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Zehntes Kapitel

Um dieselbe Stunde hingen die Himmelslichter in unermeßlichen Schwärmen über der guten Stadt Münster.

Man wähnte in der Werkstätte Dusentschuers, des Propheten, zu sein, so kunterbunt reihte sich alles und jegliches über- und untereinander. Smaragden und Saphire, Turmaline und Steine, die in einem Meer von berückenden Farben aufgeisterten, glimmerten in der Fülle ihres ewigen Lebens. Etliche Pyropen brannten so herrlich dazwischen, als wären sie aus dem Krongeschmeid der allerseligsten Jungfrau Maria gebrochen.

Über dem Palaste des Königs, den einst Melchior von Büren bewohnte, glänzte der Stern aller Sterne, auch Frau Venus geheißen.

Sein Licht war so blendend wie das aus dem Diadem der schönen Divara, das ihr Dusentschuer aus dem Domschatz des Bischofs Franz von Waldeck, des Weiberfreundes und Hanfspillers, heimlicherweise zugebracht hatte. Glanz, Licht und eine brennende Sehnsucht!

Es war so, als hätte der Weltenschöpfer alle Schätze ausgetan, um den Menschenkindern seine Macht und Herrlichkeit zu zeigen, als geböte er ihnen, niederzuknien und mit Inbrunst seinen Psalm zu singen, der da die Herzen ergreifet: » Laudate Domnum, omnes gentes; laudate eum, omnes populi.«

Aber es blieb ruhig und seßhaft unter der Himmelskuppel, in den Straßen der guten Stadt Münster.

Nur ein einsamer Schatten wandelte still seines Weges durch das Kirchspiel Über dem Wasser.

Als er das Stift der adeligen Damen passierte, dessen Insassen abtrünnig wurden, blieb er stehen.

Im ersten Stock über dem Hauptportal zeigten sich einzelne Fenster erleuchtet.

Gottes Not und Erbarmnis! trotz ihrer widerspenstigen und entsprungenen Schäflein – die Oberen hielten aus in ihrem verwaisten Kloster wie die Blutzeugen Christi im feurigen Ofen, wie die unter dem Fluch der hochnotpeinlichen Marterkerzen, dazu bestellt, den Delinquenten so 'n bißchen unter die Achselhöhlen zu lichtern – als da waren: die brave Äbtissin Ida von Meerfeld, die gesinnungsfrohe Ludgera von Linteloen, die preisliche Sophia von Langen ... und just wie damals, als ihnen die Weltsüchtigen, sonder Stirn- und Kinngebänden, nur mit den feinsten Hemden und Spitzentüchlein bekleidet, durch die Lappen gingen – auch jetzt noch, fest im Glauben, stark in der Liebe, immergrün in der Hoffnung – sie sangen das Lied aller Lieder, den Kampfgesang aller Kampfgesänge frei und offen durch die Nacht voller Wunderlichkeiten:

»Wir sind im wahren Christentum,
Herr Gott, wir danken dir!
Dein Wort, dein Evangelium,
An dieses glauben wir.
Die Kirche, deren Haupt du bist,
Lehrt einig, heilig wahr.
Für diese Wahrheit gibt der Christ
Sein Blut und Leben dar.«

Preis, Lob und Ehre diesen seßhaften Jungfrauen im Dienst der alleinseligmachenden Kirche, die unentwegt gen Golgatha pilgerten, den Ölberg zur Rechten, den Berg des Ärgernisses zur Linken, spurgetreu bis in den Tod, im Angesicht des Gekreuzigten, der seinen letzten Seufzer für die Sündigen dahingab. Preis, Lob und Ehre der hochgemuten Gräfin Ida von Meerfeld, der gesinnungsfrohen Ludgera von Linteloen, der unberührten Sophia von Langen! Keine fleischlichen Anfechtungen wandelten sie an, keine irdischen Gelüste fanden Raum in ihren silbernen Herzen. Gottesbräute! Gottesbräute! Jesu Blut und Jesu Sterben begleitete sie wie der Duft der weißen Lilien, die noch jetzt in ihrem verschwiegenen Klostergärtchen blühten. Ihre Sinne wallfahrteten auf Selfkantpantoffeln, ihre Seelen auf Myrrhenhügeln im Gelobten Lande an den Gestaden des Sees Genezareth, über dem der Hermon blaut mit seinem ewigen Schnee und seinem ewigen Leuchten.

Der Schatten ging weiter.

Raban von Bischopink war bewegt bis in die innersten Nieren.

Er gedachte der tapferen Frauen im Stift, der furchtbaren Szene vor dem blumengeschmückten Gesteiger, der entsetzlichen Worte aus dem Munde des Königs: »Wenn die Blätter fallen ...« und so schlicht sie auch waren, ein so liebliches Gedenken sich auch mit dem bunten Herbstlaub verband, wenn ein Blättchen sich um das andere löste, gleich einem vielfarbigen Schmetterling des Weges dahinschaukelte, um allgemach auf die müde Erde zu gleiten – hinter den fallenden Blättern stand eine gierige Hand, eine Tyrannenhand, die heimlicherweise einen köstlichen Frauenhals umzirkelte, Kreise um Kreise zog, Preziosen und Kleinodien bereit hielt, um eine jungfräuliche Brust zu schmücken und sich letzten Endes nicht scheute, dem reinen und weißen Leib eines versprochenen Weibes Gewalt anzutun, ihr stolzestes Heiltum zu entweihen.

Eine Geierklaue umklammerte sein Inneres.

Er wurde den Gedanken an die ›fallenden Blätter‹ nicht los.

Dazu bedrängte ihn eine furchtbare Ahnung.

Dieserhalb hatte er sich aus den Armen der Geliebten gerissen, um sich noch in später Nachtzeit Rat und Gewißheit zu holen. Den alten Wandscherer ließ er in tiefster Verdrossenheit, die Braut in heller Verzweiflung zurück. Beide harrten seiner Rückkehr mit bangen und verhaltenen Tränen.

»Gehe mit Gott«, hatte ihm der Tucher noch nachgerufen, die Jungfer sich an ihn geworfen mit der Unrast einer Verstörten, ihn geküßt mit blutleeren Lippen, ihm unbewußt die Zartheiten ihres unberührten Magdtums zu kosten gegeben.

Dann war er gegangen.

Raschen Schrittes ließ er das Stift der adeligen Damen hinter sich, passierte den Spiegelturm und erreichte den Platz, den alte Linden umsäumten, nunmehr Sion geheißen.

Hier angekommen, fielen elf einzelne Schläge von der hohen Domkirche über die Stadt hin.

In einer kurzen Schleife erreichte er die Ägidiistraße, um von hier aus das Tor zu gewinnen, das nach Haus Getter und in die verwunschene Dawert hinausführte.

Nichts regte sich im weiten Bering.

Stadt und Umwallung lagen unter dem Zeichen von Grab und Schaufel.

Nur dann und wann machte sich das kurze Bellen einer Feldschlange im Vorland verlautbar. Eine städtische Büchse antwortete.

Gleichzeitig zuckte ein rasches Scheinen unter dem Himmelreich.

So gelangte er an Tor und Verschanzung, gewahrte er das Blitzen von einzelnen Sturmhauben.

Ein Spießknecht trat ihm aus dem Schatten entgegen.

»Name und Feldschrei?!«

»Raban, der Erbmann, und Ehre sei Gott in der Höhe.«

»Und Euer Begehr?«

»Ich habe mit dem Hauptmann der Torwacht zu sprechen.«

»Wartet.«

Der Spießknecht trottete ab.

Gleich darauf ließ sich ein verrostetes Hüsteln, das Klirren von Sporen vernehmen.

Ein gedrungener Mann mit zerfetztem Gesicht, den Eisenschaller übergezogen, mit Krebs und Beinschienen angetan, zeigte sich unter dem blanken Mondlicht. Schacht von Delfingen, kein unebener Gesell unter den Kostgängern des Herrn, hatte bereits unter dem Zoller Friedrich dem Alten, Markgrafen von Ansbach-Bayreuth, als Fähndrich gedient, später als Hauptmann den Verlorenen Haufen in der Schlacht vor Pavia im großen Tiergart vorgetragen, dann sich dem König der Wiedertäufer verschrieben. Nur auf Schwur und Sold gestellt, war er einer der Besten im Lager des großen Propheten.

»Himmelverdammich! so bei ruhender Nachtzeit ...!«

Aber sein zerfetztes Gesicht heiterte auf, legte sich in breite und schmunzelnde Falten, als er Rabans ansichtig wurde.

»Potz Wetter und kein seliges Ende! So spät noch – zur Getter?«

Hand lag in Hand.

»Das weniger, Hauptmann. Nur – ich stehe in Seelennot und habe eine Frage an Euch. Wird sie verweigert, so weiß ich, Ihr dürft die Antwort nicht geben.«

»Mir hat keiner die Zunge verboten.«

Er lachte.

»Wäre auch sonderbar. Um Euretwillen gewiß nicht. Weiß doch die Welt: auf Getter habe ich manchen guten Humpen gestochen. Die Bischopink verstehen's schon, 'nem braven Soldaten die Ehre zu geben. Also heraus mit der Frage.«

»Ich meine: ist mir noch immer die Gunst verstattet, offen und frei das Tor zu passieren?«

»Warum nicht? Es sei denn, der Bischof hätte hier Grund und Boden unter den Schuhen und stülpte uns die hochheilige Inful über die Naslöcher, und da solches noch aussteht ...«

Die schwere Pratze des Feldhauptmanns legte sich breit auf Rabans Schulter.

»Da habt Ihr's. Wäre auch schlimm, 'nem Bischopink die Ausfahrt und Einfahrt zu weigern. Noch sonst was?«

»Ja, mein Ehrenfester, ich hätte noch sonst eine Frage.«

Er stockte.

»Dann kommt in die Wachtstub. Da läßt sich's besser und kommoder parlieren. Außerdem – man kann immer nicht wissen ...«

Alsbald saßen sie in der bombensicheren Kammer des Hauptmanns.

Dieser hatte hinter sich gegriffen, 'ne Kanne und zwei Becher auf das rohe Holz gestellt und diese gefüllet.

»Den Bauchgott hab' ich im großen und ganzen den Laufpaß gegeben. Zu viel Schmausen macht fett. Dem Weingott hingegen singe ich noch immer ein ›Deo gratias‹. Alten Landsknechtsbrauch soll man nicht umkommen lassen. Ist Malvesier, sogenanntes Freigut aus den wohlbestellten Kellereien des Generalvikars, und da selbiger das Hasenpanier aufsteckte, gab Johannes Leydanus seinen Feldhauptleuten zu trinken.«

»Und Ihr dient ihm mit allen Fasern und Masern des Herzens?«

»Mir gleich, wem ich diene. Heute brenne ich im Namen Gottes los, morgen im Namen des Satans. Wie's trefft. Mir gleich, ob Papist, Kalviner oder Anabaptiste. Nur die Wittenbergisch Nachtigall hat mir nicht vieles zu sagen. Wie mir geschieht, so geschieht auch dem anderen. Pocht seine Trommel mir ehrlich zu, antwortet die meine gleichfalls mit 'nem ehrlichen Pochen. Sonst nimmer. Wie der Herr, so's Gescherr. Wird mir der Sold in lauteren Golddublonen gezahlt, steht auch mein Schwur auf goldenen Füßen. Bis dato kann ich über den König und seine Pfennigmeister nicht klagen. Wie's gegeben wird, so wird wiedergegeben. Bietet mir allwoch ein rechtschaffen Weib, 'nen guten Gaul unter den Hintern, tagtäglich mein Brot, dazu 'nen ausgiebigen Haustrunk, und ich bin wunschlos bis zum Jüngsten Gericht, wo's heißt: Reif zum ewigen Schmoren oder zum ewigen Gloriasingen. Also sauft aus, und wohl mög's bekommen.«

Raban tat ihm Bescheid.

»Ja, wohl mög's bekommen, und nun ...« und wiederum begannen seine Worte zu stocken.

»Erbmann, was habt Ihr?«

Schacht von Delfingen sah ihm starr in die Augen.

Er mußte genau zusehen, um dort irgend etwas Genaues erkennen zu können, denn die Laterne, die von der niedrigen Steindecke baumelte, fristete an ihrer Ölfunzel nur ein klägliches Dasein. Kaum, daß man das harte Tafelholz, Kanne und Becherlein zu unterscheiden vermochte.

Raban von Bischopink tat einen tiefen Atemzug.

»Hauptmann, ich bring's so recht nicht über die Zähne.«

»Gottes Brand und Blut! Hakt das vielleicht mit dem heutigen Morgen zusammen ... mit der Brautschau am Gesteiger ... mit dem Willen des Gesalbten? Ich selber bin Zeuge gewesen, denn erst um die dritte Nachmittagsstunde habe ich Torwache bezogen.«

»Hauptmann, so ist es.«

»Also hier pfeift die Merle! Freut Euch doch. Erbmann. Ein königliches Geschmeid als Brautschatz gegeben, ist doch nicht alle Tage zu haben. Was verschlägt's, ob man zur hitzigen Spätsommerzeit oder in kühlen Herbsttagen die Zierlichkeiten seiner Herzallerliebsten vor Augen bekommt. Von wegen der königlichen Gnade sollte Euch dieses 'nen Hundeblaff gelten.«

»Herr, ich meine, es ist für mich Gefahr im Verzuge.«

»Wieso das?«

»Wenn der König nun selber ...«

Starr wie ein Bildstock stand Raban unter dem Schein der mißfarbigen Laterne.

»Wenn die Blätter fallen ...« mahlte er langsam zwischen den Zähnen.

»Also da geht's hinaus?«

»Ja, da geht's hinaus, denn von Fürstengeschenken tropfen des öfteren blutige Tränen.«

»Mensch, so verschreibt Euch doch mit Leib und Seele der neuen Lehre. Damit wird doch jede Unbill behoben.«

Der Erbmann winkte ab.

»Würde nichts fruchten. Ich sah das Auge des Königs. Das entkleidete sie bis auf den letzten seidenen Faden.«

»Was Teufel ...!«

Schacht von Delfingen tat einen langen Zug aus dem Becher.

Dann wuchtete er sich strack in die Höhe.

Sein Blick war unstet geworden. Eine gewisse Unrast bemächtigte sich seiner.

»Erbmann«, sagte er nach einiger Weile, »ich verstehe jetzt richtig. Hier hilft keyn medezyn, das ist der minne pyn. Es ist ein schwer Ding neben dem Gepoch der Trommel zu ziehen, die Blutfahne im Verlorenen Haufen mit Ehren vorzutragen. Aber ein schwereres noch, ein schön und stolzlich Weib vor andermanns Gier und vor andermanns argen Gelüsten betreuen zu müssen. Man soll edles Holz nicht zum Feuer tragen.«

Er fuhr mit steifer Hand durch den starren Schnauzbart und sagte: »Geschehenes kann man nicht ungeschehen machen, aber man kann vorbeugen, sonst erstickt man an seinem Begehren und der Liebe eines verlorenen Weibes. Also vorbeugen. Erbmann, vorbeugen ... sonst steht Eure Sache auf schwachen Füßen, wird über den Haufen geworfen.«

»Herr, wenn ich sprechen dürfte, wenn ich Euch vertrauen dürfte wie dem Apfel in meinem Auge ...?!«

»Schießt los! Jede Kugel aus 'ner properen Büchse ist für mich auch 'ne propere Kugel.«

»Dann Feldhauptmann ...« und mit tiefer Qual kam es aus der Brust des Zermarterten, »dann möchte ich fragen: Besitzt Hermann Wandscherer, Mitglied des Zwölfer-Rates nebst Sippe, noch immer die Gerechtsame, freie Ausfahrt und Einfahrt zu haben?«

»Das heißt, mitten ins Schwarze geschossen. Holla! das mit dem Freipaß! Bis jetzt noch. Ich für meine Person habe keine Gegenorder empfangen. Aber wollen mal hören.«

Raban von Bischopink atmete auf, während sich der Feldhauptmann ins anliegende Blockhaus der Spießknechte begab, um dort Nachfrage zu halten.

Plötzlich erhob sich da drüben ein lautes Geschrei.

Es knallte wie einzelne Schüsse aus guten Feldstücken.

»Luderfresse, infame! wann ist dieses Schreiben gekommen?«

»Während der Ablösung. Um viere, Herr Hauptmann.«

»Und wurde dir zu Händen gegeben?«

»Wurde mir zu Händen gegeben.«

»Für mich?«

»Für Euch, Herr Hauptmann, aber der Hurenweibel kam gerade daher und befahl mir, zwei Weiber unter Visierung zu nehmen, die just dabei waren, Patrolle zu laufen, und da ... ich hab's beigesteckt ...«

»Hundekanaille! und damit vergessen. Aber warte, mein Herzenskönig«, und Schacht von Delfingen legte los, daß Mauern und Sandsäcke der Ägidiitorburg in ein gelindes Zittern gerieten. »Morgen um viere ... hier auf der Strecke ... im Angesichte des Galgenholzes – du hörst die Teufelchen geigen, die Engelchen lautenieren zwischen den Schanzkörben und Faschinen dahier, denn dein Arsch wird Hochzeit halten mit der siebenschwänzigen Katze, sonder Besien, wie die Holländer sagen, und die Freuden der Hochzeiterei sind bei dir bis drei Tage vor Lambertiabend, wo die Münsterischen singen: Alles was auf Erden schwebet, ist die Taub' das schönste Tier ... und nun verschwinde, du Lump!« und eine schwergeladene Aufforderung krachte hinter dem Spießknecht Ludger Luderfresse her, als hätte sie ›Jans Pumpernickel‹ mit Stunk und Schwefel über Wall und Gräben gepulvert.

»Blitz, Mord und Gewitter!«

Mit einem erbrochenen Schriftsatz kehrte der Hauptmann zurück.

An der Pulverkammer seines Herzens lag noch immer die Zündschnur.

Es war die zweite, die er losbrennen wollte.

Das zersplissene Gesicht erinnerte an den Klunker eines indischen Bronzeputers. Es schillerte in allen Kulören.

Er bekriegte sich aber, denn Raban trat ihm entgegen, grauer denn durchgesiebte Asche, wenn auch die Selbstbeherrschung eines geschlagenen Mannes zwischen den Rippen.

»Ich weiß, was Ihr bringt«, sagte er mit flackerndem Atem.

»Nichts Gutes«, gab der Hauptmann zurück. »Neben einem Löwengehirn kann auch ein Fuchsgehirn wohnen, und dieses Fuchsgehirn machte schnellere Arbeit als das eines Erbmanns von Bischopink.«

Er schluckte einen gepfefferten Fluch hinter die Feldbinde, trat in den Schein der matten Ölfunzel und zupfte den übel zugerichteten Schriftsatz hart auseinander.

Dann las er, nicht wie ein Bakkalaureus oder ein sonstiger Schriftgelehrter, aber er las doch, wenn auch stockig und mit etlichen Kicksern und Fettflecken dazwischen:

»An die Wachthabenden der sämmtlichen Torburgen. Nach Standes-Gebühr hochzuehrende Herren!

Zur Kenntnis und unter dem Gepoch der Trommel bekannt zu geben. Mit dem heutigen Tage, gerechnet von Sonnenuntergang an, verläßt bis auf weiteres hin weder Menschenfuß noch Huf und Klaue die gute Stadt Münster. Alle Paßfreiheit wird hierdurch gestrichen. Unter jeder Bedingung. Vornehmlich gilt dies für die Herren des Zwölfer-Rates mit ihren Versippten. Lediglich, aus besonderer Vergünstigung heraus, sei dem Erbmann von Bischopink von und zur Getter verstattet, die

Tore frei zu passieren. – Jeder Feldhauptmann, der die jeweilige Torburg befehligt, haftet mit seinem Kopf für die Order, es sei denn, er zöge es vor, von hoher Stange und mit tropfendem Hals ins Geläger der Bischöflichen zu revieren und den Kundschafter abzugeben. Mög's ihm zusagen. Gewächsnet und mit Unserm Siegel versehen.

Im Namen des Königs: Krechting, der Kanzler.«

»Merci!« lachte der Feldhauptmann. »Einfach Kopf und Kragen herunter und dann auf die Stange. Wohl bekomm's, dieses kurze Verfahren. Die von der Kanzelei wissen 'ne niederträchtige Feder zu führen.«

Und er lachte zum anderen.

Aber es war ein häßliches Lachen.

»Drum auch das verfluchte Gepoch so um viere herum ... Wollen's nachholen«, und zu Raban gewendet: »Die haben ganze Arbeit gemacht und Euch das Konzept total vermistet. Die sind selbst den Feldschlangen und den Viertelskartaunen über, wenn's gilt, 'ne Portion heimlicher Gier dem Staatsgedanken einzuverleiben. Verdammich!«

Er sah in ein starres Gesicht.

Raban von Bischopink streckte die kalte Hand aus.

»Ich habe hier nichts mehr zu suchen. Meine Mission ist zu Ende. Aber Treue um Treue, die fand ich. Ich danke Euch, Hauptmann. Ich will's nicht vergessen.«

»Nichts zu danken. Nur das Feldgeschrei bleibt: Kopf oben behalten. Ihr sitzt mit Hermann Wandscherer und seiner Sippe in der Fuchsfalle drin, aber es müßte mit dem Teufel zugehen, solchen Fuchsfallen nicht ein Schnippchen zu schlagen.«

»Und dann noch der Hohn«, keuchte Raban, »mir Paßfreiheit zu lassen. Ausgerechnet mir! Das klingt wie Fraß nach der Hölle.«

Da traf ihn ein wuchtiger Schlag auf die Schulter.

Es war die Pranke des Feldhauptmanns.

»Ihr seid ein Bischopink, Erbmann. In der Dawert wird hartes, aber gesundes Brot gegessen. Da gibt's Hunde, die bellen nicht, aber sie beißen. Zeigt Euch der Erbmänner würdig. Ganz hürnern und ganz Horn. Schluckt's 'runter wie 'ne häßliche Pille. Und letzten Endes: treibt's mit Eurer Herzenstulpe wie der Fähndrich auf offener Walstatt. Euch bleibt die Fahne der Ehre. Wickelt Euch und das blonde Weib in das seidene Tuch und verkostet mit ihm das köstlichste Ding, was es gibt zwischen Himmel und Erde. Das verhagelt dem andern das beste Gemüse.«

Ein verhaltener Schrei, und nochmals: »Ich danke Euch, Hauptmann.«

Schacht von Delfingen wandte sich ab.

Sein braves Soldatenherz wollte verbluten.

»Mord und Brand ...!«

Da sah er: er war allein in der Blockhausstube.

Draußen gingen hastige Schritte.

Der Erbmann hatte es eilig unter der Nacht voller Sterne.

Das Herz schlug ihm mit der Gewalt eines Hammers.

Hinter ihm begann die Trommel zu pochen.

Sie pochte an der Ägidiitorburg.

Schacht von Delfingen ließ die Vergatterung schlagen.

Nun war's geschehen.

Auch diese Hoffnung, die letzte Hoffnung war der Vermoderung anheimgefallen.

Es mochte auf zwölf gehen.

In seiner Verstörung hatte der Einsame einen kleinen Umweg gemacht.

Die Ägidiistraße ließ er zur Rechten.

Er befand sich in Höhe der Georgskommende und hörte die Aa in ihren Schleusenwerken rauschen.

Hier vernahm er das Gerassel von Eisenkacheln und den gemessenen Schritt zweier Spießknechte.

Sie begleiteten die breite und hohe Gestalt eines Befehlshabers, ganz in Schwarz gekleidet, den düsteren Bart nach beiden Seiten gescheitelt. In seinen Strähnen verfingen sich die lichten Splitterchen des hellen Sternenfeuers.

Die Straße zog sich mondklar dahin. Die Schattenrisse der Häuser erinnerten an die von Scherenschnitten.

Das Auge des Gewaltigen begegnete dem des Erbmanns.

»Verhaltet Euch«, sagte er jählings, und den Söldnern gebot er: »Erwartet mich an der Ägidiitorburg, dicht neben dem Gatter. Das Weitere findet sich dort.«

Da trotteten die Spießknechte stumm ihres Weges.

Bernt Knipperdolling jedoch, der Statthalter und Schwerträger des Königs, just dabei, die Runde um Wälle und Schanzen zu machen, erhob sich als finsteres Phantom über den Pflastersteinen.

»Raban von Bischopink ...?«

»Herr, Ihr nennt mich mit dem richtigen Namen.«

Der Schwarze trat näher heran.

Seine Hand hob und senkte sich wieder.

»Ihr kennt mich?«

»Wer sollte den Träger des Schwertes nicht kennen!«

»Gut so! Ein braves Gedächtnis empfiehlt. Ich möchte Euch fragen: Habt Ihr nichts wider mich in Gedanken, Worten und Werken? Ich frage, weil ich Eure Gesinnung erkennen möchte.«

»Nichts Herr, in Gedanken, Worten und Werken.«

»Ich frage nur deshalb«, fuhr der Statthalter fort, »weil sich viele ein falsches Bild von mir machen, mich lediglich im Hohlspiegel sehen, also verzerren; denn mein Amt ist ein strenges Amt, ein unbarmherziges Amt und meine Linke möchte oft der Rechten wehren, die Wage zu heben, um das Gewicht zu erfassen. Aber so ist das. Keiner, der einer neuen Lehre dient, um ihretwillen die Pflugschar ansetzt, den Boden umbricht, ihn vorbereitet zur Aussaat und Mahd, wandelt immer auf heiteren Gefilden. Vielfach hat er Blut an den Schuhen. Ich sage Euch das, weil Ihr wissen sollt: ich bin nicht wider Euch, Raban von Bischopink.«

»Ich danke Euch, Herr. Euer Wort ist mir Trost in meiner Not und Bedrängnis.«

»Ich weiß: Ihr wurdet an die Wegscheide gedrängt. Eure Gestirne nahmen den verkehrten Lauf an. »Wenn die Blätter fallen ...« das steht noch lange dahin; bis dahin kann sich noch manches begeben«, und Knipperdollings Stirne runzelte sich: »Von dem, was heute geschehen, ist mir vieles zuwider. Hoffnungen verdunkelten sich, und Blumen gerieten ins Welken. Es gibt Tage, die einem die Sinne umgarnen, aber gleichzeitig auch das Mal des Henkers aufdrücken. Ich sprach mit Wandscherer darüber ... und Ihr ...« und seine Rechte begann sich langsam zu heben.

Sie deutete auf die Torburg, die im grellen Mondlicht herüberglitzerte.

»Ihr seid dort gewesen, und von dorther kommt Ihr?«

»Ihr sagt es.«

»Und kamet zu spät. Ja, Ihr kamet zu spät. Schacht von Delfingen hatte bereits Order empfangen. So bleibt Euch noch eins«, und über das bleiche Gesicht Knipperdollings schattete es von Mitleid und Barmherzigkeiten: »Ja, so bleibt Euch noch eins. So Gott es zuläßt: um Wandscherer und Eurer jungen Liebe wegen – ich werde vorstellig werden. Vielleicht finde ich ein williges Ohr bei Johannes Leydanus, denn es ist noch nicht aller Tage Abend geworden.«

Über Raban ging es mit dem brausenden Gefieder des Sturmes.

»Herr, Herr, Herr ...! Ihr meint es gut mit mir. Aber glaubt Ihr denn selber, die Liebeswut der Tollkirsche könnte sich in ein entsagungsvolles Tränklein, der Schrei des Geiers in das Gurren einer Turteltaube verkehren?! Herr, ich habe meinen Glauben verloren!«

Da gab ihm Knipperdolling die Hand.

Er war bewegt bis in die tiefste Seele.

»Lebt wohl«, sagte er ruhig, »aber hütet Eure Worte ... und laßt den letzten Faden nicht leichtfertig dahinfliegen.«

Raban sah ihm mit leeren Augen nach.

Die Schritte des Statthalters gingen tapfer über das Pflaster.

Jenseits der Georgskommende begann er zu singen.

Er sang einzelne Strophen des Psalms der drei Jünglinge im feurigen Ofen.

Und also sang er:

»Tage und Nächte, lobet den Herrn, preiset und rühmet ihn ewiglich. Eis und Fröste, lobet den Herrn, preiset und rühmet ihn ewiglich, denn er hat uns erlöset aus der Hölle, hat uns geholfen von dem Tode und hat uns errettet aus dem glühenden Ofen. Amen, Amen und Ehre sei Gott in der Höhe!«

Ein seltsam lichtklarer Stern fiel vom Himmelreich.

Er verlöschte über der Georgskommende.

Mit seinem Verlöschen verhallte auch der Gesang der drei Jünglinge im feurigen Ofen.

 


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