Maria Leitner
Eine Frau reist durch die Welt
Maria Leitner

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Hinter den Kulissen Palm Beachs

Hundertfünfzig Kellnerinnen – die Uniformen wechseln täglich dreimal – stehen in Reih und Glied. Der Oberkellner (der Ausdruck paßt schlecht für den vornehmen Lord im seidenbeschlagenen Frack) klatscht zweimal in die Hände, alle Köpfe drehen sich nach links, worauf er mit seiner Adjutantin, »the captain«, die Reihe abschreitet. Seine Einwendungen gegen eine Kellnerin 102 macht er nie direkt, sondern nur durch den »captain«, eine Amerikanerin.

In dem lila und goldenen, mit tropischen Pflanzen geschmückten Speisesaal haben sich aus allen Teilen Amerikas jene Menschen versammelt, die ihren Reichtum am nachdrücklichsten betonen wollen. Welch eine Schaustellung von Juwelen, Spitzen, Pariser Toiletten und gespenstisch unwirklich geschminkten Frauen. Die Musik spielt, die Musikanten verrenken alle Glieder, die Gäste aber sitzen unbeweglich da, auch während sie essen, geizen mit jeder Handbewegung, es wird kaum gesprochen, nur reichlich getrunken, ganz offen, nicht heimlich wie in New York hinter verschlossenen Türen. Hundert Dollar muß man mindestens täglich in diesem Hotel ausgeben. Und doch ist es ein Armutszeugnis, im Hotel zu wohnen. Man muß schon mindestens ein eigenes Haus und eine zahlreiche Dienerschaft haben, um an dieser Küste für voll angesehen zu werden. Und gelingt es einem nicht, ein vornehmes Haus zu finden, so ist es noch immer vornehmer, in einem Hausboot zu wohnen als in einem Hotel.

Abenteuerinnen und Snobs

Kein anderer Kurort der Welt ist so wenig international – wenn man vom Personal absieht und von einigen geldlosen britischen und französischen Aristokraten – wie Palm Beach. Abenteuerinnen? Die »von Herren bevorzugten Blondinen« kommen nicht nach Palm Beach. Ein großer Teil der nicht sehr zahlreichen jüngeren Männer sind Detektive, die die einzige Aufgabe haben, die zur Schau gestellten Juwelen zu bewachen.

Die »Abenteuerinnen«, die Palm Beach besuchen, um zu Geld zu kommen, sind verarmte, sehr vornehm wirkende ältere Damen der Gesellschaft. Sie vermitteln gegen außerordentlich gepfefferte Rechnungen Verbindungen zwischen den »social climbers«, den Gesellschafts-Kletterern, und den schon »Arrivierten«. Sie geben Luncheons oder Diners in den exklusiven Klubs auf Rechnung der Emporkömmlinge und laden auch ihre hochgestellten Freundinnen ein. Allerdings nehmen diese die Einladung nicht an, aber das macht ja weiter nichts. Die Rechnung für das Fest aus Prozenten bezahlt der »climber« dennoch, auch bei unvollständiger Festliste. 103

Auf Damast und Blechgeschirr

Ich bediene zwei alte Mumien aus Philadelphia, die ihre vertrocknete Haut mit Perlen und Brillanten besät haben. (Ich habe nur diesen Tisch, denn in diesem Hotel hat jeder Tisch seine eigene Bedienung.) Die leichteste Angelegenheit im Saal, versichert mir der »Lord«. Tatsächlich nährten sich die beiden fast ausschließlich von Tee und Toast, obgleich die Speisenfolge, für die sie ja doch zahlen müssen, alle erdenklichen Delikatessen der Welt aufwies. Die Schwierigkeit besteht nur darin, daß die gerösteten Brote eine unerhört wichtige Rolle in ihrem Leben spielen. Sie müssen unbedingt eine gewisse goldgelbe Farbe und einen ganz bestimmten Wärmegrad haben, sonst werden sie unerbittlich in die Küche zurückgeschickt. Aber ich brauche wenigstens nicht, wie die meisten Kolleginnen, die weit naschhaftere Gäste bedienen müssen, Tantalusqualen zu erdulden.

Denn in der Küche achtet man sehr darauf, daß Kellnerinnen nicht »unbefugt« Kostproben zu sich nehmen. Man durfte die wunderbaren Austern, die gerösteten Hummer, die Hasenpasteten riechen, aber das war alles. In der Mitte der ungeheuren Küche (die Speiseausgabe an das Personal erfolgt im Kreis) saß in einem erhöhten Glaskäfig der Küchenchef. Er übersah mit solcher Genauigkeit den Schauplatz, daß man annehmen mußte, er besäße auch im Hinterkopf ein paar Augen. Später allerdings entdeckte ich, daß an seinem Pult zwei Spiegel so angebracht waren, daß er alle Vorgänge in der Küche verfolgen konnte. Zwischen ihm und den Kellnerinnen, die alle List anwandten, um zu einigen Leckerbissen zu gelangen, bestand ein wahrer Kriegszustand. Mit knurrendem Magen zuerst die schweren Tabletts, gehäuft mit den erlesensten Speisen, zu tragen und dann durcheinandergekochte Speisereste und wässerige Suppen auf einem fleckigen Tischtuch, auf angeschlagenen Tellern, mit blechernen Bestecken essen sollen – der Magen krampft sich zusammen und trauert. 104

Berta und der tote Gast

Am Tische der Kellnerinnen und Stubenmädchen herrscht heute erregte Stimmung. Als die Schüsseln mit Reis und Hühnerflügelknochen hereingebracht werden, macht zwar Luise, die Berlinerin, den stehenden Witz: »Wat, ihr wollt uns wohl das Fliegen beibringen, daß ihr uns immer ausgekochte Flügel zu essen gebt«; aber sie findet heute wenig Anklang. Man wartet auf das Stubenmädchen Anna, die den linken Seitenflügel im zehnten Stock bedient. In einem ihrer Zimmer ist es passiert. Sie hat die Sache als erste entdeckt. Elsie, die Kellnerin, hat den Betroffenen bei Tisch bedient. Sie weiß nur, daß der »alte Knopf« die halbe Speisekarte abaß, um auf seine Pensionskosten zu kommen. Denn geizig war er auch, es ist nicht schade um ihn.

Endlich kommt Anna. Atemlos beginnt sie zu berichten. »Kinder, so was ist mir noch nicht passiert. Ich will heute früh in Nummer Sechsundzwanzig, und da liegt der Alte im Bett so ganz komisch. Ich denke erst, er hat wieder mal zu viel getrunken, und ich will wieder hinaus, und dann bemerke ich, seine Augen sind offen, und er hat so einen Blick, als ob er etwas Schreckliches sähe, ich trau mich gar nicht hinzusehen, fasse aber dann doch seine Hand an, hu, da wußte ich, es ist aus mit ihm. Ich kreische und laufe aus dem Zimmer. –«

»Anna, du bist 'ne richtige Dumme, du hättest ruhig mal in seinen Taschen ein wenig Umschau halten können, bei den Leuten liegen ja die Tausenddollarscheine nur so herum. Hätt'st nach Hause fahren können. Wenn ich mal so ein Glück hätte«, schreit eine.

»Ach, ihr habt leicht reden. Ihr habt nicht die Augen gesehen. Ich konnte mir nicht helfen, ich hab' halt gerufen. Dann ist gleich der Arzt gekommen, und dann kam der Geschäftsführer. Er sagte, wir müssen gleich Ordnung schaffen, denn die Leute haben es nicht gern, wenn Tote in den Nachbarzimmern herumliegen. Und dann kamen zwei Zeugen, und ich und der Johnny haben alles schnell zusammenpacken müssen. Nur die leeren Whiskyflaschen haben wir alle weggeworfen, er hatte sie extra in einem Koffer zusammengepackt. Und die Briefe, sagte der Geschäftsführer, die brauchen die Enkelchen auch nicht zu lesen. Und Bilderchen hatte er, Kinder, zum Totlachen. Na, und auch sonst allerlei 105 Komisches. Und soviel Anzüge und Wäsche und vier Frühjahrsmäntel hatte er. Kann man das glauben! –«

Aber da geschieht plötzlich etwas Unerwartetes. Die große, starke Berta, die so laut lachen kann und den frechesten Mund hat, wirft ihren Kopf auf die Tischplatte und heult auf. Buchstäblich wie ein Tier. In ihren Händen hält sie noch krampfhaft ein Stück Brot.

»Nanu, was ist mit der?«

Es wird ganz still. Nur eine murmelt mißbilligend: »Wozu braucht einer vier Mäntel, wenn er doch stirbt.«

Da kommt aber schon der »Lord«, klatscht in die Hände, die Köpfe drehen sich nach links, man legt die Serviertücher über den linken Arm, und wieder beginnt der gehetzte Kreislauf in den Speisesaal und wieder hinaus.

Inzwischen zieht unbemerkt eine Prozession dem Küchenausgang zu, der nach dem Hof führt. Vorn geht der Hausportier mit feierlichem Gesicht, ihm folgen drei Hausdiener, die einen sehr langen, schwarzen Lederkoffer tragen. Einige, die es sehen, gruseln sich ein wenig.

Aber Hummer, Fasanen, Pasteten werden in silbernen Schüsseln hochgehoben, aus dem lilagoldenen Speisesaal ertönt aufreizend Musik. Hätte man in der Küche nur mehr Zeit, man würde gern auch tanzen.

Berta kann nicht bedienen, das Schluchzen stößt sie noch zu arg.

 


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