es nicht? Als die Franzosen gegen die Negerrebellen von Saint-Domingue auszogen, ließ der Führer der Aufständischen, Toussaint Louverture, die ganze Stadt Kap Haiti in Flammen aufgehen. Als die Franzosen landeten, fanden sie nur Ruinen.«

Die Landung auf Kap Haiti wird auch für den heutigen Reisenden eine Enttäuschung sein. Die verfallenen Hütten verraten nicht viel von der heroischen Vergangenheit, aber ihre Bewohner reden über sie, als wäre alles gestern geschehen.

Zwischen den armseligen Häusern der Eingeborenen stolzieren, frisch gebügelt, gepflegt, Vertreter der gegenwärtig größten Macht der Welt, amerikanische Marineleute. Ihre Offiziere sausen in eleganten Autos durch die krummen, schmutzigen Straßen. Es hebt das Selbstbewußtsein der zerlumpten Neger, wenn sie beim Anblick dieser neuen Eroberer an ihre Vergangenheit denken.

162 »Sie müssen Sanssouci sehen und die Zitadelle«, raten alle Haitianer.

Ein Schloß Sanssouci, gibt es das auch auf Haiti? Ja, in einer Autostunde erreicht man von Kap Haiti aus das Dorf Milot. Dort liegt das verfallene Schloß des Negerkönigs, ein riesiger Marmorpalast zwischen Strohhütten.

Der Negerkönig, der einst Kellner war und nur seinen Namen schreiben konnte, hatte in Sanssouci eine Verlagsanstalt gegründet, in der die Werke seiner Minister, die alle »hommes de lettres«, Literaten, waren, veröffentlicht wurden. Sein Außenminister, der Comte Limonade de Prevost, vor allem aber der Minister des Innern, Valentin Pompo Baron de Vastey, schrieben sehr interessante Bücher über die Negerfrage.

Jedenfalls sagt man, daß die Einwohner Kap Haitis mit vollem Recht die Titel Graf, Baron oder Herzog tragen könnten, denn der König war seinen Getreuen gegenüber mit Titeln nicht knauserig. Aber die heutigen Einwohner der einstigen Königstadt legen keinen Wert auf hochklingende Namen. Wenn sie viel von der Vergangenheit sprechen, so denken sie dabei an die Gegenwart, an die Amerikaner . . .

USA-Marine und Wudu-Zauber

»Tritt ein in die Marine und sieh die Welt!« Diese Plakate blicken in allen Städten der Vereinigten Staaten auf die amerikanischen Jungens. Wenn Joe oder Jim keine Arbeit haben und kein Geld, kann es leicht passieren, daß sie den Marinesoldaten, der neben dem Plakate steht, anreden. Der gibt ihnen Auskunft und bringt sie zu der nächsten Werbestelle. Wenn Jim und Joe stark sind und gesund, dürfen sie auch wirklich eintreten in die Marine, und sie sehen die Welt.

Eine ganz andere, fremde Welt. Sie kommen zum Beispiel nach Haiti, was ein besonderer Vorzug ist (so scheint es wenigstens anfangs), mit Extrazulagen und einer wichtigen Kulturmission..

Erst geht auch alles gut. Die Jungens aus Iowa, aus Ohio, aus New Jersey und Pennsylvania entdecken die Tropen und die Annehmlichkeiten eines Landes, das keine Prohibition kennt. »Tafia«, das ist echt haitianischer Rum mit Ginger Ale (der Rum auf 163 Haiti ist der beste), schmeckt anders als das Gebräu der Alkoholschmuggler. Auch die Mädchen sind anders und die Sonne.

Langsam merken die blauen Jungens, die hier Weiße sind, daß diese Insel, die anfangs so verführerisch tut, voll bösen Zaubers ist. Sie bekommt ganz und gar nicht den Marineleuten aus den Staaten. Offiziell werden zwar keine Verlustlisten herausgegeben, aber man erfährt es trotzdem, es ist nicht geheuer in der Marine. Immer tauchen neue auf, die alten verschwinden. Es gibt viele Unglücksfälle. Die Haitianer sind hinterhältig, sagen die Amerikaner, sie locken die Marineleute ins Verderben. Viele kommen um, noch größer ist die Zahl jener, die krank werden, sterbenskrank.

Die Amerikaner haben für diese Erscheinungen eine Erklärung, die dem einfachen Menschenverstand etwas abwegig erscheint: Der Wudu-Zauber ist schuld. Wudu sind die Zauberkünste, die die Haitianer aus Afrika mitgebracht haben und die ihnen angeblich ermöglichen, durch Zaubersprüche und Formeln, durch besondere Getränke und böse Blicke ihre Feinde aus dem Weg zu räumen.

Ganz ernsthaft gesprochen, man kann sicher Reste afrikanischer Religionen auf Haiti entdecken. Aber den Wudu-Kult nehmen die Amerikaner viel ernster als die Haitianer selbst. Amerikanische Journalisten und Gelehrte schreiben gruselige Geschichten über die haitianische Magie. Aber noch viel schauerlicher als diese »wissenschaftlichen« Märchen sind die flüsternd verbreiteten Geschichten, die unter den Mitgliedern der amerikanischen Kolonie, vor allem unter den Seeleuten, umgehen.

Ein Direktor einer amerikanischen Zuckergesellschaft stirbt plötzlich auf unerklärliche Weise, ein anderes Mal der Aufseher der Ananasfelder. Keinem Arzt gelingt es, die Todesursache festzustellen. Aber man erfährt, sie hatten ein Zusammenstoß mit Eingeborenen. Es wird jetzt klar, Teufelszauber hat ihren Tod verursacht.

Die amerikanische Marine erringt einen durchschlagenden Sieg über aufständische Haitianer. (Im ganzen wurden etwa dreitausend Haitianer von den Besatzungstruppen getötet.) Aber die Siegreichen werden auch vom Tod heimgesucht, die Soldaten sterben wie die Fliegen. Die Ärzte stehen hilflos vor der Krankheit. Da beginnt wieder das Raunen in der Marine: der Wudu-Zauber.

164 Die Krankheiten auf Haiti sind überhaupt eine besonders geheimnisvolle Sache. Die Amerikaner haben auf der Insel viele Ambulanzen errichtet (für die Haitianer und von dem Geld der Haitianer), aber sich selbst können sie nicht helfen. Die Insel ist verseucht, jeder Einwohner hat Malaria und fast jeder die Syphilis, sie bleibt aber für die Eingeborenen ohne die schlimmsten Folgen. Die Paralyse war auf der Insel unbekannt, darauf wurde sogar eine besondere medizinische Theorie gegründet: Die Kombination Syphilis und Malaria schließt Paralyse aus. Bei den Amerikanern hatte sich aber diese Theorie nicht bewahrheitet, jeder, der über ein Jahr auf Haiti ist, bekommt mit tödlicher Sicherheit Malaria, aber die Paralyse tritt unter ihnen doch auf. Flüsternde Erklärung: Wudu-Zauber.

Als schlagender Beweis der schwarzen Magie wird folgende Begebenheit kolportiert: Harry und Bill, beide Untermaate der amerikanischen Marine, sind unzertrennliche Freunde. Einmal geraten sie in Streit mit Dorfbewohnern und verwunden einen Eingeborenen, der in dem Ruf eines »Papalois«, eines Negerzauberers, steht.

Einige Tage später sitzen die beiden in einem kleinen, übelbeleumdeten Café und trinken in ausgiebigem Maße »Tafia«. Zu ihnen gesellt sich ein schönes Negermädchen, genannt Amethyst, mit dunkelsamtnen Augen, wie man sie auch auf Haiti nur selten findet. Diese Amethyst lacht mit den beiden, tut so, als ob sie jeden besonders bevorzugen würde, hält sie zum Narren. Was tun aber die guten Freunde, benebelt vom »Tafia« und dem aufreizenden Lachen Amethysts? Sie ziehen die Revolver und schießen aufeinander, treffen sich tödlich.

Harry und Bill waren beide verheiratet, man konnte ihren Frauen nicht gut die ganze Wahrheit mitteilen. So schrieb man ihnen, daß Harry und Bill in Ausübung ihrer Pflichten für Amerika den Heldentod starben.

Wudu-Zauber?

Ukulele, Tamtam und Arbeit

Die Amerikaner behaupten, daß vor der Besetzung Haitis 1915 auf der ganzen Insel nur ein einziges Auto existierte. Ich bin überzeugt, daß der Ford, der mich von Kap Haiti nach Port-au-Prince 165 bringen sollte, dieses historische Auto war; jedenfalls scheint dieses einzige Auto auch damals nicht mehr neu gewesen zu sein. Meine Sorge, ob man in diesem Auto auf den durchaus nicht guten Wegen vorwärts kommen könnte, erhöhte sich bei der dramatischen Szene, die sich bei der Tankstelle abspielte.

Der Schofför hob seine Arme gegen den Himmel und rief mit lauter, verzweifelter Stimme etwas in die Gruppe, die ihn umstand. Der Tankstellenbesitzer, der gleichfalls von einem Teil der Straßenjugend Kap Haitis umringt wurde, jammerte ebenfalls laut, mit großen Gesten. Dann schien es, als wollten sich die beiden in Haß aufeinander stürzen.

»Es scheint, aus der Autofahrt wird nichts«, sagte ich dem Deutschen, der bis Aux Cayes mitfahren wollte, »die beiden wollen sich ja umbringen, was ist passiert?«

»Es ist gar nichts passiert, sie machen nur den Preis ab. Die Haitianer lieben die dramatische Belebung ihres Alltags.«

Als das Auto sich dann auch tatsächlich in Bewegung setzte, fand ich wiederholt die Bestätigung dieser Bemerkungen.

Es kommen Bäuerinnen mit riesigen Körben, von Baumwolle überquellend, auf dem Kopf und singen. Sie singen mit verteilten Rollen solo und im Chor, als trügen sie eine Oper vor. Sie gehen zu dem Ortskaufmann, um die Baumwolle gegen Kattun umzutauschen.

Von den Zuckerrohrfeldern dröhnt eine merkwürdige, dumpfe Melodie, die Musik der Tamtams. Die afrikanische Trommel dient hier nicht zur Verbreitung von Nachrichten, sondern nur zur Erheiterung der Arbeiter auf den Zuckerfeldern. Sie engagieren selbst die Trommler und bezahlen sie von ihrem sehr niedrigen Lohn, denn die Haitianer finden, daß Arbeit angenehmer wird, wenn man sie nicht allzu ernst nimmt.

Ein anderes Bild. Vor den Kaffeelagerhäusern stehen die Arbeiter mit Säcken auf dem Rücken und warten, bis die ganze Kolonne sich zusammengefunden hat. Dann marschiert eine richtige Musikkapelle mit Flöte, Ukulele und Trommel los, und die Lastenträger folgen im Tanzschritt. Die Schauerleute verdienen zwar wenig, aber sie wollen doch ein bißchen Vergnügen an der Arbeit haben.

»Die Amerikaner wollen nicht begreifen, daß die Haitianer Kinder sind«, sagte der Deutsche. Er fuhr zu der amerikanischen 166 Ananasgesellschaft, die inmitten unübersehbarer Ananasfelder eine Konservenfabrik errichtet hat.

Der amerikanische Fabrikleiter zeigte stolz die rationell eingerichtete Fabrik. Am laufenden Band wurden die Früchte geschält, zerschnitten, gekocht und verpackt. Jede Bewegung der Arbeiterinnen und Arbeiter war genau berechnet, und diese Bewegungen durften alles eher als zu langsam sein.

Aber es gab Schwierigkeiten, obwohl die Fabrik so praktisch und hygienisch eingerichtet war, obwohl die Früchte und auch die Arbeitskräfte fast nichts kosteten. Da war die Absatzkrise, und die Arbeiter, die unzufrieden waren, obgleich sie doch höhere Löhne bekamen als anderswo, blieben einfach aus, wenn es ihnen paßte, oder sie stifteten Unruhe.

Als ich allein weiterfuhr, wurde der Schofför gesprächig. Er hatte seine eigene Meinung über die neueingerichtete Fabrik.

»Die Amerikaner halten uns für sehr dumm, sie wollen den Arbeiterinnen täglich zwei bis vier Gourdes zahlen, das sind zehn bis zwanzig Cents. Dafür sollen sie zehn bis zwölf Stunden arbeiten, und wie! Die Amerikaner sind verrückt mit ihren Maschinen. Kein Mensch kann bei dieser Hitze in solcher Eile arbeiten, und für den Lohn. Von den paar Gourdes kann man nicht anständig essen, nur Mango und Bananen. Aber die Amerikaner wollen doch, die Leute sollen hier genausoviel schaffen wie die Arbeiter in Amerika. Und Musik gibt es nicht mehr, nur Maschinen.«

Der alte Ford vollbrachte wahre Wunder auf dem schlechten Weg.

»Unsere Straßen sind holprig, und doch sind sie neu, die Amerikaner haben sie bauen lassen, von uns, von unserem Geld, damit die amerikanische Marine schneller den Kriegshafen, den sie auf unserer Insel errichtet haben, erreichen kann. Kein Haitianer wollte diese Arbeit verrichten, da wurden Haitianer von den amerikanischen Soldaten festgenommen und zum Wegebau gezwungen. Weil sie nachts ausrückten, wurden die Arbeiter nachts eingesperrt; die sich wehren wollten, sogar in Ketten gelegt.«

Unter meinen Weggenossen gab es auch einen Weißen, einen englischen Missionar. Er stieg in Jeremie ein, wo noch das alte, verfallene Haus steht, in dem Vicomte Dumas, der Stammvater der beiden dichtenden Dumas', mit seiner Frau, der schönen Negerin Marie Cesette, gelebt hatte.

167 Der Missionar, ein Engländer, führte als Gepäck eine Bibel und ein Erbauungsbuch mit, er sah aus, als besuchte er seine Pfarrkinder in einer stockenglischen Landschaft. Doch schon sehr bald entpuppte er sich als echter Abenteurer, allerdings ganz englischer Art. Er hatte Afrika vom Osten nach dem Westen zu Fuß durchquert und kam eben von einer weltabgeschiedenen Insel, die zu Haiti gehört, La Tortue genannt, wo er zwei Jahre lang gelebt hatte. Warum? Um die »Wilden« in »Normalmenschen« zu verwandeln, wie sie in der Vorstellung eines Normalengländers leben.

»Auf La Tortue war es viel schwieriger, ich hatte mehr Entbehrungen zu erleiden als auf meiner Fußwanderung durch Afrika. Zwei Jahre lang habe ich nur von gedörrtem Fisch und Bananen gelebt. Brot ist unbekannt. Dann die vollkommene Einsamkeit. Die Inselbewohner haben mir nichts Böses getan, aber sie haben mich immer scheel angesehen. Ihre Gewohnheiten, ihr Totenkult sind ganz afrikanisch. Jeden Sonnabend tanzten sie bis zum Morgengrauen; die ganze Nacht hörte ich die Trommeln, aber sie ließen mich nie in die Nähe ihres Tanzplatzes.«

»Hatte Ihr Aufenthalt auch einen Erfolg?«

»Ja, die Mühe und die Entbehrungen haben gelohnt. Damals, als ich vor zwei Jahren nach La Tortue kam, gab es auf der ganzen Insel nur eine einzige Frau, die verheiratet war, und das war eine Witwe aus Port-au-Prince. Jetzt aber gibt es schon drei gesetzlich getraute Paare, deren Ehe ich gesegnet habe.«

Port-au-Prince, die Hauptstadt

Auf dem Hauptplatz von Port-au-Prince, einem riesigen Viereck, umsäumt von Palästen, hört Afrika auf, der Sieg der Zivilisation ist hier vollkommen. Obgleich in der Mitte die Statue des Negerführers Dessalines steht. Er hat sich allerdings in dieser Darstellung aus dem wilden Afrikaner in einen banalen Denkmal-Europäer verwandelt. Die Amerikaner aber fürchten sogar noch in dieser Form den großen Weißenhasser und möchten ihn so umstellen, daß er nicht mehr wie jetzt drohend nach dem Gebäude der Marineverwaltung zeigt. Die Haitianer aber meinen, es wäre einfacher, die amerikanische Marineverwaltung übersiedelte 168 ganz nach Washington. An Washington erinnert übrigens die Anlage des Platzes und vor allem der weiße Palast des Präsidenten mit Säulengang und Kuppeln. Besonders großstädtisch wirkt auch das Villenviertel, wunderbar gelegen auf Hügeln, die einen weiten Blick auf die Bucht und das Meer gestatten. Die schönsten Häuser, die gepflegtesten Gärten, einst Sitze der haitianischen Aristokratie, werden jetzt von den höheren Beamten bewohnt.

»Sie können es sich leisten von unserem Geld«, sagte mir der junge haitianische Redakteur, der mir Port-au-Prince zeigte. So sehr er die amerikanische Fremdherrschaft beklagte, verriet er doch immer den Wunsch, der Fremden nur die besten Seiten von Port-au-Prince zu präsentieren. Wenn ich die Elendsquartiere, die man nicht besonders suchen mußte, innen ansehen wollte, machte er mich immer auf ein besonders stattliches Haus, das viel sehenswerter sei, aufmerksam.

Er führte mich auch in das Haus seiner Eltern, das mitten in einem Rosengarten stand. Es war mit schönen alten Möbeln aus der französischen Zeit eingerichtet. Die Bibliothek, die die haitianische Literatur vollständig umfaßte, bewies, daß nicht nur Afrika, sondern auch Paris Haiti seine besondere Note gibt. Viele Intellektuelle, die Ärzte, Juristen, die meisten Politiker, haben in Paris studiert; man könnte sie mit ihren Spitzbärten, mit ihren pariserischen Redewendungen für Franzosen halten mit einem etwas südlichen Einschlag.

In den Restaurants tragen die Kellner nach französischer Sitte weiße Schürzen, auf dem Tisch stehen Wein und Brot wie in Frankreich. Das Menü besteht aus vielen kleinen Vorspeisen und Zwischengerichten, den »patrons«. Die Gäste sprechen über Politik und Literatur, man könnte meinen, man befinde sich irgendwo im Quartier Latin.

Hört man die Redner im Parlament, die Advokaten im Talar, man muß sich oft fragen, sind das wirklich Neger? Beim Englischen hört man auch beim gebildeten Neger den Dialekt leichter heraus als im Französischen.

Aber auch die Haltung des haitianischen Negers unterscheidet sich von der des amerikanischen. Hier ist er Herr, trotz der Besatzung. Die Amerikaner beklagen sich auch, daß sie ihnen ihre Frechheit nicht abgewöhnen können. Frechheit? Ja, sie wagen es, sich aufzulehnen, Sklaven zu sein. 169

Proletarier am Grabe Kolumbus'

Wenn ein Dominikaner der herrschenden Klasse (ich meine natürlich einen Bürger der Dominikanischen Neger-Republik auf Haiti und nicht einen Ordensbruder) lesen sollte, daß ich es wage, die Dominikanische Republik mit Negern in Verbindung zu bringen, würde er mich zweifellos fordern, denn die Dominikaner wollen im Gegensatz zu den Haitianern alles eher als Neger sein. Ja, auf Domingo müssen Neger eine besondere Landungsgebühr bezahlen.

Diese Dominikanische Republik nimmt etwa zwei Drittel der Insel Haiti ein, ihre Einwohnerzahl aber ist nur etwa ein Drittel der dichtbevölkerten Schwesterrepublik. Rasse und nationale Vorurteile sind sehr dazu geeignet, die Geschwister, wenn auch nicht gerade zu Feinden, so doch zu Fremden zu machen. Die Großmächte, die nie die strategische Wichtigkeit Haitis übersahen, haben mit Vorbedacht die Gegensätze verschärft.

Ein Dominikaner von ziemlich heller Hautfarbe, der aber keineswegs heller war als sehr viele Haitianer, versäumte in den Straßen von Santo Domingo nie die Bemerkung, wenn ein Neger von dunklerer Farbe vorbeiging: »Das ist ein Haitianer.« Die Wahrheit aber ist die, daß in Haiti genauso alle Schattierungen von dunkel bis zu ganz hell zu finden sind wie in Domingo.

Die Amerikaner aber, die hier übrigens genauso wenig beliebt sind wie dort, verstehen der Eitelkeit der Dominikaner zu schmeicheln. »Ihr seid keine Neger, mit euch können wir anders verhandeln als mit den Haitianern.«

Allerdings besetzten sie trotzdem Domingo, und sie verließen es nicht deshalb, weil die Einwohnerschaft hellhäutiger ist, sondern weil die geschützteren Häfen Haitis sich nützlicher und bedeutungsvoller erwiesen als die den schweren Stürmen preisgegebenen offenen Buchten Domingos.

Aber wenn auch der rassische Unterschied zwischen den beiden Republiken sehr zu bezweifeln ist, der »nationale« ist unleugbar. Haiti ist französisch, Domingo ist spanisch, es ist überspanisch. Es wird ein wahrer Kult getrieben mit der spanischen Vergangenheit. Ahnherr aller Dominikaner ist Kolumbus, Christóbal Colón, wie er hier überall nach spanischer Art genannt wird.

170 In der Hauptstadt Santo Domingo ist noch der Baum zu sehen, an dem Kolumbus landete. (Garantiert echt.) In der Kathedrale werden seine Gebeine gezeigt. (Gleichfalls garantiert echt, die Echtheit ist hier allerdings schon auf ziemlich komplizierte Weise erklärt.) Aber warum skeptisch sein? Jedenfalls ist es sicher, daß er hier starb, verbittert und schon halb vergessen, der große Entdecker.

Es ist auch sicher, daß in der barocken, spanisch überladenen Kathedrale alle großen Abenteurer, die auszogen, neue Welten und Gold zu erobern, den Sieg ihrer Waffen erfleht haben, Cortez, Pizarro, alle großen »Bukaniers« zogen von hier mit Kreuz und Schwert gegen die Ungläubigen.

Es gibt wohl kaum einen anderen Fleck der Erde mit so blutig grausamer Vergangenheit wie diese Insel. In Port-au-Prince wird noch heute der einstige Sklavenmarkt gezeigt, wo Millionen und aber Millionen Neger verschachert wurden. Im Laufe von vierhundert Jahren erreichten hundert Millionen Afrikaner den amerikanischen »Markt«. Aber von der »Ware« wurden in Afrika selbst und unterwegs ungeheure Mengen verschleudert. Sie mußte erjagt werden; es kamen einige Tote auf jeden Gefangenen. »Das Wild« überstand sehr oft nicht die Überfahrt, es brachen auch Selbstmordepidemien aus, dann wurde die »Exportware« in Ketten gelegt, damit sie nicht ins Meer springen konnte.

In Kap Haiti befindet sich noch der Platz »Place des Armes«, wo die Hinrichtungen der Neger unter fürchterlichsten Folterungen stattgefunden hatten.

»Heute haben wir doch bessere Zeiten«, sagte mir ein dominikanischer Dichter, der wiederholt während der amerikanischen Besatzungszeit verhaftet wurde und der auch jetzt, während die Regierungen durch Putsche abwechseln, Verfolgungen befürchten muß. »Unsere Verluste gingen während der amerikanischen Zeiten nur in die Zehntausende, dafür wurden aber auch unsere Zuckerplantagen glänzend modernisiert. Das amerikanische Kapital arbeitet anders, als unsere kleinen Bauern es getan haben. Wir produzieren jetzt soviel Zucker, daß wir ihn verbrennen müssen. Aber freilich hat sich unsere Lage trotz der technischen Fortschritte der letzten Jahre kompliziert, genau wie überall in Westindien, Mittel- und Südamerika, wohin amerikanisches Kapital drang. Man enteignete die Kleinbauernschaft und das mittlere 171 Bürgertum. Dafür schuf man ein Proletariat, das in unseren rückständigen Ländern bisher unbekannt war.

Aber auch die entstandenen Arbeiterfragen bedrängen die Eroberer. Ob Kupferfarben, Schwarz oder Weiß, dieses Problem bleibt überall das gleiche.« 172

 


 


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