Joseph Lauff
Pittje Pittjewitt
Joseph Lauff

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XVII.
Der Leedeich

Jan Peerenboom torkelte über den Deich hin.

Das Wetter stand über ihm. Der Himmel begann ungemütlich zu murren.

Jan streckte die Faust nach oben.

»Himmel Sapperment noch einmal! – wart' noch ein bißchen.«

Mit häßlichem Lachen stolperte er über einen Erdklumpen und stürzte zu Boden.

»Geh' mir aus dem Wege, Du ruppiger Dreckkloß – Du scheeler Halunke! – Was willst Du? – Anch' io sono ...!«

Fluchend drehte er sich in den tiefen Fahrgeleisen herum, die über die Deichkrone liefen. Mit der rechten Hand versuchte er den Oberkörper zu heben, und als ihm dieses gelang, stierte er mit glasigen Blicken in die umdüsterte Landschaft.

Er lag gerade dem Fingerhutshof gegenüber. Im Frontgiebel der weitläufigen Wirtschaft wurde ein Licht geschlagen. Flimmernd winkte es über Wiesen und Kolke.

»Ich schlage Dir das Fenster ein, Du dämlicher Glühwurm! – Auf den Leim kriechen wir nicht. – Ne, ne, ne ...! – Hier geht mein Weg hin.«

Er machte vergebliche Anstrengungen, wieder auf die Beine zu kommen. Jedesmal sank er fluchend auf dem holperigen Fahrdamm zusammen.

»Mir auch egal!« wetterte Jan und stierte gen Himmel.

Flatternd zog es durch die keuchenden Lüfte.

Der Wind hatte sich aufgetan.

Der erste Blitz setzte von Wolke zu Wolke und belebte die Gegend. Es war eine prächtige Fernsicht. Die Wiesen lagen für eine kurze Spanne in fahler Beleuchtung. Über die Grasspitzen schien das Sankt Elmslicht zu hüpfen.

»Prosit!«

Jan hatte die Schnapsflasche ergriffen. Glucksend goß er die helle Flüssigkeit hinter den Sammetkittel.

Donnerkiel, wie das schmeckte!

»Prosit, Ihr Bauern! – Ihr seid edle Menschen dahinten!«

Mit der Bouteille winkte er dem nahen Gehöft zu.

»Nu aber 'ran mit der Forsche.«

Er machte neue Versuche.

»Hopla ...!«

Es ging nicht.

»Warten wir,« tröstete sich der Puppenspieler. »Wir kommen, wenn's Zeit ist, aber dann nicht so ohne Tournüre. Ne, ne, ne! – wir kommen mit 'nem richtigen Plie und als strafender Richter. Hahaha! – Blitzt mal ...! – Blitzt mal da oben! – Brav so.«

Lallend streckte er sich in dem tiefen Geleise. Seine Triumphe, die Gestalten der Puppenkomödie, die eingeheimsten Groschen und Kastemännchen tanzten hinter- und nebeneinander über den Deich fort. Wie das seine erschlafften Geister belebte! Wie das wohltat – das helle Geklimper auf dem irdenen Teller! Mit abgeschliffenen Backen, fettig und glänzend äugelten ihn die Geldstücke an. Es waren auch Kupfermünzen darunter. Der holländische Leu paradierte auf der Medaillenseite. Grünspan war darüber gezogen.

»Fort mit der Kupferpackage!«

In Gedanken ließ Jan die Pfennige in alle Winde verstieben. Die vorwärts stöhnenden Wolken, die Reptiliengestalt angenommen hatten, schnappten sie auf.

»Hahaha!« lachte der Puppenspieler. »Aber so 'n Rüpel von Wirtskerl! Mich 'rausschmeißen zu lassen – mich, den eingeborenen Künstler und Dichter?! Mein Verachtungsschluck treffe Dich bis in die Stiefelschäfte herunter. Prosit, Du Rindsvieh!«

Wiederum stöpselte er den Kork von der Flasche.

»Ein angenehmes Pröstchen – Du Rindsvieh!«

Er gluckste und schnalzte.

»Aber nun blitzt mal! – In drei Düwels Namen, nun blitzt mal ...! – Hurra ...!«

Schwer sank er in die ausgeleierte Furche und lachte: »Pittje sollst leben! – Hurra Pittje ...! – Pittje – Pittje ...!«

Die letzten Worte verhallten in einem langgedehnten Murren, das unter dem Himmel einherlief. –

Just zu derselben Zeit, wo der Puppenspieler alle viere von sich streckte und der Schnapsflasche zusprach, war Pittje unter Schauerkrämpfen und vor lauter Entsetzen vor Kathjes Fenster zusammengebrochen – und als er zusammenbrach, da war es ihm so, als hätte sein Verstand für immer Schiffbruch gelitten.

»Pittje, sollst leben ...!«

Allein Pittje dachte gar nicht daran und war mehr einem Sterbenden ähnlich.

Als wenn ein eigentümliches Fluidum von der Unglücksstätte herüberwehte, so kam es plötzlich über Jan Peerenboom gefahren. Es dämmerte jählings in seiner verfuselten Seele.

»Himmel Sapperment noch einmal! – Ull Koßmann ...!«

Das Amt des Richters war in ihm rege geworden.

Er stemmte sich auf.

»Nu aber 'ran mit der Forsche! – Golo, infamichter Holzkopf, reich mir die Hand her! – Erkenne in mir Deinen Herren und Meister. 'ran an die Ramme. Hopla! – Das flutscht ja ...!«

Er kam auf die Beine und torkelte weiter. Mit dem Tonnenreifen und den zappelnden Puppen um den Hals, die Schnapsflasche in der Rechten schwenkend, balancierte er bald auf die eine, bald auf die andere Seite der steil abfallenden Böschung. In ungefügen Greueltönen sang er alsdann über Weiden und Wiesen:

»Bier en Kümmel lößt de Ohm,
Kirsch en Pomeranze –


             Liewen Onkel Peerenboom,
             Laat de Pöppjes danze.
                Hier 'ne Penning, dor 'ne Penning –
                Böran, Baas! –
                Jantje Klaas – Jantje Klaas!«

Es war ein schauriges Bild, wie er so über die hohe Deichkrone dahinschritt.

                »Jantje Klaas – Jantje Klaas ...!«

Seine Stimme verhallte.

Die Gegend änderte sich.

Der Fingerhutshof mit dem flimmernden Lichtschein verschwand hinter Erlen und Hecken. Dunstige Massen schoben sich vor. Durch das öde Flachland schlängelte sich der Leedeich wie ein greulicher Lindwurm. Rechts an seiner Flanke nagte der Kalkflack. Gurgelnd floß er dem Rhein zu. Alte Weidenköpfe gespensterten im Tief auf, wenn die Wetterlohe für einen Augenblick die weite Landschaft erhellte.

Und Jan Peerenboom inmitten der Schauer.

Immer lauter begann es in den Lüften zu sausen.

Die Puppen tanzten im Wind.

Schwankend ging der Marsch dem kleinen Städtchen entgegen. Unheimlich hob sich die schwarze Gestalt gegen die noch im Westen haftende Helle ab. Um so dichter schoben und drängten sich die Wolkenschichten über dem Haupte des Puppenspielers zusammen. Fratzengesichter, Nebelgestalten, zerfaserte Tücher und Streifen überflogen den Leedeich. Die tiefer gelegenen Massen hatten eine violblaue Färbung.

»Klipperklapper!«

Die schweren Holzköpfe der Puppen schlugen zusammen.

»Wir kommen zur Zeit, wir kommen zur Zeit!« schrie Jan Peerenboom, stapfte auf und versuchte ein schärferes Tempo zu nehmen.

»Hier 'ne Penning, dor 'ne Penning –
Vöran, Baas! –
Jantje Klaas – Jantje Klaas!«

Von einer Seite zur andern taumelnd, gestikulierend und mit den zappelnden Puppen Zwiesprache haltend, bewegte sich der hohe und starkknochige Mann weiter und weiter.

Der Wind bemühte sich die dunstigen Fuselgeister von dannen zu fegen. Sein Kopf wurde klarer. Das Begebnis mit Sally Süßkind nahm Fassung und Form an. Die Gedanken reihten und ordneten sich, und im Vorwärtsgehen hielt er große Rundschau ab über die verflossenen Wochen. Zwingend traten ihm die einzelnen Begebenheiten vor die allmählich sich ernüchternde Seele. Da stand ihm alles deutlich vor Augen, als wäre es erst gestern geschehen: die graue Sorge invitierte ihn auf einen Stuhl, der ihm schon lange nicht mehr gehörte, sah ihn mit toten Augen an und meinte: »Nun gib acht auf das, was da kommen wird.«

Und da kam das Elend gehumpelt. Und die Hypotheken flogen wie Spatzen auf sein Dach und begannen einen Heidenspektakel zu machen. Er wollte sie polternd vertreiben. Es war zu spät. Die schreienden Spatzen wurden zu Raben und anderem Raubzeug und hackten mit ihren groben Schnäbeln nach ihm, daß er ängstlich ausweichen mußte. Da wandte er sich hilfesuchend an seine Mitmenschen, die in besseren Tagen mit ihm Karten gekloppt, eine feine Karambolage gemacht und gezecht hatten. Aber niemand hatte Erbarmen mit ihm. Alle kamen mit nichtigen Gründen und zuckten die Achseln. Über die welken Wangen der Sorge glitt ein verächtliches Lächeln. Und wie sie die magere Hand ausstreckte, da kamen allerhand Flaschen mit gebranntem Wasser in die Stube gestolpert. Sie hatten dicke Bäuche, Glotzaugen und verkupferte Nasen. Mit ihren Kankerbeinchen begannen sie lustig zu tanzen.

»Hurra! – jetzt kommen die Sorgenbrecher, die Pullen.«

»Du irrst Dich,« sagte die Graue, »das sind meine Kumpane. Die nehmen Dir den Stuhl unterm Sitz fort, das Bett, den Koffer, die Kasten und alles was Dein ist.«

»Hoho!« brüllte Jan.

Aber das graue Weib hatte recht. Der preußische Kuckuck flog gegen die Tür; von Amts wegen wurde Siegel angelegt. Aloys Pierentrecker erschien und mit ihm der Herr Polizeidiener Brill, der Auktionator, der Herr Protokollführer mit den tintenbeklecksten Stauchen und viele Menschen, die einen guten Kauf zu machen gedachten. Kathje, sein einziges Kathje, rang die Arme und weinte, die Hypotheken krächzten auf dem Dach, Nikodem konnte und wollte nicht helfen, hatte nur gute Lehren und abgeleierte Redensarten auf Lager, aber Hände so leer wie umgewendete Beutel – und keiner war da, der das rettende Tau bot, ihn aus der trostlosen Lage zu ziehn. Und das Elend stand bei ihm, griff ihn beim Kragen und meinte: »Wir sind gute Kameraden, mein Junge.« Der Auktionator erhob sich und bot die Yorkshire-Sau zum Verkauf an. »Zum ersten, zum zweiten und ...«

Wie die Sprühteufel sprangen alsdann die dünnbeinigen Flaschen mit ihren aufgeschwemmten Bäuchen über Tische und Bänke, liefen dem Stall zu und versuchten die Weihnachtssau mitsamt ihren Schinken und späteren Würsten an das grelle und profane Licht des Tages zu zerren. Die Hypotheken krächzten immer frecher und lauter auf den verschuldeten Pfannen. Jede Hoffnung, jede Rettung schien ausgeschlossen, und die graue Sorge streckte die Hand aus und lachte.

»Zum ersten, zum zweiten und ...«

Da wurde die graue Sorge noch fahler.

Ein Mann war ins Zimmer getreten. Der hielt Kathje an der einen Hand, und mit der anderen führte er einen mächtigen Knüttel und begann auf das widerwärtige Weib, auf die Bouteillen und die anderen Friedensbrecher zu dreschen, daß sie auseinanderstoben wie Spreu vor dem Winde. Und die Hypotheken auf dem Dach hatten einen zu kurzen Atem bekommen. Sie hatten das Schreien verlernt. Aber fliegen konnten sie noch; sie hoben die Flügel und flogen auf und davon, als sei der leibhaftige Gottseibeiuns in sie gefahren. Gerettet!

Und dieser Mann war Pittje ...

»Pittje, Pittje, Pittje, ...!« stöhnte Jan Peerenboom und holperte bedenklich zur Seite. »Himmel Sapperment noch einmal! – und diesen göttlichen Menschen will meine eingeborene Tochter verraten?! Mordio! – der Tag des Gerichtes will kommen! – Ich schlage ihr und dem Lumpenkerl von Ull Koßmann die Schädel zusammen.«

Und wieder begann er zu lallen und lallend zu singen:

»Hier 'ne Penning, dor 'ne Penning –
Böran, Baas! –
Jantje Klaas – Jantje Klaas!«

Unheimlich und schaurig tönte der Gesang des ernüchterten Mannes über den Deich hin. Dann stieß er ein Gelächter aus, daß die Winde darüber ihr Stöhnen und Pfeifen vergaßen.

Immer dichter schachtelten sich die Wetterwolken zusammen. Das unheimliche Licht am westlichen Himmel hatte sich inzwischen in eine rauchige Färbung verwandelt. Dunkle Flore waren darüber gezogen. Alles lag jetzt grau in grau auf der Erde.

Gespenstig dehnte sich der mächtige Leedeich durch die verschwommene Fläche, gleichsam, als kröche ein vorsündflutliches Tier mit unsichtbaren Tatzen unter Wetterwolken und Himmel.

Jan Peerenboom balancierte auf dem Rücken desselben.

Er sah in die Ferne, so gut es ihm das Dunkel verstattete. Zwei glühende Augen brannten am Ende des Deiches. Es waren die erhellten Luken der Wassermühlen, aus welchen das Licht drang. Wie zwei blutige Sterne standen sie im Kopfe des Untiers.

Als Jan Peerenboom die ›Bunte Schleuse‹ passierte, verloschen die roten Sterne. Müller und Müllerburschen hatten Feierabend gemacht.

»Ausgepustet, tot – mausekapott!« schrie der Puppenspieler und beschleunigte die unsicheren Schritte.

Die Angst saß ihm im Nacken. Er fühlte, daß seine Mission auf Erledigung drängte. Der Schweiß rann ihm in dicken Tropfen über die Stirne.

Immer ungebärdiger verhielten sich die Puppen; der steife Wind machte ihre Holzgelenke lebendig. Grimmig klapperten die buntilluminierten Köpfe zusammen.

»Ruhe, Ruhe!« zeterte Jan Peerenboom sie an, mit seiner Stimme den Donner übertönend, der immer grollender und knatternder wurde. Noch sprach er jenseits des Rheines – aber der Sturm setzte mit aller Macht ein und riß dem Puppenspieler den Hut vom Kopf. Sich überschlagend trollte er die steile Böschung herunter.

»Fahre hin!« lallte Jan. »Klar muß der Kopf sein, wenn der Richter drin waltet!«

Mit einer grandiosen Bewegung sah er dem Hut nach.

»Leb' wohl! – Aber was ist das?«

Tief am nächtigen Himmel und jenseits des Rheines erhob sich eine blutige Lohe. Die schwarzen Wolken säumten sich mit feurigen Rändern. Feuergarben strahlten dazwischen. Qualmiger Rauch legte sich in bauschigen Tüchern darüber. Weiße Sterne spritzten wie Raketen nach oben. Rote Zungen leckten gen Himmel. »Das hat eingeschlagen da drüben! – Wenn dieses Donnerwetter doch den verfluchten Ull Koßmann erschlüge ...!

Vöran, Baas! –
Jantje Klaas – Jantje Klaas!«

Der Puppenspieler tastete voran. Trotz der Dunkelheit kamen jetzt die schwerfälligen Kolosse der Wassermühlen in Sicht. Kaum noch Rufweite war er von ihnen entfernt.

»Jantje Klaas – Jantje Klaas ...!«

Weit scholl das wüste Geschrei über das Tief hin. Bläuliches Wetterlicht setzte über den Deich fort.

Die Kühe, die sich scheu und verschüchtert in den Wiesen zusammengedrängt hatten, brüllten ängstlich in die grollenden Wolken. Schreckhaft klang ihr lang gezogenes Klagen; dann rasten sie mit dumpfem Gepolter über die sumpfige Öde.

Ein brandiger Geruch schwelte vom Rhein her.

Jan drehte den Nacken.

Fast kerzengerade stieg die Feuersäule gen Himmel, um plötzlich unter lebhaftem Funkengestiebe in sich zusammen zu fallen. –

In demselben Augenblick, da dieses vor sich ging, war Ull Koßmann aus dem Hause des Puppenspielers flüchtig geworden. –

Wie zwei unförmliche Klumpen kauerten sich die beiden Wassermühlen am Ende des Dammes. Mit ihren blinden Augen stierten sie dem Puppenspieler entgegen. Die mächtigen Schaufelräder ruhten, aber um so tosender, reißender und wilder stürzte sich das aufgestaute Wasser über das niedergelassene Wehr fort. Balken- und Plankenlagen zitterten unter der Wucht der niederfallenden Wasserkaskaden. Heulend und fauchend kam es aus dem milchigen Kessel gefahren.

In grotesken Zickzacklinien, den Tonnenreifen mit den tanzenden Puppen um den Nacken geworfen, wankte Jan Peerenboom dem tobenden Wehr zu.

»Gerade so wütend wie ich,« lallte Jan. »Das ist so meine richtige Stimmung, um den Richter und Rächer zu spielen. Ausräuchern wie Kakerlaken und Wanzen will ich die ganze Gesellschaft. Himmel Sapperment noch einmal!

         Bier en Kümmel lößt de Ohm,
        Kirsch en Pomeranze –
        Liewen Onkel Peerenboom,
        Laat de Pöppjes danze.
           Hier 'ne Penning, dor 'ne Penning –
           Böran, Baas! –
           Jantje Klaas – Jantje Klaas!«

Die Puppen tanzten toller und wilder.

»Ihr sollt bald lustiger tanzen,« höhnte der Säufer, »aber dann Holzkopf auf Schädel!«

Er war auf die Brücke gekommen.

Wütend heulte jetzt der Sturm in den Bäumen. Die alten Pappeln stöhnten und ächzten und warfen kranke Äste zu Boden.

Jan hielt sich am morschen Geländer und sah in die Tiefe. Sprühend spritzte der Gischt auf. Ein unbestimmtes Gewirr von riesigen Schaufeln, Balken und Rosten querte sich zwischen den ragenden Mauern.

Ha, wie das dröhnte und polterte, mahlte und kreiste! – Die Brückenstreben wankten unter dem wütigen Anprall.

»Vöran, Baas ...!«

Mit Tageshelle fiel der Blitz in die Wiesen.

»Huida...!«

Der Puppenspieler wendete sich.

Wiederum zuckte die Helle.

»Wer kommt da?«

Keine Antwort erfolgte.

Jan tastete in greifbares Dunkel.

»Wer ist da?«

Totenstille ringsum.

»In drei Düwels Namen, da soll doch ...!«

Hastige Schritte, flüchtige Schritte ...!

Wetterlicht ging in diesem Augenblick über die Mühlen. Für eine Gedankenschnelle stand die nächste Umgebung in scharfer Beleuchtung.

Ein Mann stürzte sich auf die Planken der Brücke. Er wollte sie queren.

Jan vertrat ihm den Weg – dann taumelte er rücklings.

Die erneuten Blitze wiesen ihm die Züge des Malers.

»Ull Koßmann ...! – Ull Koßmann ...!«

Der Marionettenspieler brüllte wie rasend. Er griff nach den Puppen.

»Der Tag des Gerichtes! – Der Tag des Gerichtes ...!«

Ull Koßmann wollte vorüber.

»Keinen Schritt über die Planke!« Jan Peerenboom hatte sich am Geländer aufgerichtet und streckte die geballten Fäuste nach oben. Das eckige Gesicht war noch gröber und kantiger geworden. Die schnapsseligen Blicke waren fort. Im Wetterlicht nahmen die Augen einen verzweifelten Haß an. Die dünnen, eisgrauen Haare flogen im Sturm.

Der Puppenspieler hatte das Aussehn eines Mannes, der auch vor dem Ärgsten nicht mehr zurückschreckt.

»Der Tag des Gerichtes!« schrie der Verzweifelte.

»Jantje, Jantje...!« flehte Ull Koßmann.

»Zum Düwel mit Jantje! – Meine Ehre, meine leibliche Ehre!«

Jan war näher getreten.

»Alter Herr...!«

Der Maler versuchte einen jovialen Ton anzuschlagen.

Aber der Puppenspieler brüllte von neuem: »Nichts da! – Flausen, Halunkereien – verfluchte! – Mein geschändeter Tempel...! – Meine Ehre und die Ehre von Pittje! Aber jetzt 'ran an die Arbeit!«

»Ich habe sie nur als Madonna...!«

»Kennen wir! – Kennen wir ...! – Ull, Du Verfluchter – jetzt 'ran an die Arbeit! – Kopf auf den Schädel...!«

Er hatte sich eine von seinen Puppen vom Halse gerissen, sie bei den Beinen ergriffen...

»Holla – und prosit die Mahlzeit!«

Golos wuchtiger Holzkopf saufte hernieder.

»Ah!« stöhnte der Maler.

Ein wütiges Ringen ...

Peerenboom streckte und reckte die Knochen.

»Vöran, Baas! –
Jantje Klaas – Jantje Klaas!« –

Schauderhaft dröhnte das Gelächter des halbwahnsinnigen Mannes über Mühlen und Kalkflack. Er hatte Riesenstärke bekommen. In seiner Hand saß der Tod. Der sprang aus derselben auf das morsche Brückengeländer, sah in das kochende und zischende Wasser und forderte die beiden Ringenden mit dem Verhalten eines Schaubudenbesitzers auf, näher zu treten.

»Ich bitte die Herren ...! – Schon ist alles bereit. – Die Vorstellung kann gleich losgehn. – Freies Entree ...«

Grinsend deutete er mit der fleischlosen Hand nach unten.

»Ich bitte die Herren...!«

»Ull Koßmann...!«

Ein wildes Gebrüll...

»Kapott! – Kapott!«

Die beiden waren dem morschen Geländer zu nahe gekommen. Sie wollten ausweichen. Es war zu spät.

»Ich bitte die Herren ...!«

Dann ein Racken und Brechen – ein wildes, entsetzliches Gelächter...

»Jantje Klaas – Jantje Klaas ...!«

Kopfüber ging's in die schäumende Tiefe. Ein dumpfes Gepolter auf Balken und Schaufeln, ein letzter Aufschrei – dann brauste es über das Wehr so geschäftsmäßig weiter, als wäre das soeben Geschehene eine alltägliche Sache gewesen. Nur die Dunkelheit legte ihre Schatten darüber, und der Donner sprach mit krachender Stimme dazwischen, damit die Menschheit den letzten entsetzlichen Aufschrei nicht hören sollte.

Und dennoch – zwei Menschen hatten ihn trotzdem vernommen.

»Peerenboom – Peerenboom ...!«

Von Sally gefolgt, war Pittje bis zu den Wassermühlen gekommen. »Peerenboom...!«

»Was ist das?«

»Hier war es!«

»Ich hab' sie beide gesehen – Peerenboom un Ull Koßmann!«

»Ja – es war die Stimme des Alten!«

»Un hier! – Ich bitte Ihnen, Herr Pittje – das Geländer ...!« –

»Die sind ja ...!«

»Gott der Gerechte ...!«

»Peerenboom – Peerenboom ...!«

Pittje war in die Kniee gefallen.

Er beugte sich vor der Majestät des Unglücks. Das Grausen war ihm mit starrer Faust in den Nacken gefahren.

In hoffnungsloser Arbeit kletterte er durch das Balken- und Sparrwerk zur Tiefe.

»Peerenboom – Peerenboom ...!«

Jede Rettung war ausgeschlossen. Das heulende und tosende Wasser hatte beide schon längst stromabwärts getragen. Erschöpft kehrte Pittje zurück. Er wußte nicht mehr, was er tun sollte. Das Unglück aber war an seine Seite getreten, hatte ihm die Hand gereicht und mit ihm Kameradschaft geschlossen – vielleicht auf Lebenszeit.

Das Wetter begann lauter zu toben. Die Bäume sausten.

Pittje hörte die Sprache des Himmels.

Sally war zu ihm getreten: »Kommen Sie, Pittje – hier is nich mehr ßu helfen.«


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